Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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11. Kapitel

Ein ehvertrauliches Gespräch zwischen Danischmend und Perisadeh

Als Danischmend und Perisadeh sich wieder allein befanden – – Sie sehen, meine Freunde, ich erlasse Ihnen den Rest der Unterredung bei Tische, und wie man einander gute Nacht wünschte, und die Beschreibung des Schlafzimmers, welches dem Kalender angewiesen wurde, und die Beschreibung einer schönen jungen Sklavin, die ihm Wasser brachte und schon wieder verschwunden war, da er sie eben mit einiger Aufmerksamkeit ansehen wollte, usw. – und dies ist immer sehr höflich von einem Schriftsteller, der bei gutem Mut ist, und etliche Buch schönes weißes Papier und ein Dutzend schon zugeschnittene starke Gänsekiele vor sich liegen hat –

als sage ich, Perisadeh und Danischmend (zu großer Erleichterung der erstern) sich wieder allein befanden, erfolgte etliche Minuten lang eine tiefe Stille.

»Dieser Kalender ist mein Mann nicht«, sagte endlich Perisadeh, indem sie ihr leichtseidnes rosenfarbnes Untergewand herab schlüpfen ließ.

»Ich wollte auch nicht, daß er's wäre«, antwortete Danischmend.

»Eine Frau wäre unglücklich bei einem solchen Manne«, fuhr sie fort: »wie könnt ein Mann, der so denkt, ein zärtlicher Vater sein?«

»Mit einer solchen Art zu denken, Perisadeh, wird man ein Kalender oder – ein Bösewicht.«

»Ich fürchte wir haben einen schlimmen Menschen unter unserm Dache, mein Lieber.«

»Besorge nichts, Perisadeh: er ist nicht so arg als er sich macht. Und dann ist er ja ein Kalender!«

»Ich bin diesen Leuten nie gut gewesen.«

»Ich auch nicht. Aber ein Kalender kann so denken wie dieser, ohne daß er darum ein schlimmerer Mann ist als tausend andre.«

»Nichts so sehr lieben, daß seine Ruhe dabei in Gefahr käme? – Begreifst du das, Danischmend? Was nennt der Mensch lieben?«

»Wir müssen ihn nicht nach uns beurteilen, meine Beste, wenn wir ihm nicht unrecht tun wollen. Der Mann trägt sein Herz in seinem Kopfe.«

»Ich kann nicht glauben« (fuhr Perisadeh fort), »daß ein Mensch desto besser sei, wenn er so wenig Bedürfnisse hat. Ich wenigstens schäme mich nicht zu gestehen, daß ich ohne dich und unsre Kinder keinen Augenblick leben möchte. Und wenn ich itzt denken müßte, daß ein einziges menschliches Geschöpf in unserm Hause unglücklich wäre, ich könnte keine Ruhe haben. Das Glück der Menschen, die um mich sind, ist ein Bedürfnis für mich.«

Wie Sie sehen, war die gute Perisadeh, mit aller ihrer Zärtlichkeit und Güte ihres Herzens, eine kleine Egoistin.Der Egoismus, wovon hier die Rede ist, ist nicht der moralische, vermöge dessen ein Mensch nichts liebt als sich selbst, sondern die natürliche Notwendigkeit, worin eine Person, der es an allgemeinen Begriffen fehlt, sich befindet, immer sich selbst zum Modell oder Maßstab zu nehmen, wenn sie von anderer Menschen Wert oder Unwert urteilt; wovon ich in meiner Abhandlung vom Egoismus ausführlich zu handeln, und alles mit kurzweiligen Beispielen zu erläutern gesonnen bin.

M. Skriblerus

Allein dies konnte nicht anders sein. Wir haben es schon gesagt, sie war eine bloße kunstlose Tochter der Natur.

Danischmend liebte sie nur desto mehr darum.

Was Perisadeh eben gesagt hatte, eröffnete zwischen ihnen einen von diesen interessanten – aber nur für die redenden Personen interessanten Dialogen, die sich in keine Wörtersprache übersetzen lassen. Man könnte sie unmittelbare Seelengespräche nennen, wenn es in unserm gegenwärtigen Zustande möglich wäre, daß Seelen sich einander, ohne durch ein materielles Medium zu gehen, mitteilen könnten.

Aber, eben darum weil dies nicht angeht, rate ich einem jeden, der viel Seele hat, und unter vier Augen mit einer Freundin unvermerkt in eine so interessante Unterredung gerät, daß die gewöhnliche Sprache unter der Gewalt ihrer beiderseitigen Empfindungen einsinkt, – wofern die Freundin nicht, zum Glücke, seine eigene Frau ist, so rate ich ihm, daß er von dem Augenblick an, da er merkt, daß seine besagte Seele alle ihre Kräfte zusammen rafft, um durch ihren Leib, wie durch eine zwischen ihr und der Seele aufgemauerte Scheidewand, durchzubrechen, – auf allen seinen Beinen so hurtig davon laufe als er kann,Besser wäre es dergleichen Gelegenheiten gänzlich zu vermeiden.

Sämtliche Meister des Moralistenhandwerks

Sicherer wär es allerdings; aber es ist nicht allemal möglich. Überdies, ist nicht, unglücklicher Weise, die ganze Welt voller Gelegenheiten?

Karamuel, S. J.

– wenn es anders, wie ich besorge, nicht schon zu spät ist.


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