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Es wäre gewiß keinem Menschen eingefallen, sich wegen des Kapitäns Franz Romer zu beunruhigen, als er eines Tages in Lissabon auftauchte, wenn ihn nicht etwas Besonderes dorthin geführt hätte. Etwas geradezu Unerhörtes!
Romer, ein jungverheirateter Mann von einigen achtundzwanzig Jahren, stammte aus der Bodenseegegend und war bisher als Offizier bei einer deutschen Südamerika-Linie gefahren. Er war ohne Zweifel ein tüchtiger und gewiegter Seemann. Er kannte die See.
Trotzdem – oder vielmehr gerade deshalb war in ihm der Gedanke entstanden, eine Tat zu vollbringen, die in der Geschichte der Seefahrt aller Zeiten noch kein Gleichnis hatte. Eine Tat voll unfaßbarer Kühnheit.
Es war kein ungesundes Geltungsbedürfnis, das diesen stillen, bescheidenen Menschen veranlaßte, sich einmal an die Grenzen seines der Pflichterfüllung verschriebenen Lebens zu stemmen und seine sportliche Phantasie zur Wirklichkeit erstehen zu lassen.
Kapitän Romer war einer von den wenigen Großen, die unerkannt und gerne beiseite geschoben durch die Masse gehen. Er war keine »Kanone« im gewöhnlichen Leben, aber er war ein Stürmer, ein Mann mit ehernem Willen, der über den Begriff »Unmöglich« der anderen mit einer verächtlichen Handbewegung hinwegging.
Von den hohen Kommandobrücken der im Lissabonner Hafen liegenden eisengepanzerten Ozeanriesen sahen ergraute Seekapitäne fassungslos auf ihren jungen Berufskameraden herab, der ihnen lachend erklärte, er würde diesmal auf »Gummischuhen« über den Atlantik schleichen. Da blieb so manchem der Priem im Halse stecken.
Auf Gummischuhen ...!
Der verwegene Geselle verfügte über ein Fahrzeug, »Boot« nannte er es sogar in seinem Übermut! – In den Augen der an solide Planken und Dimensionen gewohnten Schiffer ohne allen Zweifel ein Gelumpe – aus einer dünnen Gummihaut bestehend, die von fingerdicken Stecken auseinandergespreizt wurde, runde sechs Meter lang, vielleicht dreißig Zentimeter hoch, ein Boot jedenfalls, in dem man nach ihrer Meinung nur sehr vorsichtig sitzen konnte, bei dem überhaupt das Einsteigen schon eine gewisse Akrobatik verlangte, um es nicht augenblicklich zum Kentern zu bringen. Und mit diesem ausgesprochenen Hohn wollte er den Atlantik bezwingen? – Allen Gefahren trotzen? –
Jawohl – rund siebentausend Kilometer grünes, blankes Wasser durchschiffen – weiß der Teufel, wie ...
Das war im Frühjahr – um den Monat März – des Jahres 1928.
Was schon die Seeleute nicht begreifen konnten, das leuchtete auch den Menschen am festen Land nicht ein. Man wußte ja nicht, daß sein Faltboot ein Ergebnis genialer Berechnungen und unermüdlicher mutiger Versuche war, und tatsächlich in jeder Hinsicht über alle die Eigenschaften verfügte, die an ein seetüchtiges Boot gemeinhin gestellt werden.
Er startete von Lissabon.
Die Welt hielt den Atem an.
Monate vergingen. Neue Sensationen erregten die Gemüter. Um Romer war es ruhig geworden. Nur noch einzelne dachten an ihn.
Doch rastlos zog im einsamen Ozean ein winziges Boot seine Bahn – Kurs Westindien –, geführt von einem deutschen Mann.
Die westindische Insel St. Thomas gehört zu den Vereinigten Staaten. Eines Morgens sahen die Leute am Kai der Hafenstadt St. Thomas aus der Weite des Meeres plötzlich ein Kajak herankommen, sahen einen mageren, sonnenverbrannten Menschen darinsitzen mit verwildertem Bart und Haarschopf, und riefen ihn, als er nahe genug heran war, erstaunt an: »Hallo – you – where do you come from ...?«
»Europe ...« klang es zurück.
»Ein guter Witz, den Ihr da gemacht habt«, lachten sie.
Es war aber beileibe kein Witz. Romer hatte es geschafft – in hunderttägiger Fahrt.
Der elektrische Funke trug die Meldung um den Erdball.
Amerika bereitete dem deutschen Seemann einen Empfang, wie er einem Helden gebührt, und zum Zeichen, wie es seine sportliche Leistung ehrte, dekorierte es ihn sogar mit der goldenen Tapferkeitsmedaille!
»Romer hat viel für Deutschland getan«, schrieben die Landsleute von drüben, »er ist uns der beste Sendbote der Heimat, ein Gesandter ohne Portefeuille.«
Kurz muß noch berichtet werden, daß sich Romer mit der Erreichung von St. Thomas nicht zufrieden gab, er wollte weiter nach Neuyork, hinauf nach Norden. Um nicht wehrlos den Windstillen ausgeliefert zu sein, die den schweren Wirbelstürmen jener Breiten vorauszugehen pflegen, baute er in sein Klepperboot einen winzigen Hilfsmotor ein. Dann verließ er die Antillen.
Phantastisches hatte er bis dahin geleistet.
Die Grenzenlosigkeit des Ozeans – er besiegte sie!
Die Last der Einsamkeit – er ertrug sie!
Den Gefahren der Stürme – auch ihnen hielt er stand!
Mit den Schwierigkeiten, die ihm von Deutschland aus bereitet wurden, konnte er nicht fertig werden. Das war seine Tragik. Es muß offen gesagt werden, daß er, der Bezwinger des Weltmeeres, von gewissenhaften Beamten, die seine heroische Tat mit Paragraphen und Vorschriften vermengten, zur Strecke gebracht wurde.
Er hatte sich einen Kurzwellensender bestellt, um mit ihm die Wettermeldungen abhören zu können.
Er wartete auf ihn.
Es gab aber in Deutschland eine Behörde, welche die Erlaubnis für die Benützung einer solchen Einrichtung zu erteilen hatte.
Romer wartete.
Der Herbst kam, die gefährlichste Zeit für die Seeschiffahrt. Die Wetterlage verschlechterte sich von Tag zu Tag.
Die Erlaubnis traf nicht ein.
Er gab die Hoffnung auf, sie jemals zu erhalten, und startete. Viele kostbare Zeit hatte er nutzlos vergeuden müssen. Am 8. September 1928 fuhr er aus. Der Flaggenstock brach ihm – ein schlimmes Vorzeichen. Was ihn erwartete, das wußte er in dieser Stunde schon, wie aus dem letzten Brief an seine Frau hervorgeht. Wenige Tage später wütete ein verheerender Tornado.
Kapitän Franz Romer fand den Seemannstod.
Als Romer mit den praktischen Vorbereitungen zu seiner Reise bei den Klepper-Faltbootwerken in Rosenheim am Inn begann, war er ängstlich darauf bedacht, daß darüber nichts in die Öffentlichkeit drang. Durch Zufall hörte ich aber doch davon und war von der Sache gleich so begeistert, daß ich am liebsten mit ihm gefahren wäre.
Kurze Zeit darauf – im März 1927 – hatte ich in der Schweiz einen schweren Bergunfall erlitten, dessen Folgen mich vier lange Monate ins Krankenhaus verbannten. Der Arzt prophezeite mir für mein ferneres Leben nichts Gutes. Ich sollte nicht mehr richtig gehen können. Mich mit einer solchen Verheißung einfach abzufinden, stand im Widerspruch zu meiner ganzen Einstellung. Wenn ich ihm damals hätte sagen können, daß ich mir noch einmal die deutschen Sportabzeichen holen würde, er hätte mich ausgelacht. Bereits nach vier Monaten marschierte ich wieder so ausdauernd wie vorher.
In dieser Zeit hatte ich mich eingehend mit dem Gedanken an eine Weltreise befaßt. Sie sollte ebenfalls im Boot durchgeführt werden. Nicht, daß ich im Kielwasser Romers fahren wollte. Mein Ziel war der Ferne Osten. Das Boot sollte mir nur Mittel zum Zweck sein. Ich wollte die Welt erleben.
Ich sagte mir, wenn Romer es wagen will, in einem Faltboot über den Atlantik zu paddeln, dann wird es mir auch gelingen, mich mit einem wesentlich größeren, soliden Segelboot nach Indien oder China durchzuschlagen. Sobald wie möglich sollte die Fahrt angetreten werden.
Im Juli desselben Jahres konnte ich wieder nach München fahren. Ich erledigte meine Krankenhausrechnung, die, nebenbei bemerkt, fast meine ganzen Ersparnisse verschlang – es waren nahezu zweitausend Schweizer Franken –, dann löste ich eine Fahrkarte in die Heimat, und als ich in München ankam, fristete nur noch ein einziger Fünfzigmarkschein ein verwaistes und trauriges Dasein in meiner Brieftasche, wenn ich von dem bißchen Kleingeld absehe, das in den Hosentaschen klimperte.
So sahen also um diese Zeit meine Verhältnisse aus. Viele andere hätten den Reiseplan auf bessere Zeiten verschoben. Bei mir kam dies nicht in Frage. Immer, wenn ich am wenigsten habe, bin ich am unternehmungslustigsten und großzügigsten.
Daher kommt es auch, daß mit diesem Fünfzigmarkschein bereits die Geschichte meiner Weltreise beginnt, dieses großen Abenteuers oder vielmehr dieser Kette von Begebenheiten, durch die mich das Schicksal führte und die vier Jahre lang mein Leben ausmachten.
Vier Jahre! Runde dreißigtausend Kilometer Welt sind das Ergebnis. Und das ist viel, sehr viel sogar – wenn man eine solche Fahrt ohne Scheckbuch antreten muß, in der Hauptsache nur ausgerüstet mit einem unbändigen Willen und ebensolcher Zuversicht.
Aber ich schaffte es! Vier Jahre – fast viermal zweiundfünfzig Wochen. Vom ersten bis zum letzten Tag war der Weg voll von Hindernissen aller Art. Ich segelte sie restlos über den Haufen.
Es war mühevoll – darum war es schön. Man kann nie zuviel wagen in seinem Leben, wenn es sich um eine große Sache handelt. Selbst wenn ein erhoffter Erfolg ausbleibt, sogar ein Fehlschlag da ist, – immerhin, man hat etwas gewagt, man war dabei, man hat gekämpft – man kann sich mit Stolz erinnern.
Die Fahrt von München nach Indien – sie wurde das Erlebnis meiner Jugend.