Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

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25.
                    Von dieser Gattung war Amöne,
In deren Schutze sich Zenidens Bild befand.
Zum Unglück warf die feuerfarbne Schöne
Die Augen kaum auf unsern Mann, so stand
Durch einen Pfeil von Amors straffer Sehne
Ihr zärtlich Herz bereits in vollem Brand,
So fühlte sie den stärksten Trieb erwachen,
Mit diesem Sterblichen unsterblich sich zu machen.
 
26.
    Zenidens Bild war sehr von jenen unterschieden,
An denen sich die Affen der Natur,
Die Fidias, in hartem Stein ermüden.
Was unser Aug' an jenen täuscht, ist nur
Die äußre Form, der wallende Kontur;
Das Innre bleibet roh: doch dieses glich Zeniden
Sogar im innern Bau; es hatte Fleisch und Bein,
Die Seele fehlt ihm nur, um ganz sie selbst zu seyn.
 
27.
    Ihr wundert euch wie dieses zugegangen?
Geduld! die Zeit macht alles offenbar.
Genug, daß dieser Punkt dem zärtlichen Verlangen
Der Salamandrin günstig war.
Sie macht ihn sich zu Nutz. Schon glühn die blassen Wangen,
Schon spielt der Liebe Geist im blauen Augenpaar;
Die neue Seele macht schon jede Nerve beben,
Und schwellt die schöne Brust mit jugendlichem Leben.
 
28.
    Amöne wußte selbst, als sie dies alles that,
Nicht, oder doch nicht deutlich, was sie wollte;
Sie sah nicht, oder sah zu spat,
Daß, was in Idris Augen rollte,
An diesem Platze, den sie hier vertrat,
Vermuthlich Folgen haben sollte.
Wie leicht geschieht's, wenn Amor euch berückt,
Daß ihr verwickelt seyd eh' ihr das Netz erblickt?
 
29.
    Sie ward es erst gewahr, als Idris, hingerissen
Von sympathetischer Gewalt,
Der eingebildeten Zenide sich zu Füßen
Vergeistert wirft, und unter feur'gen Küssen,
Auf ihre Hand gedrückt, gebrochne Sylben lallt.
Jetzt stutzte sie, erröthete, beschalt
Sich selbst, und übersah mit innerlichem Grauen,
Wie übel sie gethan, zu viel sich zuzutrauen.
 
30.
    Ihr flüstert Amor zu: es wäre Seltsamkeit,
Wenn sie den Vortheil nicht aus seinem Irrthum zöge,
Den Zufall und Gelegenheit
Ihr ungesucht so nahe lege.
Der Anblick seiner Gluth und süßen Trunkenheit
Benebelt ihr Gesicht, macht ihre Sinne rege.
Sie scheut und wünschet doch die unbekannte Lust,
Und ein verhaltnes Ach! erhebt die Rosenbrust.
 
31.
    Begeistert, außer sich, verloren in Entzücken,
Vergißt der Paladin der Ehrfurcht strenge Pflicht,
Erkühnt sich schon mit liebetrunknen Blicken
Sein thränendes Gesicht an diese Brust zu drücken,
Der's immer mehr an Kraft zum Widerstehn gebricht;
Stets lässiger und matter ficht
Die holde Scham mit Amors süßem Triebe:
Zu gutem Glückt erwacht der Stolz der Eigenliebe.
 
32.
    Er, der so oft der Tugend Schutzgeist ist,
Entreißt sie plötzlich Amors Netzen.
Wie nun? sie sollte nicht sich selber höher schätzen,
Als sich durch schnöde Hinterlist
An einer andern Platz zu setzen?
»Der schöne Ritter glaubt daß er Zeniden küßt,
Und ich – mir graut es nur zu denken –
Ich sollt' an einen mich, der mich nicht liebt, verschenken?
 
33.
    »Ich sollt' ihm die Gestalt, worin ich sicher bin
Daß keine mir den Vorzug raubt, verhehlen,
Und eine Nebenbuhlerin,
Die mir an Reitzen weicht, beseelen?
Liebkosungen, die sein getäuschter Sinn
Nicht mir bestimmt, ihm heimlich abzustehlen?
Nein, Amor! was man auch von deiner Allmacht spricht,
So tief erniedrigst du Amönen ewig nicht!«
 
34.
    So denkt sie, und indem von Grad zu Grade freyer
Sein Arm allmählich sich um ihre Hüften schlingt,
Steht plötzlich um und um der ganze Dom in Feuer;
Drauf folgt ein Donnerschlag, der Mark und Bein durchdringt;
In Flammen eingewickelt, springt
Aus deinem Arm, Zenide, dein Getreuer
Bestürzt, doch unversehrt, zurück,
O Wunder! – und verschwind't im gleichen Augenblick!
 
35.
    Weg ist er, keine Spur wird mehr von ihm gesehen!
Denn wer nicht doppelt ist kann nur an Einem Ort
Auf einmahl seyn. Ihn nahm, die Wahrheit zu gestehen,
Die Salamandrin mit sich fort.
Erstaunt, wie ihm dabey geschehen,
Find't Idris sich an einer Quelle Bord,
Die, statt gemeiner Flut, ein trinkbar Gold ergießet,
Und über Perlen hin durch Rosenbüsche fließet.
 
36.
    Durch Rosen zwar, doch denen wenig gleich
Die in der Unterwelt an jungen Busen blühen:
Ein einz'ger Rosenstock, wie hier viel hundert glühen,
Ein einz'ger gälte wohl bey euch,
Ihr Leutchen unterm Mond, ein kleines Königreich;
Allein er läßt sich nicht in unsern Grund verziehen.
Hier, wo die reinste Gluth den Stoff veredelt hat,
Blüht duftender Rubin, sproßt Türkis und Granat.
 
37.
    Hier sieht man, was uns Armen kaum in Träumen
Zu sehen wird, die Edelsteine keimen;
Von Blumen solcher Art vermischt auf jeder Flur
Den farbenreichen Schmelz die chymische Natur;
Eßbares Gold reift auf smaragdnen Bäumen;
Der Wein ist trinkbar Feu'r, zu dem Tokayer nur
Wie Wasser sich verhält, worin besorgte Schenken
Die scharfe Jugendkraft des Neckarweins ertränken.
 
38.
    Wie unserm Helden war, vermuthet jedermann,
Der sich im Geist an seine Stelle,
In Büsche von Smaragd, an eine frische Quelle
Von Aqua d'Oro setzen kann.
Er starrt erstaunt die neuen Wunder an,
Zählt sich die wunderbarsten Fälle,
Die ihm begegnet, vor, und muß sich selbst gestehn,
Er habe nichts unglaublichers gesehn.
 
39.
    Er hätt' auch seinen eignen Sinnen
Für dieses Mahl vermuthlich nicht getraut
Allein, was er beym ersten Schritte schaut,
Läßt zu Betrachtungen ihn keine Zeit gewinnen.
Denn plötzlich schimmern ihm die Zinnen
Des herrlichsten Palasts, den Geister je erbaut,
In sein geblendet Aug', und aus der Pforte gehen
Drey Fräulein, reitzender als Feen.
 
40.
    Es mangelt ihnen nichts um Grazien zu seyn,
Als daß sie nicht ein wenig nackter waren;
Denn, das Gesicht des Paladins zu sparen,
Umschatteten leicht wallende SimarenSimare. Ein aus dem Französischen entlehntes Wort, womit vor etlichen Jahrhunderten eine Art von langem, schleppenden Kleid vornehmer Damen bezeichnet wurde.
Von himmlischem Azur, durchwebt mit Sonnenschein,
Den schönen Leib; auch hüllt die Stirn ein Schleier ein,
Der, wenn er fällt, die dickste Mitternacht
Durch ihre Blicke gleich zum hellsten Mittag macht.
 
41.
    Es wallt ein Meer von lieblichern Gerüchen,
Als die von Ceylons Strand in meilenlangen Strichen
Den Schiffenden der Ost entgegen weht,
Von ihnen her. Mit sanfter Majestät,
Und Reitzen, die sich schon ins Herz hinein geschlichen
Eh' sich das Herz besinnt und widersteht,
Gehn sie auf Idris zu, begrüßen ihren Gast,
Und führen ihn zum schimmernden Palast.
 
42.
    Er folgt den unbekannten Dreyen
Mit ritterlicher Höflichkeit.
Beym Eintritt in den Hof erwarten ihn zwey Reihen
Von Nymfen, alle jung und lauter Lieblichkeit,
Ihm Blumen in den Weg zu streuen
Mit Körbchen theils, theils mit Musik bereit,
Und in der neuen Welt, in die er eingegangen,
Ihn im Triumfe zu empfangen.
 
43.
    So wird, von allem dem, was Aug' und Ohr ihm rührt
Bezaubert und verwirrt, durch stolze Säulengänge
Und Sähle voller Glanz, im festlichen Gepränge,
Zur Königin die dieses Land regiert
Der schöne Ritter eingeführt.
Auf einmahl schweigen nun die himmlischen Gesänge,
Indem der reiche Vorhang steigt
Und dem Geblendeten – Amönens Schönheit zeigt.
 
44.
    Itzt, edler Paladin, itzt rufe deine Kräfte
Zusammen, itzt beweise deine Treu'!
Du machtest, es ist wahr, dich einmahl oder zwey
Von den Umhalsungen der Wassernymfe frey;
Hier findest du ein schwereres Geschäfte!
Behutsam, schöner Ritter! – Hefte,
O hefte nicht so lang' dein kühnes Augenpaar
Auf die zu reitzende Gefahr!
 
45.
    Gesteh, daß dir das Land der Feen,
Obgleich dein Vaterland, nichts schöners je gezeigt!
Gesteh, hätt'st du zuvor Amönens Reitz gesehen,
Eh' du Zeniden sahst – Doch, nur zu sehr gestehen
Dein Aug' und selbst dein Herz, das ganz ins Auge steigt,
Du fühlst zur Untreu' dich zum ersten Mahl geneigt;
Versucht zum wenigsten; denn auch die treuste Liebe
Schützt uns nicht allemahl vor einem raschen Triebe.
 
46.
    Was sie gefährlich macht, ist nicht die Symmetrie
Der himmlischen Gestalt, der Glanz der schönsten Farben;
Die bloße Schönheit zeugt Bewundrung, Liebe nie,
Und läßt, auch wenn sie uns verwundet, keine Narben:
Der Geist, die Seele war's, die ihr die Herzen warben,
Die alldurchdringende Magie
Die ein gefühlvoll Herz um sich herum ergießet,
Was ihr nicht nennen könnt und tief empfinden müsset.
 
47.
    Herr Idris fühlt's – Doch, ein Gedanke bloß
An seine Statue,Wir zweifeln sehr, ob dieses zwar ursprünglich fremde, aber schon so lange bey uns einheimische Wort (ungeachtet wir gelegentlich auch die Wörter, Bild, Stein, Marmorbild u.s.w. statt desselben gebrauchen können) dem Deutschen Dichter (dem es oft bequemer als jene ist) mit Recht genommen werden könne. Nur erinnern wir, daß es nicht wie das Französische Statüe, sondern als ein Deutsches Wort, das in der Aussprache einen Daktylus hören läßt, ausgesprochen werden müsse. an die geliebten Züge,
An diesen Blick, von dem sein Herz zerfloß,
Macht aus dem magischen unsichtbarn Netz ihn los,
Worin es schien daß sich sein Geist verfliege.
Du selbst, Amöne, hast voreilig dir zum Siege
Den Weg gesperrt! Den Reitz, wodurch er sich
Vor dir beschützt, erhielt Zenidens Bild durch dich!
 
48.
    Gleich unempfindlich war die göttliche Sylfide
Und ihre Statue. Wie viel verlorne Müh
Verschwendete der Ritter nicht an sie!
Wie ward er oft der eiteln Arbeit müde!
Nichts, als die Zauberey von einer Sympathie
Die ihm zu mächtig war, erhielt ihn bey Zenide.
Nie las er das gesehnte Glück
Geliebt zu seyn in ihrem kalten Blick.

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