Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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31. Kapitel

Erster Versuch des Kalenders auf die Ruhe der Jemalitter

Der Kalender – wiewohl der Leser schon Ursache gefunden haben kann, nicht die beste Meinung von ihm zu hegen – war ein schlimmerer Vogel als wir denken. Sein Haar und sein Bart erweckten zwar ein günstiges Vorurteil für seine Weisheit; denn sie hätten einem Epiktet Ehre gemacht: aber er befand sich noch so wohl bei Kräften, und die Diät in Danischmends Hause schlug ihm so wohl zu, daß ihm dann und wann wieder von den Zeiten träumte, wo er den Eseltreiber und (wenn er anders nicht geprahlt hat) zuweilen den Esel selbst gespielt hatte.

Kassims Frau war ein hübsches stämmichtes Weib von fünfunddreißig Jahren, mit großen schwarzen Augen, und einer Figur, die der Kalender ungemein nach seinem Geschmacke fand. Er hatte also nach der Maxime des Derwischen, seines ehmaligen Pflegevaters, angefangen, sich um des alten Kassims Freundschaft zu bewerben. Zeineb (so hieß die Frau) hatte sich – nicht darum bekümmert. Der Kalender hätte sieben Jahre lang alle Tage zweimal in ihr Haus kommen können, ohne daß sie Acht darauf gegeben hätte, mit was für Augen er ihr nachsah, wenn sie aus der Stube ging, oder wohin er seine Blicke schießen ließ, wenn sie sich von ungefähr bückte, um etwas vom Boden aufzuheben. Diese Art von Unachtsamkeit lag in ihrer Gemütsart: überdies schien sie mit dem alten Kassim, der ungeachtet seiner Jahre nichts weniger als ein Tithon war, vollkommen zufrieden zu sein.

Gleichwohl konnte oder wollte der Kalender sich nicht aus dem Kopfe bringen, daß in der ganzen Gegend keine Frau sich besser dazu schicke, das gestörte Gleichgewicht in seinem innern und äußern Menschen wieder herzustellen, als Zeineb. Kurz, seine Begierden hatten sich auf ihr gelagert: und da weder in seinem Herzen noch in seinen Grundsätzen etwas war, das ihn verhinderte Böses zu tun, wenn ihn dessen gelüstete: so hatten sich seine Begierden mit seiner Klugheit beraten, wie er's anzufangen hätte, mit möglichstes Sicherheit und Zeitersparung zu seinem Zwecke zu kommen.

Das Resultat dieser Beratschlagung war, er müßte etwas zwischen dem alten Kassim und seiner Frau anzuzetteln suchen, das die letztere nötigen würde, sich um seine Freundschaft und Hülfe zu bewerben, ohne daß es Kassim übel finden könnte. Den Umständen nach konnte dies Etwas nichts anders sein als Eifersucht.

Diesen nämlichen Morgen hatte der Kalender angefangen die erste Hand ans Werk zu legen.

Zeineb war abwesend als er zu Kassim kam, der unter seiner Vorhütte saß, und einen großen Korb in Arbeit hatte. Sie sprachen von allerlei Dingen, und unvermerkt lenkte der Kalender das Gespräch auf die Weiber.

»Ich begreife nicht«, sagte er, »wie ein Mann ruhig sein kann, der eine Frau hat, zumal wenn es eine junge und schöne Frau ist. Ihr Männer hier zu Lande seid glückliche Leute, daß ihr nichts von den Sorgen wißt, womit sich andrer Orten die armen Käuze placken müssen, die eine hübsche Frau für sich allein behalten wollen.«

»Dies ist von alten Zeiten her immer so bei uns gewesen«, sagte Kassim, indem er mit großer Gelassenheit fortfuhr an seinem Korbe zu flechten. »Jeder hat die Seinige, und jede den Ihrigen – jedes begnügt sich mit dem Seinigen – und was braucht es da zu sorgen?«

»Und doch hätten die drei jungen Fakirn mit ihren Lingams, wenn's nur ein paar Wochen später zum Ausbruch gekommen wäre, einen verdammten Spuk unter euch anrichten können!« – sagte der Kalender.

»Das mag sein«, erwiderte der alte Kassim: »aber die jungen Kerle brauchten auch Zauberei dazu. Die armen Weiber waren unschuldig an der Sache; sie wußten gerade so viel als mein Korb, was der Talisman zu bedeuten hatte, den sie sich an den Hals hängen ließen.«

»Dafür wollt ich eben nicht Bürge sein«, sagte der Kalender.

»Weil ihr uns noch nicht kennt, alter Herr«, versetzte Kassim, dessen Bart noch einen guten Teil schwarzer Haare mehr aufzuweisen hatte, als des Kalenders seiner.

»Ja«, sprach dieser, »wenn alle Weiber in diesem Lande sind wie die deinige, dann – dann kann ein Mann schon ruhig sein, ohne sich gleich über jede Kleinigkeit zu ängstigen.«

»Es ist mir nie eingefallen, mich der meinigen wegen zu ängstigen«, sagte Kassim. »Ich wüßte nicht, daß sie mir in den neunzehn oder zwanzig Jahren seit sie mein ist, die kleinste Ursache dazu gegeben hätte.«

»Dies ist eben was ich sage. Wenn man seiner Frau so gewiß ist wie du – so mag sie immer« –

Hier hielt der Kalender ein, und der alte Kassim erwartete eine Weile mit seinem gewöhnlichen Phlegma, was folgen würde.

Endlich da nichts folgen wollte, sagte er, ohne daß in seinem Tone mehr Neugier war, als wenn die Rede von einer Frau des großen Lama gewesen wäre:

»Was mag sie immer?«

»So mag sie immer mit einem andern ein wenig freundlich tun. Eine hübsche Frau hört doch immer gern, wenn ihr's ein andrer als ihr Mann sagt, daß sie noch hübsch ist.«

»Mit einem andern freundlich tun?« – wiederholte Kassim, indem er in der Arbeit einhielt und den Kalender ansah.

»Ich meine in aller Unschuld. Ich denke nichts Arges dabei, Kassim, wenn sich eine Frau von einem hübschen jungen Kerl wie Faruk über einen Zaun helfen läßt.«

»Wie Faruk?« sagte Kassim –

»Und wenn er ihr auch, weil man eine solche Gelegenheit nicht immer hat, von ungefähr einen Kuß gegeben hätte« –

»Einen Kuß gegeben hätte?« rief Kassim und ließ den Korb aus der Hand fallen: »der junge Faruk meinem Weibe? – Aber ich bin nicht klug! Wer dir wohl den Bären angebunden haben mag?«

»Vielleicht kam er auch nur von ungefähr mit seinem Mund auf den ihrigen«, fuhr der Kalender fort: »Oder meine Augen konnten auch wohl bezaubert sein.«

»Du hast es also selbst gesehen?« fragte Kassim.

»Ich bitte dich, guter Kassim, sei ruhig: ich wollte schwören daß deine Frau die ehrlichste Frau in ganz Kischmir ist. Ich war ein Tor daß ich dir was davon sagte. Aber wer konnte sich auch einbilden, daß ein Mann von einer solchen Kleinigkeit gleich Feuer fangen würde!«

»Du hast es selbst gesehen?« wiederholte der alte Kassim, indem er den Korb auf die Seite stieß, aufstand, und den Kalender beim Arm faßte: »wann, wo, wie hast du's gesehen?«

»Ich sage dir kein Wort weiter, wenn du nicht wieder ruhig wirst.«

»Kein Wort weiter? So hast du noch mehr gesehen?«

»Und wenn sie denn auch mit einander ins Bohnenfeld gegangen wären? – Aber ich wiederhol es, Kassim, es fällt mir gar nicht ein, daß du deswegen Ursache haben könntest, auf deine Frau ungehalten zu sein.«

»Das muß ich wissen, was ich sein soll«, sagte Kassim. – »Aber wann sahst du das alles?«

»Diesen Morgen, ungefähr eine halbe Stunde eh ich zu dir kam. Ich ging einen meiner gewöhnlichen Spaziergänge im Walde, der an eure Felder stößt. Da sah ich den jungen Faruk im Felde arbeiten; und indem ich so fortging, kam Zeineb vom Dorfe her, und wollte über den niedern Zaun steigen, der am Felde hinab läuft. Sie konnte mich, weil ich seitwärts hinterm Gesträuche stand, nicht sehen. Und wie sie nun über den Zaun steigen wollte, blieb sie mit dem Rocke hangen. Da lief Faruk was er konnte, und wickelte sie los, und hob sie herüber, und gab ihr in dem nämlichen Augenblick einen Schmatz, den ich hören mußte, wenn ich auch nichts gesehen hätte, oder ich hätte taub und blind zugleich sein müssen; und da« –

»Und da – was weiter?« rief Kassim.

»Und da ging jedes seinen Weg, denk ich; sie müßten denn nur mit einander gegangen sein, wofür ich nicht gut stehen kann: denn ich war nicht neugierig mehr zu sehen. Es fiel mir nicht ein, daß, unter so guten Leuten wie ihr seid, was übels darin sein könnte, wenn ein junger Kerl eine Frau über einen Zaun hebt, und sich einen Kuß für seine Mühe nimmt oder geben läßt. Und wenn Faruk sie auch ein wenig lieber sähe als ihre Großmutter, was wäre sich viel darüber zu wundern?«

»Gut, gut«, sagte Kassim, indem er sich wieder setzte und seinen Korb zwischen die Knie nahm, und fortarbeitete: »wenn er ihr auch zwei Küsse für Einen gegeben hätte, – da ist nicht viel darüber zu sagen. – Der verzweifelte Korb! da bricht mir ein Faruk nach dem andern!Er wollte sagen, »ein Rohr nach dem andern«; denn vermutlich flocht er den Korb aus gespaltenem Bambusrohr.

Murrzufflus

– Wie du sagtest, da ist gar nichts darüber zu sagen – ich bin völlig deiner Meinung, alter Herr! – Ich werde in meinem Leben nicht mit dem Korbe fertig werden! Ich glaube ich bin verhext!«

»Alles warum ich dich bitte«, sagte der Kalender, indem er wegging, »laß dir gegen Zeineb nichts von der einfältigen Historie merken. Es ist nichts, in der Tat nichts – aber, wie die Weiber sind; wenn sie sehen, daß man über eine Kleinigkeit viel Wesens macht, so denken sie der Sache nach, und dann wird sie immer größer und größer, wie ein Nachtgeist, der sich einem Wanderer auf die Schultern huckt; – und zuletzt kann aus Spaß Ernst werden. Es ist nichts, sag ich dir; Zeineb ist eine ehrliche Frau – indessen wirst du nicht übel tun, Freund Kassim, wenn du ein Auge auf den jungen Faruk hast.«

Als der Kalender fort war, warf der alte Kassim seinen Korb in einen Winkel, rieb sich die Stirne, und dachte dem Handel nach.

»Ich wollte meine Seele verpfänden, daß sie immer ehrlich gewesen ist, seit ich sie kenne! Es ist kein braveres Weib im ganzen Dorfe! Und was ihr da begegnet ist, ist tausend andern begegnet, und sie ist nicht um ein Haar schlechter darum. – Aber, wenn ihr der junge Kerl in die Augen gestochen hätte? – wenn ihr dies nicht von ungefähr so begegnet wäre? wenn sie einander gar bestellt hätten – wenn er ins Bohnenfeld mit ihr gegangen wäre? – Es ist unmöglich! – Was ist unmöglich? – Es kann sein! – es kann nicht sein! – Ich wollte der Kalender hätte mir nichts davon gesagt – oder hätte mir mehr gesagt! – Aber konnt er mehr sagen, wenn er nicht mehr wußte? – Das ist's eben was ich wissen möchte! Der vertrackte Faruk! – Sie hat die schönste Wade von der Welt – wenn er sie gesehen hätte? – Das muß er wohl, da er ihr den Rock vom Zaun los wickelte! Ich wollte daß ihm die Hand verdorret wäre, da er sie anrührte! daß er auf'm Platz erblindet wäre! daß ihm – aber, wenn er nun auch was gesehen hat – desto schlimmer für ihn! Er wird's so bald nicht wieder aus dem Kopfe kriegen! Es wird ihm des Nachts im Schlafe vorkommen; er wird darnach schnappen, und in die Luft greifen, und wenn er glaubt er hab es, wacht er auf, und hat – nichts. Es ist unmöglich! Zeineb – ich setze mein Leben für deine Ehrlichkeit!«

Zeineb hatte keinen Lingam getragen. – Dieser Umstand kam ihr itzt bei ihrem Alten sehr zu Statten. Aber unglücklicher Weise fiel ihm ein, daß sie am nämlichen Morgen, als der Lärm mit den Fakirn ausbrach, den Wunsch geäußert hatte, auch einen Lingam zu haben.

Alle ihre Nachbarinnen hätten einen; sie allein nicht: was würden die Leute denken, wenn sie die einzige wäre, die keinen Lingam hätte?

Der alte Kassim war noch nicht ganz einig mit sich selbst, was er von der Sache denken, oder wie er sich gegen Zeineb benehmen sollte, als sie mit einem Korbe voll Bohnen auf dem Kopf in die Hütte trat. Es deuchte ihm, daß er sie lange nicht so schön gesehen habe; und es fuhr ihm kalt den Rücken hinab, indem er dies dachte. Die Bewegung und die Sonnenhitze machten die Verschönerung sehr natürlich.

»Laß dir was erzählen, Kassim«, sagte sie, indem sie ihren Korb hinsetzte; und da erzählte sie Ihm mit der Munterkeit und Treuherzigkeit eines so kunstlosen und nichts Arges denkenden Geschöpfes als sie war, die ganze Geschichte, die ihr, indem sie über den Zaun ins Feld steigen wollte, mit dem jungen Faruk begegnet war. Sie verschwieg nicht den kleinsten Umstand. – »Soll ich ihm nicht eine derbe Ohrfeige dafür geben? dacht ich, als er mir den Kuß stahl. Aber eine Ohrfeige für einen Kuß! – Und dann hatte er mir doch eben einen Dienst erwiesen.«

Zeineb sagte dies mit einer so wahren Herzenseinfalt, daß dem boshaftesten Ausspäher und Belaurer des weiblichen Herzens, wenn er sie gesehen, und den Ton, womit sie es sagte, gehört hätte, kein Zweifel möglich gewesen wäre.

»Zu gutem Glück sah uns niemand«, setzte sie hinzu. »Aber ich sagte ihm, daß ich dir alles erzählen würde. Da schlich er sich fort, und kratzte sich hinter den Ohren. Und doch bin ich gewiß, daß er nichts Arges im Sinne hatte. Er ist noch so jung! Aber doch will ich's seiner Mutter sagen, damit sie ihm unverzüglich eine Frau gibt; denn nun möcht's wohl Zeit sein! Der arme Junge! Er zitterte wie Espenlaub, da er mir den Rock von der Hecke los machte.«

Der alte Kassim fühlte sich in diesem Augenblick um vierzig Jahre jünger. Kein Mensch auf dem ganzen Erdenrunde war halb so glücklich wie er. Er drückte die schöne Zeineb in seine Arme, und konnte nichts sagen; aber sein Entzücken und seine Liebkosungen setzten sie in Erstaunen.

Des Kalenders wurde gar nicht gedacht.

Kassim hatte sich eben wieder an seinen Korb gemacht, und war im Begriff den Namen Zeineb so zierlich als ihm möglich war, darein zu flechten, als Danischmend in seine Hütte trat. Das gute Vernehmen, worin er das Ehepaar fand, überraschte ihn so angenehm, daß er ihnen beinahe seine Verwunderung darüber bezeigt hätte. – »Ich muß diesen Kalender besser beobachten«, dacht er bei sich selbst.

Drei Tage nach dieser Begebenheit erfuhr man, daß sich Faruk ein Mädchen zum Weibe genommen hatte, das mit Zeineb beinahe von gleicher Gestalt und Größe war. Zeineb erzählte ihr Abenteuer Perisadeh, und Perisadeh Danischmenden.

»Dank sei dem Himmel!« rief er: »unsre Sitten sind noch so schlimm nicht als sie der Kalender wünscht.«

»Du tust ihm unrecht«, sagte Perisadeh. »Er mag wohl einen wunderlichen Kopf haben; aber gewiß sein Herz kann nicht so schlimm sein. Er hat unsre Kinder so lieb! Alle Tage lehrt er sie was Neues, und die Kinder lieben ihn als wenn er ihr Großvater wäre. Auch sagt ihm in der ganzen Gegend niemand etwas Böses nach.«

»Gut«, versetzte Danischmend. »Ich denke nicht gern schlimmer von einem Menschen weil er mehr Verstand hat als andre, und manchmal mehr zu sehen glaubt als er sieht. Aber seine Grundsätze machen mich ein wenig mißtrauisch. Wenn er gut ist, so ist er der erste gute Mann mit solchen Grundsätzen, den ich in meinem Leben gesehen habe.«


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