Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

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93.
                    »Gewiß nicht ich!« – rief Idris schwärmerlich. –
So könnt ihr, was ich that, euch selbst, statt meiner, sagen.
Doch eben diese Flut von Zärtlichkeit, die mich
Auf einen Mund und eine Brust verschlagen,
Um welche noch der Ton von meinem Nahmen schlich,
Verwehrte mir, zu viel zu wagen.
Ich ließ dem Herzen nur, nicht der Begier, den Lauf.
Doch, was ich auch begann, so wachte sie nicht auf.
 
94.
    Bey solchen Küssen unbeweglich!
Sie muß bezaubert seyn, es ist nicht anders möglich!
O Astramond, ich kenne dich hierin:
Bey dir allein ist Lieb' und Grausamkeit verträglich.
Doch hoffe nicht, du werdest den Gewinn
Von deiner Bosheit ziehn, eh' ich vernichtet bin.
Verlaß dich immerhin auf deine Zauberwaffen;
Die Liebe und mein Arm soll Rache mir verschaffen.
 
95.
    Indem zog meinen Blick ein ungeheurer Hahn,
Auf einem Fußgestell von schwarzem Marmor, an.
Er schien zum Flug mit nachgeahntem Leben
Die Purpurflügel zu erheben,
Und unten ward in Gold dem Leser kund gethan:
Wem Amor Muth genug gegeben,
Der schwinge sich, um diese Dame hier
Des Zaubers zu befreyn, auf dieses edle Thier.
 
96.
    Mir schien mit Recht die Sache sehr verdächtig,
Der alte Kabbalist liegt hier im Hinterhalt,
Dacht' ich: vielleicht ist diese Hahngestalt,
Zu meinem Untergang, mit Blitz und Donner trächtig?
Vielleicht – Doch, laß es seyn! Verrätherey, Gewalt –
Ich scheue nichts, die Liebe macht allmächtig!
Ein Blick auf meine Schläferin
Bestärkte mich in diesem kühnen Sinn.
 
97.
    Noch einmahl warf ich mich zu ihren Füßen, küßte
Noch einmahl Stirn und Mund, und fühlt' itzt Muth genug,
Auch wenn ich mich für sie mit Riesen schlagen müßte.
Ob Astramond mich überliste,
War das, wofür ich itzt die mindste Sorge trug.
Ich schwang mich auf, der Zaubervogel schlug
Die Wolken schon mit segelgleichem Flügel,
Und plötzlich däuchte mich der Atlas nur ein Hügel.
 
98.
    Wie damahls mir geschah, scheint itzt mir selbst ein Traum.
Genug, ich fing schon an die Himmelsluft zu hauchen,
Und sah, in einer See von Sonnenstrahlen, kaum
So viel als Liebende zu stillen Küssen brauchen.
Wie nahten, glaubt' ich, uns bereits dem leeren Raum,
Als itzt mein Hahn begann sich allgemach zu tauchen.
Drauf schoß er senkelrecht als wie ein Pfeil herab,
Und warf mich unverhofft in einem Brunnen ab.
 
99.
    Er warf mich ab, fing an zu krähen,
Schwang im Triumf die Flügel und verschwand.
Wie stutzt' ich, da ich mich am alten Orte fand,
Und alles wieder sah was ich noch kaum gesehen:
Den grünen Labyrinth, den Boden, statt mit Sand,
Mit Perlen überstreut, die thürmenden Alleen,
Und, was an meinem Witz und meinem Daseyn fast
Mich zweifeln hieß, den nemlichen Palast.
 
100.
    Mein Wunder stieg, als sich der kleine Weiher
Mit einer Schaar von Nymfen ohne Schleier
(Der diese Tracht nicht allzu reitzend ließ)
Erfüllt', und jede mich vertraut willkommen hieß.
»Willkommen, Herr Zerbin, zu einem Abenteuer,
Das weniger gefährlich ist als süß!«
So sangen sie, und machten im Gedränge
Um mich herum den feuchten Raum zu enge.
 
101.
    Wie schön er ist! rief eine – In der That,
Figuren dieser Art pflegt man nicht sehr zu hassen –
Es mag ganz hübsch sich von ihm wecken lassen,
Fiel eine dritte ein. Dieß dau'rte, bis ich bat,
Die Damen möchten nicht so sehr zur Unzeit spaßen.
Der Herr zieht, wie es scheint, hier die Fysik zu Rath,
Sprach eine Alte drauf: er könnte sich erkälten,
Und, ging' ein Fehler vor, so müßten wir's entgelten.
 
102.
    Drauf stieß sie in ein Horn, und plötzlich trugen mich
Die Nymfen im Triumf ans blumige Gestade.
Ich stutzt' in keinem kleinen Grade,
Die Kurzweil däuchte mich nicht halb so lächerlich.
Hofft, sprach ich zu mir selbst, der Alte, daß er sich
Auf diese Art von mir entlade?
Er denkt doch nicht, durch diese Wasserdrachen
Mir Lust zum Unbestand zu machen?
 
103.
    Kaum trat ich aufs Gestad, als eine andre Schaar
Von Nymfen hinter den Schasminen
Hervor geschlichen kam, die mir, so treu ich war,
Gefährlicher als ihre Schwestern schienen.
Sie näherten sich tanzend, Paar und Paar,
Und winkten mich herbey. Mit Zittern folgt' ich ihnen:
Sie sprachen nicht ein Wort und tanzten stets voran,
Bis wir das schönste Bad vor uns eröffnet sahn.
 
104.
    Hier (fing ein Nymfchen an mir leis' ins Ohr zu raunen)
Möcht' unser Dienst vielleicht beschwerlich seyn;
Doch sorget nicht, wir lassen euch allein.
Statt ihrer wimmelten wohl zwanzig junge Faunen,
Mit goldnem Horn auf krauser Stirn, herein;
Denkt euch, Herr Ritter, mein Erstaunen!
Sie kleideten mich aus, ich saß im Bade da,
Und wußte nicht wie mir geschah.
 
105.
    Ist, fing ich endlich an, ist euch so viel zu sagen
Erlaubt, so bitt' ich, sagt, wohin das alles zielt?
Allein sie blieben stumm; ich mochte zehnmahl fragen,
Ein schalkhaft Lächeln war was ich dafür erhielt.
Nachdem sie mich genug gerieben, abgespült,
In warme Tücher eingeschlagen,
Beräuchert und gesalbt, dann zierlich angekleid't,
Eröffnete die Thür sich plötzlich angelweit.
 
106.
    Ein Sahl empfing mich itzt, dem in der Geisterwelt
An Schimmer gleich woselbst die Götter speisen,
Auch war die Tafel schon bestellt,
Und eine Symfonie, die Stern' aus ihren Kreisen
Herab zu ziehn geschickt, und wechselweis gesellt
Zum lieblichsten Gesang, fing an das Glück zu preisen
Das mir beschieden sey. Beglückte Schläferin!
(So schloß sich jede Strof') und glücklicher Zerbin!
 
107.
    Nun schien mir's ausgemacht, daß irgend eine Fee,
Die meiner Liebe gnädig sey,
Mit meinen Sternen sich zu meinem Glück verstehe.
Dieß machte mich so froh und sorgenfrey
Als ob ich Lila schon an meiner Seite sähe.
Ich setzte mich und aß für ihrer drey:
Denn, laß die Seladons so viel sie wollen sagen,
Wer liebt sey lauter Herz; man hat auch einen Magen!
 
108.
    Zwey Ganymede machten sich
Sehr viel zu thun mir fleißig einzuschenken;
Ihr schlaues Lächeln lockte mich
Den trüben Gram, das zweifelnde Bedenken
In einem Nektar zu ertränken,
Der sich wie Öhl den Gaum hinunter schlich:
Vom ersten Glase war mein Blut zu Geist geläutert,
Die Stirn' entwölkt, das Herz erweitert.
 
109.
    Wie Rosen, buhlerisch vom Zefyr aufgehaucht,
That sich mein Busen auf; die Wünsche wurden freyer,
Die Fantasie, in Wollust eingetaucht,
Weissagte sich die schönsten Abenteuer.
Dieß seelenschmelzende, unkörperliche Feuer,
In dessen süßer Gluth die Weisheit sanft verraucht,
Fing an mit lieblich bangem Sehnen
Und süßer Ungeduld die Brust mir auszudehnen.
 
110.
    Doch, wie beschreib' ich euch den Glanz, den Lila's Bild
Von Amors Fackel itzt in meinem Aug' erhielt!
O dieß begreift nur wer's empfunden!
Wie ward ich gegen mich mit Ungeduld erfüllt,
Daß ich was dringenders, als sie zu sehn, gefunden!
Sekunden däuchten mich itzt tödtlich lange Stunden,
Allein, kaum hatt' ich mich vom Lehnstuhl aufgerafft,
So war in einem Wink das Gastmahl weggeschafft.
 
111.
    Banket und Saitenspiel, und Nymfen, Sängerinnen,
Und Knaben, kurz, den ganzen Speisesahl
Sah ich in Finsterniß zerrinnen;
Kaum ließ mir noch ein halb erloschner Strahl
Von ferne zu, die Thüre zu gewinnen.
Denkt, ob ich andachtsvoll mich meiner Dam' empfahl.
Ich tappte nun so gut ich konnte weiter,
Und fand zuletzt ein Zimmer wieder heiter.
 
112.
    Ich schlich mich auf den Zehn, nicht ohne Furcht, hinein,
Indeß, beym ungewissen Schein
Von Rosenöhl, das träg' in goldnen Lampen brannte,
Mein Auge rings umher Kundschafterblicke sandte.
Allein, der erste Blick, beym Eintritt schon, erkannte
Dieß Zimmer, eben das zu seyn,
Was mich das erste Mahl zu Lila eingelassen.
Nun wußt' ich mich vor Freude kaum zu fassen.
 
113.
    Und wie ich bald hernach im gleichen Kabinette
Ein schlafend Frauenbild mit halb entdecktem Knie
Und offnem Busen fand, auf einem Ruhebette
Von nelkenfarbnem Sammt, wie Lila lag – wer hätte
An meinem Platze nicht geglaubt, er sähe sie?
Was ihr zur Ähnlichkeit noch fehlen konnte, lieh
Der Schlafenden die Schwärmerey der Liebe:
Ich glaubte meinem Aug', und mehr noch meinem Triebe.
 
114.
    Das matte zweifelhafte Licht,
Das Amor selbst zu seinen süßen Scherzen
Erfunden hat, (wie wenn im frühen Märzen
Aurorens Glanz mit grauen Nebeln ficht)
Beglückte den Betrug, und fälschte mein Gesicht.
Empfindungen, wie oft belügt ihr unsre Herzen!
O Lila, seh' ich dich? Ist's möglich? ist's gewiß?
War alles, was der Strom der Lust mich stottern ließ.
 
115.
    In diesem Mittelstand, da, zwischen Tod und Leben,
Ganz aufgelöst in ideale Lust,
Die Seelen, kaum sich selbst bewußt,
In mystischer Entzückung schweben,
In dieser Trunkenheit, wovon ein Bild zu geben
Unmöglich ist, lag ich an ihrer Brust:
Als meine Schläferin, der ich's zu lange machte,
Durch ihrer Küsse Wuth mich zu mir selber brachte.

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