Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

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24.
                    Schon war ich viele Meilen weit
Durch einen Labyrinth von ungebahnten Wegen
Dem Bären nachgerannt, als endlich das Vermögen
Dem Willen unterlag; erschöpft von Mattigkeit,
Von Durst gebrannt, unfähig mich zu regen,
Sank ich zu Boden hin, und ließ dem Gegner Zeit,
Mit dem geliebten Bild im Rachen
Indeß ich lechzend lag, sich unsichtbar zu machen.
 
25.
    Zu gutem Glücke war mein Ruheplatz nicht ferne
Von einer moosigen Cisterne,
An deren Rand ein alter Palmbaum stieß,
Der seine reife Frucht freywillig fallen ließ.
Hier war's, wo mir die Noth bewies
Daß man durch sie aus Pfützen trinken lerne.
Nie schmeckte mir aus Gold der Wein von Alikant
So wohl, wie dieser Schlamm aus meiner hohlen Hand.
 
26.
    Nachdem ich mich erquickt, so fing ich an, bey mir
Den Wundern dieses Tags gelaßner nachzuspähen.
Nein, dacht' ich, dieser Bär ist kein gemeines Thier;
Und die er mir gezeigt – hier steht der Abdruck, hier
In dieser Brust, und wird hier ewig stehen! –
Ist mehr als ein Geschöpf erfindender Ideen:
Von solchen Kindern kann allein
Die unverschönbare Natur die Mutter seyn.
 
27.
    Ja, Amor flüstert mir daß ich dich finden werde,
Du meines Herzens Königin!
Ich suche dich, so weit die Sonnenpferde
Des Tages goldnen Wagen ziehn.
Bist du so schön, um die Bewohnerin
Zu seyn von dieser niedern Erde:
So soll, dich in vollkommnern Sfären
Zu suchen, Amor mich des Äthers Pfade lehren.
 
28.
    So rief ich; denn, ihr wißt, verliebte Schwärmerey
Denkt gerne laut. Drauf fiel mir plötzlich bey,
Daß, bald zu meinem Zweck zu kommen,
Ein Talisman das beste Mittel sey,
Den ich im Gnomenschatz einst heimlich weggenommen.
Was nur für Thiersgestalt ihr wünschet zu bekommen,
Sprecht ihr ein Wort, das auf den Talisman
Gegraben ist, nur aus, so ist's gethan.
 
29.
    Mit Flügeln, dacht' ich, kommt man weiter,
Als Kastor selbst, der Schutzpatron der Reiter.
Ich trat sogleich die neue Reise an,
Ward, wie es mir gefiel, zum Adler, zum Fasan,
Zum Papagay, und, war die Nacht nicht heiter,
Zur Eule, die im Dunkeln sehen kann:
So flog ich Tag und Nacht, die Seele meines Lebens
Zu suchen, durch die Welt, und suchte lang' vergebens.
 
30.
    Hier war Zerbin, als Lila schicklich fand,
Sich unbemerkt vom Tische wegzuschleichen,
Vielleicht dem kleinen Übelstand,
Ihr eignes Lob zu hören, auszuweichen.
Sie winkte dem Gemahl ein Zeichen,
Und Idris wurde nicht gewahr wie sie verschwand;
Zerbin fuhr fort; sein Feuer im Erzählen
Ließ es dem Ritter nicht an Lust zum Hören fehlen.
 
31.
    Einst früh an einem Sommertag
Verweilte sich mein Aug' auf einem großen Garten,
Der unter mir im Morgenschimmer lag;
So schön, so aufgeblüht, und reiche an allen Arten
Von Wohlgeruch, als wären ihn zu warten,
Die Zefyrn selbst bestellt: ein ewiger Vertrag
Verband Pomonen hier mit Floren,
Die dieses Tempe sich zugleich zum Sitz erkohren.
 
32.
    Ein Anblick, zauberisch genug
Den eilenden Merkur im Fliegen aufzuhalten;
Und ein ich weiß nicht was, wie ein geheimer Zug,
Verwehrte mir zu weiterm Flug
Die bunten Flügel zu entfalten.
Durch Lüfte, die von Zimmt- und Amberdüften wallten,
Ließ ich, weil ein Gesang mir plötzlich Neugier gab,
Auf einen Tulpenbaum mich unbemerkt herab.
 
33.
    Ich horcht' umher, und fand, der Vogelbauer,
Aus dem der süße Schall sich wand,
Sey ein Gezelt von Myrten und Akanth,
Durch dessen dicht verwebte Mauer
Die Sonne selbst zu sehn nicht möglich fand.
Ich flog hinzu: ein nie gefühlter Schauer
Ergriff mein Herz indem ich näher kam,
Und deutlicher der Stimme Reitz vernahm.
 
34.
    Ich gab ihr einen Leib, und weil die Ungenannte,
Für deren holdes Bild ich brannte,
Die einz'ge Schöne war, die ich von allen kannte,
So hatte die von ihr erfüllte Fantasie
Mich zu bereden wenig Müh,
Die schöne Sängerin im grünen Zelt sey sie.
Denkt die Entzückung selbst, die in mein Herz gerathen,
Als was ihm vor geahnt die Augen itzt bejahten.
 
35.
    Ein Mädchen, leicht verhüllt in rosenfarbnen Tafft,
Trat aus dem Zelt hervor, so schön, so nymfenhaft,
So schlank von Wuchs und lieblich von Geberden,
Wie Hebe pflegt gemahlt zu werden;
Ihr gelbes Haar floß ringelnd bis zu Erden,
In ihren Busen hätt' ein Engel sich vergafft;
Den schönsten Fuß verrieth ihr flatterndes Gewand,
Und weißer war als Wachs die kleine runde Hand.
 
36.
    Von Wollust halb entseelt und blind von Schauen, wandte
Mein Auge sich von ihr zurück;
Allein, bey wiederhohltem Blick
Wie ward mir, Götter! wie, als ich die Unbekannte,
Die ich gesucht, von Zug zu Zug erkannte!
Mein Herz erlag der Last von seinem Glück.
Glaubt ihr, Herr Paladin, es können
Vor Übermaß von Lust sich Leib und Seele trennen?
 
37.
    Ob ich es glaube? spricht der schöne Paladin:
Der Augenblick wird immer vor mir schweben,
Da ich hiervon beynah ein Beyspiel abgegeben.
O warum nur beynah? Warum, Gebieterin
Von dieser Brust, befahlst du mir zu leben?
Warum zerfloß ich nicht in deinem Anschau'n hin?
Doch, ich vergesse mich, euch so zu unterbrechen:
Ich pflege, wie es scheint, manchmahl im Traum zu sprechen.
 
38.
    Zerbin, der zu bescheiden war
Von dieser Apostrof' Erläut'rung zu begehren,
Fuhr also fort: Mein Herr, daß ich nicht in der Schaar
Der Wesen bin die wir mit Weihrauch nähren,
Gereicht allein dem Liebesgott zu Ehren.
Mein Beyspiel macht die Wahrheit offenbar:
Der süße Tod, den Amor uns gegeben,
Erwecke nur zu einem schönern Leben.
 
39.
    Als ich mich wieder selbst empfand,
War sie bereits aus meinem Aug' entwichen.
Wie ängstlich ward von mir der ganze Hain durchstrichen!
Wo sucht' ich nicht, bis ich sie wieder fand!
Auf einem Blumenfeld, von lieblichen Gerüchen
Umflossen, saß sie da, und wand
Sich einen Kranz, und ihre Blumen schienen
Von Eifersucht beseelt, den Vorzug zu verdienen.
 
40.
    Dieß liebliche Gemisch von Unschuld, Zärtlichkeit
Und nichts besorgendem Vergnügen,
Dem Herzen voll Gefühls so schnell entgegen fliegen;
Der Jugendgeist, den eine Kleinigkeit,
Ein Blumenstrauß, ein Schmetterling erfreut,
Dem alles lacht, gab allen ihren Zügen
Und Regungen ich weiß nicht was, das sich
Mit nahmenloser Lust in meine Seele schlich.
 
41.
    Noch seh' ich, halb verdeckt von blumigen Gesträuchen,
Als Papagay ihr zu, ganz Auge, ganz Gefühl:
Als plötzlich Ruh' und Scherz aus ihrem Antlitz weichen.
Ich sah den Rosenmund erbleichen,
Ihr Aug' umwölkte sich, der schönen Hand entfiel
Der Blumenkranz, ihr jugendliches Spiel:
Sie will entfliehn, und wird von einem Alten
Mit langem Silberbart beym runden Arm gehalten.
 
42.
    Sein übrig Ansehn schien so jung, daß man vergaß
Wie alt sein weißer Bart ihn machte.
Lang war er, mehr als das gemeine Maß
Der Männer ist; sein schwarzes Auge lachte,
Und auf der breiten Stirne saß
Was Majestätisches, das euch zum Schaudern brachte;
In seiner Rechten lag ein langer schwarzer Stab,
Und bis zur Erde floß sein Purpurkleid herab.
 
43.
    Ich merkte bald, nicht ohne Schrecken,
Daß dieser Greis mein Nebenbuhler sey.
Sein Ansehn, und noch mehr sein langer schwarzer Stecken
Schien meiner Liebe nicht viel günstigs zu entdecken;
Denn beides, däuchte mich, verrathe Zauberey.
Der Graubart sprach von Leidenschaft und Treu',
Und klagte bitterlich, daß so bewährte Triebe
Ihr Herz noch nicht erweicht, kurz, daß sie ihn nicht liebe.
 
44.
    Mir ward aus ihrer Antwort klar,
Sie fürcht' ihn mehr als sie ihn hasse.
Sie warf ihm vor, (mit vielem Feuer zwar,
Doch daß es schien als ob sie schnell sich fasse)
Daß er zur Morgenszeit sogar,
Noch eh' man sichtbar sey, sie nicht in Ruhe lasse:
Sie schwor ihm, daß er sie mit seinen Seufzern plage,
Und daß ihr Herz ihr nichts von Liebe sage.
 
45.
    Dieß gab ihm zwar zu heftigen Beschwerden
Den reichsten Stoff; doch endlich sah ich ihn
Mit einem Kuß, dem sie die Wange zu entziehn
Vergebens kämpfte, sich vergnügt zurücke ziehn.
Kaum war er fort, so stieg euch aus der Erden
Ein kleines Weib von mürrischen Geberden
Hervor, und schleppte, ohn' ein Wort
Zu sprechen, mit Gewalt die junge Schöne fort.
 
46.
    Ich folg' ihr, bis sich mir ein herrlicher Palast
Von weißem Marmor zeigt mit goldbelegtem Dache,
Wohl werth, daß Zevs, wenn ihn der Sorgen Last
Vom Himmel treibt, hier seine Wohnung mache;
Im Hofe, den ein Säulengang umfaßt,
Hält eine Riesenschaar bey Tag und Nacht die Wache;
Ein prächtig Thor von funkelndem Saffir
Thut sich der Schönen auf, und schließt sich hinter ihr.

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