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Gefährliche Frauen ...

In der Nähe des kretischen Fischerdorfes Kissamo lag eines Nachmittags ein Mann am Rande eines steil abstürzenden Felsens und sah auf die See. Der Mann war ich, und die »Bayern« lag in dem kleinen Hafen des Dorfes vor Anker, etwa eine viertel Wegstunde entfernt.

Ich hatte nun den Ägäischen Archipel kreuz und quer befahren, war auf all den vielen Inseln gewesen, im Peloponnes, an den historischen Stätten des alten Hellas, hatte einen Hafenbrand im Piräus mitgemacht und hatte sogar einen Schuß durch den linken Fuß bekommen, als ich unglücklicherweise in ein mit Maschinengewehren ausgetragenes Seegefecht zwischen einem griechischen Zollkutter und einem türkischen Schmugglerboot geriet. In wenigen Tagen wollte ich Griechenland endgültig verlassen.

Der Rasttag, den ich in Kissamo eingeschaltet hatte, sollte dazu dienen, meine Gehwerkzeuge nicht allzusehr des festen Landes zu entwöhnen, nachdem ich mehrere Tage kaum aus dem Boot herausgekommen war. Ich schlenderte planlos durch die Gegend, als ich eine Beobachtung machte, die mich veranlaßte, mich für einige Zeit auf dem harten Felsboden niederzulassen. Einige zwanzig Meter unter mir glitzerte die See. Die Küste bildete hier eine kleine, vollkommen von abweisenden Felsenmauern umgürtete Bucht. Nur an einer einzigen Stelle, und zwar genau unter meinem Liegeplatz, war eine natürliche Plattform, zu der vom Eingang der Bucht her ein sehr schmaler Steig führte. Auf dieser Plattform war etwas Besonderes los. Es lohnte sich, ohne Unterlaß das blaue Wasserhalbrund da unten zu beobachten. Denn dort badeten vergnügt etwa ein Dutzend Mädchen in der Flut, schöne Mädchen – eines schöner als das andere. Schlank und rank und braun gebrannt von ihrer Sonne. Sie tollten mit einem Ball umher, warfen sich gegenseitig ins Wasser – bis eine plötzlich mit der Hand zu mir heraufwies. Ich war also entdeckt! Die Rangen hielten erschreckt inne in ihrem munteren Getümmel. War es nicht schrecklich, daß sie von einem Manne beobachtet wurden? – Was sollte ich nun machen? – Sollte ich aufstehen und mich der Gesellschaft manierlich vorstellen? – Ach was. Ich blieb liegen und winkte freundlich lachend hinunter. Damit schien alles in Ordnung zu sein. Die Nixen wurden übermütig. Sie kreischten und lachten und versuchten Steine zu mir heraufzuwerfen. Sogar hinunterkommen sollte ich, wenn ich Mut hätte, riefen sie. Das ging aber leider nicht, denn es gab wohl kaum einen Weg durch die beinahe senkrechte Mauer, und ein Kopfsprung – dazu war mir die Höhe über dem Wasser doch zu groß.

Mitten in der lustigsten Unterhaltung schrillte ein zorniger Ruf hinter mir. Vorerst kümmerte ich mich nicht darum. Aber er wiederholte sich diesmal etwas näher. Nun sprang ich auf und sah mich um. In einiger Entfernung standen zwei Burschen, zwei Bauernburschen. Sie machten mit den Händen Gesten zu mir her, die unbedingt bedrohlich aussahen. »He–e–e–e, Germanos ...«

Das ging tatsächlich mich an. »Was wollt ihr?« fragte ich.

»Kommt sofort hierher!« schrien die Lümmel.

»Warum das?«

»Wir haben mit dir zu reden.«

»So so, wenn ihr was zu reden habt, dann kommt gefälligst selber näher, verstanden?«

»Oichi – ine apagorevete afto ...«

Trottel, dachte ich mir und legte mich wieder hin, bemerkte aber, wie der eine der beiden Kerle spornstreichs auf das Dorf zulief, während der andere beobachtend stehenblieb.

Aha – mir ging ein helles Licht auf. Das konnte mit den Mädchen zusammenhängen. – Richtig! Nach einer Weile kam ein Haufen Leute angetrabt, Männer und Frauen. Sie gingen aber auch nur so weit heran, daß sie nicht in die Bucht hinabsehen konnten. In drohendem Tone befahl man mir, sofort zu verschwinden. Aber halsstarrig, wie ich war, blieb ich. Inzwischen hatte eine Frau die Mädels unten scheltend aufgefordert, sich unverzüglich anzukleiden und sich ins Dorf zu begeben. Recht kleinlaut geworden folgten sie. Sehr schade ...

Nun räumte auch ich das Feld. Ebenfalls in Richtung nach Kissamo, vorbei an dem schweigenden Menschenhaufen, restlos erdolcht von feindlichen Blicken. Kein Wort fiel. Das war unheimlich. In wenigen Schritten Abstand folgte man mir. Ich fühlte die Wut hinter meinem Rücken. Ständig erwartete ich einen Stein an den Kopf geworfen zu kriegen. Als wir uns den Häusern näherten, rannten die Burschen, die mich erst angerufen hatten, voran und schrien in jedes Fenster, in jede Türe etwas hinein. Die Gasse füllte sich mit Menschen, die jetzt laut durcheinanderschimpften. Ich beschleunigte meine Schritte, um die Kapitanie zu erreichen. Mir war alles andere als wohl zumute. Jeden Augenblick konnte ich eine gehörige Tracht Prügel einheimsen. Eine ganz verdammte Geschichte, die ich mir aufgehalst hatte.

Dem Schicksal sei Dank – da war das Haus. Ohne mich nur ein einziges Mal umzuwenden, hatte ich den ganzen Weg zurückgelegt, noch zwei, drei lange Schritte, und ich warf den andern die Tür vor der Nase zu. Jetzt erst merkte ich, daß mir ziemlich schwach in den Knien geworden war. Hätte ich vorher nur einen Augenblick die Selbstbeherrschung und überlegene Ruhe verloren, die ganze Bande wäre ohne Zweifel über mich hergefallen. Und ich war doch erst vor kurzer Zeit aus der Klinik entlassen worden, in der ich mit meinem durchschossenen Fuß lag!

Der Hafenoffizier war ein Grieche aus Konstantinopel, ein Mann ohne die Engherzigkeit seiner weltfremden Landsleute. Er ging daher hinaus und bemühte sich, die aufgeregten Leute zu beruhigen. Schließlich war ich ja ein Fremder und mit den Gewohnheiten des Landes nicht sehr vertraut. Mädchen und Frauen beim Baden zuzusehen war nach Ansicht der in puncto weiblicher Sittenstrenge besonders genauen Kissamoaner ein schweres Verbrechen. Kein Einheimischer hätte sich das jemals erlaubt!

Welch ein Glück, daß ich nicht in Versuchung gekommen war, zu den Mädels hinabzusteigen. Wenn man mich da beobachtet hätte – wer weiß, was aus mir noch alles geworden wäre!

Eine halbe Stunde darauf verließ ich, dem wohlmeinenden Rat des Hafenoffiziers folgend, den Ort meiner Missetat, wieder um ein Erlebnis und eine Erfahrung reicher. Und am Ufer standen einige Mädels – und winkten mir zum Abschied nach! War es Bedauern – oder Schadenfreude über meine Niederlage? – Wer kennt sich mit den Frauen aus?

Übrigens nicht das erstemal, daß ich wegen der holden Weiblichkeit in Griechenland in eine mißliche Lage geraten war. Da stand noch die Geschichte von Argostoli in naher Erinnerung. Argostoli, Hauptort der Insel Kephallonia in der Adria. Damals waren wir zu zweien.

Man gleitet doch in allerlei hinein. Nachher heißt es, man hat ein Abenteuer erlebt, und das Komische dabei ist, daß sich ein solches Abenteuer später beim Erzählen oft recht spaßhaft anhört, während die Sache in Wirklichkeit sehr ernst war. Wie eben dies in Argostoli.

Der zweite Mann war ein Freund von mir aus dem Piräus. Ein dort beschäftigter österreichischer Glasmacher. Heinrich König hieß er und begleitete mich ein wenig auf meiner Fahrt in die Adria, da er gerade Urlaub hatte. Eines Abends waren wir nach Argostoli gekommen. Eine erbärmlich langweilige Stadt. Mit einbrechender Dunkelheit verkroch sich alles in die Häuser, und selbst die Kneipen und Kaffeehäuser sperrten zu. Wir stiefelten gegen neun Uhr abends durch die Gassen. Es war schon Nacht, und wir konnten nichts Besseres beschließen, als schlafen zu gehen.

Da spitzten wir die Ohren – Musik!

Zwar nur Grammophon, aber immerhin Musik. Irgendwo war also was los. Dem Schall folgend landeten wir vor einem Lokal mit der landesüblichen Aufschrift: »Kafenion.« – Also hinein. Aber schon unter der Tür übersahen wir mit einem Blick, wohin wir geraten waren. Egal – wir trinken einen halben Liter, lassen uns ein paar Platten vorspielen und verduften wieder, nahmen wir uns gegenseitig vor.

Der geräumige, von einer Spirituslampe erhellte Raum war an einer Seite von einem Bretterverschlag abgeschlossen, durch den mehrere Türen führten. Gleich neben dem Eingang war eine Theke aufgebaut, ein ganz gewöhnliches Holzgerüst, verstellt von Flaschen aller Größen, die mit vielversprechenden, einladenden Etiketten versehen waren. Nebenan stand noch ein Regal voll Gläser und Kaffeetassen. An den kahlen Wänden hingen ordinäre Bilder und Spiegel, in deren Rahmen grellbunte Papierblumen und Ansichtskarten steckten, während auf dem nackten Zementfußboden Tische und Stühle umherstanden. Ziemlich primitiv alles. Ganz in diesen Rahmen paßten die Gäste. Matrosen und Hafenarbeiter, Gestalten mit nicht allzu vertrauenerweckenden Gesichtern, vorn auf der Brust offenen Hemden und bunten Wollschlipsen um den Hals, Zigarette hinters Ohr geklemmt. Die Hauptsache aber war – es gab Mädchen hier, oh – recht freundliche Mädchen sogar, die je Mann zuvorkommend ohne Umschweife zwei Stühle zurechtrückten und nicht erst warteten, bis man selbst irgend etwas bestellte, sondern den Gästen auch diese Sorge abnahmen. »Die Gentlemen trinken sicher Likör«, sagten sie im Chor mit ihrem gewinnendsten Lächeln in den mehr oder minder alten Gesichtern. »Zwei Glas Likör also, und zwei für uns – macht vier Glas!«

Sodann schickten sie sich an, sich uns auf den Schoß zu setzen. Sie waren reichlich geschminkt und sehr dürftig bekleidet. Ich bedankte mich daher, denn ich bevorzuge keine solchen Frauen. König dagegen schien es zu gefallen.

So ein Gläschen Likör ist ja nichts. Schnell war ein paarmal nachgefüllt, jedesmal schenkten sich auch die Mädels ein und erhielten dafür vom Wirt eine Marke. Es fiel mir auf, daß zwei Flaschen verwendet wurden. Wir bekamen Likör nachgegossen, und die Mädels – rot gefärbtes Zuckerwasser. Als ich dies festgestellt hatte, wußte ich, was gespielt wurde. Man wollte uns lediglich besoffen machen, um uns nachher eine unwahrscheinlich hohe Rechnung präsentieren zu können. Ich warnte daher König und forderte ihn auf, zu gehen. Als Antwort auf meinen wohlgemeinten Rat verlangte er eine Ocka Wein. Es war nichts mehr anzufangen mit ihm, er sang und jodelte bereits in allen Tonarten, ließ seine Partnerin auf dem Schoß hochleben und schien im übrigen restlos verliebt in sie. »Mensch, hauen wir ab«, mahnte ich wiederholt. Aber jedesmal bekam ich dieselbe Antwort zu hören: »Nur noch ein Glas.« – Schließlich packte ihn gar der Katzenjammer, und er verfiel in Gefühlsausbrüche.

»Man will doch auch einmal glücklich sein mit einem lieben Mädel. Du hast ja keine Ahnung, was es heißt, das ganze Jahr vor dem verfluchten Glasofen zu stehen um fünfundvierzig Drachmen im Tag! Mensch, diese Hitze – und jetzt soll ich auf einmal gehen – ich will einfach nicht ...«

Das Grammophon schmetterte uns zu Ehren, von den Nebentischen trank man uns zu, der Wirt dienerte dauernd um uns herum und rieb sich mit liebenswürdiger Geste die Hände.

Im stillen rechnete ich zusammen, was wir verbraucht hatten. Ich kam auf vierzig Glas Likör beziehungsweise Zuckerwasser und eine Ocka Wein. Das Glas Likör zu eineinhalb Drachmen machte sechzig, und der Wein durfte nicht mehr als zehn kosten, also alles in allem siebzig Drachmen. Der Wirt würde wahrscheinlich zweihundert verlangen. Um des lieben Friedens willen würde ich ihm hundert geben.

»Wir wollen zahlen«, rief ich.

»Sofort, mein Herr.« – Der Wirt verschwand hinter der Theke, und ich sah, daß er mit Papier und Bleistift hantierte. Das schien mir ein schlechtes Zeichen. Als er nicht gleich kam, verließ ich für einen Augenblick das Lokal, wenig später betrat ich es wieder. Der Wirt stand nun an unserem Tisch. König hatte einen Zettel vor sich liegen, und in der Hand hielt er die Brieftasche. »Einen Moment«, sagte ich und schob nicht sehr sanft das Mädchen auf die Seite, das sich mir in den Weg stellen wollte. Ein Griff – ich hatte die Rechnung, ein Blick darauf ...

Eine Reihe von Zahlen, Strich darunter – und die Endsumme. Sonderbar, dachte ich, der Wirt rechnet in Dekaren statt in Drachmen und scheint nicht einmal betrogen zu haben.

Siebenhundert hieß die Summe. Er hätte auch siebzig schreiben können. Na, meinetwegen. Ich griff in die Tasche und legte siebzig Drachmen auf den Tisch. Der Wirt heuchelte Erstaunen. Und nun kam's heraus – siebenhundert Drachmen sollte das bedeuten. Allerhand – ich war viel gewöhnt von den Griechen, aber eine derartige Unverschämtheit war mir noch nie untergekommen. »Du irrst dich«, sagte ich so ruhig wie möglich, »siebzig Drachmen macht die Zeche, und keine Lepta mehr. Bist du zufrieden mit siebzig Drachmen – sonst bekommst du gar nichts!«

Der Grieche stand vor mir, einen guten Kopf kleiner, und er trat einen Schritt zurück. »Siebenhundert!« kreischte er und ließ alle Liebenswürdigkeit fallen. »Ihr wollt wohl nicht zahlen – ihr Schwindler ...«

Einer stellte das Grammophon ab. Die Kerle waren alle aufgesprungen.

»Schwindler?« fragte ich und trat etwas vor, »he – wer ist ein Schwindler ...?«

In diesem Augenblick brannte mir ein Schlag im Gesicht, der nicht von schlechten Eltern war, von hinterrücks. Das hatte gefehlt – das Blut schoß mir in den Kopf, ein Blick zu König – der holte gerade mit einer Flasche aus ...

Schon sauste sie einem an den Schädel. Ein paar Gläser und ein Stuhl kamen als Antwort zurückgeflogen. Die Weiber stürzten schreiend auf die Straße.

»Auf geht's!« tobte König und baute aus Tischen eine Barrikade auf, die er vor sich herschob, während er alles, was ihm in die Hände kam, als Wurfgeschoß benützte.

Windstärke zwölf ...

Ein Bayer und ein Steirer gegen ein halbes Lokal voll griechischer Strolche – denen wollten wir es schon zeigen!

Ich bückte mich, packte einen Tisch an einem Bein, es war ein solider Tisch, nicht allzu leicht. Mit einem Ruck riß ich ihn rückwärts hoch, schwang ihn über dem Kopf, und dann sauste er durch die Luft.

Kr–ach – er landete mitten in der Theke ...

Scherben klirrten und prasselten zu Boden.

Gebrüll ... Gefluche ...

Dann packte ich einen zweiten Tisch und schmetterte ihn zwischen die Griechen, die auseinanderspritzten wie eine Pfütze. König hatte an Flaschen zusammengeschlagen, was er erwischte. Plötzlich war das Lokal leer. Es schien, als wären wir die Sieger. Auf der Straße hatten sich einige Leute angesammelt, endlich fragte eine Stimme: »Darf man hinein? Ich bin die Polizei.« – Wir mußten lachen. »Nur herein!« schrien wir, und jeder griff nach einer noch ganzen Flasche. Tatsächlich tauchte nun ein Polizist auf, der mit uns zu verhandeln suchte und es gerne gesehen hätte, wenn wir dem Wirt die unverschämte Forderung doch bezahlt hätten. Aber wir waren nicht entschlossen, nachzugeben. So zogen wir um Mitternacht alle zur Wache. Der Offizier schlief schon, und wir wurden für den kommenden Vormittag bestellt.

»Was macht ihr denn für Geschichten?« – das war die Frage, mit der uns der Chef empfing. Nun berichteten wir, was sich zugetragen hatte. »Stimmt das?« – fragte der Offizier den Wirt. »Wieviel Schnäpse haben die Herren getrunken? – Vierzig also und eine Ocka Wein. Das kostet siebzig Drachmen.«

»Ja, aber meine Wirtschaft ist eine Bar«, warf der andere ein, »ich habe Musik und Damen.«

»Was, dieses Loch nennst du eine Bar? – Weißt du überhaupt, was eine Bar ist?«

Die Chancen des Wirtes schwanden. Einen letzten Sturmlauf versuchte er. »Der Kleine da von den beiden hat mindestens zwanzig Küsse bekommen, die müssen doch berechnet werden ...«

Das Maß war voll. »Schluß«, sagte der Offizier, »ich will mit so einem Schwindler, wie du bist, nichts mehr zu tun haben; schau, wie du zu deinem Geld kommst.« Damit schob er ihn zur Tür hinaus.

Wir bezahlten ihm später siebzig Drachmen, worauf er uns zu einem Kaffee einlud, denn auch mit siebzig Drachmen hatte er uns noch betrogen, da er den Mädels ja nur Zuckerwasser statt Likör eingeschenkt hatte. Und wir schieden als Freunde.


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