Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

73.
                    Hier war es glücklich für Amönen,
Daß Idris zu entzückt, sie zu betrachten, war;
Das Kolorit der guten Schönen
War wirklich sehenswerth, es brannte nur nicht gar.
Allein sie faßt sich schnell, und ein verstelltes Gähnen
Entzieht sie, hinter'm Schirm des Fächers, der Gefahr
Ihm mehr als rathsam ist von ihren eignen Thaten
Durch diese plötzliche Verwirrung zu verrrathen.
 
74.
    Ist's möglich? kann das Herz so sehr uns hintergehen?
Ist's möglich, ruft sie, nicht zu sehen –
Daß dein Orakelspruch und dein beseeltes Bild
Und deine Fantasie dir eine Nase drehen?
Wenn eine Klausel nur in so fern etwas gilt
Als ihr Beding sich durch ein Wunderwerk erfüllt,
Ist's nicht so viel als ob sie gar nicht wäre?
Doch, Sie verzeihen mir daß ich – Sie Logik lehre!
 
75.
    Die Logik, (ruft er aus) Madam, die Logik soll
Mir mein Gefühl nicht streitig machen!
Mirakel oder nicht, das sind nicht meine Sachen!
Genug, ich fühlt' – und war nicht süßen Weines voll –
Wie unter meinem Kuß ihr Busen seufzend schwoll.
»Wir glauben auch im Traum, erwiedert sie, zu wachen,
Und selbst indem man wirklich fühlt,
Wird unvermerkt uns oft ein Streich gespielt.
 
76.
    »Ich könnte dir davon ein kleines Beyspiel geben
Das meine Zweifel dir vielleicht
Begreiflich machte – Doch, mir däucht,
Du wirst mich gern des Dienstes überheben:
Wir lieben allzu sehr, in einem Wahn zu schweben,
Der uns gefällt und unsern Wünschen gleicht!«
Hier schwieg sie, ohne sich darüber zu erklären,
Und ließ in seinem Kopf die neuen Zweifel gähren.
 
77.
    Er fleht umsonst. Amöne bleibt dabey,
Der näheren Erklärung auszuweichen.
Er zehrt sich ab mit Gram; sie billigt seine Treu',
Theilt seinen Schmerz mit ihm, und giebt ihm tausend Zeichen
Wie sehr sie seine Freundin sey,
Und so gelingt es ihr, sein Herz zu überschleichen.
Er denkt an keine List, indem der Zärtlichkeit
Die Freundschaft ihren Schleier leiht.
 
78.
    Oft schwatzen sie im stillen Hain zusammen,
Und von Zeniden stets, und von der Triebe Macht
Die aus der Sympathie verwandter Seelen stammen.
Allmählich schmilzt in wollustvollen Flammen
Das weiche Herz dahin; kein warnender Verdacht
Stört seine Sicherheit; der Lauben grüne Nacht
Entwickelt zärtliche unnennbare Gefühle,
Und der Instinkt spielt auch ganz heimlich seine Spiele.
 
79.
    Ein zweifelhaftes Licht verdüstert
Unmerklich die Vernunft; sie schlummert, sanft gewiegt,
Auf Rosen ein – und Amor ist vergnügt!
Wer sieht die Natter nun, die in den Blumen liegt?
Wer merkt, Er sey's, der in die Seelen flüstert?
Sie sehn sich staunend an und fühlen sich verschwistert;
Man nimmt indeß, ganz in Gefühl entzückt,
Nicht wahr, wie zärtlich man die Hand einander drückt.
 
80.
    Wohlan, Madam, wofern es je geschah,
Daß Ihre Tugend sich in einem stillen Haine,
Von Rosen überwölbt – zur Abendzeit – alleine –
Mit einem Freund befangen sah –
Vielleicht beym zärtlichen verführerischen Scheine
Des Silbermonds – nicht wahr, es pochte da
Ich weiß nicht was, wozu der Dialekt der Musen
Noch keinen Nahmen hat, in Ihrem sanften Busen?
 
81.
    Sie fühlten Sich – und wußten selbst nicht wie –
So zärtlich! so gerührt! – tiefsinnig, möcht' ich sagen,
Wollüstiglich verirrt in Ihrer Fantasie,
Und doch – wenn's Ihnen einfiel, Sich zu fragen:
Was denk' ich wohl? – in Ihrem Leben nie
Zur Antwort weniger geschickt; geneigt zu klagen,
Und doch vergnügt; die Augen thränenvoll,
Und traurig, selbst durch das, was Sie erfreuen soll.
 
82.
    In diesen nehmlichen seltsamen Augenblicken,
In diesem Mittelstand von Wehmut und Entzücken,
Bey diesem schwärmerischen Schwung
Der Fantasie, in dieser Dämmerung,
Die in der Seele herrscht, verliert ein Herz, das jung
Und fühlend ist, in Amors seidnen Stricken
Sich gar zu leicht. Es wäre falsche Scham,
Wenn wir es länger läugneten, Madam.
 
83.
    Gesteh'n Sie, (unter uns) ein jugendlicher Freund
Voll Zärtlichkeit, und der nichts Böses meint,
(Wie Idris damahls war) wird, ohne unser Wollen,
Gefährlicher als ein erklärter Feind.
Man flieht vor einem Faun; doch, jenen Unschuldsvollen,
Wie fiel' es Ihnen ein, daß Sie den fliehen sollen?
Indeß geschieht doch oft, daß es, bey warmem Blut,
Was Faunen faunisch thun – nach Platons Weise thut.
 
84.
    Was aus Amönens Freund zuletzt geworden wäre,
Nimmt jede Kennerin leicht aus dem Anfang ab.
Wahr ist's, sie war kein Mädchen aus Cythere,
Hingegen war auch Idris kein Kombab.
Zum Glück für seine Treu' begab
Die Dam', aus zärtlichen Begriffen von der Ehre,
Sich ihres Vortheils selbst: sie dachte viel zu fein
Den Feen Crebillons an Künsten gleich zu seyn.
 
85.
    Dadurch gewann er Zeit, und fragte sich so lange
Warum? und wie? und wo er dieß und das empfand?
Und kurz, er grübelte so tief, bis er die Schlange
In seinem Busen schlummernd fand.
Bestürzt sieht er von diesem süßen Hange,
Der ihm so schuldlos schien, sich an den jähen Rand
Der Untreu' unvermerkt gezogen.
So hatte ihn sein Herz noch nie betrogen!
 
86.
    Mit Abscheu schaudert er zurück;
Es war ihm neu sich vor sich selbst zu schämen.
Er sucht die Einsamkeit, um über das Geschick,
Das ihn verfolgt, sich ungestört zu grämen.
Flieh, Unbesonnener, eh' dir Amönens Blick
Zu fliehen wehrt! Allein woher die Flügel nehmen?
Denn aus dem Feuerkreis, der ihn gefangen hält,
Geht weder Weg noch Steg in diese Unterwelt.
 
87.
    Er weinte, wie man sagt daß ehmals Alexander
Den Mangel einer Brück' ins Himmelreich beweint:
Als unverhofft in Flox, dem schönsten Salamander,
(Der für Amönen brennt) ein Helfer ihm erscheint.
Zwar Flox war bis hierher des neuen Günstlings Feind;
Doch der gemeine Schmerz versöhnt sie mit einander,
Gleich ist ihr Schmerz, verschieden seine Quelle,
Denn jeder wünscht sich an des andern Stelle.
 
88.
    Dem Salamander zwar däucht's bloße Heucheley,
Wenn Idris sich erklärt, ihm gern die Gunst zu gönnen
Die seinen Neid gereitzt. Wie sollt' er glauben können,
Daß sie zu sehn, und nicht wie ein Vesuv zu brennen,
Dem Sohn der Erde möglich sey?
Doch, Idris setzt ihn bald von allen Zweifeln frey,
Da er, so flehentlich als bät' er um sein Leben,
Ersucht, ihm einen Rath zur schnellsten Flucht zu geben.
 
89.
    Zur Flucht? Von Herzen gern, und mehr als einen Rath,
Erwiedert Flox; ein Freund hilft mit der That.
Sprich nur, wohin? Auf meinen eignen Schwingen
Will ich – und wär' es auch ans äußerste Gestad
Des Äthers, wo die Welt ans Unding grenzt – dich bringen.
Nichts angenehmers kann in Idris Ohren klingen:
Er nimmt den Genius beym Wort,
Und schneller als der Blitz fleugt dieser mit ihm fort.
 
90.
    In weniger als vier Sekunden
Ist Idris wieder da, woselbst er sich befunden,
Als ihn, in Flammen eingehüllt,
Amöne mit sich nahm. Allein, – so schlecht vergilt
Das Schicksal seine Treu'! – Weh ihm! Zenidens Bild
(Das erste, was er denkt und aufsucht) ist verschwunden.
Daß man von ihr ihn schon so lange trennt,
Ist nicht genug; sogar ihr Bild wird ihm mißgönnt!
 
91.
    Um den erhabnen Dom, wo einst Zenide stand,
Zieht sich ein halber Mond von lieblichen Gebüschen;
Akazien und Myrtenbäume mischen
Hier Licht und Dunkelheit zu diesem Mittelstand,
Worin, bey schwüler Sonne Brand,
In sichern dicht verwebten Nischen
Die Nymfe gern dem schmeichelhaften West
Den heißen Leib entfesselt überläßt.
 
92.
    Hier warf sich, übermannt von Gram,
Der Ritter hin ins Gras. Die Ungeduld benahm
Ihm allen Muth sein Glück noch länger zu versuchen,
Und er begann die Stunde zu verfluchen,
In der er auf den Einfall kam,
Von einem Traum das Urbild aufzusuchen.
Er zweifelt nun nicht mehr, daß er, durch Zauberey
Geäfft, der Gegenstand von Amors Kurzweil sey.
 
93.
    Im stärksten Anfall seiner Schmerzen
Wird selbst Zenide nicht verschont.
Wie? die ich so geliebt, die ich in meinem Herzen
Als meine Königin und Göttin eingethront,
Sie hat die Grausamkeit mit meiner Qual zu scherzen?
So täuscht sie mich? So wird die reinste Gluth belohnt?
Dieß ist die Frucht von ihrer falschen Güte?
Und ich verzehr' um sie der Jugend beste Blüthe?
 
94.
    In ihres Angesichts bezaubertes Oval
Als wie in einem Kreis gebannet,
Zu jedem rühmlichen Bestreben abgespannet
Und nervenlos, verseufzt in lächerlicher Qual
Mein Geist sich selbst, von Amorn nun entmannet!
Wo ist mein Ritterschmuck, der goldbeschuppte Stahl?
Wem dürft' ich, wie ich bin, die feige Stirne bieten?
Mein bloßer Aufzug zeigt schon einen Sybariten!
 
95.
    Nein, Amor! länger will ich nicht
Dein niederträchtigs Joch ertragen,
Und um ein reitzendes Gesicht
Der Tugend meinen Muth, und diesen Arm versagen!
Der Unschuld Rächer seyn, sich mit Tyrannen schlagen,
Und steuern aller Fehd', ist wahrer Ritter Pflicht.
Beseele, wer da will, undankbare Zenide,
Dein Bild, und dich! Ich bin des Abenteuers müde.
 
96.
    Er sagt's und rafft sich auf, entschlossen als ein Held
Den Dienst Zeniden aufzukünden:
Als aus des Hains Mäandrischen Gewinden
Ihm etwas in die Augen fällt,
Das seinem Heldenthum und allen Weisheitsgründen
Der Stoa selbst die Wage hält,
Und was er kaum verachtenswerth geschätzet,
In ein bezaubert Licht auf einmahl wieder setzet.

 << zurück weiter >>