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BOSHAFTE NECKEREIEN UNDWACHSENDE VERSTIMMUNG.
Andreas litt schwer unter diesem nie ruhenden Unfrieden zweier Personen, die er beide gleich hochschätzte. Er verkannte in keiner Weise die guten Eigenschaften seiner seltsam gearteten Schwester, ohne ihre unleidlichen Thorheiten zu billigen, und er sah ein, daß seine Frau in vollem Rechte war, wenn sie, mit ganz andern Neigungen ausgerüstet und ganz andere höhere Ansprüche an das Leben machend, sich von Kathrine mehr und mehr zurückzog. Nur der Erziehung Hildegardens konnte auch er nicht das Wort reden. Oft versuchte er, Cornelie andern Sinnes zu machen, indem er ihr das Gefahrvolle ihrer Erziehungsmethode vorstellte. Wie einfach und klar er sich aber auch darüber aussprach, den gewünschten Erfolg hatten seine Vorstellungen nicht. Cornelie zeigte sich sofort gereizt, klagte über nervöse Angegriffenheit und erklärte wiederholt, sie wolle aus dem Kinde, das so reich an liebenswürdigen Talenten sei, weder ein Aschenbrödel machen, noch es in bäuerischer Roheit untergehen lassen. Wohin letzteres führe, das könne man ja täglich zum Ueberdrusse mit eigenen Augen sehen.
Vor solchen Aeußerungen verstummte der Förster. Er fühlte das darin liegende Wahre heraus und konnte doch Cornelie nicht unbedingt recht geben. Wollte er aber nicht stets ein trübes Gesicht sehen, so mußte er schweigen, um so mehr, als seine Frau die Bedenken wegen der Zukunft Hildegardens mit der sehr bestimmten Versicherung beseitigte, daß ihn diese gar nicht zu kümmern brauche. Clotilde habe ihr zahllose mal versprochen, unter allen Umständen für das Kind zu sorgen, sobald es zur Jungfrau herangereift sein werde, und was die Baronin verspreche, das halte sie auch!
Trotz alledem machte Andreas sich Vorwürfe über sein eigenes Handeln. Es wäre, mußte er sich sagen, ja alles ganz anders gekommen ohne die Aufnahme seiner Schwester in die Försterei. Und doch sah er nirgends einen Ausweg, konnte nirgends ein Mittel entdecken das er mit Erfolg hätte anwenden können!
War es da wohl zu verwundern, daß es ihm nach und nach immer weniger im eigenen Hause gefiel? Er fühlte sich überflüssig zwischen Frau und Schwester, die einander das ganze Jahr lang auch nicht ein freundliches Wort gönnten, und von denen jede darauf zu studiren schien, der andern irgend etwas Verletzendes zu sagen oder etwas zu thun, was diese verdroß. Am ärgsten in dieser Hinsicht trieb es Kathrine, die ihn deshalb oft erzürnte und manchmal noch spät abends wieder aus dem Hause jagte.
Wunderlich in fast allen Dingen, hatte sie auch eine seltsame Liebhaberei für Thiere, welche mehr zur Plage der Menschen als zu deren Erheiterung dazu sein scheinen. Kathrine mochte die Fliegen leiden, ja oft sagte sie sogar, daß sie dieselben überall liebe, nur nicht im Speisegewölbe. Andreas wollte diese Liebe früher nicht an seiner Schwester bemerkt haben, diese aber beharrte auf ihrer Behauptung und widmete fortan den im Hause vorhandenen Fliegen eine höchst verwunderliche Pflege.
Andreas merkte die Absicht und ward sehr verstimmt durch die Entdeckung dieser neuen Eigenheit an seiner ohnehin nicht liebenswürdigen Schwester. Cornelie machte Jagd auf jede in ihr Zimmer dringende Fliege, weil sie ihre Zeichnungen und feinen Handarbeiten befleckten, und – gerade darum mußten sie gepflegt werden! Schlimmer noch war ein anderer fast krankhafter Hang Kathrinens, den sie indeß schon als Kind gezeigt hatte. Sie liebte nämlich Spinnen abzurichten. Am liebsten waren ihr gerade die häßlichen, langbeinigen Winkelspinnen, deren Klugheit sie höchlichst pries und an denen sie nur einen einzigen widerwärtigen Fehler entdeckt haben wollte: ihre Vorliebe für stümperhaftes Fortepianospiel! In einigen Winkeln des Hauses, wohin so leicht niemand kam, hielt Kathrine eine recht anständige Anzahl Spinnen. Die gelehrigen Thiere gewöhnten sich denn auch sehr bald an ihre Beschützerin, erschienen auf ihren Ruf und verschmähten es nicht, auf die Hand der alternden Jungfrau zu spazieren, wenn es dieser gerade genehm war. Dagegen flößte Cornelie auch die kleinste Spinne Furcht, ja geradezu Entsetzen ein. Sie konnte von krampfhaftem Zittern ergriffen werden, wenn ihr eins dieser Thiere zu nahe kam, und sie war demnach die unerbittlichste Vertilgerin derselben.
Diese Schwäche Corneliens benutzte nun Kathrine in wahrhaft dämonischer Weise. So oft die Schwägerinnen sich durch Worte oder Blicke recht empfindlich gekränkt hatten, wußte Kathrine eine ihrer gehorsamen Spinnen unbemerkt mit in das Zimmer Corneliens zu bringen und sie dicht am Sitze der verhaßten Schwägerin über den Tisch laufen zu lassen. Das grelle Aufschreien der Entsetzten, ihr Erbleichen und Zittern amusirte die Boshafte, und indem sie ein schadenfrohes, verächtliches Lachen aufschlug, fing sie das Thier wieder ein und trug es mit derselben Aufmerksamkeit fort, als sei es ein schön singender Canarienvogel.
Unzähligemal hatte sich Kathrine schon diesen nichtswürdigen Scherz erlaubt, der Cornelie fast jedesmal krank oder doch auf Stunden elend machte, ohne daß sie es Andreas gegenüber eingestand. Denn so wenig Cornelie selbst von ihrer Schwägerin sprach, so wenig beklagte sie sich über ihr Betragen. Die abscheuliche Neckerei mit den Spinnen aber konnte sie unmöglich mit Stillschweigen übergehen, und dies veranlaßte den Förster, seine Schwester zur Rede zu setzen.
Kathrine leugnete und bezichtigte Cornelie der Verleumdung. Hildegarde bestätigte, die Angaben der Mutter. Es kam nun zwar zu keinem Beweise, aber die Verstimmung der Hausgenossen untereinander ward von Stund’ an noch ärger. Andreas, der seine Schwester bis dahin für durchaus wahr gehalten hatte, ward mistrauisch gegen sie und machte kein Hehl daraus, und Cornelie gab sich die möglichste Mühe, ihre Feindin in Gegenwart des Gatten auf frischer That zu ertappen.
Die Gelegenheit dazu bot sich bald dar. Die unter einem Dache lebenden Feindinnen hatten eben eine ihrer Streitscenen aufgeführt, als Andreas heimkehrte. Mangel an Glück auf der Jagd machte auch ihn mürrisch, und da er auf den ersten Blick sah, wie der Barometerstand im Hause beschaffen sei, wollte er nach kurzer Rast wieder forteilen. Da bat ihn Cornelie unter vier Augen, er möge ihr zu Liebe in der Dunkelheit unbemerkt wieder nach Hause kommen und sich in der anstoßenden Kammer verbergen. Beim ersten lauten Ruf, den er höre, möge er eiligst eintreten, er werde alsdann erkennen, wie oft sie ungestraft eine unwürdige Behandlung sich gefallen lassen müsse!
Andreas war anfangs nicht geneigt, dem Wunsche seiner Frau zu entsprechen, Cornelie bat aber so lieb und blickte ihn durch Thränen lächelnd so bezaubernd an, daß er sich zu der verlangten Zusage fortreißen ließ. Zurücktreten konnte er nicht mehr, und so schlüpfte er denn glücklich in sein Versteck, ohne daß Kathrine seine Anwesenheit im Schlafzimmer ahnte.
Kaum ward Licht angezündet, als die Schwester, eine Menge schadhafter Wäsche im Arm, ihren Platz am Tische einnahm. Hildegarde saß zwischen Mutter und Tante und las ersterer die neueste Erzählung von Gustav Schilling vor, die sie tags vorher von der Baronin von Kaltenstein erhalten hatte. Es verging keine Viertelstunde, als ein gellender Angstschrei das Ohr des erwartungsvoll Harrenden traf. Dann hörte er einen dumpfen Fall und das häßlich kalte Lachen seiner Schwester.
Beim Eintritt ins Wohnzimmer, wo sein Erscheinen eine merkwürdige Verwandlung in Kathrinens Wesen hervorbrachte, sah er zu seinem größten Erstaunen ein paar große Spinnen mitten über den Tisch laufen. Die Thiere nahmen sich Zeit, als gehorchten sie einem unsichtbaren Lenker, und es lag am Tage, daß sie nicht durch Zufall dahin gekommen waren. Cornelie hatte im Schreck den nächsten Stuhl umgestoßen und dabei sich einen Finger verstaucht. Sie zitterte vor Angst und Schmerz und schrie mehrmals nach Hülfe.
Diese Scene versetzte Andreas in heftigen Zorn. Er schalt die überraschte Kathrine mit zornigen Worten, duldete keine Widerrede und trieb sie in seiner Aufregung zuletzt ziemlich unsanft aus dem Zimmer.
Cornelie erreichte durch Anzettelung dieser kleinen Intrigue wenigstens die Verbannung der Schwägerin aus ihrem Zimmer. Andreas machte das Fortbleiben aus demselben so kurz und barsch zur Bedingung des Verbleibens seiner Schwester im Hause, daß Kathrine sich gegen diesen Befehl doch nicht ohne weiteres aufzulehnen wagte.
Dafür trug sie von Stund’ an dem Bruder den ihr gespielten Streich in rachsüchtigem Herzen nach. »Er ist nicht ehrlich gegen mich, folglich brauch’ ich es auch nicht gegen ihn zu sein.« So lautete der Refrain aller Gedanken, denen Kathrine Gehör gab, und nun begann in dem alten Försterhause ein solches Heuchelsystem, daß keiner dem andern mehr traute, alle gegeneinander intriguirien und heimlich sich Schlingen zu legen bemüht waren. Hätte dies consequent fortgesetzte Intriguenspiel nicht unter freundlicher Maske sich klug verborgen, so würde man in einen Abgrund trauriger Berirrungen hinabgeblickt haben, wie sie gegenseitige Abneigung, Egoismus, Genußsucht und ungezähmte Leidenschaften immer erzeugen müssen.
Nach diesem Siege über ihre Schwägerin schritt Cornelie bedeutend hochmüthiger als früher einher. Sie konnte nicht umhin, ihrer Freundin den Verlauf der Sache mit entsprechenden Ausschmückungen zu erzählen und diese zugleich aufzufordern, die ungebildete Person jetzt ebenfalls fühlen zu lassen, wie unbedeutend und untergeordnet eigentlich die Stellung sei, die sie mit so großen Prätensionen behaupte.
Clotilde war gern dazu bereit, denn auch sie haßte Kathrine, weil die rücksichtslosen Aeußerungen derselben ihre Vergangenheit mit Makeln belud, an welche mehr denn einer glauben mochte. Gegen diese geschickt in Umlauf gesetzten Erzählungen konnte und wollte sich die Edelfrau nicht direct vertheidigen, weil das zu Weiterungen hätte führen müssen, welche zu vermeiden die aus unbekannten Kreisen Emporgestiegene ebenfalls ihre sehr gewichtigen Gründe hatte. Es blieb also, um Böses mit Bösem zu vergelten, auch für die gekränkte Baronin nur der Weg heimlicher Verfolgung übrig.
Bis zu diesem Wendepunkte im Leben des Försterhauses war die Baronin von Kaltenstein nur selten in der Försterei gesehen worden. Cornelie besuchte mit ihrer Tochter lieber das eine Stunde Wegs in höchst romantischer Gegend gelegene Gut ihrer Freundin. Jetzt aber trat infolge getroffener Abkunft zwischen beiden gleichgesinnten und einmüthig handelnden Frauen das umgekehrte Verhältniß ein. Es verging selten ein Tag, wo Clotilde nicht auf dem Hofe der Försterei vorfuhr, um einige Stunden in vertrautem Verkehr mit Cornelie und Hildegarde zuzubringen.
Schon diese beinahe fortdauernde Anwesenheit der ›Gnädigen‹, wie man der Kürze wegen die Baronin gewöhnlich nannte, hielt Kathrine fern von ihrer Schwägerin. Dies würde indeß keinen besondern Eindruck auf die am liebsten mit Scheuern und Waschen Beschäftigte gemacht haben, allein, daß sie auf Befehl Corneliens oder gar der ›Gnädigen‹ kochen und backen mußte, und daß dieser Befehl ihr nicht selten durch den Mund der immer übermüthiger sich geberdenden Hildegarde kund gegeben ward, das verdroß und ergrimmte sie.
Das zu blühender Schönheit heranwachsende junge Mädchen ward von Mutter und Baronin immer mehr verzogen, und wenn Kathrine in sehr vielen Dingen die abstrusesten Ansichten hatte und aussprach, so mußte ihr doch jeder Unbefangene recht geben indem abfälligen Urtheile, das sie über Hildegardens thörichte ›Heranbildung fürs Leben‹, wie Clotilde sich ausdrückte, fällte. Das arme Kind hatte selbst keine Vorstellung von der Schädlichkeit der ihr zu Theil werdenden Erziehung. Sie befand sich wohl im steten erheiternden Umgange mit ihrer Mutter und der sie verzärtelnden Freundin. Sie eignete sich die Urtheile derselben über Menschen und Dinge an, und sah, was gar nicht zu vermeiden war, mit souveräner Verachtung auf die bäuerisch derbe, ja ungeschliffene Tante herab.
Selbst dem Vater gegenüber nahm Hildegarde jetzt ein hochfahrendes Wesen an. Sie hatte bemerkt, daß ihr Vater in den meisten der Mutter wie der Baronin geläufigen Dingen nicht eben sehr zu Hause sei, und dies Erkennen eines vorhandenen Mangels verminderte ihre Achtung. Der großentheils nur mit praktischen Dingen beschäftigte Förster, der von Natur keine Anlage besaß, ein Gelehrter zu werden, konnte sich keiner Kenntnisse weder in Literatur noch Kunst rühmen. Er hatte ebenso wie seine Schwester in seinem ganzen Leben nie eine Zeile weder von Goethe noch Schiller, viel weniger noch von Jean Paul oder Tieck gelesen. Er wußte nur, daß es Leute dieses Namens gegeben hatte und daß sie viele, viele Bücher geschrieben haben sollten. Daß man so viel aus ihnen mache, begriff er nicht, und dies lag wieder in seiner Erziehung.
Der alte Prediger Frei, ein Theologe ältesten Zuschnitts, der sich bäuerisch kleidete, um seinen Beichtkindern ein gutes Beispiel zu geben, der sogar seine Predigten am liebsten im Dialekt seiner gläubigen Zuhörer hielt und dadurch den gewandten Gebrauch der hochdeutschen Sprache nach und nach fast ganz verlernte, war in seiner Art ein gelehrter Mann gewesen. Er verstand zur Genüge hebräisch, um das Alte Testament in der Ursprache lesen zu können, besser noch war er im Griechischen zu Hause, und als eines Tags der vom Wetter geschwärzte Knopf des Kirchthurms abgenommen wurde, um neu im Feuer vergoldet zu werden, erzählte er dies wichtige Ereigniß in einem auf schönstes Pergament lateinisch geschriebenen Aufsatze der Nachwelt, der stilistisch nur wenig zu wünschen übrig ließ. Pastor Frei war, wie sehr viele seiner Collegen, ein einseitig classisch gebildeter Theologe. Für gebildet galt ihm überhaupt nur derjenige Mensch, welcher Latein verstand, es sprechen und schreiben konnte. Jeder nicht damit Vertraute war und blieb in seinen Augen, und wäre er von andern Kenntnissen übergeflossen, ein homo rusticus. Geistige Begabung, Talent, schöpferische Gedanken achtete er für nichts, und wer gar in deutscher Sprache Gedichte schrieb, mit dem zu verkehren hielt er entschieden unter seiner Würde.
Pastor Frei unterrichtete seine beiden Kinder selbst und impfte ihnen natürlich frühzeitig, soweit dies möglich war, seine eigenen Ansichten ein. Kaum hatten Andreas und Kathrine lesen, schreiben, rechnen und etwas Geschichte gelernt, so fing der gelehrte Landprediger an, beiden die Elemente der lateinischen Sprache beizubringen. Wäre Andreas nicht frühzeitig aus dem Hause gekommen, so würde Kathrine wahrscheinlich ganz artige Fortschritte im Lateinischen gemacht haben, denn sie faßte leicht und übersetzte mit Andreas um die Wette den Cornelius Nepos. Des Vaters früher Tod machte der Fortsetzung dieses Bildungsgangs unerwartet schnell ein Ende und leitete die verwaiste Tochter auf Wege, die ihrer Charakteranlage wenigstens mehr zusagten als das Erlernen einer fremden und noch dazu todten Sprache.
Die Bibliothek des Pastors war reich an Ausgaben alter Classiker, von deutschen Büchern aber befanden sich in derselben nur theologische und streng ascetische. Die deutsche Nationalliteratur war gar nicht vertreten. Der sonst sehr gelehrte Prediger hatte von dem Werden der Sprache, die er doch seine Muttersprache nannte, nicht einmal eine Ahnung. Daß es eine Geschichte der deutschen Literatur gäbe und daß es der Mühe werth sei, dieselbe kennen zulernen, war ihm ebenfalls unbekannt. Und so verirrte sich denn in Haus und Familie des Pastors Frei kein einziges deutsches Buch von wirklich literarischer Bedeutung.
So kam es, daß Andreas und Kathrine wohl nach und nach einige Namen deutscher Classiker kennen lernten, nie aber ein Werk derselben wirklich zu sehen bekamen. Später nahmen die Sorgen des Lebens beide Geschwister gefangen, und an ein Nachholen des Versäumten war um so weniger zu denken, als das Bedürfniß nach Vermehrung tieferer Bildung im Grunde beiden abging.
Hildegarde, durch ihre Mutter von Kindesbeinen an echt schöngeistig erzogen, wußte in Schiller und Goethe, in Bürger und Lessing wenigstens so gut Bescheid wie im Großen Katechismus, und es kam dem schnell sich entwickelnden Mädchen daher sehr wunderlich, ja bedenklich vor, daß der Vater von alledem nichts wußte. Sie lachte ihn gelegentlich aus, wenn er seine gänzliche Unkenntniß durch Fragen noch mehr bethätigte, und verwies ihr der Vater das Ungehörige dieses Benehmens, so flüchtete die Verzogene schmollend in die Arme der Mutter oder der Baronin, die dann nicht unterlassen konnten, prickelnde Bemerkungen über die so mangelhafte Bildung des Försters zu machen.
Alles dies mißfiel Andreas in höchstem Grade.
Er gab im stillen der Schwester recht, die in ihrer Verstimmung vor dem Auge des bangen Vaters ein Bild der Zukunft Hildegardens entrollte, das oft sein Herz zum Stillstand brachte. Aber er besaß keine Macht, um dem Unfuge zu steuern. Mit Kathrine mochte er sich auch nicht des weitern darüber aussprechen, denn er traute ihr nicht und fürchtete, von ihr verleitet, nur noch größere Misgriffe zu thun als bisher.
In dieser Noth verfiel Andreas auf einen ganz seltsamen Gedanken. Sein Beruf brachte ihn mit einer Menge Menschen in Berührung, deren Bildungsfonds fast nur aus eigenen Erfahrungen oder aus Ueberlieferungen anderer bestand. Die meisten hatten wenig gelernt, dennoch füllten sie ihre Stelle im Leben vollkommen aus, waren geachtet, oft geliebt, und man mußte sie für tüchtige Menschen halten. Solche durch das Leben gebildete, durch Erfahrungen gereifte Naturen machen sich gern ihre eigenen Gesetze, denen sie nachleben, solange es irgend geht. Weidmänner namentlich leben sehr oft auf gespanntem Fuße mit der gewöhnlichen Welt. Ihr Beruf, ihr Umgang mit der Natur, ihr Aufenthalt in rauschenden, einsamen, oft genug auch unheimlichen Forsten erzeugt jene zahllosen Sagen, denen der Aberglaube einen so eigenthümlichen Zauber verleiht.
Andreas hörte unter seinen Collegen immer von Dingen sprechen, die er nicht verstand. Der eine hatte vor Jahren in den böhmischen Wäldern die Bekanntschaft eines Wilddiebes gemacht, der im Besitz des Geheimnisses war, sich fest und unsichtbar zu machen, ja er rühmte sich, dem verwegenen Menschen dies Geheimniß abgekauft zu haben. Ein anderer wollte schon vor längern Jahren Freikugeln gegossen, nie aber Gebrauch davon gemacht haben und zwar deshalb nicht, weil ihm jedesmal ein fürchterliches Grauen überkommen war, wenn er die verhängnißvolle Kugel in seine Büchse hatte laden wollen. Noch andere verstanden die Orte zu ermitteln, wo, dem Volksglauben nach, Gold vergraben lag, und meinten, sie würden nicht anstehen, davon Gebrauch zu machen, wenn es ihnen je einmal im Leben an dem Nöthigen fehlen sollte.
Wie Noth und Unglück häufig die Mutter des Verbrechens sind, so reizen geheimnißvolle Andeutungen selbst Besonnene bisweilen zu gefahrvollen Unternehmungen.
Andreas war nicht frei von abergläubischen Meinungen. Er hatte sie theils mit der Muttermilch eingesogen, theils waren sie ihm in seinem spätern Jägerleben gleichsam angeflogen.
»Es könnte ja doch sein, daß diese zuversichtlich Sprechenden mehr wüßten als wir andern,« dachte er, und beschloß eine Probe zu machen.
Weshalb? – Aus Liebe zu Hildegarde, die seine Unkenntniß belächelte, und die von ihrer eigenen Mutter zu einem Leben in der vornehmen Welt erzogen ward, ohne daß er es zu hindern vermochte!
»Mein einziges Kind soll durch mich nicht unglücklich werden!« rief sich Andreas zu. »Es soll aber auch die Prophezeiung meiner erbitterten Schwester sich nicht erfüllen! Gelingt es mir, ein Vermögen zu erwerben, so kann Hildegarde, sobald sie erwachsen ist, in die Welt treten und theilnehmen an den Vergnügungen und Genüssen der Vornehmen, für die sie einmal erzogen worden ist. Dann wird sie glücklich sein und nicht mehr über meine Unwissenheit lächeln.«
Einmal von diesem Gedanken erfaßt, konnte sich der Förster desselben nicht mehr entschlagen. Er suchte das Vertrauen der Männer zu gewinnen, die so oft mit ihrem Wissen geprahlt hatten, aber seine ursprünglich edle Natur sträubte sich gegen jede Handlung, die er vor seinem Gewissen nicht hätte verantworten können. Er wollte sich erst von der Wahrheit des Gehörten überzeugen, ehe er ein Eingeweihter, ein Wissender zu werden begehrte.
In seinem Hause befand sich Andreas schon lange nicht mehr wohl, und wenn er nicht erschien, so vermißte man ihn auch nicht. Ein Umgang mit seiner Schwester gewährte ihm keine Erholung, und seiner Frau konnte er nach seinem Dafürhalten nichts geben und sein. Er wäre ganz überflüssig gewesen, wenn nicht sein Beruf und die Stelle, welche er durch die Gunst des ihm befreundeten Barons bekleidete, die Seinigen ernährt hätte.
Zur Ermittelung der Geheimnisse, in deren Besitz Andreas zu gelangen wünschte, war der Behauptung seiner wissenden Collegen zufolge die Nacht die allein günstige Zeit. Andreas blieb deshalb wöchentlich einigemal bis nach Mitternacht außer dem Hause. Dies konnte aber nicht geschehen, ohne daß Kathrine ihre Einwilligung dazu gab; denn seit der Ueberraschung ihres Bruders, die zu so liebloser Behandlung seinerseits führte, hatte sie unter allerhand Vorwänden sich des Hausschlüssels bemächtigt und legte diesen nie wieder aus der Hand. Sobald es zu dämmern begann, schloß die aufmerksame, auf ihre Stellung und Macht im Hause eifersüchtige Schwester des Försters die Hausthür, und niemand konnte die wohlverwahrte Försterei betreten ohne ihren ausschließlichen Willen. War endlich jeder im Hause, dann ging auch Kathrine zur Ruhe und legte den Schlüssel, um ihn sicher zu verwahren, unter ihr Kopfkissen.
Kathrine machte ein sehr verwundertes Gesicht, als ihr Bruder eines Tags von ihr den Hausschlüssel verlangte.
»Gebe ich nicht!« lautete die kurze Antwort.
»Ich brauche ihn,« versetzte ebenso kurz der Förster.
»Um des Nachts auf den Anstand zu gehen?« erwiderte die Schwester. »Schweig’, Andreas! Mir drehst du keine Nase!«
»Ueber meine Handlungen gestehe ich dir kein Urtheil zu. Genug, ich werde von jetzt an, weil ich nicht anders will, für gewöhnlich erst spät nach Hause kommen.«
»Du wirst mich stets deiner harrend finden,« sagte ebenso entschlossen die hartnäckige Schwester.
»Das verlange ich nicht; es würde deiner Gesundheit schaden.«
Kathrine lachte.
»Sorge dich nicht,« versetzte sie. »Ich bin kein nervenschwaches Dämchen, das sich durch Lesen und Klimpern aufreibt. Meine Natur verträgt, gottlob! einen Puff, und darum werde ich Wache halten!«
Alles Zureden und Vorstellen machte die Hartnäckige nicht andern Sinns, und da sie klug genug war, des Bruders Verlangen ganz in der Ordnung zu finden, so wollte dieser nicht weiter auf seinem Vorsatze bestehen, und gab endlich nach. Kathrine blieb im Besitze des Hausschlüssels, und der Förster hatte nie Ursache, über Saumseligkeit der stets wachsamen Schwester Klage zu führen.