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ACHTES KAPITEL.

ZWEI EWIG GESCHIEDENE.

Unter großem Menschenzulauf war Sandomir Geldern auf dem Kirchhofe von Mariendorf feierlich beigesetzt worden. Der Bestattung des Verewigten wohnten beide Herren von Kaltenstein, der Abbé Kasimir, Joseph am Ort, der Stiftssyndikus, Förster Frei mit seiner Tochter und Zerline bei. Die Baronin mußte ihres leidenden Zustandes wegen, der sich wieder sehr verschlimmert hatte, daheim bleiben, und Kathrine sagte einfach: »Ich will nicht!«

Nach der Rückkunft von dem Begräbnisse ließ Baron von Kaltenstein Clotilde um eine vertrauliche Unterredung bitten. Er hatte seine Gattin seit dem Tode Geldern’s noch nicht gesprochen. Abbé Kasimir war mit Zerline bei dem Domdechanten geblieben, der beide dringend bat, sie möchten wenigstens einen Tag lang auf der Dechanei verweilen. Nach dem Wunsche des Försters folgte Adolar diesem ins Forsthaus, und so konnte der Zufall selbst den Baron in seinem Vorhaben nicht besser unterstützen!

Clotilde kam dem Anliegen ihrer Gemahls entgegen, begrüßte ihn höflich, und fragte in auffallend sanftem Tone nach der Veranlassung dieser ihr jetzt so selten zu Theil werdenden Aufmerksamkeit. Der Baron nahm Clotilde gegenüber Platz und bemühte sich einige Secunden lang in ihren Augen zu lesen. Clotilde hielt jedoch trotz ihrer Körperschwäche und der ungeheuern Veränderung, welche seit der Ankunft des Abbé Kasimir auf dem Schlosse geistig wie leiblich mit ihr vorgegangen war, seine forschenden Blicke ruhig aus.

»Wir haben heute einen Mann, begraben,« hob der Baron an, »den wir seit unserer Vermählung beide nicht liebten.«

Clotilde wendete das Gesicht von ihrem Gatten ab und ergriff das elegant eingebundene Gebetbuch, das neben ihr an dem Arbeitstische lag.

»Ich hoffe,« fuhr der Baron fort, »Sie werden die Gefühle, die mich bei der Bestattung Ihres Bruders bewegten, vollkommen verstehen und mit mir theilen.«

Die Baronin schlug das Gebetbuch ungeduldig auf und zu.

»Sandomir Geldern fand ein rasches Ende ... Er hat keinen langen und schweren Todeskampf durchkämpfen müssen, und ich hoffe zu Gott, daß er reuigen Herzens die Erde verlassen hat ... «

»Zu Gott! ... Er hofft zu Gott!« murmelte Clotilde, sich noch mehr von ihrem Gatten abwendend.

»Ein unvermuthetes Ereigniß hat uns beide aus großer Bedrängniß gerettet,« sagte der Baron lebhafter. »Mit dem Erdhügel, der sich heute über der Gruft Ihres Bruders gewölbt hat, ist das Siegel auf eine bewegte, düstere Vergangenheit für immer gedrückt worden! ... Der Todte spricht nicht mehr, was er wußte, es ist ein Geheimniß des Grabes geworden, das seine Bewohner nicht wiedergibt.«

Clotilde kehrte sich langsam um, sah den Baron verachtungsvoll an, und sagte dumpf:

»Sandomir ward ermordet!«

»Er hat sein Schicksal erfüllt,« entgegnete Herr von Kaltenstein.

»Ein Schicksal das ... o, es ist grauenhaft ... Verwandte ihm bereiteten! ... «

»Solche Einbildungen könnten Ihnen schädlich werden,« erwiderte der Baron, den Clotildens leidenschaftliche Aeußerung nicht aus der Fassung brachte. »Es ist nur erwiesen, daß Sandomir Geldern erschossen ward, die Person, welche die Kugel abfeuerte, haben außer dem Todten nur Sie gesehen.«

»Ja, ich,« rief Clotilde zusammenzuckend. »Und ich habe den Mörder erkannt!«

»Hoffentlich flößt Ihnen derselbe in dieser neuen interessanten Eigenschaft keine Leidenschaft ein,« fuhr der Baron fort, »wenn meine Ansicht, daß Ihr eigenes Auge Sie täuschte, nicht vielleicht die richtigere ist. Es liegt ein langer Zeitraum zwischen jenem ... «

»Ich will nichts hören,« fiel Clotilde ein, »ja ich will noch mehr thun ...«

Sie küßte das goldene Kreuz auf dem Deckel des Gebetbuchs und kehrte die geisterhaft glänzenden, von einem unheimlichen Feuer glühenden Augen dem Himmel zu.

»Was wollen Sie thun?« fragte bang und erwartungsvoll der Baron.

»Ich will schweigen,« sprach Clotilde, »schweigen, bis der Tod auch meine Schmerzen endet!«

»Ich komme nicht, um Ihnen eine solche Zumuthung zu machen, im Gegentheil, ich fordere Sie auf zu sprechen, nur müssen Sie Ihre Aussagen auch beweisen können.«

»Ich könnte es, wenn ich wollte!« drohte die Baronin mit neuem Glutblick.

»Darauf erwidere ich mit gleichem Recht: Sie wollen es, aber Sie können nicht!«

Clotilde schleuderte das Gebetbuch zu Boden und wollte jäh aufspringen, ihr kraftloser Körper sank aber sogleich wieder in die weichen Polster des Armstuhls zurück.

»Ich las den Brief ... von deiner Hand!« hauchte sie zitternd.

»Er ward vernichtet!«

»Dein Wille war’s, den Unseligen zu tödten!«

»Dein Wunsch erzeugte ihn ... «

»Und nun ... nun hast du ihn ... gedungen!«

Der Baron lächelte, lächelte so seltsam, so mitleidig, daß Clotilde zuerst in Erstaunen, dann in Angst, zuletzt in Wuth gerieth. Ein Strom von Vorwürfen und Verwünschungen, die alle dem Baron galten, entquoll ihrem Munde. Als sie erschöpft war, nahm Herr von Kaltenstein wieder eine ernste Miene an. Er bückte sich, um das Gebetbuch aufzuheben, das er seiner Gattin reichte, und weil diese es von sich wies, es auf den Arbeitstisch legte.

»Ich erwartete,« sprach er mit einer gewissen Zudringlichkeit, »daß Sie von diesen betrübenden Einbildungen, die Ihnen schon wiederholt Ruhe und Zufriedenheit geraubt haben, beherrscht seien. Mehr als einmal habe ich Sie gebeten und, wenn ich das Fruchtlose, meiner wohlmeinenden Vorstellungen einsah, Ihnen befohlen, daß Sie sich selbst und die Thäthigkeit Ihres Geistes beherrschen sollten. Sie wollen aber oder können meinen doch nur gerechten Wünschen niemals nachgeben. Da ist es denn Zeit, daß man Ihnen wehrt, gefährlich zu werden! Fragen Sie den Stiftssyndikus, einen Mann, der mich nicht liebt, und seine Antwort wird der meinigen gleichen. Jene Person, die Sie in der Schwärmerei Ihrer verworrenen Gedanken gesehen haben wollen, existirt nicht. Damit zerfällt Ihre injuriöse Behauptung in sich selbst! ... Man hat Nachsuchungen angestellt – ich selbst aus Liebe zu meinem unglücklichen Schwager drang darauf – es zeigte sich aber nirgends eine Spur. Der Tod Ihres Bruders läßt sich auch viel einfacher erklären. Seine Vergangenheit, ehe wir uns begegneten, ist Ihnen bekannter wie mir. Sie war ganz dazu geeignet, Sandomir mehr Feinde als Freunde zu machen. Was nun ist natürlicher, als daß einer dieser zahlreichen Feinde des einst sehr glücklichen Spielers sich die Gelegenheit ersah, um sich für erlittenes Elend, das dem Glückstopfe Geldern’s entstieg, auf einmal bezahlt zu machen? Sollte Ihnen diese Auffassung der Verhältnisse nicht einleuchten, Clotilde?«

»Sie flößen mir Entsetzen und ... Verachtung ein, Baron!«

»Für diese Offenheit bin ich Ihnen dankbar,« versetzte Herr von Kaltenstein. »Es wird Licht zwischen uns beiden, und das kann uns nur freuen.«

Er stand auf und griff nach dem Gebetbuch, in das er blätternd zerstreute Blicke warf.

»Unser neuer Verwandter, der Abbé Kasimir Ludomirsky,« fuhr er fort, »dem wir die so äußerst interessanten Mittheilungen über Leben, Leiden und Sterben einer unglücklichen Dame, Namens Berenice verdanken – sie lebt ebenso wenig, Madame, und kann sich Ihrem kranken Geiste ebenso wenig zeigen wie Nicanor im Winkel – hat mir eröffnet, daß Sie gesonnen sind, in ungestörter Einsamkeit über sich selbst nachzudenken, bis Ihre Seele Ruhe findet. Ich theile vollkommen die Ansicht dieses gelehrten Priesters. Er hat recht: was Gott nicht zusammenfügte, sondern schnödeste Weltlust und gemeiner Vortheil, das war sich geistig nie verbunden, sondern ewig geschieden! Daraus folgt, daß eine wirkliche Scheidung, die wir freiwillig vollziehen, uns im Himmel, an dessen Gerechtigkeit und Gnade Sie ja glauben, als eine gute Handlung angerechnet werden wird. Sie werden nicht bestreiten, daß Sie sich schon zu Anfang des Lenzes sehr lebhaft mit diesem Gedanken beschäftigten. Die Gründe, durch welche Sie denselben zu rechtfertigen sich angelegen sein ließen, flossen aus derselben Quelle, aus welcher ich gegenwärtig die meinigen schöpfe. Erinnern Sie sich der Augenblicke, wo Sie Ihrer Mutter am Grabe Ihres Vaters ohne Abschied den Rücken kehrten!«

Clotilde sah den mit kalter Höflichkeit sprechenden Gatten schon längst wie eine Wahnsinnige an. Jetzt faßte sie mit beiden hagern Händen ihre grau gewordenen Haare, und rief mit einer Stimme, die selbst den Baron frieren machte, wieder das schon früher vernommene: »Hinunter! Hinunter!« Der Baron wartete, bis das schreckhafte Schattenbild der am Grabe jammernden Berenice im Auge der geistig Leidenden wieder erloschen war. Dann reichte er ihr das Gebetbuch.

»Clotilde,« fuhr er fort, »unser Verwandter, der Herr Abbé, hat mich versichert, Ihre Seele – so sagt er – retten zu wollen. Nach seiner Behauptung sollen Sie bereits Ihren Fuß auf den Rand des Pfades gesetzt haben, welcher verirrte Seelen zur Umkehr führt. Es wäre gewiß vorüberlegte Sünde, wollte ich einem so löblichen Vorhaben hinderlich sein. Leider hat mich das Leben noch nicht so gebrochen, daß ich mich veranlaßt fühlen könnte, aus freiem Antriebe und aus Bedürfniß zu Kreuze zu kriechen. Demnach bleibt mir nichts übrig, als mich von Ihnen zu trennen ... Morgen schon gehe ich, da mich Geschäfte nicht binden, auf Reisen. Der Herr Abbé hat mir versprochen, unsere Scheidung einzuleiten ... Sie werden meinen Namen tragen, wenn Sie dies wünschen sollten, solange Sie der Welt angehören! ... Leben Sie so heiter und glücklich, wie Sie es verdient haben, und beten Sie, die Bekehrte, für eine rastlos weiter irrende Seele!«

Clotilde fühlte das Gebetbuch in der Hand und umschlang es krampfhaft. Sie saß gebückt, gebrochen, zerschmettert. Noch einmal vernahm sie das Lebewohl des Barons, dann hörte sie ihn fortgehen und hinter ihm die Thür ins Schloß fallen.

»Hinunter! Hinunter!« klang es dem Davoneilenden nach, der kein Bedürfniß mehr fühlte, der geistig Leidenden noch einmal zu Hülfe zu eilen.


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