Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

52.
                  Der schöne Held, beleidigt durch den Ton
Womit der Fremde spricht, mißt ihn mit Wuth im Blicke
Vom Wirbel bis zum Fuß. Nichtwerther Erdensohn,
Ruft er ergrimmt und faßt ihn am Genicke:
Wenn nicht ein Strom von Blut den pöbelhaften Hohn
In deinem Hals erstickt, so dank es deinem Glücke!
Die Nacktheit ist dein Schirm; du solltest dich entblöden,
In ritterlichem Schmuck aus diesem Ton zu reden!
 
53.
    Eh' du so trotzig thust, spricht jener lächelnd nur,
Lern deinen Mann erst besser kennen!
Versuch's, ich kann dir leicht der Waffen Vortheil gönnen;
Die Nymfen sollen doch nicht minder diese Flur
Das Grab des neuen Atys nennen.
Vernimm, daß Itifall, so wie ihn die Natur
Bewaffnet hat, und ohne Speer und Degen,
Die Helden deiner Art ins Grüne pflegt zu legen.
 
54.
    Nimm deine Keul', es ist genug geprahlt!
Versetzt der Held, und zieht mit ruhigern Geberden
Sein diamantnes Schwert, das gleich der Sonne strahlt;
Und nun begann ein Kampf, wie auf der weiten Erden
Noch nie gesehen ward, und nie gesehn soll werden
So lang' der Tag die Welt mit sieben Farben mahlt.
Sie schienen sich an Muth, an Kraft und Kunst zu gleichen,
Und gleich entschlossen, eh' zu fallen als zu weichen.
 
55.
    Ein Kieselregen, der den Tag
Uns zu vermauern scheint, fällt nicht so rasch und dichte
Auf eine Flur voll goldner Sommerfrüchte,
Des Schnitters Reichthum, hin, der kaum zu fliehn vermag;
Als mit zerschmetterndem Gewichte,
Ergrimmt und rastlos, Schlag auf Schlag
Die Streiter wechselweis erschüttert,
Und rings umher den halben Hain zersplittert.
 
56.
    Allein, trotz ihrer Wuth, die jeder neue Streich
Mehr anzuflammen scheint, will's keinem doch gelingen,
Die kleinste Wunde nur dem Gegner anzubringen.
Umsonst erschöpfet ihr, erboßte Kämpfer, euch!
Des Sieges Wage steht auf beiden Seiten gleich:
Hält Idris durch den Schwung der stärksten aller Klingen
Den schweren Stahl wie Binsenrohr von sich,
So sieht er Itifalln fest gegen Hieb und Stich.
 
57.
    Sie sehn erstaunt sich an, indeß für neue Kräfte
Den Kampf verschnaubt, und trau'n den Sinnen kaum.
Mischt Zauberey sich ins Geschäfte?
Ist's Blendwerk? Wäre nicht der mattre Lauf der Säfte,
Der steife Arm, der ausgesogne Gaum,
Sie hielten's beide schier für einen bloßen Traum.
Doch, was es sey, sie sind entschlossen
Noch einen Gang zu thun, trotz allen Karabossen!Nahme einer häßlichen bösen Fee in einem Mährchen der Gräfin D'Aulnoy
 
58.
    Wie wenn aus Äols wildem Heer
Zwey von den wildesten, mit aufgeblasnen Backen,
Auf offner See sich bey den Flügeln packen;
Sie schütteln sich; es weht, von Ungewittern schwer,
Ihr wirbelnd Haar um Stirn und Nacken,
Und unter ihnen braust das aufgeschwollne Meer;
Die Nymfen fliehn in schüchternem Gewimmel,
Und aus dem Schlaf geschreckt schau'n Götter aus dem Himmel:
 
59.
    So stoßen, unerschöpft an Muth,
Mit angestrengtem Arm die Kämpfer auf einander.
Es fochten nicht mit größrer Wuth
Um ein entlaufnes Weib die Helden am Skamander;
Kein Amadis, kein KaloanderSo heißt der Held eines berühmten und in seiner Art vortrefflichen heroischen Romans des Marini, der mit dem berühmten Dichter Marino nicht verwechselt werden muß.
That mehr, als Itifall und als sein Gegner thut,
Um durch den Fall von einem unter beiden
Den edeln Wettstreit zu entscheiden.
 
60.
    Umsonst! Auf beider Schutz bedacht,
Scheint eine höh're Macht des Schattenkriegs zu spotten:
Sie kämpfen noch, da schon die braune Nacht
Die halbe Welt von Mohnsaft trunken macht,
Und Titans Zug, in Amfitritens Grotten,
Von seinem Tagewerk den Himmel durchzutrotten
Auf einer Lilienstreu verschnaubt,
Und aus der Nymfen Hand ambrosisch Futter raubt.
 
61.
    Doch, welch ein Wunder unterbricht
Das eitle Fechterspiel? – Ein Glanz, wovon die Quelle
Verborgen bleibt, ein überirdisch Licht,
Macht plötzlich um sie her die falben Schatten helle.
Bestürzt schaut Idris auf; doch Der im Tiegerfelle
Reicht lächelnd ihm die Hand und spricht:
Herr Ritter, wie ihr seht, taugt unser Streit zum Lachen
So wenig als zum Ernst; wir wollen Frieden machen!
 
62.
    Wir kennen uns nunmehr, und (stimmt ihr anders ein)
Soll diese Nacht, wiewohl mit Zwietracht angefangen,
Weil Amor euch mißfällt, der Freundschaft heilig seyn.
Wischt nur den Heldenschweiß von euern schönen Wangen
Und ruhet aus: ihr seht, wir haben Wein
Und was die Augen nur verlangen;
Auf Reisen, wo das Essen schmeckt,
Ist's seht bequem, wenn sich der Tisch von selber deckt.
 
63.
    Kaum spricht er aus, so steht, wie auf sein Winken,
Ein aufgeschmücktes Gastmahl da;
Die Schüsseln Gold aus Angola,
Die Tafel Elfenbein, der Fuß Korallenzinken;
Und, was Herr Itifall hierbey am liebsten sah,
Ein Schenktisch von Krystall, wo frische Weine blinken.
Die Helden setzten sich, nachdem sie sich geküßt,
Und essen ohne Scheu, was aufgetragen ist.
 
64.
    Um ihre Tafellust zu mehren,
Läßt unsichtbar, vermuthlich aus den Sfären,
Sich ein Koncert von Instrumenten hören.
So war das Glück der guten Feenzeit!
Die ganze Geisterwelt stand auf den Wink bereit;
Man ritt in einem Tag wohl tausend Meilen weit;
Nachts stieg ein Gnom herauf, im Wald euch aufzutischen,
Und Nymfen gab's in allen Büschen.
 
65.
    Der muntre Itifall, zur Freude stets gefaßt,
Und durch sein Glück verwöhnt, mit Amorn nur zu scherzen,
Bemerkt an seinem schönen Gast
Den unverhehlbaren Kontrast
Erzwungner Fröhlichkeit und innerlicher Schmerzen.
Zwar Idris lächelt auch, doch nur mit halbem Herzen;
Er scheint zerstreut, er seufzt und weiß es nicht,
Und starrt aus offnem Aug' als säh' er ein Gesicht.
 
66.
    Nun, junger Freund, was drückt euch auf der Brust?
Ruft Itifall ihm zu: wer wird bey vollen Flaschen
Von Perserwein, dem Geber froher Lust,
Dir Stirn in Falten ziehn und magre Grillen haschen?
Quält euch vielleicht ein zärtlicher Verlust,
So müßt ihr euer Hirn in diesem Lethe waschen!
Kein Seneka heilt halb so gut
Die Schmerzen des Gemüths als süßes Traubenblut.
 
67.
    Indeß begreif ich nicht was euch bekümmern kann.
Die junge Welt pflegt sonst aus schönen Augen
Das wollustreiche Gift verliebter Qual zu saugen,
Und gegen dieses Gift verwahrt kein Talisman.
Doch euch, den Nymfen selbst nicht zu verführen taugen,
Sogar im Bade nicht, was ficht euch Amor an?
Er wetzt umsonst an runden Marmorklippen
Den schärfsten Pfeil auf euch; der ritzt euch kaum die Rippen.
 
68.
    Wer mich für unempfindlich hält,
Betrügt sich, Itifall; (erwiedert unser Held
Und seufzt so schön dazu wie eine Turteltaube)
Mein Herz war, seit es schlägt, das zärtlichste der Welt,
Und meiner Amme Milch war Liebe, wie ich glaube:
Du weißt's, die mit mir wuchs, einsiedlerische Laube;
Ihr Grotten wißt's, in deren stillen Schooß
Mein junges Herz die ersten Thränen goß.
 
69.
    Wenn vor Auroren her die leichten Thränen fliegen,
Besuchte mich im Schlaf ein überirdisch Bild,
Worin ein Gott, sich selber zu vergnügen,
Was jenseits unsrer Welt die Allmacht kann, enthüllt.
Die ganze Schöpfung schien, von ihrem Glanz vergüldt,
Wie ein Elysium, rings um mich her zu liegen.
Ihr Athem, däuchte mich, goß Steinen Seelen ein,
Und ich – ich schien mir selbst nicht sterblich mehr zu seyn.
 
70.
    Stell' etwas schöners als die Tiziane kennen,
Mehr als den schönsten Traum der Fantasie dir vor,
Schwing dich zu einem Grad der Reitzungen empor,
Wovon die Seelen sich von ihren Leibern trennen,
Und alles, was wir schön und groß und göttlich nennen,
Das strahl' aus jedem Blick hervor;
So hast du doch von der, die meine Brust beseelet,
Nur einen Schattenriß, dem Farb' und Ausdruck fehlet.
 
71.
    Dieß himmlische Gesicht ließ andern Gegenständen
In meiner Seele keinen Raum:
Ich dachte nichts, ich sah an allen Enden,
Ich hört' und fühlte nichts, als meinen Göttertraum.
Wie vielmahl saß ich nicht, den Kopf in beiden Händen,
Beym Mondschein unter einem Baum,
Und überließ mich dem Entzücken,
In meiner Fantasie ihr Nachbild anzublicken!
 
72.
    Die Ungeduld das Urbild selbst zu sehn
Stahl mich zuletzt der Vorsicht des Druiden,
Der mich erzog. Ich strich durch Thal und Höh'n,
Vom Abendmeer zum Ost, vom Nord zum schwülen Süden;
Der Hoffnungstrieb, sie endlich auszuspäh'n,
Verkürzte meinen Weg und ließ mich nicht ermüden:
Ulysses hat in seinen Wanderjahren
Nicht mehr, als ich in mindrer Zeit, erfahren.
 
73.
    Doch, kurz zu seyn, nachdem der Frühling sich
Dreymahl verjüngt seitdem ich ausgezogen,
Nachdem ich manchen Himmelsstrich,
Manch fabelhaftes Land und manche See durchflogen,
Und sich mein zweifelnd Herz kaum mit sich selbst verglich,
Ob mich kein eitler Traum, ein Kind des Schlafs, betrogen,
Da mich die Hoffnung schon verließ;
Erschien der Augenblick, der mir die Göttin wies.
 
74.
    Zu mahlen was ich da empfunden,
Dazu hat kein Homer die Farben noch erfunden:
Ich stand, als würde mir der Himmel aufgethan.
O Tag, o froher Tag! o mehr als goldne Stunden,
In euch sah'n Götter nur mich ohne Mißgunst an!
Mein ganzes Wesen schien in einem Ocean
Von Freuden, welche noch kein Dichtermund besungen,
Kein Glücklicher gefühlt, zerflossen und verschlungen.
 
75.
    Ich sah sie, Itifall – welche eine Wonn' umfaßt
Dieß einz'ge Wort! – und sie erlaubte meinen Blicken,
Ja meinen Lippen selbst, Bewundrung und Entzücken
Zu ihren Füßen auszudrücken!
Man zeigte mir sogar, ich werde nicht gehaßt.
Zu meiner Wohnung ward ein schimmernder Palast
Von Sylfen aufgebaut, und bey den Lustbarkeiten
Sah mich der Hof fast stets an ihren Seiten.
 
76.
    Wie neidenswürdig schien mein Glück!
Doch, unterm Mond ist, leider! nichts vollkommen.
Ein unerbittliches Geschick
Hat mir sogar der Hoffnung Trost benommen.
Ach! warum mußte doch, Natur, dein Meisterstück
Aus deiner Hand nicht ganz vollendet kommen?
Um aller Götter Thron zu seyn,
Fehlt ihrer schönen Brust – der Liebesgott allein.

 << zurück weiter >>