Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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3.

Das Land, worauf sich Koxkox befand, war durch die besagte Überschwemmung zu einer Insel geworden. Nach einiger Zeit hatte die Erde wieder angefangen, eine lachende Gestalt zu gewinnen; junge Haine kränzten wieder die Stirne der Berge, und diese Haine wimmelten in kurzer Zeit wieder von Papagayen und Kolobri's; die Fluren, die Thäler waren voll Blumen und fruchttragender Gewächse; – kurz, da er nun immer weniger Schwierigkeiten fand sich fortzubringen, würde sich sein Herz der Freude wieder haben öffnen können: wenn die Einsamkeit, welche keinem Menschen gut ist, für einen Menschen von sechzehn oder siebzehn Jahren nicht beynahe eben so entsetzlich wäre, als für den einsiedlerischen Talapoin – welcher, um desto ruhiger der Betrachtung des geheimnißvollen Nichts (des Ursprungs und Abgrunds aller Dinge, nach Fohi's Grundsätzen) obzuliegen, sich dreyßig ganzer Jahre aus aller männlichen und weiblichen Gesellschaft verbannt hatte – der beleidigende Anblick eines nymfenähnlichen Mädchens, das sich in seine Wildniß verirrt hätte.

Die Einsamkeit – ich meine hier eine solche, welche nicht von unserm Willen abhängt, und in einer gänzlichen Beraubung aller menschlichen Gesellschaft besteht – muß für Menschen, die an die Vortheile und Annehmlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens gewöhnt sind, ein unerträgliches Übel seyn. Freylich nicht für alle in gleichem Grade. – Der Dichter, der Platonist, der schwärmerische Liebhaber, es sey nun daß er in eine materielle oder unsichtbare Schönheit verliebt ist, kurz die Penserosi aller Gattungen und Arten, entreißen sich oft freywillig dem Getümmel der Städte, fliehen aufs Land, in einsame Schatten, in wilde Gegenden, wo überhangende Felsen, finstre Wälder, fern her schallende Wasserfälle, die süße Schwermuth unterhalten, welche das Element einer begeisterten Einbildung ist. Solche Leute würden sichs, wenigstens eine Zeit lang, auf einer einsamen Insel gefallen lassen können. Wenn sie anfingen das Leere ihres Zustandes zu fühlen, wie viele Hülfsmittel würde ihnen ihre Einbildungskraft darbieten! Sie würden Berge und Haine und Thäler mit eingebildeten Wesen ausfüllen; sie würden mit den Nymfen der Bäche, mit den Dryaden der Bäume Liebesverhältnisse unterhalten; und wenn auch dieses Mittel nicht immer hinlänglich wäre, die Forderung der Natur und des Herzens zu befriedigen, so würde es doch schon genug seyn, um sie zuweilen einzuschläfern und durch angenehme Träume zu täuschen; – und alle Bonzen und Bonzinnen auf beiden Seiten des Ganges wissen, »daß angenehme Träume sehr viel sind, wenn man nichts substanzielleres haben kann.«

Aber der arme Koxkox hatte keinen Begriff von diesen Mitteln sich die Einsamkeit zu versüßen. Das Volk, welches in den Gewässern des Kometenschweifes ersäuft worden war, hatte sich noch in den ersten Anfangsgründen des geselligen Standes befunden. Zufrieden mit den freywilligen Geschenken der Natur hatten sie noch wenig Gelegenheit gehabt, ihre Fähigkeit zur Kunst zu entwickeln. Ihre Einbildungskraft schlummerte noch, und ihre Sprache war nur sehr wenig reicher und wohlklingender als die Sprache der wilden Truthühner, womit ihre Wälder angefüllt waren. Die Erziehung, welche Koxkox unter einem solchen Völkchen genossen hatte, konnte ihm also wenig oder gar nichts helfen, die Beschwerlichkeiten des verlassenen Zustandes, worin er sich befand, zu erleichtern. Hingegen ersetzte sie ihm auf einer andern Seite wieder, was auf dieser abging; sie verhinderte ihn das Elend seines Zustandes zu fühlen.


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