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EIN BRIEF.
Achilles, Graf von Serbillon, war ein ungewöhnlich gastfreier Herr. Sein Schloß Hammerburg, wo er sich gewöhnlich aufhielt, beherbergte außer seiner Familie stets eine Anzahl Gäste, die in der Regel verschiedenen Nationalitäten angehörten. Es sprachen auf Hammerburg bald Franzosen, Landsleute des Grafen, bald Deutsche und Polen ein. Nur Engländer sah man nie bei dem reichen Seigneur, da die schweigsamen Bewohner des meerbeherrschenden Eilandes seinem Naturell nicht zusagten.
Schloß Hammerburg, ursprünglich eine deutsche Besitzung, war durch Kauf an Graf Serbillon übergegangen. Die stattliche Burg lag auf der Grenzscheide Deutschlands in malerischer Gegend und bot einem unternehmerischen Besitzer Gelegenheit zu industriellen Anlagen mancherlei Art. Graf Serbillon hatte dies eingesehen und, weil er persönlich zu kaufmännischen Unternehmungen keinerlei Drang fühlte, Strecken Landes an Fremde verpachtet mit der Erlaubniß, das ihnen so überlassene Land nach Gutdünken für industrielle Zwecke zu benutzen. So waren denn seit einigen Jahren in der Nähe der alten zinnengekrönten Hammerburg Etablissements mancherlei Art entstanden, die, von verständigen Männern geleitet, den Werth der großen Besitzungen Serbillon’s noch bedeutend erhöhten.
In seiner Jugend hatte Graf Achilles sich an den Kriegszügen Napoleon’s betheiligt. Er war in Spanien gewesen, hatte dann, zum Hauptmann avancirt, sich dem unermeßlichen Heereszuge nach Rußland angeschlossen, wo er, in der Schlacht bei Smolensk verwundet, zurückzubleiben genöthigt ward. Diesem glücklichen Zufall verdankte er nicht nur Leben und Gesundheit, sondern auch die Hand seiner Gemahlin, der auch jetzt noch schönen Diana von Jagello. Auf dem Landsitze des Vaters dieser Dame hatte Graf Serbillon seine Genesung abgewartet. Hier lernte er die einzige Tochter des ritterlichem schon bejahrten Wojwoden Jagello kennen, der seinen Stammbaum bis auf das einst mächtig gewesene Dynastengeschlecht der Jagellonen zurückführte. Mit den ersten Schreckensnachrichten von den Unfällen, welche die große Armee auf dem Rückzuge betrafen, fiel des Grafen Achilles Vermählung mit Diana, die ihrem Gatten nach Frankreich folgte und ihn später nach dem inzwischen erworbenen Hammerburg begleitete.
Beide, Achilles wie Diana, waren leidenschaftliche Bewunderer des großen Corsen, weshalb auch Graf Serbillon es vorzog, nach der Zurückführung der Bourbonen auf den französischen Thron sein Geburtsland zu verlassen, ohne jedoch sich selbst zu expatriiren. In diese Zeit fiel der Erwerb von Schloß Hammerburg, das ihm, seiner schönen, liebenswürdigen Gattin und seinen zahlreichen Freunden und Gesinnungsgenossen ein anziehendes Asyl gewährte.
Es konnte nicht fehlen, daß die großen politischen Ereignisse des Jahres 1830 den noch rüstigen Grafen lebhaft anregten. Die Bewegung der Belgier, der Aufstand in Brüssel würde ihm ohne Zweifel noch einmal das Schwert in die Hand gedrückt haben, wäre er nicht mit Verlust seiner rechten Hand aus dem so unglücklichen Feldzuge des Jahres 1812 zurückgekehrt. Diese Verstümmelung, obwohl sie weder auf seinen Charakter noch auf seine Stimmung irgendwelchen Einfluß übte, nöthigte ihn zu beschaulicher Beobachtung der Ereignisse, denen Achilles mit gespannter Aufmerksamkeit folgte. Nahmen nun schon die abermalige Vertreibung der Bourbonen und der glückliche Kampf der Belgier gegen Holland den Grafen und dessen Gattin lebhaft in Anspruch und veranlaßten sie eine bis dahin kaum geahnte politische Regsamkeit auf Schloß Hammerburg; so steigerte sich diese fast bis zum Fanatismus, als die Kunde von dem blutigen Aufstande Polens das gräfliche Paar und dessen Freunde erreichte.
Diana war von jeher eine leidenschaftliche Patriotin gewesen. Tausend Hoffnungsblüten entfalteten sich jetzt in ihrem heißblütigen Herzen. Sie träumte von einer nahe bevorstehenden Wiederherstellung ihres Vaterlandes, und die Worte des Liedes ›Polen ist noch nicht verloren!‹ waren ihr ein heiliges Vermächtniß. Zu wiederholten malen äußerte sie gegen Achilles den Wunsch, sich selbst nach Warschau zu verfügen, das Abrathen des besonnenern Gatten hielt sie jedoch auf Hammerburg zurück, da sie sich in ruhigern Augenblicken selbst sagen mußte, daß sie persönlich ihren Landsleuten wenig nutzen könne.
Desto mehr wirkte Gräfin Diana von Serbillon durch ihre zahlreichen Freunde, ihre Verbindungen und durch die Mittel, welche der Besitz eines großen Vermögens immer gewährt. Achilles unterstützte seine Gattin in diesem Streben auf das bereitwilligste, und so gestaltete sich schon wenige Wochen nach Erhebung des polnischen Volks der Verkehr des gräflichen Paares mit den hervorragendsten Persönlichkeiten der nationalpolnischen Partei ungemein lebhaft.
Ein Mitbewohner von Schloß Hammerburg war Abbé Kasimir, ein noch junger Mann, der in einem der bedeutendsten Jesuitencollegien seine Studien gemacht hatte. Ebenfalls Pole von Geburt, aber früh verwaist, war er entweder noch während der letzten Kämpfe des Corsen oder bald nach dessen Sturze nach Belgien gekommen. Seit fünf Jahren lebte Abeé Kasimir in engster Verbindung mit den Besitzern der Hammerburg. Er genoß das unbedingte Vertrauen des Grafen wie der Gräfin, und wenn es eine besonders wichtige Angelegenheit zu ordnen oder zu erledigen galt, so bedienten sich beide ohne Bedenken des stets gefälligen Abbé, der bei aller Schmiegsamkeit doch auch die nöthige Energie und hinreichende Klugheit besaß, um schwierige Aufträge leicht und gewandt zum Abschluß zu bringen.
Ueber der frühesten Vergangenheit Kasimir’s lag ein geheimnißvoller Schleier gebreitet. Der Abeé hatte sich nie über dieselbe ausgesprochen und es ließ sich annehmen, daß ihm wohl selbst nicht allzu viel von der Vergangenheit bekannt sein möge. Eine dringende Veranlassung, Nachforschungen darüber anzustellen, lag nicht vor. Der Abbé besaß keine Verwandte, und da er im Schose der Kirche wohlwollend Aufnahme gefunden hatte, sich auch offenbar in der ihm angewiesenen Stellung geistig gehoben fühlte, so wäre es überflüssig gewesen, den in sich Ruhigen durch unnütze Nachforschungen aus dem schönen Frieden seiner Seele herauszureißen.
Dieser Mann, gebildet, von angenehmern Aeußern und feinen Sitten, wurde jetzt in Schloß Hammerburg eine sehr einflußreiche Persönlichkeit. Er war Priester, vielleicht auch Jesuit aus Ueberzeugung, Patriot aus innerstem Herzensdrange. Hätte er noch in seinem Geburtslande gelebt, so würde er wahrscheinlich den Rock des Priesters mit der soldatischen Uniform vertauscht haben; denn Kasimir besaß jenen heißen Drang nach Thaten, der ein Erbtheil der meisten Polen edler Abkunft zu sein pflegt. Nur die Bitten Diana’s und die eigene Besonnenheit hielten ihn zurück auf Hammerburg da er sich sagen mußte, daß er im Verborgenen mehr wirken könne, als wenn er persönlich mit in die Schlacht ziehe.
Schon um die Weihnachtszeit trafen polnische Emissare auf dem Schlosse ein, welche beauftragt waren, im Auslande für die nationale Sache zu wirken. Man wollte die Stimmung der Fremden sondiren, sich einen Rückhalt, womöglich directe Unterstützung sichern, unter allen Umständen aber Freunde gewinnen. Es war keine Verschwörung, welche von diesen Emissaren angezettelt wurde; nur für Erfüllung eines nationalen Wunsches zu wirken, vereinigten sich Hunderte, die einen kämpfend, die andern das Wort als Waffe handhabend, um Schwankende der großen Sache geneigt zu machen.
Mit mehreren dieser durchreisenden Emissare verkehrte sowohl Abbé Kasimir wie das gräfliche Paar. Einzelne ließen sich bewegen, einige Tage die Gastfreundschaft der Besitzer von Hammerburg zu genießen und Ausführliches den Freunden über den Stand der Dinge, über die Hoffnung und Erwartung des Volkes, die sich daran knüpften, mitzutheilen.
Dabei kam auch mancher Vorgang aus der Vergangenheit zur Sprache, besonders häufig ward der Name Napoleon genannt und der Verheißungen gedacht, welche dieser gewaltige Geist zur Zeit seines Glückes den Polen gemacht hatte.
Ein alter Oberst, der schon damals als Unterhändler manchen Auftrag glücklich zu Ende führte, ließ es sich länger als andere auf Schloß Hammerburg gefallen. Da er auf Depeschen und weitere Weisungen warten mußte, versäumte er eigentlich nichts, und so ergab er sich denn mit sichtlichem Behagen jener ritterlichen Courtoisie, in welcher der wirklich gebildete Pole alten Adels mit den besten Männern der altfranzösischen Aristokratie zu wetteifern versteht.
Graf Serbillon gefiel das Auftreten des alten weißbärtigen Mannes um so mehr, als er ihn auch vortrefflich unterhielt und manchen schönen Tag längst in Vergessenheit gerathenen Ruhmes in neuern Glanze vor ihm aufsteigen ließ.
Abbé Kasimir war bei derartigen Erzählungen stets ein aufmerksamer, aber schweigsamer Zuhörer. Oft schien er davon tief ergriffen zu werden und bisweilen wirkten sie so gewaltig auf ihn, daß sich ein Anflug von Schwermuth vorübergehend seiner bemächtigte.
Eines Abends um die Mitte des Januar trat Gräfin Diana mit heiterm Lächeln ins Zimmer, wo bereits ihr Gatte, der alte Oberst und Abeé Kasimir in Gespräche vertieft, um das traulich brennende Kaminfeuer Platz genommen hatten.
»Du mußt eine frohe Botschaft erhalten haben,« redete Graf Serbillon seine Gattin an, »denn mit so strahlendem Gesicht sah ich dich seit dem Tage nicht mehr, der uns die erste Kunde von Polens entschlossener Erhebung brachte.«
Die Gräfin reichte dem Gatten die Hand und ließ dann ein feines Blatt Papier vor seinen Augen flattern.
»Von wem könnte wohl dies Billet kommen?« sagte sie lächelnd, ohne das Blättchen dem Grafen zu überreichen.
»Wie, wäre es möglich, dies zu errathen!« versetzte Achilles. »Deine Correspondenz ist neuerdings gar zu ausgebreitet und der Kreis derer, die dich interessiren, läßt sich nicht erschöpfen, wenn man nicht das Alphabet zwei- oder dreimal durchgehen will.«
»Eine recht alte Bekanntschaft hat sich wieder einmal unser erinnert,« sagte Diana. »Ich gestehe, daß ich mich selbst ausgescholten habe, denn ohne diese zarte Erinnerung würde ich schwerlich so bald an sie gedacht haben.«
Graf Achilles richtete fragend sein Auge auf Diana, die in diesem Moment das erhaltene Billet dem Abbé überreichte.
»Sie sind unser Gewissensrath, lieber Abbé,« fuhr sie fort, »und da es sich hier um eine Gewissenssache handelt, möchte ich zuvörderst Ihre Ansicht über die Frage hören, die man an mich richtet.«
»Darf ich alles lesen, gnädige Gräfin?« warf der Abbé ein.
»Viel Zeit wird Ihnen diese Lectüre nicht rauben,« erwiderte Diana, »und da ich ja schon gesagt habe, daß Sie zuerst Ihre Meinung abgeben sollen, so bitt’ ich, tragen Sie die in sehr mangelhaftem Französisch abgefaßte Epistel zu unser aller Unterhaltung mit möglichstem Ausdrucke vor.«
Nach dieser Aufforderung las Kasimir folgende Worte:
»Gnädige Frau Gräfin werden sich eines Ausfluges erinnern können, den Sie vor nunmehr beiläufig neun Jahren in Gesellschaft einer deutschen Familie von Prag nach Burg Kaltenstein machten. Sie hatten die Güte, einen Knaben, der sich mehr noch durch seine Wildheit als durch sein hübsches Gesicht auszeichnete – obwohl Sie dasselbe über alle maßen reizend fanden – sehr lieb zu gewinnen. Ganz im Ernst – ich erinnere mich sehr genau – wollten Sie mich bewegen, Ihnen diesen Knaben, weil Sie selbst kinderlos seien, zu überlassen. Ich konnte und durfte diese Ihre Bitte, die Ihnen Thränen der Sehnsucht entlockte, nicht erhören, aber ich gab Ihnen das Versprechen, das Sie mir gewissermaßen abnöthigten, falls der Himmel mir eines Tages eine Tochter schenken sollte, diese Ihnen eine Zeit lang zu übersenden, damit Sie die in Ihrem Herzen lebenden Gefühle der Zärtlichkeit auf dieselbe übertragen und sie für die Freuden und Leiden dieses Lebens erziehen möchten. Gott hat mir nun – vielleicht nur Ihnen zu Liebe – kürzlich ein solches Geschöpf zugeführt, und so lieb ich es habe, sehe ich doch ein, daß mir augenblicklich die Gelegenheit gänzlich mangelt, derselben eine Erziehung, wie die Welt sie erheischt, geben zu können. So erinnere ich mich denn Ihrer Bitte und meines Versprechens. Das Kind befindet sich unterwegs zu Ihnen, gnädige Frau Gräfin. Sie harrt Ihrer oder eines zuverlässigen Sendlings von Ihnen in Bonn. Dort wird sie Ihnen jauchzend entgegeneilen, wenn Sie der unten stehenden Adresse Beachtung schenken wollen. Einer directen Antwort von Ihnen, theuere Freundin, bedarf es nicht, meine schöne Tochter wird mich schon unterrichten. Nur lassen Sie das herzige Kind nicht zu lange warten. Ich weiß, daß Sie es nicht bereuen, wenn Sie thun, was hierdurch von Ihnen, theuerste Gräfin, erbittet
Ihre Sie hochschätzende
Clotilde,
Baronin von Kaltenstein.«
»Das klingt ja überaus geheimnißreich,« sagte Achilles, den Brief aus der Hand des Abeé empfangend. »Des wilden, schönen Jungen erinnere ich mich ganz wohl, und auch die Baronin steht noch leidlich klar vor meinen Augen.«
»Bitte, lieber Abbé, Ihr Urtheil?« sprach lächelnd Diana. »Was muß ich thun? Der Aufforderung nachkommen oder sie ablehnen?«
»Das Kind soll schön sein?« warf Graf Serbillon ein.
»Schön und wahrscheinlich unglücklich dazu!« rief der politische Oberst. »Thun Sie mir den Gefallen, Abbé, und befehlen Sie als Gewissensrath und Beichtvater, daß die Thore dieses alten Schlosses, die an den Anblick hoher Frauenschönheit längst gewöhnt sind, sich der geheimnißvollen Tochter der Luft oder der Nacht öffnen! Ich leiste den edeln Besitzern von Hammerburg so lange Gesellschaft, bis diese Fee, die uns ein wunderbarer Zufall senden will, hier eingezogen ist.«
»In der That,« sagte Abbé Kasimir, »ich muß mich dem Herrn Obersten anschließen. Wer weiß, welche trüben Erlebnisse die Schützlingin der Baronin so seltsame Wege einzuschlagen zwingen. Als Priester und Diener Gottes schon liegt mir die heilige Pflicht ob, Verlassene aufzusuchen, Trauernde zu trösten, Irrende zurückzuleiten auf die Pfade der rechten Erkenntniß. Der Herr Graf wird deshalb meinem Wunsche gewiß gern entgegenkommen, und die Unbekannte sobald wie möglich aus ihrem jetzigen Aufenthaltsort abholen lassen.«
»Dieser sonderbare Findling,« fiel der alte Oberst ein, »soll, denk’ ich, Leben und Heiterkeit in unsern oft nur gar zu kleinen Cirkel bringen. Was ungesucht sich darbietet, ist fast immer das Anmuthigste. Ich komme mir schon in dem Gedanken, einer jungen, schönen Abenteuerin in die scheu gesenkten Augen zu blicken, wieder ganz jung vor, und muß dabei mancher Erzählung gedenken, die ich in meinen jungen Jahren immer halb und halb für Erfindungen hielt.«
»Der Abfassung dieses Schreibens liegt aller Wahrscheinlichkeit nach eine ganz eigenthümliche Veranlassung zu Grunde,« nahm der Abbé wieder das Wort. »Vor allem fällt mir auf, daß die Frau Baronin nicht einmal den Namen ihres Schützlings nennt. Es ist blos von einem jungen und – das Wort ist unterstrichen – einem schönen Mädchen die Rede! ... Sind Sie vielleicht vertraut mit – mit den Familienverhältnissen dieser mir gänzlich unbekannten Dame? Sie lebten einige Zeit mit ihr auf Reisen?«
Kasimir hatte die Frage eigentlich an die Gräfin gerichtet, Achilles übernahm es indeß, darauf Antwort zu geben.
»Es war auf einer Reise nach Süddeutschland und der Schweiz, wo uns der Zufall mit dem Baron von Kaltenstein und dessen Begleitung zusammenführte,« sagte er. »Wir hatten uns schon flüchtig einigemal in der Hauptstadt Böhmens gesehen bald in Kirchen, bald in Palästen. Worte wechselten wir erst in der berühmten Kapelle des heiligen Wenceslaus, die bekanntlich dem Volke für besonders heilig gilt, weil nicht nur der Ring an der Thür angebracht ist, den König Wenceslaus erfaßte, als sein Bruder Boreslaus ihn zu Brandeis ermordete, sondern weil hier auch in besonderm Behältnisse die Zunge des heiligen Nepomuk aufbewahrt wird, die ewig frisch bleibt. Die Baronin schien keine Gläubige zu sein, denn sie konnte sich eines höchst frivolen Lächelns nicht enthalten, als der uns herumführende Kirchendiener von dem wunderbaren Geläut aller Glocken in Prag erzählte, das dem erstaunten Volke den Tod des frommen Königs von selbst verkündigt haben soll. Dies spöttische Lächeln gab den ersten Anstoß zu einem Gespräch über Wunder und Reliquien, und ich kann nicht leugnen, daß mich die Bemerkungen der ungewöhnlich interessanten Frau, die von Natur mit höchst schätzbaren Gaben ausgerüstet zu sein scheint, fesselte. Meine Frau fand ebenfalls Wohlgefallen an der neuen Bekannten, und als wir einige Tage später auch den einzigen Sohn der Baronin von Kaltenstein kennen lernten, der voller Schelmerei steckte, schlossen wir uns enger an die Familie an. Einige Wochen haben wir aufs angenehmste mit ihr verlebt. Daß wir später die lieben Menschen so vernachlässigen konnten, läßt sich streng genommen gar nicht entschuldigen. Schon um diesen Verstoß gegen die gute Sitte einigermaßen wieder auszugleichen, müssen wir dem Gesuch der Baronin willfahren. Die Frau besitzt Takt und Feinheit. Sie versteht eine Vernachlässigung in so liebenswürdiger Weise zu rügen, daß man sich fast glücklich fühlen muß, wenn man nur die so schickliche Gelegenheit ergreifen kann, um sie um Verzeihung zu bitten.«
»Ein Weltkind der gefährlichsten Art!« sprach der Abbé, einen langen, forschenden Blick auf Diana heftend, die Achilles beifällig zunickte. »Wir stiften gewiß ein gutes Werk, wenn wir dem Wunsche der Baronin nachkommen.«
»Pflichte unbedingt bei!« rief der polnische Oberst. »Wer aber soll der unbekannten, schönen Dame, in der sich vielleicht eine geraubte Prinzessin verbirgt, das Ehrengeleit geben? Würde ich nicht von heiligen Pflichten hier festgehalten, wahrlich, ich ließe mich selbst zum Ritter derselben anbieten!«
»Das Vertrauen der Baronin von Kaltenstein verdient unsere volle Beachtung,« fiel die Gräfin ein. »An mich, die ihr fern stehende Frau, in der sie eine Freundin zu erblicken glaubt, hat sie sich gewendet ohne Hinterhalt, mit jener aufrichtigen Zuversicht, die nur einem edeln Herzen entkeimt. Sie soll sich nicht einer Undankbaren anvertraut haben. Ich selbst werde das schöne Kind aus Bonn abholen. Damit ich aber des nöthigen Schutzes nicht entbehre, wird der ehrwürdige Abbé mich begleiten.«
Kasimir verbeugte sich dankend gegen Diana und zeigte sich sogleich bereit, deren Wunsch zu erfüllen.
»Ich bin es gern zufrieden,« sagte Graf Serbillon. »Wir beide, der gute Oberst und ich, wollen inzwischen die leidigen politischen Geschäfte soviel wie möglich abzumachen uns bemühen, damit wir bei euerer Zurückkunft uns gebührend dem Dienste schöner Frauen nach dem Beispiele unserer Vorfahren widmen können. Und nun, meine Herren, lassen Sie uns zu drei eine Partie Billard spielen! Ich finde es ohnehin hier heute Abend so kühl, daß eine körperliche Bewegung im Billardzimmer unserer Gesundheit nur förderlich sein kann.«
Der politische Oberst kam dieser Aufforderung seines Gastfreundes sogleich nach; der Abbé aber unterhielt sich, ehe er den Vorausgegangenen folgte, noch einige Zeit leise mit der Gräfin, und als er später das Billardzimmer betrat, wo er die beiden Herren bereits emsig ins Spiel vertieft fand, war sein bleiches, stets ruhiges Gesicht von einer Wolke tiefen Nachdenkens beschattet. Die letzten Mittheilungen Diana’s in Bezug auf die Baronin von Kaltenstein schienen diese Verwandlung verursacht zu haben.