Christoph Martin Wieland
Idris und Zenide
Christoph Martin Wieland

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Christoph Martin Wieland

Idris und Zenide

Ein romantisches Gedicht.

Fünf Gesänge 1767.

An Herrn P. R. in E.

Hier haben Sie dann, mein Freund, diesen Idris, für welchen Sie, aus einigen Probestücken, ein so günstiges Vorurtheil gefaßt haben. So wenig ich sonst für die Spiele meiner launischen Muse partheyisch bin; (Ihre Kunstrichter wissen, daß dieses kein bloßes Vorgeben ist) so gestehe ich Ihnen doch, unter uns, daß es mich eine kleine Überwindung kosten würde, wenn Ihnen das Ganze (wenn man anders diese fünf Gesänge ein Ganzes heißen kann) weniger gefallen würde, als was Sie davon schon gesehen haben. Indessen bleibt es dabey: Ihr und Herrn W** Urtheil soll entscheiden, ob Idris, so wie er ist, sich unter die Augen der Kenner wagen dürfe.

Sollte, wie mir eine geheime Ahnung sagt, Ihr Urtheil mehr meinen Wünschen, als vielleicht den Verdiensten meines irrenden Ritters entsprechen, so werden Sie mir, weil ich doch am meisten dabey Gefahr laufe, erlauben, meinen übrigen Freunden, oder wem dieses Gedicht sonst in die Hände fallen mag, vorher einige kleine Nachrichten zu geben, wodurch sie bewogen werden mögen, es mit einiger Nachsicht anzusehen.

Von den Kunstrichtern oder Journalisten (denn ich sehe, daß diese zween Namen bey unsern Landsleuten einerley Bedeutung haben) erwarte und erbitte ich keine Gelindigkeit. Ich habe mir bereits die Freyheit genommen, mich dieser Herren wegen in der neunten und zehnten Stanze des ersten Gesangs zu erklären. Alles, was ich noch hinzu sagen könnte, würde zu viel seyn. Ich bin, wie Sie wissen, seit einiger Zeit noch so ganz leidlich davon gekommen; und das ist alles, was ein Autor verlangen kann, der sich niemalen hat einfallen lassen, bey lebendigem Leibe schon zu einem classischen Schriftsteller erhoben zu werden. Ein Autor, sage ich? – Aber ist es denn so ausgemacht, daß ich in diese Classe gehöre, weil ich das Unglück oder die Schwachheit gehabt habe, von einigen meiner Aufsätze gedruckte Copeyen machen zu lassen? Folgt es so richtig daraus, daß ich deßwegen Prätensionen an die Welt mache, oder daß sie einige an mich zu machen hat? – Alles, mein Freund, was ich Ihnen hierüber sagen kann, ist, daß ich mich in diesem Stücke mit Priorn, einem meiner Lieblinge, in einerley Falle befinde. Ich kann, wie er, mit Wahrheit sagen, daß ich meine Gedichte publicire, wie Herr Jourdain beym Moliere seine Seidenzeuge verkaufte; er wollte für keinen Krämer angesehen seyn; er ließ nur einige Stücke für seine gute Freunde ausmessen. Ich sehe eben nicht, warum ich als Poet von Profession behandelt werden sollte, weil ich, in der That, von meiner Kindheit an, wider Willen und Dank meiner Obern, gerne Reime gehascht, und endlich auch, die Musen mögen wissen auf wessen Antrieb, Reime, und, mit Erröthen gesteh ich es, auch Hexameter habe drucken lassen. Die Wahrheit ist, daß ich, ungeachtet der Aehnlichkeit, welche mir eine eben so frühzeitige als heftige Leidenschaft für die Dichtkunst mit dem Ovid, Tasso, Pope, und andern großen Dichtern (worunter ich beynahe auch den Marino genennet hätte) zu weißagen schien, dennoch durch einen bloßen Zufall veranlaßt worden bin, einer so gefährlichen Neigung mehr nachzuhängen, als ich gethan hätte, wenn man im sechszehnten Jahre fähig wäre, zu denken, wie man zwanzig Jahre später gedacht zu haben wünschet. Zu gutem Glücke war die bis zum Lächerlichen übertriebene Strenge, womit gewisse damalige, zum Theil eben so jugendliche Kunstrichter die unreifen Ausgeburten eines jungen Menschen, der seinem Gefühl und seiner Einbildungskraft noch nicht gebieten konnte, zu beurtheilen würdigten, die schlimmste Folge meines damaligen Irrthums. Schlimmer hätte der allzupartheyische Beyfall einiger Freunde, und einer gewissen Art von Lesern, welche einen beträchtlichen Theil des Publici ausmacht, nach sich ziehen können. Allein, daß ich dieser Gefahr glücklich entgangen sey, beweisen die Urtheile, die ich selbst über meine jugendlichen Poesien, in der neuen Auflage, so im Jahr 1762. zu Zürich davon gemacht wurde, gefället habe, und, wie ich hoffe, meine neuern Versuche.

Indessen hat es sich eben so zufälliger Weise gefügt, daß diese angeborne Leidenschaft für die allzuverführerischen Künste der Musen, welche, zumal in Deutschland, so geschickt ist, ihren Besitzer in einem Hospital verdorren zu machen, in den Umständen, worein mich mein Schicksal gesetzt hat, wohlthätig für mich geworden ist. Sie ist die angenehmste Ergötzung meiner Erholungsstunden, und wenn ich so sagen kann, der Nepenthe, mit dem ich von Zeit zu Zeit ein süßes Vergessen der Mühseligkeiten des geschäftigen Lebens einschlürfe. Unterschiedliche Verhältnisse gestatten nicht, mich umständlicher hierüber zu erklären. Genug, daß der Stand und Beruf, worinn ich mich seit acht Jahren befinde, derjenige zu seyn scheint, der unter allen möglichen den stärksten Absatz mit den Neigungen und Beschäftigungen eines Dichters macht. Die Erfüllung meiner Pflichten legt mir Arbeiten auf, die nicht nur mit jenen nicht in der mindesten Verwandtschaft stehen, sondern durch eine natürliche Folge das Feuer des Genie nach und nach auslöschen, und endlich, bey fortdaurender Empfindlichkeit für die zauberischen Reizungen der Musen und der Grazien, ein trauriges Unvermögen, ihrer Gunstbezeigungen zu genießen, zurück lassen. In so unpoetischen Umständen bleibt mir wohl nichts übrig, als mir die seltnen und kurzen Besuche, die mir die Muse verstohlner Weise giebt, zu meinem eigenen Vergnügen so lange und so gut zu nutze zu machen, als – ich kann. So groß der Reiz ist, den diese Art von Ergötzung für mich hat, so kann ich doch kein Geschäfte daraus machen; kurz, mein Freund, ich bin gewissermaßen berechtigt, als ein bloßer Dilettante, dem es nicht einfällt, den Meistern der Kunst den Vorzug streitig zu machen, etwas mehr Nachsicht zu erwarten, als ein anderer, der die poetische Hederam vor sein Haus ausgehängt hat, oder dafür besoldet ist, ein Dichter zu seyn, oder wie Horaz in seinem Sabino, und Pope in seinem Twickenham dieser glücklichen Unabhängigkeit und Muße genießet, in welcher ein Mann von Genie den stolzen Gedanken haben kann, für die Unsterblichkeit zu arbeiten.

Die Kunstrichter schütteln, wie ich sehe, die Köpfe; ich ersuche sie, zu thun was sie wollen, und übrigens versichert zu seyn, daß ich, als ein Liebhaber der Kunst und des Schönen überhaupt, Ihnen allezeit für die Erinnerungen verbunden seyn werde, die mich lehren, wie ich es besser machen kann. Die Beobachtungen, die der weise Beurtheiler des Agathon in der allgemeinen Bibliothek gemacht hat, daß ich schneller arbeite, ist, mit seiner Erlaubniß, nichts weniger als richtig; wollte der Himmel, daß einige Leute nicht hastiger urtheilten, als ich arbeite. Es sind nun fünf Jahre, daß ich über diesen unwürdigen Idris an meinen Nägeln kraue; und wenige Journalisten in der Welt können sich eine Vorstellung von der unendlichen Mühe machen, die ich mir geben mußte, um diesem Gedicht das Ansehen von Leichtigkeit und die Politur zu geben, welche man, wie ich mir schmeichle, in den meisten Stanzen desselben nicht vermissen wird. Ich strebe nach Correction und nach einem so großen Grade von Vollkommenheit, als mir zu erreichen nur immer möglich seyn kann; nicht, um die armselige Belohnung davon zu tragen, dem großen Haufen, der seinen Tadel oder Beyfall durch fremde Machtsprüche bestimmen läßt, als ein unverbesserliches Muster angepriesen zu werden: sondern weil ich die Kunst liebe, und weil die Flecken in meinen eignen Werken, so bald ich sie gewahr werde, mein Auge wenigstens so sehr beleidigen, als des strengsten Kunsttadlers seine. Aus diesem Grunde, und aus diesem allein, wünsche ich von wahren Aristarchen beurtheilt zu werden; aus diesem Grunde würden Beurtheilungen meinen Dank erhalten, in denen, statt allgemeiner und in schallreichen Ausdrücken daher strömender Lobpreisungen, Grund gegeben würde, warum dieses schön, oder jenes tadelhaft ist – Doch, ich bitte die Kunstrichter um Vergebung, daß ich, unbedachtsamer Weise, mir das Ansehen gebe, als ob ich ihr Handwerk – denn so etwas scheint es doch bey vielen zu seyn – besser verstehe, als sie selbst. Was ich vorhin sagte, ist in der That ein bloßer Commentarius über die obbemeldte zehente Stanze, und ich erkläre mich ein für allemal, daß meine Absicht nicht ist, ein Hornissennest wider mich aufzureizen.

Nach diesen allgemeinen Vorerinnerungen, welche, wenn ich bitten dürfte, für diese und alle meine künftige Poesien (denn ich besorge selbst, daß mich die wunderliche Neigung, meine Grillen zu reimen, nur mit dem Athem verlassen wird) gelten sollten, habe ich von dem Idris selbst nur wenig zum voraus zu sagen. Daß es eine abentheurliche Composition von Scherz und Ernst, von heroischen und comischen Ingredienzien, von Natürlichem und Unnatürlichem, von Pathetischem und Lächerlichem, von Witz und Laune, ja sogar von Moral und Metaphysik, und doch bey allem dem weder weniger noch mehr als ein gereimtes Feenmährchen, und der Pendant zu den vier Facardins des Grafen Anton Hamilton ist: alles dieses, und noch viel andres, werden die Kenner ohne mein Erinnern bemerken, weil es wirklich das ist, was einem jeden zuerst in die Augen fallen muß. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, mein Freund, daß mich der Berggeist Capriccio, welchen der Graf Lemene so gut kannte, bey dieser Unternehmung weiter geführt hat, als ich anfangs zu gehen gedachte. Ich weis selbst nicht, wie mir der Einfall kam, einen Versuch zu machen, ob unsre Sprache nicht eben so wohl, als die Italiänische, zu Gedichten in ottave rime – aber zu bessern, als des alten Uebersetzers von Tassos Jerusalem – geschickt sey; und in wie weit es mir gelingen könnte, in einem solchen Versuch eben diejenige Art von Schönheiten zu bringen, welche uns unser vortrefflicher Landsmann Meinhard – auf dessen allzufrühes Grab ich hier eine freundschaftliche Thräne fallen lasse – an den besten welschen Dichtern kennen gelehrt hat, besonders diejenige, um derentwillen Ariost schon lange mein gewöhnliches Taschenbuch ist. Genug, ich hatte diesen Einfall; ich erfand mir ein Süjet dazu, welches dieser Art von Bearbeitung fähig wäre; ich ordnete einen Plan an; ich fieng endlich an zu arbeiten. Das Vergnügen, unzählige Schwierigkeiten zu überwinden, welche diejenigen sich selbst, wenn sie wollen vorzählen mögen, denen unsere Sprache und der Mechanismus dieser Art von Versen bekannt ist, reizte mich unvermerkt, ein größeres Stück von meinem Entwurf auszuführen, als ich anfangs wagen durfte mir vorzusetzen; und das gieng so lange fort, bis endlich diese fünf Gesänge zu Stande kamen, welche nunmehr zeigen werden, in wie weit mir meine Absicht gelungen ist.

Die Schwierigkeiten, deren ich erwähnte, würden unüberwindlich gewesen seyn, wenn ich mir in der Länge und Kürze der Zeilen, und in der Vermischung derselben, nicht eine Freyheit erlaubt hätte, welche die Natur unserer Sprache zu erfordern schien. Ich fand aber bald, daß dasjenige, was anfangs ein Werk der Nothwendigkeit gewesen war, eine reiche Quelle von musikalischen Schönheiten sey, wodurch die Monotonie der welchen ottave rime, welche in unsrer Sprache aus bekannten Ursachen ungleich weniger erträglich gewesen wäre, glücklich vermieden, und ein weit vollkommnerer Rhythmus, eine immer abwechselnde, oft nachahmende, und allezeit das Ohr ergötzende Harmonie in diese Versart gebracht werden könne: kurz, daß das Mechanische meiner Stanzen dadurch einen wirklichen Vorzug vor den Italiänischen erhalte. Ob Kenner eben so davon urtheilen werden, wird die Zeit lehren. Ich meines Orts wünschte etwas dazu beytragen zu können, den mechanischen Theil unsrer Poesie schwerer, und, wo möglich, so schwer zu machen, daß neunzehn Zwanzigtheile von meinen geliebten Brüdern in Apollo sich gelegenheitlich entschließen müßten, in Prosa zu schreiben, oder auch gar nicht zu schreiben, wenn sich eine andere Art von Beschäftigung oder Zeitvertreib für sie ausfündig machen lassen sollte.

Die Wahl des Süjet dieses Gedichts zu rechtfertigen, möchte vielleicht schwerer fallen. Ein Feenmährchen in fünf Gesängen, oder vielmehr, wenn es vollendet werden sollte, in zehen, wird in vieler Augen anstößig genug seyn. Und doch ist der Orlando Furioso, der Stolz und die Lieblingslectur der Welschen, im Grunde nichts anders, als eine Kette in einander geschlungener Feenmährchen. Wem dasjenige, was ich hierüber in der dritten und sechsten Stanze gesagt habe, kein Genüge thut, dem habe ich weiter nichts zu sagen. Ihnen aber, mein Freund, darf ich wohl im Vertrauen entdecken, daß ich, aus Gründen, von welchen mir leicht seyn sollte, ein hübsches dickes Buch zu schreiben, von Doctor Swiftens Motto, vive la baggatelle, in dem ganzen mir wohl bekannten Umfang desselben nicht wenig halte. Es giebt Mährchen, in denen bey allem Ansehen von Ungereimtheit und Frivolität, ein gut Theil mehr gesunde Vernunft steckt, als in hundert sehr ernsthaften Folianten und Quartbänden, die, mit dem Bildniß ihres Verfassers in einer feyrlichen Perücke gezieret, mit einem eben so feyrlichen Titel, die Erwartung des leichtgläubigen Lesers ganze Alphabete durch betrügen. Indessen gestehe ich Ihnen doch gerne, mein Freund, daß ich dieses Spielwerk, mit dem ich seit etlichen Jahren mich in verlornen Stunden amüsirt habe, ungeachtet aller der moralischen, psychologischen, gynäkologischen, politischen und sogar theologischen Weisheit, die darinn verborgen liegt, für nichts bessers gebe, als es ist, für eine Kleinigkeit, deren Verfasser deßwegen keinen Anspruch an einiges wirkliches Verdienst um die menschliche Gesellschaft zu machen hat; und eben darum hoffe ich auch, sehr leicht Verzeihung zu erhalten, daß Idris ein Fragment ist, und es vermuthlich so lange bleiben wird, bis sich etwan einmal drey Kunstrichter und drey Prüden mit einander einverstehen sollten, in einer namentlich unterzeichneten Bittschrift mich um die Ergänzung desselben zu ersuchen. Ich bin u. s. w.

B. den 30. des Brachmonats 1768 W.

Vorrede
 
Erster Gesang
 
Zweyter Gesang
 
Dritter Gesang
 
Vierter Gesang
 
Fünfter Gesang
 


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