Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

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Zweyter Gesang.

1.
                      Indeß, daß Itifall, vom räthselhaften Ton
Der Drohungen des Ritters unbekümmert,
Zenidens Hofstatt sucht, und in Gedanken schon
Ein Diadem um seine Stirne schimmert,
Schießt Idris wie ein Pfeil durch Berg und Thal davon:
Als ihm aus einem Wald ein Ton entgegen wimmert,
Ein klägliches Getön, das seine Brust zerreißt,
Und ihn dem Leidenden zu Hülfe fliegen heißt.
 
2.
    Dem Schreyen einer Frau, der man den Mund verhält,
Schien der gedämpfte Ton zu gleichen.
Wer wagt solch eine That? – Doch, dieses fragt kein Held;
Zum Schutz des schönen Volks durch seinen Stand bestellt,
Eilt er der Stimme nach, die immer scheint zu weichen,
Bis Raspinett' und er das offne Feld erreichen.
Und hier, welch ein Gesicht durchbohrt ihm Seel' und Leib!
Der häßlichste Centaur entführt das schönste Weib.
 
3.
    Ihr goldnes Haupthaar fliegt in aufgelösten Locken
Ums hangende Gesicht, in dessen holdem Rund
Vor Angst bereits die Purpursäfte stocken;
Es macht der starre Blick, der welke Rosenmund,
Die halb entblößte Brust, wie heftig sie erschrocken,
Und die Gewalt des schnöden Räubers kund:
Vergeblich zappelt sie, in seinen Arm geschlossen,
Und strebt mit schwachem Fuß ihn von sich wegzustoßen.
 
4.
    Nicht ferne zeigt ein Schloß von hell poliertem Stahl
Von einer Felsenhöh' der Thürme goldne Zinnen;
Der Harem einer feinen Zahl
Von Königstöchterchen und jungen Königinnen,
Die zu Belebung stumpfer Sinnen,
Des Unholds Zauberkunst hierher zusammen stahl.
Er eilet, seinen Raub in dieses Schloß zu tragen,
Als ans gespitzte Ohr ihm diese Worte schlagen:
 
5.
    Steh, Unthier, steh! entlade dich, so schnell
Als du dein Leben liebst, von deiner schönen Beute:
Wo nicht, so wehre dich um dein behaartes Fell!
So ruft der Held, und spornt sein Leibpferd in die Seite.
Doch jener schaut nur nicht was dieser Gruß bedeute,
Und trabt in vollem Lauf dem stählernen Kastell,
Der sichern Freystatt, zu, wo seine Geisterwachen
Der ganzen Ritterschaft der runden Tafel lachen.
 
6.
    Es hätt' ihm auch geglückt, wenn Raspinette nicht
Die Blitze Jupiters im Nothfall überflöge.
Der Halbmensch fühlt bereits das schmetternde Gewicht
Des ritterlichen Schwerts und seine Donnerschläge,
Eh' er begreifen kann wer sich so sehr verwäge:
Er schnaubt mit flammendem Gesicht
Den Ritter an, läßt seine Beute fallen,
Und wiehert, daß davon die Felsen wiederhallen:
 
7.
    Wer bist du, der du mit mir zu kämpfen sich vermißt?
Du, dessen Kinn durch seine feige Glätte
Beweist, daß Ammenmilch in deinen Adern fließt;
Flieg, sag' ich dir – und wenn in deiner Göttin Bette
Ein Gott an dir sich selbst erschöpfet hätte,
So flieh und rette dich, wenn dir zu rathen ist,
Eh' dieser Arm, vor dem Giganten schon gezittert,
Zu Brey dich schlägt und Maden mit dir füttert.
 
8.
    So prahlet der Centaur und schnaubt,
Wie wenn im krummen Thal ein dumpfes Ungewitter
Von ferne braust; er schwingt den Kolben um sein Haupt,
Womit er weit umher viel untröstbare Mütter
Gemacht, und mancher Braut den Hochzeittag geraubt:
Doch kaum berühret ihn der unerschrockne Ritter
Mit seinem Schwert von Diamant,
So fällt der Kolben ihm zersplittert aus der Hand.
 
9.
    Der Unhold schwankt zurück, starrt mit erschrocknem Blicke
Den Ritter an, und findet, da er ihn
Für den erkennt, mit dem ihn sein Geschicke
Vorlängst bedräut, für rathsam abzuziehn:
Laut wiehernd dreht er sich, läßt seinen Raub zurücke,
Und trabt dem Walde zu. Der Ritter läßt ihn fliehn,
Und eilt, der schönen Frau, die starr und ohne Leben
Am Boden lag, wo möglich Trost zu geben.
 
10.
    In diesem Augenblick stellt sich ein Hirt ihm dar,
Der an Gestalt Bathyllen und Kombaben
Den Vorzug nahm, und einen kleinen Knaben
Im Arme trug, so schön, wie Amor war
Als ihm die Grazien noch Brust und Nektar gaben.
Der blonde Schäfer wird der Dame kaum gewahr,
So eilt er auf sie zu, wirft sich zu ihren Füßen,
Und deckt den blassen Mund mit feuervollen Küssen.
 
11.
    Er wärmet und begießt mit einem Thränenbach
Die kalte Brust, die blassen Wangen,
Umarmt und drücket sie, bis endlich allgemach
Von seinem zärtlichen Umfangen
Die Wangen und der Mund mit neuen Rosen prangen,
Der schöne Busen steigt, und ein erleichternd Ach
Aus seiner Wölbung preßt. Sie hebt die Augenlieder,
Erkennt den Hirten, schließt sie vor Entzücken wieder.
 
12.
    Nichts rührenders ward jemahls auf der Scene
Bethränten Augen vorgestellt,
Als wie sich wechselweis der Schäfer und die Schöne,
Das treue Herz an Herz, umschlossen hält:
Sie sehn sich schweigend an, indem die Freudenthräne
Aus jedem schönen Aug' in großen Perlen fällt;
Die Lippen öffnen sich, und wissen vor Entzücken
Die Größe ihres Glücks nur stammelnd auszudrücken.
 
13.
    Das schöne Schauspiel zu vollenden,
Theilt, der vergangnen Noth sich kindisch unbewußt,
Der kleine Liebesgott die mütterliche Lust.
Sie drückt ihn mit gefaltnen Händen
Bald an den Mund, bald an die frohe Brust,
Und kann von ihm die Augen nicht verwenden;
Ihr ist, nachdem sie ihn verloren
Und wieder fand, sie hab' ihn erst geboren.
 
14.
    Von ihrer Freude ganz verschlungen,
Bemerken sie den Helden nicht,
Der ihnen diese Lust des Wiedersehns errungen;
Den Liebestrunknen zeigt das helle Sonnenlicht
Nichts als sich selbst; die angenehme Pflicht
Des Danks wird noch durch Regungen verschlungen,
Die, eh' sie wieder sanft in ihrem Ufer fließen,
Vom vollen Herzen sich zuvor ergießen müssen.
 
15.
    Indessen steht der Held, auf seinen Speer gelehnt,
Dem süßen Lustspiel zuzuschauen;
Sein mitempfindend Herz, voll Menschlichkeit, verschönt
Sein Antlitz; edle Lust, der Lohn der Tugend, dehnt
Den Heldenbusen aus und macht die Augen thauen.
Indem entdeckt ein Blick der schönen Frauen
Den Schöpfer ihre Glücks; sie zeigt ihn ihrem Mann,
Und rühmet ihm den Muth, der sie errettet, an;
 
16.
    Und beide werfen sich zu seinen Füßen hin,
Und können keinen Ausdruck finden,
Der ihm genug beweist, was sie für ihn empfinden.
Zu dem was ich gethan, (versetzt der Paladin
Und hebt sie zärtlich auf) verbinden
Des Ordens Pflichten mich von dem ich Mitglied bin,
Ja schon die Menschlichkeit. Das schwächere Geschlecht
Hat an des stärkern Schutz ein angebornes Recht.
 
17.
    Zu dem war leichter nie ein Gegner zu besiegen;
Sein Kolben wurde kaum von meinem Schwert berührt,
So sah man ihn zu Sonnenstaub verfliegen,
Und ihn, den Pocher, selbst vom Winde weggeführt.
Ja, hätte gleich der Kampf mit Wunden mich geziert,
So hielt' ich, Freunde, das Vergnügen,
Das mir aus euern Augen strahlt,
Mit meinem Herzensblut zu theuer nicht bezahlt.
 
18.
    Nur werdet ihr die Frage mir erlauben,
Mit welchen Nahmen ihr von mir zu ehren seyd?
So mögen uns des Glücks bewährter Zärtlichkeit
(Erwiedert ihm der Hirt,) die Götter nie berauben,
Wie Lila und Zerbin sich euch verbunden glauben.
Mein ganzes Leben, Herr, zu euerm Dienst geweiht,
Kann eure Wohlthat nicht vergelten;
Was ihr mir wieder gebt, ersetzen keine Welten.
 
19.
    Nach tausendfacher Noth, und einem Prüfungsstand,
Worin wir Jahre lang mehr Ungemach erfahren,
Als Psyche mit den goldnen Haaren,
Nachdem ihr Vorwitz sie aus Amors Arm verbannt,
Hat uns der Liebesgott, dem wir geweihet waren,
Ein lächelnd Antlitz zugewandt;
Und würdigt, zum Ersatz der Qual die wir erlitten,
Mit aller seiner Gunst uns nun zu überschütten.
 
20.
    In ungestörter Ruh, uns selbst die ganze Welt,
Und, gleich den Seligen im Elsyeerfeld,
Vergessen von der Welt und von ihr abgeschieden,
Mit einem stillen Glück zufrieden
Das keine Zeugen sucht und aus uns selber quellt,
Durch Göttermacht beschützt, von Sylfen und Sylfiden
Bedient, bemerkten wir, in einem steten Traum
Von Seligkeit, den Fluß der Stunden kaum.
 
21.
    Die Macht, durch deren Gunst wir dieses Glück besitzen,
Fand nöthig unsern Aufenthalt,
Den um und um ein stiller See umwallt,
Durch einen Talisman vor Überfall zu schützen;
Um die vereinigte Gewalt
Der ganzen Welt zu Boden hinzublitzen,
Wird eine Lampe nur gedrückt,
Die einst AladdinsS. die Wunderlampe in den Arabischen Erzählungen. war, und mich nunmehr beglückt.
 
22.
    Mit diesem Beystand hielt ich sonder Wall und Mauren
Mich sichrer als ein Kind auf seiner Mutter Schooß;
Wir setzten unbesorgt den Augen des Centauren
Uns, Arm an Arm, am Gegenufer bloß.
Doch zur Behutsamkeit ist keine Macht zu groß;
Ein übermannter Feind kann hinter Hecken lauren:
Was niemand offenbar zu wagen sich vermißt,
Gelang dem WolkensohnDie Centauren waren (nach einigen Mythologen) Söhne des Ixion und einer Wolke, welcher Juno ihre eigene Gestalt gegeben hatte, um sich den Unternehmungen dieses verwegnen Sterblichen zu entziehen. durch List.
 
23.
    Sein Anschlag, über mich in Lila's Arm zu siegen,
War, wie der Ausgang wies, auf dieses Kind gebaut:
Dieß Püppchen, unsre Lust, in dessen weichen Zügen
Ein jeder unter uns mit doppeltem Vergnügen
Des andern Bild in seinem eignen schaut.
Zwei Sylfen ward es heut von Lila anvertraut,
Die im Citronenwald, wo sich die Lüfte kühlten,
Der Kindheit frohes Spiel mit ihm im Grase spielten.
 
24.
    Auf einmahl hören sie mit wirbelndem Getön
Den lieblichsten Gesang aus nahen Zweigen dringen;
Sie schauen auf, woher die süßen Töne klingen,
Und sehn vor sich den schönsten Vogel stehn:
Es war ein Kolibri, mit Gold- und Purpurschwingen,
Man konnte schöners nicht als sein Gefieder sehn.
Sein bunter Schimmer reitzt den Knaben,
Er zittert vor Begier das Vögelchen zu haben.
 
25.
    Der kleine Sänger merkt's, fliegt willig zu ihm hin,
Und stellt sich als ließ' er gern sich haschen;
Er thut so zahm, den blühenden Schasmin
Aus seiner Hand mit losem Pick zu naschen,
Und scherzt, und buhlt so frey als kennt' er ihn
Von langem her; doch ihn zu überraschen
War keine Möglichkeit, und eh' sie sich's versahn,
Blitzt sie sein funkelnd Aug' am andern Ufer an.
 
26.
    Der Knabe weint und hört nicht auf zu klagen,
So sehr bezaubert ihn des bunten Vogels Pracht,
Bis seine Sylfen ihn ans andre Ufer tragen.
Die Unbehutsamen! Sie hatten nicht bedacht,
Daß es gefährlich sey, sich außerhalb der Macht
Des Talismans, der uns beschützt, zu wagen.
Kaum hat ihr leichter Fuß des Feindes Park berührt,
So fühlen sie im Sturm sich durch die Luft entführt.

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