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MUTTER UND SOHN.
Adolar von Kaltenstein war höchst unliebenswürdig. Es schien als gewähre es ihm Vergnügen, seine Mutter zu ärgern, denn er that heute alles das, was Clotilde gar nicht haben mochte. Als er von einem Spazierritt zurückkam, trat er mit schmuzigen Reitstiefeln, umsprungen von seinem weißen, sehr unsauber aussehenden Pudel, in das Zimmer der Baronin und machte den schönen Teppich, der es bedeckte, voll Flecken. Clotilde brauste über diese Unschicklichkeiten, die sie früher nie an dem fügsamen Sohne bemerkt hatte, auf und gab ihm ihre sehr gerechtfertigte Unzufriedenheit mit seinem auffälligen Benehmen zu erkennen.
»Ueberhaupt finde ich,« schloß sie ihre Strafrede, »daß du seit acht Tagen mir wie ausgetauscht vorkommst. Was ist die Ursache davon?«
»Sie selbst, gnädige Frau Mama,« erwiderte Adolar ziemlich unehrerbietig, stellte sich breitbeinig ans Fenster und trommelte an die Scheiben.
»Ich?« wiederholte ganz erstaunt die Baronin. »Ich soll schuld sein an deinen schlechten Angewohnheiten?«
»So ist es, Mama; denn Ihnen allein habe ich es zu danken, daß ich mich langweile, schmählich langweile.«
Clotilde zuckte die Achseln.
»Wenn es dir im väterlichen Hause nicht gefällt, warum bleibst du denn hier?« versetzte sie vornehm gelassen. »Du lebst auf dem Lande und zwar in der Provinz. Außer den Reizen der Natur und den gewöhnlichen Zerstreuungen eines unabhängigen Landedelmanns kann ich dir andere Genüsse nicht bieten. Das wußtest du, ehe du uns mit deinem Besuche beehrtest.«
»Entschuldigen Sie, gnädige Mama, das wußte ich nicht.«
»Dann hast du vergessen, wie es auf Kaltenstein zuging, ehe du die Akademie bezogst.«
»Nicht doch, Mama! Damals war es viel amusanter hier.«
»Weil du Kind warst und etwas anderes noch nicht kanntest.«
»Auch darin muß ich Ihnen widersprechen! Damals gab es gesellige Cirkel auf Kaltenstein und diese Cirkel, die ich in vollendeterer Gestalt, Ihren eigenen Andeutungen zufolge, wiederzufinden hoffen durfte, vermisse ich jetzt. Außer meinem Walach Othello und meinem Pudel Ophelia gibt es hier für mich keine Gesellschaft!«
»Unartiger Knabe!« rief die Baronin entrüstet. »Du zwingst mich wirklich, meine Zuflucht zu deinem Vater zu nehmen.«
»Der Herr Baron ist nur mein Pflegevater,« versetzte trotzig Adolar.
»Nun – ja,« erwiderte die Baronin, ihr Taschentuch zornig reibend. »Dennoch liegt ihm doch wohl die Pflicht ob, die Pflegemutter gegen die Unarten des Pflegesohns in Schutz zu nehmen.«
Sie stand auf und wollte sich entfernen. Die Entschlossenheit in ihren Mienen veränderte die Haltung des insolenten Jünglings. Er näherte sich ihr rasch, erfaßte die Hand der Beleidigten und führte sie jetzt mit ritterlicher Courtoisie und mit dem Anstande eines echten Cavaliers zurück zu ihrem Sitze.
»Verzeihung, gnädige Mama! Ich will Buße thun und darum beichten.«
Clotilde verbarg ihr Gesicht in das Taschentuch und entpreßte ihren Augen mit Mühe ein paar Thränen. Durch diese Thränen blickte sie dann den Sohn schmerzhaft lächelnd fast kokett an.
»Was hast du mir zu sagen?« fragte sie milder.
»Sie versprachen mir, während meiner Anwesenheit auf Kaltenstein kleine amusante Gesellschaften zubitten
– und eine Art petits soupers zu veranstalten. Ich bekenne, daß ich für derartige Vergnügungen passionirt bin, und daß ich mich namentlich darauf freute, bei denselben meine frühere Gespielin, die hübsche Försterstochter wiederzusehen.«
Die Baronin seufzte und wehte sich Luft mit ihrem Taschentuche zu.
»Und weil dies nicht geschehen konnte, mishandelst du deine Mutter?« fragte sie forschend.
»Weil dies nicht geschehen ist, gnädige Mama, steht mir der Kopf nicht recht,« gab Adolar zur Antwort.
»Du weißt, Förster Frei hat es vorgezogen, die kleine Hildegarde dem Domdechanten Warnkauf zu übergeben.«
Adolar lachte. »Wirklich, Mama? Ich glaubte immer, es sei dies nur Verleumdung. Aber sagen Sie, beste Mama, was hat sich denn eigentlich der Förster dabei gedacht?« »Der Stiftssyndikus Liebner hat ihm das Haus des Domdechanten empfohlen,« erwiderte die Baronin. »Der Mann steht in großer Achtung und in dem Rufe freisinnigster Humanität.« »Das heißt,« fiel Adolar ein, »er verschmäht es nicht, mit gescheidten Weltleuten, auch wenn sie nicht Bekenner des Papstthums sind, vertrauten Umgang zu pflegen.
Diese Humanität hat mir an dem Domdechanten stets gefallen, daß sie ihn aber gerade zur Erziehung eines jungen Mädchens geeignet mache, will mir noch nicht recht einleuchten.«
»Seine Schwester ist eine sehr würdige Dame,« versetzte die Baronin, »und ganz so geartet, wie Förster Frei sie als passende Erzieherin für seine Tochter sucht. Sie versteht die Wirthschaft aus dem Grunde, ist ein lebendiges Kochbuch, kann Stricken, Nähen, Stopfen, und besitzt alle Eigenschaften, um ein Kind bürgerlichen Standes zu einer recht braven Hausfrau in bürgerlich ehrbarem Sinne heranzubilden.«
»Und das sagen Sie so ruhig und gemessen, gnädige Mama, als wären Sie vollkommen davon überzeugt?« sprach Adolar mit Feuer. »Ich müßte in den letzten drei Jahren mein Gedächtniß ganz und gar verloren haben, oder ich erinnere mich noch sehr deutlich, daß Sie es für die liebste Aufgabe Ihres Lebens und gleichzeitig für Ihre angenehmste Beschäftigung hielten, die einzige Tochter Ihrer aufrichtigsten Freundin für die Welt zu erziehen.«
»Meine Freundin ist aber gestorben, Adolar,« sagte die Baronin, »und wenn ich auch Wünsche hege, Wünsche, die mir Cornelie in den letzten Augenblicken ihres Lebens noch ans Herz legte, so besitze ich, die Fremde, doch kein Recht, dem Vater Vorschriften über die von ihm beliebte Erziehung seines Kindes zu machen.«
Adolar nahm eine sehr brüske Miene an, indem er antwortete:
»Weshalb nicht, Mama? Hängt der Förster nicht ganz von uns ab, und hat nicht Hildegarde Ihnen und Ihrer Güte alles, was sie geworden ist, ausschließlich zu verdanken? Ich weiß es von dem Vater, daß nur Ihre Freigebigkeit der verstorbenen Mutter Hildegardens die Mittel gewährte, das hübsche anstellige Mädchen so zu erziehen, wie sie es that.«
Es schien der Baronin unangenehm zu sein, von dem Sohne an diese immer nur ganz im stillen der Försterin gereichte Unterstützung erinnert zu werden. Sie sagte daher abbrechend:
»Förster Frei mag sich eben nicht abhängig machen.«
»Er ist es trotzdem und er soll es auch bleiben! Nun gerade will ich es!«
»Adolar!« warnte die Mutter.
»Ja, Mama, ich will es!« rief trotzig der Jüngling. »Ich werde mit dem Vater Rücksprache nehmen.«
»Papa wird dich auslachen.«
»Du irrst, Mama,« sagte mit vielsagendem Blicke der junge Baron. »Es war ihm auch nicht recht, daß Hildegarde –«
»Was war dem Vater nicht recht?« fiel Clotilde ein.
Adolar fühlte, daß er eine unschickliche Aeußerung gethan hatte, welche seine Mutter verletzen konnte. Er lenkte ein.
»Die Unterbringung der Försterstochter auf der Dechanei,« sagte er so gleichgültig als er es vermochte. »Sie würden ihr dort den Kopf verdrehen, meinte Papa, und am Ende ginge dann noch gar Hildegarde ins Kloster.«
Clotilde lächelte überlegen.
»Deshalb bin ich ohne Sorge,« erwiderte sie. »Ich hoffe in der Seele des jungen Mädchens einen Grund gelegt zu haben, und der läßt sich mit Bitten und Drohen nicht so leicht einreißen. Uebrigens sind die Befürchtungen deines Vaters ganz aus der Luftgegriffen. Fürs Kloster erzieht der aufgeklärte Domdechant sicherlich kein ihm anvertrautes junges Mädchen. Das Leben hat ihn Erfahrungen machen lassen in dieser Hinsicht, die er nie wieder vergessen wird. Mir aber thut es leid um das gute Kind, weil ich es besser mit Hildegarde vorhatte. Unter meiner Protection konnte sie ihr Glück machen.«
»Ich würde sie ebenfalls protegirt haben, Mama,« fiel Adolar munter ein. »Sie verspricht eine Schönheit zu werden.«
»Du hast das frühzeitig bemerkt, zu frühzeitig, mein’ ich.«
»Dann mußt du den Vater deshalb zur Rede stellen. Er war es, der mich am Tage der Beerdigung Corneliens zuerst auf die trauernde Tochter aufmerksam machte. Ich freute mich, mit ihr verkehren zu dürfen, du nährtest ebenfalls meine Hoffnungen, und nun kommt ein Priester und fängt sich sans façon den zierlichen Goldfisch ein.«
»Dem Feuer nach zu urtheilen, mit welchem du von Hildegarde sprichst, lieber Sohn, muß ich dem Förster am Ende noch dankbar sein, daß er so starrköpfig und unliebenswürdig war, sein Kind meiner Obhut geradezu zu entziehen.«
»Keineswegs, Mama!« erwiderte Adolar. »Hildegarde gefiel mir und ich hätte mich so gern mit ihr amusirt.«
Clotilde heftete einen langen und sehr ernsten Blick auf den Jüngling. Dieser ward dadurch verwirrt und schlug sein Auge zu Boden.
»Wann gedenkst du abzureisen?« fragte die Baronin nach einer Pause. »Deinem eigenen Geständnisse nach langweilst du dich hier; ich habe dir nach dem Mitgetheilten nichts zu bieten, was dich lange fesseln und zerstreuen könnte, und daher halte ich es für besser, du begibst dich sobald wie möglich wieder zurück auf die Akademie.«
»Sind Sie meiner denn so überdrüßig, gnädige Mama?«
»Du wirst dir selbst zur Last, mein Sohn, und dadurch könntest du auch mir unbequem werden. Beides unterbleibt zu unser beider Besten, wenn du deinen mir bisher ganz lieben Besuch abkürzest.«
Adolar war verstimmt, doch ließ er es sich nicht merken. Er fühlte, daß die Mutter im Grunde recht hatte. Außer dem Vergnügen der Jagd, für das er nicht gerade schwärmte, bot sich vorerst keine ihm recht zusagende Zerstreuung. Der Magnet, welcher ihn auf Kaltenstein gefesselt und festgehalten haben würde, war durch den Eigensinn oder den Argwohn des bizarren Försters verschwunden. Die verdrießliche Mutter, welche den Verlust Corneliens und mehr noch die Trennung von Hildegarde schmerzlich empfand, konnte seinen unklaren Gefühlen und ungestümen Neigungen keinen Ersatz gewähren, und der Umgang des Vaters, dessen Liebhabereien sich auf den Sohn vererbt zu haben schienen, war für seine Jahre doch zu einseitig, als daß er ihm hätte genügen können. Auch wollte es ihm scheinen, als müsse er künftighin vorsichtiger mit seiner Mutter verkehren und die Worte mehr abwägen. Einige seiner absichtslos hingeworfenen Bemerkungen hatten sie zum Nachdenken aufgefordert, wenn nicht gar verletzt. Beides that ihm leid; denn fühlte er auch keine tiefere Liebe zu ihr, wie Kinder es zu Müttern sollen, so flößte sie ihm doch Respect ein durch die untadelige Haltung, die sie stets anzunehmen verstand und die selbst seinem Vater jederzeit imponirte. Er küßte daher Clotilde mit jener Galanterie, über die er verfügen konnte, wenn er nur wollte, die Hand, bat seines ungehörigen Betragens wegen nochmals um Verzeihung und empfahl sich mit der Versicherung, daß er die Winke und Andeutungen der gnädigen Mama ernstlich in Erwägung ziehen werde.