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HERZENSSCHWANKUNGEN.
Bald nach der Ankunft des Fürsten auf Hammerburg, der einen großen Theil seiner Zeit in lebhaftem Conferiren mit dem alten Obersten zubrachte, die ihm übrig bleibenden Mußestunden aber mit ganzer Hingebung dem ritterlichen Dienst der Frauen widmete, erschien Architekt Morwaldt wieder, um dem Grafen anzuzeigen, daß der Geschäftsfreund des Bau- und Fabrikunternehmers eingetroffen sei. Der augenblicklich vielbeschäftigte Mann dankte zwar freundlich für diese Mittheilung, erklärte aber zugleich auch dem Architekten, daß er vorerst nicht daran denken könne, den Fremden bei sich zu sehen.
»Was ist es für ein Mann?« setzte er fragend hinzu.
Morwaldt sagte von dem neuen Ankömmlinge nur Gutes und rühmte namentlich die elegante Haltung desselben im Umgange mit andern.
»Man glaubt einen echten Gentleman vor sich zu haben,« meinte er schließlich, »einen Herrn aus guter Familie, den nur die Verhältnisse in seine jetzige abhängige Stellung drängten.«
»Lebt er in Abhängigkeit?« versetzte der Graf. »Ich glaubte, er gehöre den reichsten Spiegelfabrikanten des österreichischen Kaiserstaats an.«
»Seine Stellung hat gewiß nichts Unangenehmes oder gar Drückendes,« erwiderte Morwaldt, »denn er ist Inspector der größten in jenem weiten Reiche befindlichen Schleiferei.«
»Wie lange dürfte wohl sein Aufenthalt dauern?« fragte der Graf.
»Ungefähr einen Monat werden den Herrn Inspector Geschäfte im Lande festhalten. Vorläufig wird er nur einige Tage hier verweilen. Auf seiner weitern Rundreise durchs Land will er sich den Riß mitnehmen und bei seiner Rückkunft sein Urtheil darüber abgeben.«
»Um so besser,« sagte der Graf. »Bis dahin werde ich hoffentlich Herr meiner Zeit sein und mich ungestört mit meinen eigenen Angelegenheiten beschäftigen können.«
Aeußerlich hatte es nun den Anschein, als gehe auf Schloß Hammerburg alles ruhig seinen Gang. Die Männer hielten täglich ihre oft stundenlang dauernden Conferenzen, in denen die häufig von Osten wie von Westen einlaufenden Depeschen gemeinschaftlich vorgetragen, besprochen und schließlich beantwortet wurden. Der Abbé nahm an diesen Conferenzen regelmäßig theil, obwohl er es nicht gern hörte, daß man von ihm sagte, er verfolge neben seinem Berufe als Priester auch noch politische Zwecke. Im ganzen enthielt er sich in diesen Berathungen auch großentheils eines Urtheils, desto eifriger war er in seiner Funktion als Secretär, die er aus freiem Antriebe übernommen hatte. Als der Gelehrteste und Sprachgewandteste der Anwesenden entwarf Kasimir stets die Antworten auf sämmtliche Briefe. Der Graf, der alte Oberst und der Fürst als beglaubigte Emissare der polnischen Nation unterzeichneten dieselben nur durch ihre Namensunterschriften.
So still und friedlich jedoch, wie es schien, verlief das Leben in Hammerburg durchaus nicht. Es gab da vielmehr täglich neue Aufregungen, gewaltsame Erschütterungen, und der Sturm der Leidenschaft richtete in mehr als einem Herzen dem leiblichen Auge allerdings nicht sichtbar werdende Verwüstungen an.
Etwa vierzehn Tage nach der Ankunft des Fürsten Bulabicki hatten sämmtliche Bewohner von Hammerburg einen weitern Ausflug zu Schlitten gemacht. Das Wetter drohte nach wochenlangem mäßigen Frost umzuschlagen. Der Wind ging hohl und der Schnee begann bereits hin und wieder zu schmelzen. Darum drang Bulabicki, der ein leidenschaftlicher Freund wilder Ausflüge zu Schlitten war, darauf, den Moment noch ein letztes mal zu benutzen. Der Graf entsprach dem Wunsche seines Gastes gern, und man fuhr in zwei Schlitten, die von je vier Pferden gezogen und von Vorreitern geleitet wurden, einige Meilen tief ins Land hinein. Den ersten Schlitten lenkte Graf von Serbillon in eigener Person. Dieser barg außer dem Grafen dessen Gattin Diana und den Abbé. Im zweiten Schlitten saß Hildegarde neben dem Obersten Malachowsky, während der junge Fürst die Zügel des Viergespanns mit der vollendeten Meisterschaft eines Herrn der Steppe führte.
Die Unterhaltung im ersten Schlitten, anfangs der Landschaft und deren Bewohnern geltend, wendete sich bald einem andern Gegenstande zu. Eine Frage Diana’s an den Abbé gab zu dieser Wendung den ersten Anstoß. Diese Frage war einfach, kurz und dennoch von tiefer Bedeutung. Sie lautete:
»Finden Sie nicht, lieber Abbé, daß unsere Pflegebefohlene ein ganz anderes Wesen innerhalb weniger Tage geworden ist?«
Der Gefragte antwortete nur durch einen Blick.
»Mich beunruhigt diese Entdeckung,« fuhr die Gräfin fort, »und das ist der Grund, weshalb ich das Zustandekommen der heutigen Partie nicht gern sah. Fürst Bulabicki ist ein gefährlicher Mann.«
»Fräulein Hildegarde hat dennoch nichts von dem Fürsten zu fürchten,« erwiderte Kasimir.
»Aber ihr Herz leidet darunter,« sagte die Gräfin mit größerer Lebhaftigkeit. »Das Gemüth des armen Kindes, das ohnehin in eine Lebensbahn geworfen worden ist, auf der selbst Gewandtere oft genug straucheln, bekommt eine falsche Richtung, die sich zum Unglück verfestigen kann. Wollte Gott, dieser ewige Depeschenwechsel hätte ein Ende oder es träfe endlich einmal ein Abberufungsschreiben für meinen chevaleresken Landsmann ein.«
»Die Försterstochter ist klug, verständig und nicht ohne Berechnung, gnädige Frau.«
»Sie mögen recht haben, Abbé, nur müssen Sie bedenken, daß Hildegarde jung, eine erwachsene Jungfrau und nicht ohne weibliche Gefallsucht ist!«
»Ihr Verstand sagt ihr, daß sie sich selbst schaden würde, ließe sie der blinden Leidenschaft unvorsichtig den Zügel schießen.«
»Sie kennen das Herz der Frauen nicht, Abbé?«
»Das Herz des Fräuleins glaube ich doch ein wenig zu kennen.«
»Hat sich Hildegarde Ihnen entdeckt?«
»Wenn sie katholisch wäre, würde mir keine Falte ihres Herzens verborgen sein, da sie zu den verirrten Seelen gehört, habe ich leider kein Recht sie aufzufordern, mir das Weh der ihrigen ganz und offen mitzutheilen.«
»Sie geben also doch zu, daß das arme Kind liebt, daß es den verführerischen Fürsten liebt?«
»Daß Fräulein Frei liebt oder eine Ahnung dessen in sich trägt, was die profane Welt Liebe nennt, will ich nicht in Abrede stellen, den Fürsten aber – gewiß, gnädigste Gräfin – den Fürsten liebt Hildegarde nicht!«
Der Abbé sprach diese Worte so bestimmt, so voll der innersten Ueberzeugung, daß Gräfin Diana ihn verwundert anblickte.
»Wie können Sie das wissen, lieber Abbé,« wenn das Mädchen Ihnen nicht selbst ihr Herz geöffnet hat?« sagte sie nach kurzem Schweigen.
»Ich bin gewohnt, die Menschen in aller Stille zu beobachten,« lautete Kasimir’s ruhige Antwort. »Diese Beobachtung hat mich gelehrt, daß Fräulein Frei ein ungewöhnliches Interesse an dem Fürsten nimmt, ein Interesse, das – lägen die Verhältnisse günstig für sie – sehr leicht zu einer ehelichen Verbindung zwischen beiden führen könnte, eine leidenschaftliche Liebe aber fesselt das kluge Mädchen nicht an den Fürsten!«
»Sie lassen sich von einem Kinde täuschen, Abbé,« versetzte Diana ungeduldig. »Ich kenne Hildegarde besser als Sie, und als Frau müssen Sie mir in diesem Falle mehr Scharfblick zutrauen als sich selbst. Ich gebe Ihnen die Versicherung, das Kind liebt, und diese Liebe setzt mich in große Verlegenheit! ... Herzensneigungen lassen sich durch Vernunftgründe nicht beseitigen!«
Der Abbé sah unbeweglich gerade vor sich hin.
»Nun, warum schweigen Sie denn?« fuhr Gräfin Diana mit Lebhaftigkeit fort. »Scheuen Sie sich zugestehen, daß Sie besiegt sind?«
»Ich pflichte Ihnen nur bei, gnädigste Frau,« versetzte jetzt Kasimir. »Hildegarde liebt, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese Liebe sie eines Tags recht unglücklich machen wird.«
»Und das sagen Sie mit einer lächelnden Miene?«
»Nicht, daß ich wüßte, obwohl ich nichts darin erblicke, das mich traurig stimmen könnte.«
»Aber liebster Abbé,« rief die Gräfin aus, »abstrahiren Sie doch einmal von Ihren priesterlichen Gelübden und seien Sie bloßer, leidenschaftlicher, mit gewöhnlichen Sinnen begabter Mensch! ... Ein betrogenes, verstoßenes Mädchenherz hat unendlich zu leiden!«
»Die Religion heilt alle Leiden und Schmerzen dieser Welt,« sagte mit sonderbarem Augenaufschlag der Abbé. »Ich hege die frohe Hoffnung, daß eine recht unglückliche Liebe dem Seelenheile dieses Kindes wohlthun, daß es der Verirrten Ruhe und Frieden, die sie beide noch nicht kennen gelernt hat, in schöner Harmonie geben würde.«
»Lieber Abbé,« antwortete die Gräfin in kühlerm Tone, »Sie kennen meine Gesinnungen hinlänglich, um zu wissen, daß ich Ihre Wünsche als Priester vollkommen theile, dennoch bestehe ich darauf, daß mein Haus nicht zu einer Station für die Congregatio de propaganda fide gemacht wird. Ich bitte also, reichen Sie mir hülfreiche Hand, meine Pflegebefohlene von dieser unseligen Neigung zu heilen. Sie haben einigen Einfluß auf das Kind. Hildegarde achtet Sie als Lehrer; sie wird Ihren Vorstellungen gewiß Gehör schenken!«
»Wie gern käme ich Ihren Wünschen entgegen,« versetzte der Abbé, »zu meinem Leidwesen aber bin ich hier gerade der Machtloseste von allen!«
Um den schönen Mund der Gräfin zuckte es wie Spott und Scherz, und von einer augenblicklichen Laune fortgerissen, erwiderte sie mit schalkhaftem Blick:
»Sie glauben doch nicht, lieber Abbé, daß die kleine Ungläubige von dem eigenthümlichen Schnitt Ihres Rockes so stark angezogen worden ist, um sich verbrecherischen Gedanken hinzugeben?«
Im Auge des Priesters blitzte es unheimlich, aber nur einen Moment. Dann sah Kasimir die schöne Gräfin wieder vollkommen leidenschaftslos an und sagte:
»Fräulein Frei liebt, wie Sie ganz richtig bemerken, gnädigste Frau, und diese Liebe wird für das Mädchen mit ungewöhnlichen Leiden verknüpft sein, weil der Gegenstand derselben ihr unerreichbar ist.«
»Sie gefallen sich in Räthseln, Abbé.«
»Die ich sogleich selbst lösen werde,« fuhr Kasimir fort. »Fräulein Frei liebt die Augen oder den Mund oder den ganzen Ausdruck eines Mannes, der ihr nur geistig, nicht leiblich gegenwärtig ist.«
»Das ist keine Lösung, das ist ein neues Räthsel.«
»Deutlicher gesprochen würde ich sagen müssen, das gute Kind mit den glutvollen Augen und dem heißen Herzen hat sich – in ein Bild vergafft!«
Diese scharf betonten Worte des Priesters erschreckten die Gräfin dergestalt, daß es ihr den Athem versetzte. Die Frage Hildegardens und der Zusatz des befangenen Mädchens über die Männer im allgemeinen trat lebhaft vor ihr Gedächtniß, und da das Bild im Ahnensaale bereits mehrmals Gegenstand vielfacher Gespräche gewesen war, so mußten ihre Gedanken sich nothwendig auch jetzt zuerst wieder auf dasselbe richten. Nachdem Diana ihre erste Bestürzung überwunden hatte, sagte sie zu dem ernsten Priester:
»Hatten Sie von dieser krankhaften Herzensregung meiner Schutzbefohlenen schon länger eine Ahnung?«
»Hildegarde ist kein gewöhnliches Mädchen,« erwiderte der Abbé. »Sie hat, obwohl noch jung, schon viel erlebt. Sie hat gelitten, hat empfindliche Schmerzen erdulden müssen, und ihre Widerstandskraft erstarkte unter dem Druck beengender Verhältnisse, die sie wie lästige Fesseln umschnürten. Diese Erfahrungen, die das ungewöhnlich begabte Mädchen frühzeitig machte, haben in ihrem Herzen wie in ihrem Geiste Wundenmale zurückgelassen, die sie fortwährend schmerzen. Ich fürchte, daß sie bei allen trefflichen Anlagen, die ihr die Natur verliehen, doch mehr Neigung in sich trägt zu sündigen Begehrnissen als zu beschaulichem Leben. Ihr Wissensdrang, gnädigste Frau, ist zu groß, um die harmlose Mädchenhaftigkeit sich in reinem Glanze entfalten zu lassen. Was ich von ihrem Empfinden, von ihrem Wünschen weiß, ist das Ergebniß stiller, aber unablässiger Beobachtung.«
Der Gräfin entging kein Wort des scharfsichtigen Priesters, und wenn sie zugeben mußte, daß er vielleicht das Richtige durch seines Geistes Tastorgan getroffen habe, vermochte sie doch nicht, die eigentliche Veranlassung einer derartigen Verirrung des Herzens zu ergründen. Denn für eine krankhafte Verirrung hielt die Gräfin unter allen Umständen die Neigung eines Mädchens, welche einem bloßen Bilde galt, mochte dies auch noch so bestechend und fesselnd sich darstellen. Als feinfühlende Frau ging sie aber noch weiter. Hielt sie es schon für möglich, daß ein empfängliches Mädchenherz heimlich süßen Regungen und stillem Verlangen einem bezaubernden Bilde gegenüber sich hingeben könne, so wollte es ihr andererseits doch nicht einleuchten, daß der bestechende Ausdruck eines Bildes allein einen so starken Zauber auszuüben vermöge. Blitzartig durchzuckte sie ein anderer Gedanke.
»Das Bild im Ahnensaale hat eine Aehnlichkeit mit einem andern Manne, hörte ich letzthin wieder den Oberst behaupten,« sprach sie, den Abbé mit ihren großen Augen beherrschend. »Ist Ihnen der Name dieses Mannes vielleicht bekannt?«
»Sie wollen verzeihen, gnädigste Frau, wenn ich diese Annahme für eine irrthümliche erkläre,« lautete die Antwort des Abbé. »Die Aehnlichkeit des fraglichen Bildes haftet nicht an einer bestimmten Person, sondern an einem ganzen Geschlecht.«
»Und dies Geschlecht stammt aus Polen, aus unserm gemeinsamen Vaterlande?«
»Es ist das Geschlecht der Ludomirsky.«
»Das nur in einem Sprosse noch lebt?«
»Ich war genöthigt, dies anzunehmen, bis ... «
»Bis Hildegarde zu uns kam?« fiel die Gräfin ein.
»Nein, gnädigste Frau, bis wir beide, ich und Hildegarde an ein und demselben Tage das Bild des Ulanenrittmeisters Sigismund Geldern erblickten.«
Die Worte ›wir beide‹ hatte der Abbé sehr scharf betont. Die Gräfin errieth sofort die Bedeutung dieser Betonung, die indeß wieder eine zweifache Erklärung zuließ.
Abbé Kasimir konnte damit sagen wollen: mich selbst frappirte das Bild, weil es mich an den verstorbenen Vater durch den stark ausgeprägten Familienzug der Ludomirsky gemahnte; es konnte aber auch die Hinweisung auf eine andere Persönlichkeit darin liegen, welche Hildegarde nicht unbekannt war, ja die ihr vielleicht sehr nahe stand. Einen Augenblick lang dachte sie sogar an den Abbé selbst, denn sie hatte wiederholt bemerkt, daß ihre Pflegebefohlene, wenn sie unbeachtet zu sein glaubte, ihr Auge unverwandt auf den scharfen Zügen des Priesters ruhen ließ.
»Ich sehe mich veranlaßt, lieber Abbé,« sprach Gräfin von Serbillon, nachdem sie eine Zeit lang nachgedacht hatte, »die Baronin von dieser bedenklichen Entdeckung zu unterrichten. Es kann nicht die Absicht dieser Frau sein, Hildegarde in Umgebungen weilen zu lassen, die ihr Herz verwunden, es vielleicht tödlich zerfleischen müssen, wenn das reizbare Kind nicht Kraft genug besitzt, den Feind unter Schmerzen muthvoll zu bekämpfen. Ich werde also der Baronin von Kaltenstein einen Wink geben, daß sie für ihren Schützling ein anderes Asyl aufzusuchen hat. Inzwischen wird sich mir wohl auch eine Gelegenheit darbieten, das irrende, arme Kind selbst ins Gebet zunehmen. Wenn der Schmerz sie bewältigt, daß sie weinend zusammenbricht unter dem Gewicht der Angst, die sie peinigt, wird sie sich mir offenbaren. Kenne ich aber erst das Uebel und seinen Ursprung, so findet sich wohl auch ein Heilmittel, das es entweder ganz beseitigt oder durch seinen Einfluß vermindert.«
Die Schlitten bogen jetzt in den sehr belebten Ort ein, wo der Graf durch fremde Unternehmer eine Menge industrieller Etablissements hatte errichten lassen. Diese boten einen stattlichen Anblick dar, mit ihren hohen, schlanken Schornsteinen, aus denen schwarze Rauchsäulen aufstiegen; denn die meisten Pächter des Grafen, die längere Zeit in England gelebt hatten, bedienten sich bereits des Dampfes als Arbeitskraft.
Es lag nicht eigentlich in der Absicht des Grafen, sich in diesem Fabrikorte aufzuhalten, nur zeigen wollte er dem Fürsten den aufblühenden Flecken, um diesen jungen und unternehmungslustigen Mann, der daheim über große Mittel zu verfügen hatte, anzuspornen, auch auf seinen Besitzungen Aehnliches zu versuchen, sobald dem jetzigen nationalen Kampfe eine Zeit des Friedens und ruhigen Fortschritts auch für Polen wieder folgen werde.
Als man sich den weitläufigen Gebäuden der noch nicht ganz vollendeten Spiegelfabrik näherte, fuhr Graf von Serbillon langsamer, um den Schlitten des ein wenig zurückgebliebenen Fürsten herankommen zu lassen.
»Nun, lieber Fürst,« rief er dem Polen, sich halb umwendend, zu, »wir gefallen Ihnen diese Anlagen? Ich denke mit der Zeit eine wohlhabende, nur nützliche Dinge treibende Bevölkerung um mich zu sammeln, die es in den meisten Fabrikaten der Neuzeit mit jedem Rivalen soll aufnehmen können. Nach meinem Dafürhalten kann der Adel in unsern Tagen nichts Besseres thun, als mit dem Bürger, der seine Mittel und seine Talente zum Besten des Ganzen verwendet, ohne sich selbst darüber zu vernachlässigen, wetteifern. Die Jahrhunderte der Kriege sind hoffentlich für immer vorüber; es folgert die Jahrzehnte friedlichen Schaffens und Ringens, die uns aber, Gott sei Dank, nicht werden einschlafen lassen, da wir den Geheimnissen der Natur durch das heller brennende Licht der Wissenschaften immer mehr auf die Spur kommen.«
Fürst Bulabicki ließ seinen reichen Pelz halb von der Schulter gleiten, drehte sich die Spitzen seines gewaltigen Schnurrbarts, und betrachtete mit Theilnahme die vielversprechende Colonie. Auch Hildegarde, die in ihrer Umhüllung einer zarten weißen Rose ähnelte, ließ ihr Auge freundlich auf den massiven Gebäuden mit den hohen Fenstern ruhen, ihre Gedanken jedoch weilten anderswo; denn wer genauer auf sie achtete, mußte bemerken, daß sie die Gegenstände an sich vorübergleiten ließ, ohne sie wirklich oder deutlich zu sehen. Diese Zerstreutheit des jungen Mädchens, das übrigens augenblicklich ganz zufrieden aussah, entging Gräfin Diana nicht.
Fürst Bulabicki, der seinen Schlitten dem des Grafen möglichst nahe brachte, richtete einige Fragen an diesen, welche bereitwillig beantwortet wurden. Ein paar mal aber konnte Graf von Serbillon nicht genaue Auskunft geben, da er selbst große Lücken in seinem Wissen entdeckte, wenn man von neuen Erfindungen in der Mechanik, von neuen Entdeckungen in der Chemie und andern naturwissenschaftlichen Branchen sprach.
»Wollen Sie etwas Genaueres darüber erfahren,« sagte er, den Fürsten so gut es gehen wollte, belehrend, »so müssen Sie sich an den Unternehmer selbst wenden. Der Mann ist ein Ausbund von Wissen in allen dahin einschlagenden Zweigen, und, was man nicht eben häufig bei vielbeschäftigten Menschen findet, er belehrt andere gern, ohne im geringsten selbst mit Geheimnissen oder Kunstgriffen zurückzuhalten.«
Man fuhr im Schritt weiter. Alle Vorübergehenden grüßten den Grafen und seine Begleitung mit unverkennbarer Ehrerbietung.
»Sieh da, Morwaldt!« sprach der Besitzer von Hammerburg. »Mit dem Manne muß ich doch einige Worte wechseln, um zu erfahren, wie es mit der neuen Anlage wird.«
Er hielt die schnaubenden Rappen an, Morwaldt eilte sogleich an den Schlitten, um den Grafen zu begrüßen, und erfaßte die Zügel.
»Ist mein Pachter daheim?« fragte er rasch den Architekten.
»Gewiß!« lautete die Antwort Morwaldt’s. »Der Herr Graf kommen zur guten Stunde. Der fremde Herr aus Oesterreich besichtigt eben alle Maschinen. Wenn Sie die Gnade haben wollen einzutreten, werden auch die Damen die interessante Einrichtung dieser höchst sinnvoll construirten Schleifereien kennen lernen.«
Der Graf warf einen fragenden Blick auf seine Gattin, der bejahend beantwortet wurde. Sogleich stieg man aus, um, von Morwaldt geführt, das großartige Etablissement zu betreten.
Es vergingen fast zwei Stunden, ehe sämmtliche Lokalitäten von den Besuchern in Augenschein genommen waren. Der Unternehmer und namentlich der fremde Inspector aus Oesterreich, der erst kürzlich von seiner Geschäftsreise wieder zurückgekehrt war, zeigten und erklärten den Wißbegierigen alles, was sie zu sehen wünschten. Eine der Schleifmaschinen setzte sogar der Inspector als der in diesem Fache Bewandertste mit eigener Hand in Bewegung, um den Damen die Bewegung der Schleifwagen zu zeigen.
Graf von Serbillon bemerkte, daß er mit großer Galanterie namentlich die jugendliche Hildegarde behandelte, an die er fast immer direct seine Erklärungen richtete, obwohl dieselben allen galten. Es war ein Mann, dessen Alter der Graf vierzig oder mehr Jahre schätzte. Gewandt, höflich, gemessen und doch stets bereit, auf jede Frage unbefangen Antwort zugeben, machte er einen durchaus vortheilhaften Eindruck.
Hildegarde hörte den Erklärungen des Fremden mit bewundernswürdiger Gleichgültigkeit zu. Sie hatte weder eine Frage aufzuwerfen noch ein Wort des Dankes für die Bemühung des zuvorkommenden Mannes. Man hätte glauben können, es beschäftige sie das viele Interessante, das sie doch unbedingt zum ersten male in ihrem Leben sah, in gar keiner Weise.
Die Gräfin glaubte nun allerdings zu bemerken, daß Hildegarde wiederholt sehr schnell die Farbe wechselte. Bald war sie roth, als belästige sie eine fliegende Hitze, bald erbleichte sie wieder wie von eisigem Lufthauch durchkältet. Selten nur schlug sie die großen, tiefen Augen auf, und wenn sie es ab und an einmal that, schweifte der ruhelose Blick ins Weite, ohne einen bestimmten Gegenstand zu erfassen.
Fürst Bulabicki, der das schöne Mädchen mit Aufmerksamkeiten überhäufte, hielt sich fortwährend an Hildegardens Seite, ohne sie zu führen. Plötzlich legte die Tochter des Försters ihren Arm selbst in den des Polen und ließ sich von diesem gestützt weiter geleiten, ohne ihn wieder zu verlassen.
Dieses Anlehnen an den Fürsten konnte sich die Gräfin, welche Hildegarde nur selten aus den Augen ließ, nicht anders als durch ein unbehagliches, wirklichem Unwohlsein verwandtes Gefühl erklären, das sich infolge des öligen Geruchs, der allerdings die Nerven angriff, bei ihrer Pflegebefohlenen eingestellt haben mochte. Aus Grundsatz fragte sie nicht, aber sie fühlte sich doch von einer Bänglichkeit, die sie beschlich, erst ganz wieder frei, als man die Schlitten wieder bestieg.
Graf von Serbillon, der zugleich mit dem alten Obersten alles mit großem Interesse betrachtete und sich nach einer Menge Einzelheiten zu erkundigen hatte, war sehr heiter gestimmt. Er dankte Morwaldt, daß er ihn aufgefordert hatte, die Schleiferei zu betreten, den Inspector aus dem Kaiserstaate aber lud er ein, recht bald auf Schloß Hammerburg zu weitern Besprechungen sich zu melden. Als er schon im Schlitten saß, und Fürst Bulabicki auf Hildegardens ungeduldiges Treiben wider Willen sein Viergespann schnell antreiben ließ, winkte er dem unterrichteten Manne nochmals freundlich zu und sagte:
»Ich verlasse mich auf Ihr Versprechen, Herr am Ort! Finden Sie später, daß sich’s um Hammerburg leidlich gut leben läßt, oder fühlen Sie das Bedürfniß, sich einmal verändern zu wollen, so dürfen Sie mir nur Ihre Wünsche vortragen, und ich werde thun, was in meinen Kräften steht, um Sie zufrieden zu stellen.«
Die Rappen griffen aus, und unter aufwirbelndem Schneestaub folgte der Schlitten des Grafen pfeilgeschwind dem schon ziemlich weit vorausgeeilten Gefährt Bulabicki’s.