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Eine unvermutete Zusammenkunft, und Nachrichten aus Jemal
Indem der gute Danischmend, voll von dem, wovon er an diesem merkwürdigen Tage Zeuge gewesen war, und sehr vergnügt mit dem Ausgange seines Abenteuers, nach Hause eilte, sah er im Vorübergehen einen schönen rüstigen jungen Mann vor der Pforte eines Karawanserai stehen, dessen Kleidung ihn stutzen machte; denn es war die gewöhnliche Tracht der Landleute in Jemal. Er blieb stehen und betrachtete ihn mit immer steigendem Interesse; sein Herz schier, ihm zu sagen, du kennest diesen Menschen. Auch der Fremde, der ihn nicht sogleich bemerkt hatte, stutzte über Danischmends Aufmerksamkeit auf ihn: aber kaum hatte er ihn recht ins Auge gefaßt, lief er mit offnen Armen auf ihn zu. »Seh ich recht?« rief er: »ist's möglich? Find ich hier so unverhofft meinen alten Freund und Wohltäter wieder, dessen Verlust alle guten Menschen in Jemal zu beklagen nie aufgehört haben, seit dem Unglückstage da er sich von uns entfernen mußte? Kennest du den jungen Faruk nicht mehr, den du einst liebtest, und dem du beim Abschied einen so großmütigen Beweis davon gegeben hast?«
Danischmend brauchte nicht mehr, um sich seiner aufs lebendigste zu erinnern, wiewohl die seit ihrer Trennung verflossenen Jahre aus dem damals kaum aufgeblühten Jüngling einen stattlichen jungen Mann gemacht hatten. Ihre beiderseitige Freude über dieses unverhoffte Wiederfinden war unbeschreiblich, und Danischmend hatte daher wenig Mühe den ehrlichen Faruk dahin zu bringen, daß er sich sogleich wieder mit ihm auf den Weg begab, um Perisadeh die Freude, die ihr sein Wiedersehen machen mußte, keinen Augenblick länger, als unvermeidlich war, vorzuenthalten.
Indem sie nun so zusammen gingen, war natürlicher Weise Danischmends erste Frage: was für ein Zufall ihn aus Jemal nach Dehly gebracht habe? »Es müssen seltsame Dinge vorgegangen sein«, sagte er, »um diese Zusammenkunft, die ich kaum meinen Augen glauben kann, möglich zu machen.«
»Ja wohl seltsame Dinge«, versetzte Faruk: »und noch viel leidiger als seltsam, wie du sogleich hören sollst.«
Und nun fing er an, ihm von allem, was sich seit Danischmends Entfernung in Jemal zugetragen, eine Erzählung zu machen, die sich mehr durch Umständlichkeit als Ordnung empfahl, aber durch die Lebhaftigkeit der Darstellung, wozu die Augen und Hände und beinahe alle Gliedmaßen des Erzählers das Ihrige reichlich beitrugen, zu einem immer währenden Gemälde nach dem Leben wurde, und wovon wir, da uns dieses Mittel sie interessanter zu machen fehlt, einen bloßen Umriß für unsere Leser mehr als hinlänglich halten.
Der Kalender Hakim-Alhafi war nicht wenig mißmütig, als er bei seiner Zurückkunft aus Kischmir seinen schönen Plan auf Danischmends Freiheit und Eigentum gescheitert sah. Aber dieser Unfall verdoppelte nur seinen Eifer die übrigen Entwürfe auszuführen, wodurch er sich dem hoffärtigen, wollüstigen und habsüchtigen Feridun notwendig zu machen gewußt hatte. Ein Teil dieser Unternehmungen kam in kurzer Zeit zu Stande: die törichten Jemalitter eilten in die Wette, ihr Entbehrliches gegen zierliche Schleier, Leibgürtel, Hals- und Armgeschmeide und andere solche Kindereien auszutauschen, womit Feriduns neu eröffnete Bude reichlich versehen war. Zu gleicher Zeit teilten die drei Kalender und die ehmalige Pagodentänzerin allen, welche an ihrem Umgang Vergnügen fanden, unvermerkt ihre ausschweifende Sinnesart und verderbten Sitten mit, und Unschuld, Fleiß, häuslicher Sinn und häusliche Tugenden nahmen in eben der Maße ab, wie die Bewohner und Bewohnerinnen der jemalischen Täler unter den Händen dieses losen Gesindels sich verfeinerten, wie sie es nannten.
Ein großer Teil ihrer Weiber und Töchter opferte dem eiteln Vergnügen sich heraus zu putzen, und der Begierde zierlich tanzen, die Liedchen des Kalenders Alfaladdin singen und die Instrumente der Bayadere spielen zu lernen, die Pflichten auf, von deren Erfüllung der Wohlstand ihrer Familien abhing. Unvermerkt steckte das Beispiel der ersten, die sich zu dieser neuen Lebensweise hatten verführen lassen, auch ihre Nachbarn an; die weniger vermögenden suchten es den wohlhabendem so gleich zu tun als es nur immer angehn wollte; und viele, die sich ehmals im vollen Genuß des Notwendigen glücklich gefühlt hatten, schränkten sich itzt im Unentbehrlichen ein, um nicht ärmer zu scheinen als andre, und sich eingebildete Bedürfnisse anzuschaffen, durch deren Mangel man sich itzt beinahe einer größern Verachtung aussetzte, als womit in den Zeiten der Einfalt und Unschuld unsittliche Handlungen bestraft worden waren.
Die natürlichen Folgen einer so verkehrten und zu den Umständen der Jemalitter so übel passenden Verfeinerung konnten nicht ausbleiben. In wenig Jahren fand sich mehr als die Hälfte dieses kleinen Volkes auf einen Grad von Dürftigkeit herunter gebracht, daß ihnen kein anderes Mittel übrig blieb, als sich denjenigen, welche nach und nach ihr Vermögen an sich gezogen hatten und nun die Reichen hießen, zu einer Art von Sklaven zu verdingen, um durch übermäßige Arbeit kärglich zu verdienen, was ihnen vordem ein mäßiger Fleiß in Benutzung ihrer kleinen Erbgüter viel reichlicher verschafft hatte. Der Anblick des üppigen und schwelgerischen Wohlstandes der Reichen machte die Unglücklichen, die noch vor kurzem ihresgleichen gewesen waren, um so viel elender, da die Gewinnsucht dieser Gefühllosen ihre Dürftigkeit selbst zu einem Zwangsmittel, ihnen einen immer geringern Lohn ihrer Arbeit abzudringen, zu machen wußte, und ihnen also alle Möglichkeit abschnitt, sich jemals aus ihrem Elend heraus zu arbeiten. – Und so wurde denn das in seiner Unwissenheit einst so glückliche Jemal in wenig Jahren ein unseliger Schauplatz aller Laster, die der Luxus unter einem kleinen Volke ausbrütet, das sich ehmals für reich hielt, weil es sich nie arm gefühlt hatte; und bösartige, menschenfeindliche Leidenschaften, die Kinder einer ungerechten und grausamen Ungleichheit, verwirrten und zerrütteten eben diese nicht mehr friedsamen Täler, worin vordem ein allgemeiner Brudersinn aus mehr als fünftausend Familien nur eine einzige machte.
»Alle diese Übel«, rief Danischmend, »sagte ich ihnen voraus; sagte ihnen wenigstens so viel davon, als sie, wie ich glaubte, verstehen könnten. Aber sie verstanden mich so wenig als Kinder, die man, durch Androhung einer Krankheit, von welcher sie noch keinen Begriff haben, von schädlicher Nascherei abschrecken will. Eine traurige Erfahrung mußte ihnen meine Wahrsagungen verständlich machen, und sie den Wert der Güter schätzen lehren, die sie so leichtsinnig um die nichtswürdigen Werkzeuge ihres eigenen Verderbens hingaben.«
»Zu dieser Erkenntnis ist nun der größte Teil meiner verführten Brüder gekommen«, sagte Faruk: »aber, was ich zu deiner Beruhigung nicht länger verschweigen darf, eine nicht unbeträchtliche Anzahl, an deren Spitze deine ehmaligen Nachbarn und Freunde stehen, haben sich von den ausländischen Sitten und Lastern, und von der Ansteckung, die sich aus Feriduns Hause über unser ganzes Ländchen verbreitete, immer rein erhalten. Dein Geist, weiser und guter Danischmend, ist nie ganz von uns gewichen; dein Bild, das Andenken deines unter uns geführten Lebens, deiner Reden, deiner Handlungen, alles des Guten, das du uns getan hast, war immer auf den Lippen deiner Freunde; deine Grundsätze haben uns stark gemacht, uns mit vereinigten Kräften dem Strom entgegen zu dämmen, haben uns Mut eingeflößt, unser zerrüttetes Vaterland zu retten; und hätten meine Brüder hoffen können, daß ich dich in Dehly wieder finden würde, so bin ich gewiß, sie würden sich zu Wiederherstellung der Ordnung und Ruhe in Jemal keinen andern als dich von dem großen Beherrscher des ganzen Indostan ausgebeten haben.«
»Dies ist also das Geschäft, das dich nach Dehly geführt hat?« – sagte Danischmend. »Schach-Gebal, der kaum weiß daß ihr in der Welt seid, und sich um euer kleines Ländchen gerade so viel bekümmert als um einen Maulwurfshaufen, der soll euch wieder zusammenflicken? Welch ein Einfall!«
»Wie? Der große Sultan von Indien, der uns mit Einem Worte helfen kann, sollt es nicht wollen?« rief der bestürzte Faruk. »Ich hätte diese weite Reise vergeblich gemacht, und müßte wie ein Tor zu meinen Brüdern zurückkehren? Unmöglich! Du bist, wie ich mich noch ganz wohl erinnere, immer kein Freund der Sultane gewesen« –
»Schach-Gebaln, den einzigen den ich persönlich kenne, ausgenommen«, sagte Danischmend lächelnd: »denn der ist, für einen Sultan, wirklich kein schlimmer Mann. Aber wer hat euch auf diesen guten Einfall geholfen, Faruk?«
»Ich muß gestehen«, erwiderte Faruk, »daß ich selbst derjenige bin, der ihn gehabt hat, wie es nun auch ausfallen mag.«
»Und was veranlaßte dich zunächst dazu, wenn ich fragen darf?«
»Das ist's was ich dir noch von unsern Geschichten zu erzählen habe, bester Danischmend. Schon vor Jahr und Tag ging die Rede aus einem Ohr ins andere, Feridun brüte über dem Anschlag, die mancherlei Händel und Unordnungen, von welchen man in den Dörfern, wo seine meisten Anhänger und Dienstleute wohnten, fast alle Tage hörte, zum Vorwande zu nehmen, um sich vom Könige zu Kischmir (dem wir bisher für unsre Unabhängigkeit einen kleinen jährlichen Tribut bezahlten, wie du weißt) zum Befehlshaber über Jemal erklären zu lassen, wovon, dank seinen Fabriken, seinem Alleinhandel und der Torheit meiner Landsleute! bereits der dritte Teil als Eigentum in seinen Händen war. Dies hätte uns noch gefehlt, um unsre Ausartung und Herabwürdigung zu vollenden. Du kannst dir leicht vorstellen, daß die Kalender sich nicht träge finden ließen, diese Maßregel unserm Volke als das einzige Mittel, unser Glück wieder herzustellen und fest zu gründen, anzupreisen; so wie der ehrliche Kassim, ich, und die übrigen Freunde der guten alten Sitte, alle unsre Kräfte aufboten, ihnen entgegen zu arbeiten. Unvermerkt hatten wir zwei Parteien im Lande, die, wie es zu gehen pflegt, bei ihren gelegenheitlichen Debatten über diesen Punkt, nicht immer in den Grenzen der Mäßigung blieben. Feridun sparte indessen, auf Anraten des alten Kalenders, nichts, um seinen Anhang überwiegend zu machen, und sich der Gunst des ärmern Teils derjenigen, die noch nicht gänzlich von ihm abhingen, zu versichern. Er gab von Zeit zu Zeit öffentliche Volksfeste, teilte Spenden aus, und bemühte sich vorzüglich die Weiber durch kleine Geschenke aus seinen Warenkammern auf seine Seite zu bekommen. Es ging sogar die Rede, seine würdige Gemahlin, die Tänzerin, hätte, mit seinem Vorwissen, die Stimmen einiger Reichen, welche sich bisher zu unsrer Partei gehalten hatten, durch Gefälligkeiten erkauft, die, was auch sonst ihr Wert sein mochte, wenigstens ihrer Tugend nichts kosteten. Nachdem er sich auf diese Art einer großen Mehrheit versichert zu haben glaubte, sollte nun unverzüglich zur Ausführung seines Plans geschritten werden: und schon war der Tag zu einer allgemeinen Volksversammlung angesetzt, in welcher die Absendung einiger Deputierten beschlossen werden sollte, um Feriduns ehrsüchtiges Gesuch im Namen des sämtlichen Volks von Jemal am Hofe zu Kischmir zu unterstützen; als eben derjenige, der die Seele aller dieser schändlichen Anschläge war, durch seine Torheit die Ursache ihres Mißlingens werden mußte.«
Die Begebenheit, in deren Erzählung der redselige Faruk sich itzt einließ, lag ihm mit allen ihren Umständen noch so frisch im Sinne, und war, ihrer Folgen wegen, in seinen Augen von solcher Wichtigkeit, daß wir ihn hier abermals unterbrechen müssen, um seine für unsern Zweck allzu weitläufige Darstellung in die möglichste Kürze zusammen zu ziehen.
Der Kalender Hakim – dessen Grundsätze, seiner anscheinenden Harmlosigkeit und wenigen Ansprüche ungeachtet, uns gleich anfangs nicht viel Löbliches von ihm erwarten ließen, wofern es ihm bei Gelegenheit einfallen würde, die Rolle eines bloßen Zuschauers mit einer tätigen zu vertauschen, – dieser schlaue Heuchler hatte sich, von dem Augenblick an, da er in Feridun ein taugliches Werkzeug zu seinen Absichten erkannte, einen kleinen Plan ausgedacht, ohne große Mühe und ohne etwas dabei zu wagen, sich in den Besitz aller der Vorteile zu setzen, um derentwillen ein Mensch seines Gelichters hätte wünschen mögen, unumschränkter Sultan von Jemal zu sein. Am Namen und äußerlichen Prunk war ihm nichts gelegen; im Gegenteil fand er es vermutlich viel bequemer und lustiger, unter der Maske eines Kalenders, Sultan, als, wie so mancher Herrscher in Asien, unter dem Namen und äußerlichen Ansehen eines Sultans, die Drahtpuppe irgend eines Kämmerlings, einer Favoritin oder eines Kalenders zu sein. Das kleine Projekt, sich Danischmends Besitztümer zuzueignen, paßte zu gut in diesen seinen Hauptplan, als daß er die Gelegenheit, die sich dazu anbot, hätte versäumen sollen: als es aber unverhoffter Weise verunglückte, fand er sich um so leichter in diesen kleinen Unfall, da er an Feridun, seinen beiden jüngern Ordensbrüdern und der schönen Narissa so geschmeidige, so ganz zu seinen Absichten passende Gehülfen besaß, daß es nur ein Spiel für ihn war, sie, indem sie bloß ihre eigenen Zwecke zu verfolgen glaubten, zu blinden Werkzeugen der seinigen zu machen.
In kurzer Zeit hatte er es so weit gebracht, daß er alles was Feridun besaß als sein Eigentum betrachten durfte, daß er, mit Hülfe seiner Partei, alles machte was er wollte, und daß er auf die Hälfte der Weiber in Jemal eben so sicher rechnen konnte, als ob er sie in einem einzigen Harem unter seinem Schlüssel gehabt hätte.
Durch was für einen mächtigen Talisman der alte Sünder sich eine so große Gewalt über die schönen Jemalitterinnen zu verschaffen wußte, konnte Faruk seinem Freunde nicht recht deutlich machen – genug, die Sache selbst war mehr als zu gewiß; und (was nicht weniger wunderbar scheinen könnte) Hakim besaß auch ein Mittel, die Wachsamkeit der Männer einzuschläfern, und sich seiner sultanischen Vorrechte so geschickt zu bedienen, daß, indem immer einer sich über die treuherzige Blindheit des andern lustig machte, doch mehrere Jahre lang keiner auf den Argwohn geriet, daß es ihm selbst nicht besser gehe wie den übrigen.
»Allzu großes Glück bei einem gefahrvollen Handwerke macht endlich sicher, und Sicherheit unvorsichtig. Der alte Kalender gewöhnte sich unvermerkt so sehr daran, bei jedem seiner Freunde und Bekannten zu Hause zu sein, daß der eine und andere endlich Verdacht zu schöpfen anfing. Unter diesen befand sich auch ein gewisser Badur, dessen du dich vielleicht als eines angesehenen Mannes erinnerst, und dessen Gemahlin nach der reizenden Narissa für die schönste Frau in Jemal gehalten wurde. Sinan, der Leiermann und Liedermacher, glaubte sich schon ziemlich hoch in ihrer Gunst geschwungen zu haben, als er sich plötzlich genötigt fand seine Ansprüche aufzugeben, und zuzusehen, wie der unaufhaltbare Hakim sich eines Herzens bemächtigte, welches er durch den Zauber sein Lieder beinahe schon gewonnen hatte.
Sinan, der sich schon mehrmals in ähnlichen Fällen wie ein kluger Mensch betrug, unterlag dieser neuen Probe seiner Geduld. Von wütender Rachgier aller Besonnenheit beraubt, entdeckte er dem eifersüchtigen Badur das geheime Einverständnis zwischen Hakim und der schönen Zemrud, und gab ihm Anweisung, wie er sich mit eigenen Augen von der Treulosigkeit seines Weibes und seines vermeinten Freundes überzeugen könnte. Badur überfiel die Unglücklichen in einem Augenblicke, da sie am sichersten zu sein glaubten, und beide wurden ohne Schonung seiner Rache aufgeopfert.«
Der Tumult, den dieser tragische Auftritt in Badurs Hause erregte, teilte sich bald der ganzen Nachbarschaft mit, und in wenig Stunden lief die darüber entstandene Bewegung durch alle Gemeinen von Jemal. Feridun und seine Getreuen eilten wütend herbei, den Tod ihres Freundes zu rächen: aber Badur, von allen seinen Verwandten umgeben, und durch einen Teil der Gegenpartei Feriduns verstärkt, setzte ihnen einen Widerstand entgegen, der sie, nach einem hartnäckigen und blutigen Gefechte, die Flucht zu ergreifen nötigte.
Das stumme Entsetzen, das die Jemalitter beim Anblick ihrer erschlagenen und verwundeten Brüder überfiel, verwandelte sich in wenig Augenblicken wieder in die heftigste Wut.
Die Luft ertönte von Verwünschungen aller derer, die man mit Recht als die Urheber dieser Greuel betrachtete; der größte Teil der Familie, die es mit Feridun gehalten hatten, schlug sich itzt zu seinen Gegnern; tausend Klagen und Beschwerden, die aus Furcht vor einem so reichen und viel vermögenden Manne bisher verstummen mußten, wurden laut; die Gärung unter dem von allen Seiten zusammen laufenden Volke nahm überhand, und die Stimme der wenigen, die es zu beruhigen suchten, wurde vom wilden Geschrei nach Rache verschlungen. Flutenweise strömte die tobende Menge unter gräßlichen Drohungen auf die Wohnung des verhaßten Feridun zu, der kaum noch Zeit gewann, sich nebst den schuldigsten von seinen Anhängern, während ihre Häuser und Magazine ausgeplündert wurden, durch eine schleunige Flucht in die Gebirge zu retten.
So bald der erste Sturm sich gelegt hatte, traten die Ältesten des Volks mit den Angesehensten unter der bisherigen Gegenpartei zusammen, um sich über die Mittel zu beratschlagen, wie die alte Verfassung ihres Vaterlandes wieder hergestellt werden könnte: und da sich, zu ihrer großen Bestürzung, ein Gerücht verbreitete, Feridun habe sich an den Hof zu Kischmir gewandt, und werde in kurzem mit bewaffneter Macht zurück kommen, um im Namen des Königs Besitz von Jemal zu nehmen; so trug Faruk darauf an, daß sie unverzüglich einen wackern Mann aus ihrem Mittel an den Kaiser zu Dehly absenden sollten, um sich und ihr Land unter seinen unmittelbaren Schutz zu legen, und sich einen weisen Mann von ihm zu erbitten, der ihre zerrütteten Angelegenheiten wieder in Ordnung brächte, und, unter des Kaisers höchster Autorität, so viel möglich auf den ehmaligen Fuß zurück setzte.
Dieser Vorschlag wurde vom Volke genehmigst, und die Ausführung dem Faruk selbst aufgetragen. »Und nun« (setzte dieser hinzu) »wirst du begreifen, lieber Danischmend, warum ich sagte, meine Brüder, die sich itzt deiner Warnungen und Vorhersagungen lebhafter als jemals erinnerten, würden sich gewiß keinen andern von dem großen Sultan erbeten haben als dich, wenn sie gehofft hätten, daß ich dich zu Dehly finden würde. Auch bin ich gesonnen, es nun eigenmächtig zu tun, da ich versichert sein kann, mir dadurch allgemeinen Dank von ihnen zu verdienen.«
»Diesen Gedanken gib auf, Bruder«, sagte Danischmend, »wenn es dir wirklich Ernst ist, daß ich mit dir nach Jemal zurück gehen soll. Ich kenne den Sultan besser; denn wiewohl ich dermalen nur ein armer Korbmacher bin« –
»Du, ein Korbmacher?« unterbrach ihn Faruk mit Bestürzung –
»Ein Korbmacher, Dank sei dem ehrlichen alten Kassim! der sich hoffentlich noch wohl befindet, wenn anders die gute Zeineb nicht unter der Hälfte der jemalischen Weiber ist, aus denen, wie du sagtest, der alte Kalender sich einen Harem, wie noch kein Sultan gehabt hat, zusammen setzte?«
»Sei ruhig«, sagte Faruk lachend: »so weit ist es nicht mit ihr gekommen! – Aber was für Unfälle, lieber Danischmend, haben dich dahin gebracht« –
»Du sollst alles erfahren, guter Faruk! Jetzt wollt ich dir nur sagen, daß ich, ungeachtet meiner Korbmacherei, mit dem Sultan in einem gewissen Verhältnisse stehe, wodurch ich dir vielleicht in deiner Angelegenheit förderlich sein kann.«
»Desto besser!« erwiderte Faruk. »Man hat mir hier gesagt, wenn ich ein Geschäft beim Kaiser hätte, so wäre der kürzeste Weg, mich an den Imam der Sultanin zu wenden.«
»Diese Mühe kannst du dir ersparen, Bruder«, sagte Danischmend. »Ehmals mag dies wohl der nächste Weg gewesen sein; aber itzt gibt es einen noch kürzern. Wende dich morgen eine Stunde vor dem Divan gerade an Schach-Gebal selbst; und damit du nicht in den Vorhöfen und Vorkammern abgewiesen wirst, so laß den Kämmerling Kerim rufen, und sag ihm: Danischmend, ein alter Bekannter von dir, habe dich zu ihm geschickt, und lasse ihn bitten, dir so bald als möglich einen Augenblick Gehör bei Seiner Hoheit zu verschaffen. Du wirst sehen, daß er dich nicht lange warten lassen wird.«
Unter diesen Gesprächen langten sie vor Danischmends Hütte an, und wurden von Perisadeh empfangen, wie man sich's ohne unser Zutun vorstellen kann. Denn Szenen dieser Art werden, wenn man die Personen einmal kennt, am füglichsten dem Leser selbst überlassen.