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EIN IMPROVISIRTES DUELL.
Von ermüdender und wenig Ausbeute gewährender Jagd spät nach Hause gekommen, hatte sich der Baron mit dem ihn begleitenden Förster Frei, der seit seiner Entlassung aus der Haft sein steter Genosse war, in der Trinkhalle des Schlosses niedergelassen, um die müden Glieder auszuruhen und den Leib zu pflegen. Mit Clotilde stand er schon seit Wochen auf sehr gespanntem Fuße. Das Verschwinden Hildegardens, deren Verbleiben die Baronin zu wissen zugab, erbitterte den handfesten Edelmann, und wenn ihm die Sache persönlich nicht ans Herz griff, so ärgerte ihn desto mehr die Hartnäckigkeit seiner Frau, die mit überlegener Miene ihn und den Förster mit der kühlen Aeußerung abfertigte: »Kümmert euch doch nicht um meinen Schützling. Das Kind ward mir von der verstorbenen Cornelie auf die Seele gebunden und ist gut aufgehoben.«
Andreas glaubte dieser Versicherung halb und halb, obwohl er seine einzige Tochter, deren angeborene Klugheit und unverdaute Bildung ihm am meisten Sorge machten, lieber unter Aufsicht des milden Domdechanten gesehen hätte. Sein Kind wieder in das eigene Haus zu nehmen, aus dessen verfemten Räumen der Frieden ja doch für immer gewichen war, fiel ihm nicht ein. Er fügte sich daher einstweilen grollend in das Unabänderliche und setzte seine Hoffnung auf die Zukunft.
Mit dem Baron verkehrte der Förster vertrauter denn je. Es schien, als könne der reiche Edelmann gar nicht mehr ohne ihn sein, und da es Frei an anderweitiger Zerstreuung und Unterhaltung fehlte, so ließ er sich diese Zuneigung seines Herrn, von dem ja ohnehin seine ganze Existenz abhing, gern gefallen.
Beide Männer hatten, was immer Brauch war, wenn sie allein tafelten, stark getrunken, und der Förster verließ das Schloß seines adelichen Freundes und Gönners in einem Zustande, welcher nur um ein Geringes sich noch erhöhen durfte, um die Gestalt eines ganz soliden Rausches anzunehmen. Frei war aber ein kräftiger Mann, der schon etwas vertragen konnte, weshalb er denn festen Schrittes aus dem Schloßhofe trat und den geradesten Weg nach dem Forsthause einschlug.
Der Baron streckte sich auf eine der hartgepolsterten Bänke, welche mit ihren steifen Lehnen die Wände der Trinkhalle berührten, und überließ sich unklaren Gedanken. Der starke, alte Rüdesheimer, den er genossen hatte, machte ihm das Blut zu Kopfe steigen, sodaß er sich nicht eigentlich behaglich fühlte. Weil aber dieser Zustand ihm schon zur Gewohnheit geworden war, nahm er ihn ruhig hin als etwas, das sich nun einmal nicht verhindern lasse, weil es zum Weidmannsleben mit gehöre.
Die Lichter auf dem gedeckten Tische, der noch Ueberreste von Speisen nebst geleerten und vollen Weinflaschen trug, brannten dunkel, da sich der Herr des Schlosses nicht die Mühe gab, sie zu schnäuzen. Er schloß die Augen, ohne zu schlummern oder auch nur Neigung zum Schlafe zu fühlen. Ihn ergötzten die farbigen Bilder, die das in starke Wallung versetzte Blut vor seinen Blicken in raschem Wechsel entstehen und vergehen ließ. Aus diesem wachen Träumen weckte ihn heftiges Peitschengeknall und Pferdegewieher. Er fuhr auf, strich sich das dünn werdende Haar aus der feuchten Stirn und trat an den Tisch, die nächste Flasche erfassend und sich noch ein Glas einschenkend. Als er dasselbe mit nicht mehr ganz fester Hand zum Munde führte, glaubte er laut sprechen zu hören. Er setzte das Glas unberührt wieder auf den Tisch und ging ans Fenster. Ein Bauerschlitten, um den ein paar Menschen beschäftigt waren, stand mitten im Schloßhofe.
Inzwischen hatte Adolar mit seinen Begleitern, von Ophelia gefolgt, schon die Freitreppe erstiegen. Seine rasche Frage: ob der Baron daheim sei und wo man ihn antreffe? beantwortete der herbeigeeilte Leibjäger, der sich nicht wenig wunderte, den jungen Herrn so unerwartet auf Kaltenstein zu sehen.
Adolar trat raschen Schrittes in die Vorhalle. Hier lag ein frischgeschossener Rehbock steif gefroren am Boden. Geldern und Zerline folgten dem Voraneilenden, der Hund schlich wie trauernd mit hängenden Ohren hinterdrein. Als der Erbe von Kaltenstein die Hand nach der Thür der Trinkhalle ausstreckte, ward diese von innen geöffnet, und sein Vater stand, in der linken einen Armleuchter mit herabgebrannten Lichtern haltend, ihm gegenüber.
Der Baron prallte ein paar Schritte zurück, als er den Sohn vor sich sah. Auf dessen Begleitung achtete er im ersten Augenblick nicht.
»Du hier?« sprach er stirnrunzelnd und offenbar nicht erfreut über des Akademikers unvermutheten Besuch, indem er den Leuchter wieder auf den Tisch stellte und jetzt das voll geschenkte Glas in einem Zuge leerte, »Was soll das heißen? Hat man dich fortgejagt?«
Adolar hatte dem Vater nicht einmal guten Abend geboten. Er zitterte vor innerer Aufregung und er mußte sich mit aller Kraft zusammenfassen, um die verhängnißvollen Fragen, die ihn seit Tagen schon quälten, wenigstens scheinbar ruhig an den Mann zu richten, der sie allein der Wahrheit gemäß beantworten konnte.
Den faltigen Mantel fest über die Brust zusammenziehend, sprach Adolar:
»Bist du mein Vater und heißt meine Mutter Clotilde Geldern?«
Baron von Kaltenstein stieß das Weinglas heftig auf den Tisch und erwiderte in brüskem Tone:
»Welcher Satan hat dir diese verfluchte Frage auf die Zunge gelegt?«
»Dein stets ergebener Schwager, Alterchen,« fiel Sandomir Geldern freundlich ein, sich neben den zitternden Neffen stellend. »Du warst letzthin so erbärmlich unfreundlich gegen mich, und mein letztes, doch gewiß sehr höfliches Schreiben hast du nicht einmal beantwortet.«
»Sandomir!« rief der Baron aufschreiend und mit krampfhaftem Griff den nächsten Stuhl erfassend, der unter der Last des sich darauf stützenden starken Mannes ächzte. »Sandomir!« wiederholte er dumpfer. »Warum hast du mir das gethan? ... «
Er ward fahl, sein Auge aber lohte vor Zorn und Haß.
»Aus reiner, aufrichtiger Anhänglichkeit an dich, Freundchen, und an meine liebevolle Schwester,« versetzte Geldern.
Der Baron röchelte, als drohe ihm ein Schlaganfall.
Wüthend riß jetzt Adolar seinen Mantel auf und hielt dem Baron die von seinem Oheim erhaltenen Papiere vor.
»Kennst du diese Documente?« fragte er, vor Zorn stammelnd, den Entsetzten. »Bin ich das Kind, von dessen Geburt Köhler des Schwarzwaldes Zeugen waren? ... Ist die unglückliche Frau meine Mutter, die du im Spiel gewannst, und deren du dich doch dergestalt schämtest, daß du mich, deinen und ihren Sohn, aus elender Feigheit vor deiner Familie verleugnetest? ... Ist endlich dieser Mann hier der Bruder meiner Mutter, die mich nie geliebt und immer nur wie ein fremdes, ihr von dir zugeführtes Kind behandelt hat?«
»Leugne nicht, Alterchen,« fiel Geldern ein, »es kann doch zu nichts mehr helfen. Deine Härte, deiner Frau unbesiegbarer Stolz und das Bewußtsein ihrer Sündhaftigkeit, die niemand kennen lernen soll, haben mich gezwungen, die Wahrheit ans Licht zubringen. Aber ich bin nicht bösartig von Charakter, das hab’ ich schon häufig bewiesen, ich kann nur das Reden nicht lassen, wenn ich andere die Unwahrheit sagen höre. ’S ist ein Naturfehler, den ich von meiner seligen Mutter geerbt haben muß. Die arme Frau! ... Sie mußte ihre Liebe zur Wahrheit mit dem Leben bezahlen!«
Der Baron hatte sich wieder ermannt. Mit einem furchtbaren Blicke auf Sandomir Geldern kehrte er sich rasch um, trat an die Wand und riß hier zwei nebeneinander hängende Hirschfänger von den Nägeln. Einen derselben warf er seinem Schwager zu, die scharfe Klinge des andern entblößte er selbst und nahm die Stellung eines geübten Fechters an.
»Vertheidige dich, Elender!« rief er, vor Wuth schäumend. »So wahr Gott lebt und deine verwahrloste Schwester die Mutter dieses nach ihr gerathenen Buben ist, nur einer von uns beiden verläßt lebend diese Halle!«
Sandomir Geldern ließ den ihm zugeschleuderten Hirschfänger unberührt liegen. Er lächelte sarkastisch und verschränkte die Arme über der Brust.
»Du hättest das vollkommenste Recht, Alterchen, mich leichtsinnig zu nennen,« erwiderte er, »ein Narr aber, Freund, war ich nie! Du weißt, ich verstehe mit Degen und Stoßwaffe nicht so gut umzugehen wie du, selbst aber, wenn ich ein Meister wäre in Führung der Klinge, mit dir schlüge ich mich doch nicht. Du bist mir viel zu schlecht dazu, denn ich glaube, du verstehst dich vortrefflich darauf, unbequem werdenden Menschen einen Hinterhalt zu legen.«
Adolar verstand den Sinn dieser Worte nicht; auch würden sie, hätte er sie wirklich zu deuten vermocht, in diesem Augenblick wenig Eindruck auf ihn gemacht haben. Der Groll, den er gegen seinen Vater hegte, der nicht Anstand nahm, ihn als ohnmächtiges Kind zu verstoßen, um ihm später aus Barmherzigkeit die Stelle eines Adoptivsohns anzuweisen, verwandelte sein Blut in Feuerflammen, und sein ganzes Wesen lechzte nach Rache. Mit stampfendem Fuße auf den Hirschfänger tretend, daß der spröde Stahl unter ihm brach, warf er den Mantel ab und zog die doppelläufigen Pistolen.
»Wähle!« rief er dem Vater zu, vom Dämon des Wahnsinns umtanzt. »Wähle und dann ziele gut! ... Ein Vater, der sein Kind verleugnet, hat kein Anrecht auf die Liebe dieses Kindes ... Ich erblicke in dir nur den Kaufmann meiner unseligen Mutter und hasse dich als meinen Todfeind!«
Adolar’s Worte setzten den Baron, der niemals eine solche Sprache vernommen hatte, ebenfalls in Wuth. Er ergriff eine der doppelläufigen Pistolen und ging, das Gesicht dem Sohne und seinem Schwager zugekehrt, zurück bis an das andere Ende des Tisches. Dort nahm er Platz, hob die Hand und spannte den Hahn. Die Entfernung von einem Ende des Tisches zum andern betrug nur etwa zwölf Fuß. Sein Auge glitt von dem verzerrten Antlitz des Sohnes auf die Mienen des dämonisch lächelnden Geldern.
»Gib Acht, daß die Kugeln nicht äffen,« rief Adolar, ebenfalls den Hahn aufziehend. »Es sind Freikugeln aus der Fabrik des Einäugigen und des Kreuz-Matthes! ... Eins ... zwei ... drei ...«
In dem Augenblick, als Adolar den Arm hob, um auf die Brust des Vaters anzulegen, traf ihn ein heftiger Schlag. Der Arm hob sich, es fielen zwei Schüsse, und neben ihm stürzte Sandomir Geldern blutend zu Boden ...
Der treue Pudel war hinter den Baron geschlichen, hatte dessen zum Schuß erhabenen Arm mit den Zähnen gepackt und aller Wahrscheinlichkeit nach dadurch der Kugel eine andere Richtung gegeben. Jetzt erhob er ein wüthendes Geheul, das schauerlich durch alle Gemächer des Schlosses hallte.
»Verfluchter Mörder!« rief Sandomir Geldern, sich auf dem Boden krümmend. Zerline warf sich schreiend über den Blutenden. Der Baron stand regungslos, von einem doppelten Augenpaar gebannt. Die Blicke des Sohnes und dessen Mutter, die, von den Schüssen aufgeschreckt, im Nachtgewande mit halbgelösten Haaren in die Trinkhalle trat, trafen ihn mit gleicher, zwingender Gewalt.
»Ha, Geldern! ... « stammelte Clotilde. »Er hat ihn getödtet!«
»Kann sein, Schwesterchen,« lallte Sandomir mit schwächer werdender Stimme; »der Teufel aber, der die Freikugeln gießen half, wird ihm die That gesegnen! ... Ihr seid einander werth! ... Die Mörderin gehört zum Mörder! ...«
Geldern vergingen die Sinne. Als die Diener des Barons schüchtern heranschlichen, lag er, von Adolar und Zerline umfangen, wie ein Sterbender auf dem besudelten Fußboden.