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ACHTES KAPITEL.

RITTER VON DER DUB.

Joseph am Ort hatte den ganzen Abend geschrieben. Um Mitternacht noch saß er auf seinem Zimmer, beschäftigt, einen Brief zu beendigen, der ihn viele Zeit kostete, obwohl er nicht umfangreich und sogar in lakonischen Ausdrücken abgefaßt war. Daß ihn das Schreiben dieses Briefs so ungewöhnlich lange beschäftigte, hatte einen eigenthümlichen Grund. Der vielgereiste, kenntnißreiche Factor schrieb mit verstellter Hand, und das fiel dem jungen Manne schwer, weil er in dieser Kunst keine Uebung besaß. Auch gab er sich große Mühe, in seinem Schreiben jeden einzelnen Satz so allgemein, ja dunkel zu halten, daß der Leser alles Mögliche aus diesen kurzen und geheimnißvollen Andeutungen herauslesen konnte.

Endlich, wenige Minuten nach 12 des Nachts, war das schwierige Werk beendigt, Joseph am Ort überlas das Schreiben noch einmal sehr nachdenklich, jedes Wort, jeden Ausdruck vorsichtig abwägend. Er war befriedigt; das Glück aber mußte ihm den Rücken gekehrt haben, denn er seufzte und stöhnte, als habe er schwere Leiden zu erdulden. Nach einiger Zeit falzte er den Brief, siegelte ihn mit einer Oblate zu und schrieb, wiederum mit völlig verstellter Hand, die Adresse darauf. Diese lautete:

»An Seine Hochwohlgeboren, dem Herrn Stiftssyndikus Liebner zu **.«

Joseph am Ort hatte vor wenig Tagen in einem Zeitungsblatte, das ihm ganz zufällig in die Hände fiel, gelesen, der Förster Frei, den bis dahin jedermann für einen durch und durch ehrlichen Mann gehalten, sei infolge schwerer Indicien gefänglich eingezogen worden, weil das Gericht annehmen müsse, es habe derselbe Kunde von dem Tode des aus dem Gefängnisse des Stifts entflohenen Wilderers und Bleidiebes, genannt Kreuz-Matthes. Vor dieser Nachricht entsetzte sich der Factor. Sie erschütterte ihn dergestalt, daß er seine ganze Kraft zusammennehmen mußte, um sich aufrecht zu halten.

»Andreas Frei des Mordes verdächtig!« rief er aus. »Darüber kann man den Verstand verlieren!«

Joseph am Ort ging nun mit sich zu Rathe, was zu thun sein möge, um diesen schrecklichen Verdacht von dem Unglücklichen abzulenken, mittheilen konnte und durfte er seine Absicht niemand. War überhaupt etwas zu thun, so mußte dies ganz allein von ihm selbst ausgehen. Nur eine entschlossene Handlung ohne Mitwissen anderer konnte vielleicht, wenn es nicht schon zu spät war, die erwünschte Wirkung haben.

Der bestürzte junge Mann ging lange mit sich zu Rathe. Endlich schien ihm das sicherste Mittel zur Erreichung seines Zweckes die Abfassung eines anonymen Briefs an den mit der Untersuchung des betrübenden Falls betrauten Stiftssyndikus Liebner zu sein. Daß dieser Mann dem Förster verwandt sei, wußte Joseph am Ort nicht, wie ihm denn überhaupt die Familienbeziehungen desselben fast gänzlich unbekannt waren. Sein langes Verweilen im Auslande, und der Umstand, daß er selbst kein Eingeborener, nur ein Eingewanderter der Gegend war, erklärten diese Nichtkenntniß des Factors vollkommen.

Joseph am Ort hatte eben die Adresse geschrieben, als schlürfende Tritte sich vor seinem Zimmer hören ließen und eine Hand tastend die Thür berührte. Ehe er noch selbst öffnen und nachsehen konnte, wer so spät in der Nacht noch im Schlosse herumschleiche, war dieser Unruhige schon eingetreten. Ritter von der Dub stand vor dem aufgeregten Factor.

»Es ist Schlafenszeit, Herr am Ort,« sagte der gnomenhafte Schloßverwalter, »warum sind Sie noch wach?«

Die großen Augen des greisen Ritters blitzten ihn bei dieser Frage geisterhaft an.

»Weil ich zu thun hatte, Herr Ritter,« versetzte Joseph am Ort. »Sie sind ja selbst auch noch nicht zur Ruhe gegangen, und könnten sich diese doch eher gönnen als ich, da Sie ihr eigener Herr sind.«

Der Ritter schüttelte sein weiß umlocktes Hause, indem er erwiderte: »Ich habe genug geschlafen während meines Lebens, und kann nun, wo ich bald für immer einnicken werde, mehr wachen als andere, jüngere Leute. Wenn Sie aber der Schlaf noch nicht übermannt, Herr am Ort, so können Sie mir Gesellschaft leisten. Wollen Sie?«

Der Factor verschloß den Brief und erklärte sich bereit, dem Ritter zu Willen zu sein. Der sonderbare alte Mann, den alle ohne Ausnahme für etwas schwachsinnig hielten, hatte ihn von jeher interessirt. Joseph wollte es nämlich vorkommen, als habe das wunderliche Wesen des Schloßverwalters einen Grund, den niemand kenne.

»Es ist eine heilige Nacht,« fuhr von der Dub fort, offenbar erfreut über die Bereitwilligkeit Joseph’s ihm Gesellschaft zu leisten, »und in solchen Nächten bringt Wachen zuweilen Segen. Soll ich Ihnen eine Geschichte aus frühern Tagen erzählen?«

»Wenn es Ihnen Vergnügen macht, Herr Ritter, werde ich gern und mit Aufmerksamkeit zuhören.«

Joseph schob einen Sessel an den Tisch und bat den Greis darin Platz zu nehmen.

»Nein, Herr am Ort,« versetzte von der Dub, »hier ist nicht der rechte Platz für meine Geschichte. Nehmen Sie die Lampe und begleiten Sie mich. Ich will Sie herumführen in der Burg meiner Ahnen. Keiner auf Erden kennt diese Gemäuer so genau wie ich.«

Des Ritters Augen richteten sich wieder mit seltsam bleichem Glanze auf den Factor, sodaß diesem fast unheimlich in der Gesellschaft des Alten ward. Gleichzeitig wühlten die Finger desselben in dem Schlüsselbunde und lösten einen aus der Zahl der daran befestigten.

»Das ganze Schloßgesinde ist zur Ruhe gegangen,« sprach von der Dub weiter; »ich habe überall nachgesehen. Nur wir beiden sind noch wach, ein Beweis, daß wir unter gleichen Sternen geboren wurden. Kennen Sie Ihr Schicksal?«

Joseph am Ort verneinte.

»Es wird dem meinigen ähneln,« fuhr der alte Ritter fort, »und eben deshalb sollen Sie erfahren, was ich alles erlebt habe! Vor funfzig Jahren galt ich für einen schönen Mann.«

Ein vergnügtes Lächeln flog über die eingefallenen erdfahlen Züge des Greises und verrieth dem Factor, daß auch jetzt, in so hohem Alter, die Eitelkeit im Herzen des Ritters noch nicht ganz erstorben sei. Während dieser Fragen und Antworten hatten die beiden Männer den bewohnten nach Westen gekehrten Flügel des Schlosses durchwandert. Der Ritter ergriff jetzt seinen Schlüssel und trat dicht an die Wand, die mit Spinnengeweben überdeckt war. Zur Verwunderung seines Begleiters stieß er den Schlüssel in ein sehr niedrig angebrachtes Schloß, eine kaum sichtbare Thür öffnete sich, und Joseph am Ort erkannte, als er auf des Ritters Wink diese überschritten hatte, sofort, daß er sich in dem gewundenen Corridor des östlichen, seit Jahren schon nicht mehr bewohnten Schloßflügels befand. Wäre Ritter von der Dub nicht beinahe blind gewesen, so würde ihn das Erbleichen des Factors und das Zittern, von dem er plötzlich befallen ward, beunruhigt haben. Zwei Wendeltreppen, eine rechts, die andere links, führten von diesem Corridor aus in das erste Gestock des Schlosses. Der Ritter bedeutete seinem Begleiter, er möge die zur Linken befindliche Treppe erklimmen.

Joseph am Ort athmete leichter auf und erstieg ziemlich schnell die steinernen Stufen.

»Wir könnten auch über die Treppe zur Rechten nach dem Orte kommen, den ich Ihnen zeigen will,« sprach der Ritter, »den Weg gehe ich aber nicht gern. Ich höre da immer seufzen.«

»Seufzen?« wiederholte mit unverkennbarem Entsetzen der Factor.

»Seufzen, klagen, rufen,« erwiderte Ritter von der Dub. »Ach, es gibt der Schmerzenstöne, die ein unglücklicher Mensch ausstößt, gar viele, junger Herr! Und wer solche Töne jahrelang hören mußte, dem sitzen sie zuletzt so fest im Ohr, daß sie nie mehr ganz verhallen.«

»Gehen denn Geister um in der Burg Ihrer Ahnen?« fragte Joseph am Ort, um den Ritter gesprächig zu machen, denn er wußte, daß er es gern hörte, wenn man sich das Ansehen gab, als hielte man ihn für den rechtmäßigen Besitzer des Schlosses.

»Wo gingen sie nicht um!« erwiderte von der Dub. »Es kann sie jeder überall hören und ihre Spuren finden, wenn er nur Sinn dafür hat. Bitte, Herr am Ort, steigen Sie noch diese acht Stufen hinan!«

»Ist das nicht die Pforte zu den sogenannten Gemächern der Ahnfrau?«

»Es ist ein Ort, den Sie kennen lernen müssen, weil Ihr Schicksal dem meinen verwandt ist!«

Der alte Ritter klapperte wieder an seinem Schlüsselbunde, öffnete die Pforte und führte nun seinen Begleiter in ein sechseckiges Erkerzimmer, dessen Fenster nach Süd und West sahen. Der Fels mit seinen ausgehöhlten Gemächern lag gerade vor, obwohl man ihn in der finstern Nacht nicht eigentlich erkennen konnte. Das Gemach war alterthümlich möblirt. In einem großen Kamin lagen noch Ueberreste verkohlten Holzes. Auf einem mit gestickter Decke überbreiteten Tische standen zwei Römer und eine Weinflasche, in der sich der Rest einer vertrockneten Flüssigkeit befand. Neben einem der beiden steiflehnigen, mit karmoisinrothem Samt bezogenen Stuhle gewahrte Joseph am Ort einen feingearbeiteten Frauenschuh mit hohem Absatz.

Ritter von der Dub, der alle diese Gegenstände nur errathen, nicht sehen konnte, blickte den Factor, in dessen Hand das Licht zitterte, lächelnd an und sagte:

»Wie gefällt es Ihnen hier?«

Joseph am Ort, auf den die ganze Einrichtung des an sich zwar sehr anmuthigen und wohnlichen Raumes doch einen unheimlichen Eindruck machte, mußte an sich halten, um sich nicht zu verrathen. Er sah es dem greisen Manne an, daß er eine heitere Antwort zu hören wünschte, und darum erwiderte der Factor, der sich des Ritters Vorhaben gar nicht zu deuten wußte.

»Am Tage muß man hier eine bezaubernde Aussicht auf die Gegend haben. Schade, daß dies Gemach nicht mehr bewohnt wird!«

»Es ist das schönste, das gemüthlichste Zimmer im ganzen Schloß!« sprach Ritter von der Dub. »Seit mehr als vierzig Jahren hat es außer mir selbst niemand mehr betreten. Wissen Sie weshalb?«

Joseph mußte selbstverständlich diese Frage verneinen.

»Sie sollen es erfahren,« fuhr der Ritter mit jugendlicher Lebhaftigkeit fort. »Setzen wir uns! Aber geben Sie Acht, junger Freund, daß Sie nicht so verrücken! Es muß hier alles bleiben, wie es ist. Das bin ich dem Andenken an die glückseligen Stunden schuldig, die ich dereinst hier verlebte. Waren Sie schon einmal in Polen?«

»Ich hatte bisher nur Gelegenheit den Süden Europas nicht den Norden zu besuchen, obwohl ich unfern der polnischen Grenze geboren wurde.«

»Das ist schade, Herr am Ort! Ich wünschte, daß Sie die polnischen Frauen kennten!«

»Ich weiß nicht, Herr Ritter, ob ich Ihnen für diesen Wunsch danken soll. Man will behaupten, die Anmuth und Schönheit der polnischen Frauen halte gleichen Schritt mit ihrer Gefährlichkeit. Sie gelten für feurig und leidenschaftlich; man rühmt ihren patriotischen Opfermuth, doch habe ich nicht gehört, daß sie die Tugenden, durch welche sich die deutschen Frauen meistentheils auszeichnen, in gleich hohem Grade besitzen.«

Der alte Ritter nickte bedeutsam mit dem Kopfe.

»Es liegt Wahrheit in dem, was Sie sagen, Herr am Ort,« erwiderte er, »bei alledem aber sind die Polinnen reizende Geschöpfe. Dieser Schuh hier unter dem Tische bekleidete den Fuß einer Polin, die mir sehr nahe stand. Ich hatte mich mit ihr verlobt und ich liebte sie leidenschaftlich. Dennoch ward sie nicht mein Weib.«

Es schien Joseph am Ort, als ob in dem halb erloschenen Auge des Greises eine Thräne zittere.

»Der Tod entriß Ihnen die Geliebte?« fragte erzögernd.

»Sie ruht für mich längst im Grabe,« fuhr Ritter von der Dub fort, »aber sie lebt noch, obwohl sie aufgehört hat meine Verlobte zu sein.«

Um keine beleidigende Frage zu thun, schwieg der Factor.

»Berenice von Ludmirsky, die ich in sehr jugendlichen Alter an einem damals berühmten und viel besuchten Badeorte des südwestlichen Deutschland kennen lernte,« nahm der Ritter nach kurzem Schweigen wieder das Wort, »verlobte sich mir mit Beistimmung ihres Vormundes, eines Obersten in russischen Diensten. Ihre Aeltern waren früh gestorben, der Vater, ein begüterter Edelmann Volhyniens, auf dem Felde der Ehre die Mutter vor Gram über den Fall ihres Vaterlandes Ihres Vermögens infolge der politischen Vergangenheit des Starosten Ludomirsky beraubt, lebte sie der Gnade ihres Vormunds, eines weitläufigen Verwandten. Berenice mußte sich in jeder Hinsicht seinem Willen unbedingt fügen und ihm deshalb auch auf seinen Reisen begleiten. Oberst Stanislaus Wertschinsky war ein leidenschaftlicher Spieler und richtete deshalb sein Augenmerk besonders auf solche Orte, wo man der trügerischen Glücksgöttin reiche Opfer darbringt. Im ganzen spielte er glücklich, obwohl seine Mittel sich doch niemals mehrten. Aus Caprice vielleicht, wie er selbst jedoch behauptete um das Glück mehr an sich zu leiten, mußte Berenice stets neben ihm sitzen. Ihr feiner Wuchs, ihre sanfte, etwas melancholische Schönheit, die man bei Polinnen häufig findet, erregten Aufmerksamkeit, und es konnte nicht fehlen, daß sich bald eine auserlesene Schar junger und bejahrter Verehrer um Berenice Ludomirska scharren. Sie gab indeß niemand Veranlassung, die zu Hoffnungen verleiten konnten. Manche behandelte sie kühl, einige abstoßend. Völlig unliebenswürdig zeigte sich aber Berenice gegen einen Freund des Obersten, einem bedeutend jüngern Mann deutschen Stamms. Er war ebenfalls Militär gewesen, hatte aber seinen Abschied genommen. Ich hörte ihn oft Sandomir nennen, nach einem kleinen Gute, das er käuflich an sich gebracht hatte. Später erst erfuhr ich durch Zufall seinen wahren Namen, den er schon lange nicht mehr führte. Dieser Mann war keck, unternehmend und schreckte vor nichts zurück. Der Oberst achtete ihn gerade dieser Eigenschaft wegen und liebte deshalb seine Gesellschaft. Auch mir gefiel Sandomir, und deshalb schloß ich mich ihm gern an. Als es mir gelungen war, Berenice’s Neigung zu gewinnen, und ihr Vormund mir die Hand seiner schönen Mündel zugesagt hatte, ging Sandomir selten mehr von meiner Seite. Zugleich begleitete er mich, da ich ihn gern dazu aufforderte, zugleich mit Berenice und dem Obersten Wertschinsky auf dieses Schloß. Letzterer reiste nach einigen Tagen wieder ab. Berenice bewohnte dies Zimmer nebst den anstoßenden Gemächern, Sandomir bezog die Zimmer auf dem andern Schloßflügel, die Ihnen jetzt eingeräumt sind. Wir lebten nun selige Tage und Wochen, in so köstlicher Eintracht, daß nie die geringste Disharmonie sich einschlich. Auch das Verhältniß Berenice’s zu Sandomir gestaltete sich freundlicher, wie wohl meine Braut den Freund ihres Vormundes stets mit einer gewissen kalten Vornehmheit behandelte.

»So vergingen drei volle Monde. Der Oberst ließ nichts mehr von sich hören, obwohl er schon nach wenigen Wochen zu schreiben versprochen hatte. Berenice ward, je länger alle Antwort ausblieb, immer ängstlicher. Es schien, als leide sie unter den Beweisen meiner Zärtlichkeit. Endlich entschloß ich mich, damit ich diesem unerklärlichen Schweigen auf den Grund kommen möge, nach der Residenz zu reisen, um dort bei einem bekannten Bankierhause, mit welchem der Oberst correspondirte, Erkundigungen einzuziehen. Sandomir erbot sich von selbst, mich zu begleiten. Berenice fügte sich, obwohl ungern, weil sie einsah, daß etwas geschehen müsse, um unsere so lange verzögerte Verbindung zu beschleunigen. So reisten wir denn ab Mitte December. Ach, hätte ich doch nie, nie meine geliebte Berenice verlassen!«

Dem greisen Ritter traten abermals Thränen in die Augen, indeß fuhr er gleich wieder, sich fassend, in seiner Erzählung fort.

»Das Bankierhaus behauptete, nicht den Oberst, sondern dessen Bruder zu kennen,« und wollte nur mit diesem in Verbindung gestanden haben. Mich beunruhigte diese Auskunft, denn, war sie begründet, so konnte ich möglicherweise arg getäuscht worden sein. Sandomir sah meine Bestürzung und erklärte, um mich zu beruhigen, er reise auf der Stelle nach Volhynien ab, um sich Gewißheit zu verschaffen. Seinem Freunde müsse ein Unfall zugestoßen sein, sonst würde er längst seine feierlichen Versprechungen gehalten haben. Mir empfahl er, ein paar Tage in der Residenz zu rasten, um Berenice nicht zu erschrecken und ihr schönes Glück zu stören, wenn ich so betrübt und niedergeschlagen vor sie hinträte! ... Ich ließ mich bereden, Herr am Ort. Sandomir reiste mit Kurierpferden fort, ich blieb und suchte mich zu sammeln ... Am Thomasabend spät sah ich die Giebel meines Ahnensitzes wieder. Von weitem schon gewahrte ich den Lichtschimmer in den Fenstern dieses Gemachs ... Wie klopfte mein Herz vor Entzücken, daß ich die Geldern wiedersehen, sie wieder an meine Brust drücken sollte! ... Auf dem kürzesten Wege eilte ich hierher, es begegnete mir niemand außer dem alten Eckardt, der, wie immer, in seinem Zimmerchen saß und sein Lieblingsbuch, die Lebensbeschreibung des Freiherrn von der Trenck, wohl zum hundertsten male las.

»›Alles in Ordnung?‹ fragte ich den treuen Diener.

»»Alles, Herr Ritter. Das gnädige Fräulein speist eben zu Nacht.‹

»Ich fliege die Treppe hinan, hierher, und – trete in ein leeres Gemach! ... Im Kamin glimmte noch das erlöschende Feuer, die Flasche war geleert bis auf diesen Rest, der die langen Jahre her freilich stark eingetrocknet ist. Von Berenice sah ich nichts mehr als diesen ihren reizenden Schuh. Er war feucht von Wein, den man daraus getrunken hatte! ... Ich konnte nie ermitteln, wohin meine Verlobte gekommen sein mochte. Entflohen war sie nicht, denn sie liebte mich zu innig; ein falscher Freund nur kann sie mir durch List oder mit Gewalt geraubt haben! ... Ich war sehr unglücklich, Herr am Ort, und der Schmerz raubte mir die Besinnung ... Als ich wieder zu mir kam, war es Morgen. Da kleidete ich mich um und schickte dann den alten Eckardt aus mit einigen zuverlässigen Leuten, um die Geraubte zu suchen und sie mir wieder zuzuführen. Ich schrieb an Sandomir, an den Oberst und dessen Bruder, aber meine Briefe müssen wohl alle verloren gegangen sein, denn ich habe nie eine Antwort erhalten. Eckardt und seine Begleiter kehrten auch bald zurück, ohne eine Spur von meiner Berenice entdeckt zu haben, und ich, mein lieber Herr am Ort, ich habe sie bis heute noch nicht gefunden, obwohl ich die treue, liebevolle Seele unablässig in allen Theilen dieses Schlosses meiner Ahnen mit nie ermüdendem Eifer bis auf den heutigen Tag zu suchen nicht aufgab. Noch verzweifle ich nicht an dem Erfolg meines Bemühens, denn verloren kann mir Berenice nicht sein. Sie hat es mir hundertmal zugeschworen, daß sie in meinen Armen sterben will! Solch ein Schwur auf den Lippen einer Braut ist immer ein Evangelium, das sich erfüllen muß, und deshalb kommt auch noch der Tag oder die Nacht, wo ich sie dereinst hier wiederfinden werde. Aber ich muß sehr vorsichtig sein, und deshalb habe ich alle Schlüssel an mich genommen. Ohne meinen Willen kann – Sie allein ausgenommen, Herr am Ort – niemand weder aus dem Schlosse noch in dasselbe. Ich bin der wachsamste Verwalter dieser mir so theuern Räumlichkeiten, und werde mir nie ein Versehen zu Schulden kommen lassen. Nur die Rückkehr meiner Braut in dieses Zimmer kann mich der schweren Verantwortlichkeit entheben, die ich mir selbst aufgelegt habe.«

Mit einem gemischten Gefühl von Furcht und Mitleid hatte Joseph am Ort die Mittheilungen des alten Ritters vernommen. Er war sich nicht klar, ob er den ihm offenbar wohlwollenden Greis für kindisch oder für wahnsinnig halten sollte. Unter dem Volke galt er bald für das eine, bald für das andere. Es war vom Hörensagen vielen bekannt, daß der wunderliche alte Herr, den man nur aus Barmherzigkeit im Schlosse ließ, obwohl er schon seit undenklichen Zeiten gar nichts darin zu sagen, am wenigsten aber die eigentliche Verwaltung desselben zu besorgen hatte, in frühen Jahren von einer schönen, jungen Dame dupirt worden sei. Ob dabei besondere Intriguen angezettelt worden sein mochten, und ob überhaupt die angebliche Verlobung des Ritters zu Beziehungen von weitgreifenden Folgen Anlaß gegeben habe, war niemand bekannt. Den alten Ritter sah fast jeder wie einen Schloßkobold an, dem man seinen Willen lassen müsse. Im Wege war er keinem, der ihn nicht in seinem Thun hindern wollte. Kümmerte sich niemand um den Ritter, so vertrat er wirklich Koboldsdienste, denn es gab in der That keinen Raum im ganzen Schlosse mit alleiniger Ausnahme des Erkerzimmers, wo die beiden Arbeiter in der Spiegelfabrik des Nachts Licht bemerkt hatten, die Ritter von der Dub nicht betrat, durchstöberte, ja sogar mit eigener Hand fegte. Gewöhnlich brachte er dann auch, meistentheils wachend, ein paar Nächte in jedem derselben zu. Jenes erleuchtete Erkerzimmer aber vermied er absichtlich, weil seiner Behauptung nach gerade dieses die Ahnfrau des Hauses neuerdings zu ihrem Aufenthalt erkoren habe.

Der alte Ritter stand jetzt auf, tastete mit der Hand nach Flasche und Gläsern, überzeugte sich, daß der zurückgebliebene Schuh seiner Verlobten noch an derselben Stelle sich befinde, wo er ihn seit so langen Jahren belassen und kaum zu berühren gewagt hatte, und forderte dann den Factor auf, nunmehr mit ihm wieder auf die andere Seite des Schlosses zurückzukehren.

»Haben Sie wohl Acht, lieber Herr am Ort,« sprach er, die Thür des Erkerzimmers aufmerksam schließend, »daß es Ihnen eines Tags nicht ebenso traurig ergeht wie mir! Nichts greift einen Menschen von Gemüth mehr an als der Verlust einer geliebten Braut. Es ist nicht anders, als ob man sich schwer an Gott selber versündigt hatte, und dieser nun, um uns zu strafen, den Engel, der von Ewigkeit an jedem einzelnen für seine Wanderzeit auf Erden mitgegeben wird, abrufe. Solch ein engelloser Mensch muß dann immer allein durch die weite Lebenswüste wandern und da geräth er leicht unter flammende Irrlichter, die ihn dergestalt blenden, daß er zuletzt selbst sich den tanzenden Flammen anschließt und als irrende Seele so lange herumläuft, bis der Tod sich seiner mitleidig annimmt und mit seiner Knochenhand das gaukelnde Lichtchen einfängt, um es mit einer Fürbitte dem Schöpfer wieder zu überliefern.«

»Eine tiefsinnige Verrücktheit!« murmelte der Factor, als der alte, geschwätzige Ritter ihm endlich gute Nacht wünschte und ohne Licht den langen Corridor hinabschlürfte. »Der wundersame Mensch findet sich im Finstern zurecht, und ich sehe keinen Ausweg, keine Rettung für mich, und wenn ich tausend Kerzen anzünden wollte!«

Vor Tagesanbruch noch stieg Joseph am Ort zu Pferde, trabte nach der nächsten Poststation und übergab daselbst einem Bettelbuben den Brief an den Stiftssyndikus Liebner, damit er ihn auf der Posthalterei abliefere. Als er sich vergewissert hatte, daß dies geschehen sei, trabte er wieder zurück, ehe jemand seine nur kurze Zeit dauernde Abwesenheit erfuhr.


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