Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

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53.
                Im Anfang ging es gut, das Schiffsvolk sang und schrie,
Die Luft war hell, die Winde günstig;
Drey Tage flohn vorbey wir wußten selbst nicht wie,
Denn niemahls liebten wohl Verlobte sich so brünstig.
Allein, am vierten Tag (den Tag vergeß' ich nie!)
Umzog der Himmel sich, die Luft war schwül und dünstig
Und still wie eine Gruft. – Wir dachten noch an nichts,
Da raubt' auf einmahl uns ein Sturm den Quell des Lichts.
 
54.
    Die Dichter haben schon so manchen Sturm beschrieben,
Daß ein Gemählde hier auch wohl entbehrlich däucht!
Wir wurden Tag und Nacht von Winden umgetrieben;
Doch, Herzen, die sich zärtlich lieben,
Wird, sind sie nur vereint, das größte Unglück leicht.
Inzwischen hatten wir das Ufer fast erreicht;
Wir unterschieden schon den Himmel und die Flur,
Als plötzlich unser Schiff an eine Sandbank fuhr.
 
55.
    In dieser Noth war unter unsern Leuten
Auf eigne Sicherheit ein jedes nur bedacht:
Mein Prinz allein wich nicht von meiner Seiten,
Und schwor, bis in die ew'ge Nacht
Des Todtenreichs mich freudig zu begleiten.
Er hatte mich am Mastbaum fest gemacht,
Und hoffte neben mir durch Schwimmen
Das nahe Ufer zu erklimmen.
 
56.
    Wir nahten schon dem Strand, der einer Zunge glich
Die weit hervor ins Meer sich reckte,
Als plötzlich ein Gebirg gezackter Wellen sich
Auf uns herunter stürzt' und mich und ihn bedeckte:
Es riß den Prinzen fort; vergebens kämpft' er, streckte
Vergebens aus der Flut die Arme gegen mich;
Er wurde durch den Schwall der aufgebrachten Wogen
Lang' auf- und abgewälzt, und meinem Aug' entzogen.
 
57.
    Vor Angst und Schmerz entseelt, empfand
Ich itzt mich selbst nicht mehr, und weiß sonst nichts zu sagen,
Als daß ich mich am muschelvollen Strand,
Wohin die Wellen mich vermuthlich hingetragen,
In eines Ungeheu'rs behaarten Armen fand.
Bey meinem Jammer kalt und stumm zu meinen Fragen,
Doch (schwor er) desto mehr von meinem Reitz gerührt,
Hat er mich mit Gewalt in dieses Schloß entführt.
 
58.
    Hier sah ich Frauenvolk durch Hof und Gärten streichen,
Geraubt, wie ich, und nun des Unholds Zeitvertreib:
Der obre Theil bis zu den schmalen Weichen
Versprach ein anmuthsvolles Weib;
Von ihrem Falle trug der Rest die schnöden Zeichen,
Ein langer Roßschweif schloß den viergebeinten Leib.
An jeder, welche sich zu seinem Willen schmieget,
Wird die verrathne Zucht auf diese Art gerüget.
 
59.
    Das Ungeheuer ließ kein Mittel unversucht,
Zu seinem Willen mich zu bringen:
Liebkosung und Gewalt blieb beides ohne Frucht;
Er fand, es lassen sich Prinzessinnen nicht zwingen.
Einst wollt' ich, weil er mir zur Flucht
Sonst jeden Weg versperrt, aus einem Fenster springen;
Zum Unglück hascht' er mich im Fallen noch beym Bein,
Und schloß mich in die Gruft, wo ihr mich fandet, ein.
 
60.
    Gut! rief Zerbin, was Dejanire sagt,
Scheint mir das Abenteu'r des Prinzen aufzuschließen.
Vermuthlich hat er sich in dieses Schloß gewagt,
Und seine Noth den Damen mit vier Füßen,
Die vor uns stehn, so rührend vorgeklagt,
Daß sie zu seinem Trost sich milder finden ließen
Als dem Centaur gefiel. So etwas muß es seyn! –
Ihr rathet unverschämt, fiel die Prinzessin ein:
 
61.
    Mein Prinz mir ungetreu? Er, der so oft geschworen,
Daß er für mich allein geboren,
Daß ich allein sein Herz zu rühren fähig sey,
Er, Dejaniren ungetreu?
Und hätt' ihn auch das schwesterliche Drey
Der Grazien zum Liebling auserkohren,
Ja Melusine selbst ihr Netz für ihn gespannt,
Sie hätten mir sein Herz, das glaubt mir, nicht entwandt.
 
62.
    Prinzessin, wie man sagt, so giebt's besondre Fälle,
Erwiedert lächelnd unser Hirt:
Das Herz kann schuldlos seyn, indem der Sinn verirrt.
Dieß trügt euch Damen oft, und manche MirabelleNahme einer Fee in dem bekannten Mährchen Biribinger.
Mißkennt der Inbrunst ächte Quelle,
Durch deren süße Wuth sie hingerissen wird.
Die Schönen dieses Hofs sind von bekannter Güte,
Und ihre Forderung ging schwerlich – aufs Gemüthe.
 
63.
    Auf allen Fall kann uns des Ritters Schwert
Der Sachen wahren Grund entdecken:
Ist euer Prinz getreu und eurer Liebe werth,
Und blieb sein Herz zum mindsten ohne Flecken,
So ist es leicht vom Schlaf ihn aufzuwecken.
Berührt ihn nur, Herr Ritter, wo das Pferd
Sich in den Mann verliert, dreymahl mit eurer Klinge,
Und wenn er schuldlos ist, so sehr wir Wunderdinge.
 
64.
    Die schöne Dejanir' erblaßt,
Da unser Held den Griff des Zauberdegens faßt.
Ihr schaudert innerlich. – Wie, wenn er Marmor bliebe?
Welch Unglück! Welche Schmach für ihre reinen Triebe!
Sie zieht ihr Kopftuch von Damast
Vor ihr Gesicht, und ruft im Übermaß der Liebe:
Könnt ihr ihn ja nicht ganz mir wieder geben,
So schenkt, ihr Götter, ihm – nur wenigstens das Leben!
 
65.
    Solch ein Gebet verdient erhört zu seyn.
Kaum rührt das Schwert ihn an, so reget sich der Stein,
Das neue Leben rauscht durch die erwärmten Glieder,
Die Lungen dehnen sich, die Augen sehen wieder,
Und sehn – Ah! täuschet mich ein Schein?
Ihr Götter! ruft er aus, und wirft beschämt sich nieder.
Doch Dejanire sieht (die holde Kreatur!)
Nicht den Centaur in ihm, sieht ihren Liebling nur.
 
66.
    Sie fliegt in seinen Arm und drückt ihn mit Entzücken
An ihr hoch schlagend Herz, so zärtlich, so verliebt,
Daß sie dem Prinzen Sorge giebt,
Sie möchte sich und ihn vor Zärtlichkeit ersticken.
Indem er mit der Hand sie sanft zurücke schiebt,
Beschaut er seitwärts sie mit halb geschloßnen Blicken
Vom Gürtel bis zum Fuß, und sieht (beschämt vielleicht,
Doch ohne Gram) wie wenig sie ihm gleicht.
 
67.
    Und nun beginnt er ihr umständlich zu erzählen,
Wie er den Strand erreicht, und dreymahl Tag und Nacht
Mit einem Schmerz, wozu ihm Worte fehlen,
Sein Liebstes auf der Welt zu suchen zugebracht.
Wie er hierher verirrt, und wie durch Zaubermacht
Sich eine Fee bemüht ihr seine Treu' zu stehlen;
Wie stark sie ihn versucht, wie streng er sie behandelt,
Wie grausam sie getobt, und – wie sie ihn verwandelt.
 
68.
    Ob sein Bericht durchaus so zuverlässig war
Als Dejanir' ihn nahm, das können wir nicht wissen.
Zwar hätte sich Zerbin die Lippen fast zerbissen,
Und lächelnd zog den Mund der Paladin sogar;
Allein das gute Kind fand alles sonnenklar,
Und gab sich viele Müh ihn gutes Muths zu küssen:
Sie schwor bey Amors Pfeil und bey Dionens Taube,
Daß sie zufrieden sey, und daß sie alles glaube.
 
69.
Ihr däucht sogar daß ihm sein Schweif recht artig stand,
Und daß kein Hirsch so schlanke Beine habe;
Kurz, ihrem Urtheil nach, war er ein feiner Knabe;
Je mehr sie ihn besah, je mehr sie Reitze fand.
Was ist so ungestalt, das Amors Zauberband,
So lang' der Irrthum dau'rt, mit Anmuth nicht begabe?
Sah nicht Titania in liebeskrankem Wahn
Den Esel Klaus für einen Sylfen an?Shakespeares Titania im St. Johannis Nachtstraum.
 
70.
    Daß seine Pferdgestalt den Prinzen mächtig ziere,
Gesteht Zerbin der Dame höflich ein;
Doch, ob der Hof zu Kaschemire
Bey seiner Wiederkunft die gleiche Meinung führe,
Das, meint er, möchte wohl noch eine Frage seyn.
Zum Wechsel eines Staats sey oft die Ursach' klein;
Ein Roßschweif, welcher einst das Waffenglück der Türken
Entschieden, könnte leicht des Prinzen Fall bewirken.
 
71.
    Mir scheint (so fuhr er fort) zu eurer Sicherheit
Der beste Rath, die Füße nicht zu sparen,
Zumahl da ihr so wohl beritten seyd.
Es wohnt ein Zauberer mit silbergrauen Haaren
Auf dem bewölkten Haupt des Atlas eingeschneit;
Ein Mann, der alles weiß, im Himmel so erfahren
Als wär' er da zu Haus; ihm sind im Ocean,
In Feuer, Erd' und Luft die Geister unterthan.
 
72.
    Den sucht und fragt um Rath; wenn der es thunlich findet,
Ist die Entzauberung des Prinzen leicht geschehn.
Dem fürstlichen Centaur scheint dieser Rath gegründet,
Und ohne Zeitverlust entschließt er sich zu gehn.
Die Schöne, von Begier entzündet,
Den alten Zauberer und seinen Bart zu sehn,
Dankt ihren Rettern sehr, springt auf des Prinzen Rücken,
Schlingt jeden Arm um ihn, und fliegt aus ihren Blicken.
 
73.
    Der Paladin, der nun sein ritterliches Amt
In diesem Schloß vollbracht zu haben glaubet,
Läßt alle übrigen der Wirksamkeit beraubet.
Von lechzender Begier, wie Tantalus, entflammt,
Wie Tantalus zum Durst am Quell der Lust verdammt,
Bewegungslos am Boden angeschraubet,
Steht oder liegen sie, und warten sehnsuchtsvoll
Bis einst der Ritter kommt der sie erlösen soll.
 
74.
    Hier streckt ein Faun den vollen Becher
Der Nymfe dar, die ihm zu Küssen winkt:
Vergeblich leert Kupido seinen Köcher
Aus ihrem Aug' auf ihn; der ungereitzte Zecher,
Dem Cyperns Most entgegen blinkt,
Gafft lachend ihr ins Aug' und – trinkt,
Doch in Gedanken nur; denn unvermuthet wehren
Die starren Nerven ihm den Becher auszuleeren.
 
75.
    Dort tanzen in vermischten Reih'n
Mit Chirons Brüderschaft halb nackende Mänaden,
Indeß nicht weit davon in frisch gepreßtem Wein
Zwey Satyrn ihre Kehlen baden:
Schnell stürzt des Weingotts Wuth sie in den Tanz hinein,
Und jeder faßt bey ihren runden Waden
Zwey Nymfen auf, hebt sie so hoch er kann;
Und lacht aus weitem Mund der That die er gethan.
 
76.
    Schnell überrascht, entgeistert sie
Des Zauberdegens Blitz: mit eitelm Widerstreben
Bleibt, Bildern gleich, die ganze Gruppe schweben;
Doch, glühenden Affekt und nachgeahmtes Leben
Gab Buonarotti selbst dem Stein von Paros nie.
Die Tänzer fliegen noch; mit angestrengtem Knie
Scheint jede Nymfe sich noch zappelnd los zu machen,
Und das getäuschte Ohr hört fast den Satyr lachen.
 
77.
    Dort hält ein junger Faun, von Sehnsucht glühend heiß,
Auf weichem Kanapee das schönste Kind umfangen;
Wie sträubt sie sich, die Blöde, die nicht weiß,
Daß Faunen nur durch Sträuben mehr erlangen.
Sie dreht den Kopf, und giebt, um Mund und Wangen
Ihm zu entziehn, den vollen Busen Preis:
Der Faun, mit diesem Tausch zufrieden,
Scheint eher sie als sich mit Küssen zu ermüden.
 
78.
    Sie seufzt, sie windet sich; doch mitten im Bemühn,
Den Unternehmungen des Feinds sich zu entziehn,
Der immer kühner wird, gebricht es ihr am – Willen.
Der Schlaue weiß die Kunst der Spröden Zorn zu stillen,
Und siegt, nach Parther Art, im Fliehn:
Schon sieht er matte Gluth ihr sterbend Aug' erfüllen,
Schon glitschen ihre Knie, schon sinkt ihr Arm zurück,
Und seinem Siege fehlt nur noch ein Augenblick.Das Original von diesem Gemählde befindet sich ungleich stärker gezeichnet und koloriert in Marino's Adone, C. VIII. 55, 59, 60.

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