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Der alte Kalender trennt sich von Danischmend. Bewegungen, welche die Erscheinung der Bayadere in Jemal verursacht, nebst den Folgen, die für Danischmend daraus entstehen, und einer traulichen Unterredung zwischen ihm und Perisadeh
Wenn uns der Kalender Alhafi in einer immer hassenswürdigern Gestalt erscheint, so überrascht er doch hoffentlich keinen unsrer Leser dadurch; denn es ist bloß seine eigene; und so wie er sich bisher in Worten und Werken dargestellt hat, kann er schwerlich eine Schelmerei oder einen Schurkenstreich begehen, die man ihm nicht mit bestem Fug hätte zutrauen dürfen. Wir müssen gestehen, sein Betragen gegen Danischmend ist schwarz: aber Dankbarkeit war so wenig seine Sache als irgend eine andere Tugend; und auch nur den bloßen Schein von Gutherzigkeit anzunehmen, erlaubte er sich nur darin, wenn es ein Mittel zu einem Endzweck war, wobei niemand als er selbst in Betrachtung kam.
Diese Entdeckung hatte Danischmend seit einiger Zeit an ihm zu machen angefangen: aber eine so reine Seele wie Perisadeh konnte sich von einem solchen Charakter keine Vorstellung machen, und begriff seine Möglichkeit auch dann noch nicht, wenn sie an seiner Wirklichkeit nicht länger zweifeln konnte.
Da sie sich seit einiger Zeit gewöhnt hatte, diesen Menschen, wegen seiner gefälligen Art sich mit ihren Kindern abzugeben, in einem viel mildern Licht als anfangs zu betrachten; so war es ihr beinahe leid, als er (einige Tage nach seinem kleinen Abenteuer mit der schönen Narissa) zu Danischmenden kam, und, unter sehr wortreichen Versicherungen seiner Dankbarkeit und Ergebenheit gegen ihn, um die Erlaubnis bat, einen Wohltäter, dem er nur zu lange lästig gewesen sei, zu erleichtern, und zu seinem Freunde Feridun zu ziehen, der ihn darum gebeten habe, weil er und sein Kamerad Alfaladdin ihm bei einer gewissen Unternehmung, die er zu großem Vorteil der Jemalitter auszuführen entschlossen sei, nützliche Dienste leisten könnten.
Danischmend hatte lange nichts so Angenehmes gehört als die Nachricht, daß er so unverhofft, und ohne daß die Veranlassung von ihm selbst herkam, eines Gastes los werden sollte, der ihm mit jedem Tage unerträglicher wurde. »Nichts von Dankbarkeit, Freund Kalender«, sagte er: »Ich verlange keine von dir und habe auf keine gerechnet. Was du mir schuldig zu sein glauben könntest, ist schon lange durch das Vergnügen, das ich an deinem Umgange fand, bezahlt. Wir scheiden als gute Freunde, und bleiben nahe genug beisammen, um uns so oft zu sehen als du Lust haben wirst. Du glaubst einem andern meiner Mitbürger nützlich sein zu können; desto besser! Aber darf man fragen, was für eine unserm Volke so vorteilhafte Unternehmung es ist, welche Feridun mit dem Beistand zweier Kalender auszuführen gedenkt?«
»Die Sache brauchte gerade kein Geheimnis zu sein«, sagte der Kalender mit dem ihm eigenen schelmisch lachenden Blicke: »denn im Grund ist es etwas, das die meisten Frauen in Jemal, und folglich unfehlbar auch die meisten Männer, ungeduldig wünschen. Indessen weiß ich nicht, warum Feridun gern sähe daß noch nicht davon gesprochen würde; und weil ich ihm mein Wort gegeben habe, so« –
»Verlange ich nichts mehr davon von dir zu hören, Kalender«, fiel ihm Danischmend ins Wort: »also, da dir deine Zeit vermutlich kostbar sein wird, lebe wohl, und meinen Gruß an Feridun.«
Ein Kalender gehört bekannter Maßen zu der Gattung von Weisen, die alles Ihrige immer mit sich führen. Der Alte hatte also sein Bündel in wenig Augenblicken geschnürt, und zog, nachdem er sich von Perisadeh und Danischmenden die Erlaubnis sie fleißig zu besuchen nochmals ausgebeten, zu großer Freude des letztern, in der nämlichen Viertelstunde ab. – »Da geht ein schlimmerer Bube von uns weg als du dir vorstellen kannst, Perisadeh«, sagte er, indem er dem Kalender nachsah: »hurtig! Liebe, laß das ganze Haus mit neuen Besen auskehren, damit es, wo möglich, auch nicht durch ein einziges Stäubchen von seinen Füßen länger verunreiniget werde.«
»Aber was für eine Unternehmung kann denn das sein, wobei Feridun die Kalender gebrauchen will?« sagte Perisadeh.
»Ich denke ich bin auf der Spur. Hörtest du nicht wie der Schalk sagte, es sei etwas das unsre meisten Frauen wünschen? Du kommst so wenig aus dem Hause, meine Liebe, und bekümmerst dich so wenig um alles was nicht im Kreise deiner Pflichten liegt, daß du vermutlich nicht weißt, was für einen Aufruhr die schimmernden Brokate und die feinen Spinnenweben der Bayadere, die sich der alberne Feridun zu Kischmir geholt hat, in den Köpfchen und Herzchen unsrer armen Weiblein erregt haben. Es ist ein Jammer zu sehen, mit welchen weit offnen Augen und hoch empor schlagenden Herzen sie ihr, wenn sie in ihrem Prunk dahin flattert, so weit sie können, nachschauen; und mit welchem Mitleiden mit sich selbst sie dann ihren gedemütigten Blick auf ihre eigene ländliche kunstlose Kleidung fallen lassen, die ihnen nun so armselig vorkommt, daß sie sich schämen, in einem Anzuge, dessen größte Schönheit bloß die Reinlichkeit ist, neben ihr gesehen zu werden. ›Am Ende‹, sagen sie, ›ist sie doch nur unsers gleichen, warum soll sie so viel vor uns voraus haben?‹ Kurz, meine Liebe, es gibt, wie ich fürchte, nur Eine Perisadeh in den Tälern von Jemal; denn es soll bereits eine ausgemachte Sache unter deinen betörten Mitschwestern sein, daß man schlechterdings nicht länger so ärmlich gekleidet sein könne wie bisher. Alles was unsre Alten dagegen sagen, hilft nichts: die jungen Männer (besonders die, welche die schönsten Weiber haben) sind alle auf der Seite der Frauen, und die ältern müssen nachgeben, wenn sie Ruhe haben und nicht auf alle Freuden des Lebens Verzicht tun wollen. Die große Frage ist also nur noch, wie es anzufangen sei, das gerechte Verlangen der schönen Jemalitterinnen auf eine Art zu befriedigen, die mit der Armut unsers Ländchens an Gold und Silber bestehen könne. Nun mußt du wissen, daß Feridun, der bisher immer für den reichsten Mann in Jemal gehalten wurde, eine sehr große Begierde noch reicher zu werden aus der Hauptstadt mitgebracht hat, und itzt, wie es scheint, die Torheit unsrer Leute dazu benutzen will. Er hat also mit Hülfe unsers Kalenders, der seit kurzem ungewöhnlich geschäftig ist, den Plan gemacht, in Verbindung mit etlichen andern von unsern vermögendsten Landeigentümern einen großen Handel mit den Produkten unsers Bodens nach gewissen benachbarten Provinzen anzufangen, und vermutlich dafür die Waren einzutauschen, die nun, seit jener unseligen Reise nach Kischmir, unentbehrliche Bedürfnisse für Jemal geworden sind. Dies, liebe Perisadeh, ist alles was ich, ungeachtet Feridun und sein Anhang so geheim mit ihren Anschlägen tun, bisher davon habe heraus bringen können; und leider! ist es schon mehr als zu viel, um mich zu überzeugen, daß unsre Stunde gekommen ist, und daß wir hohe Zeit haben auf unsern Abzug zu denken.«
»Und wohin, lieber Mann?« sagte Perisadeh, die über diesen unvermuteten Schlußsatz nicht wenig erschrak, aber sich mit einer ihr eigenen Stärke der Seele sogleich wieder zusammen faßte.
»Wohin? – Wohin, meine Liebe, das ist eine Frage, die ich mir selbst noch nicht beantworten kann. – Wir bedürfen nur eines so kleinen Plätzchens auf dem Erdboden, und gewiß es wird sich finden! Ich habe immer einen guten Genius gehabt, und nun hab ich den deinigen noch dazu.«
»Und diese armen Kleinen haben gewiß auch den ihrigen«, sagte Perisadeh, indem sie mit einer großen Träne in jedem ihrer schönen Augen auf ihre Kinder zeigte.
»Ganz gewiß, meine Beste!« erwiderte er, indem er eines ums andere aufhob, in seine Arme drückte und küßte.
»Aber sollt es denn wirklich so weit gekommen sein, daß so gute harmlose Menschen, wie wir sind, nicht länger in Jemal leben könnten?« fing Perisadeh wieder an.
»Ich habe alle Ursache es zu fürchten. Diese suratische Tänzerin ist zur unglücklichen Stunde für Jemal hierher gekommen; und der alte Kalender, dessen Herz ich einst törichter Weise für besser hielt als seinen Kopf, ist, wie gesagt, ein böser, ein sehr böser Bube! – Höre, liebes Weib, was ich dir nicht länger verbergen kann. Die Unschuld, die Einfalt, die Eintracht, das stille, unbeneidete und doch so neidenswerte Glück des Volks, unter dem du geboren bist, ist auf ewig dahin. Die Folgen der Übel, welche mit den Fakirn und Kalendern, mit dem Lingam und der Pagodentänzerin über uns kamen, sind eben so unheilbar als unübersehlich. Vielleicht wäre zu helfen gewesen, wenn ich noch, wie ehmals, die Zuneigung und das Vertrauen deines Volkes hätte. Aber auch dies ist verloren, und, wie ich nun gewiß bin, auf immer verloren! Die Tänzerin weiß um mein Geheimnis; denn sie will mich in den Tagen meiner eben so schnell verschwundenen als entstandenen Größe zu Dehly gesehen haben. Sie hat dies in der Stille durch die beiden Kalender, die sie sich gänzlich zu eigen gemacht hat, überall unter das Volk gebracht: aber die Elende begnügte sich daran nicht; sie hat auch die häßlichsten Lügen (der Himmel weiß aus welcher giftigen Quelle!) zu meinem Nachteil verbreitet; und dieser Kalender, diese Schlange die ich in meinem Busen wärmte, gibt sich mit seinem verächtlichen Ordensbruder seit mehrern Tagen alle mögliche Mühe, mich unserm einfältigen und leichtgläubigen Völkchen als einen Ehrgeizigen abzuschildern, der zu Befriedigung seiner herrschenden Leidenschaft alles zu tun fähig ist. Sie haben mich der abscheulichsten Verbrechen bezüchtiget, und aus der Geschichte meiner Erhebung und meines Falls ein schändliches Märchen gemacht, woran kein wahres Wort ist, und welchem sie dennoch Eingang bei den schwachsinnigen Jemalittern zu verschaffen gewußt haben. Ich lese die Folgen dieser giftigen Verleumdungen in allen Augen. Ich kann nichts Gutes mehr unter deinem Volke wirken, weil ich sein Zutrauen verloren habe. Noch gestern, da ich den Ältesten die Notwendigkeit vorstellte, sich den Anschlägen Feriduns und seiner Anhänger in Zeiten mit Ernst zu widersetzen, wurde ich mit der auffallendsten Kälte angehört. Ich sah nur zu deutlich, daß die Verlegenheit, wie und was sie mir antworten sollten, einzig und allein aus dem Argwohn entstehen konnte, daß ich sie vielleicht aus geheimen Absichten zu falschen Maßregeln verführen wolle: und da ich mit der größten Wärme darauf bestand, daß die heillose Narissa unverzüglich aus Jemal entfernt oder wenigstens nach unsrer Weise zu leben genötigt werden müsse; so fanden sie sich durch meine Hitze beleidigt, und sagten mir ins Gesicht, es käme mir gar nicht zu, mich in ihre öffentlichen Angelegenheiten zu mischen, und sie würden sich von mir zu keinen gewaltsamen Schritten verleiten lassen.«
»Ist's möglich?« rief Perisadeh. »du, der sonst so allgemein geliebt und geehrt war, solltest durch so verächtliche Geschöpfe in so kurzer Zeit alle deine Freunde verloren haben?«
»Das nicht, Perisadeh; so weit ist es noch nicht gekommen: aber das Übel nimmt alle Tage zu. Die meisten sind irre an mir gemacht, sie wissen nicht was sie denken sollen, und gehen unvermerkt, indem sie einander ihre Zweifel mitteilen, vom Zweifeln zum Glauben über. Ich habe noch Freunde; aber ihre Zahl nimmt täglich ab. Und warum, da der Aufenthalt in Jemal nun einmal allen Reiz für mich verloren hat, da er mir in der Folge ganz unerträglich werden müßte, warum, liebstes Weib, sollt ich nicht lieber so bald als möglich auf meinen Rückzug bedacht sein? – Aber ich muß dir noch etwas sagen, Perisadeh. Der Kalender Alhafi geht aller Wahrscheinlichkeit nach mit irgend einem Bubenstück um, das noch im Abgrund seines tief verdorbnen Herzens verborgen liegt. Was es ist mag der Himmel wissen! Aber die große Geschäftigkeit, womit er sich in alle die Dinge, die uns seit kurzem in Verwirrung gesetzt haben, einmischt – sein unstetes Herumtreiben – sein vertrauter Zusammenhang mit der Tänzerin – seine boshafte Bemühung, die zu meinem Nachteil ausgestreuten Verleumdungen, selbst indem er sie zu bestreiten scheint, zu verbreiten und lebendig zu erhalten – alles dies versichert mich, daß etwas noch Schlimmeres als ich ihm ehmals zutraute in seiner schwarzen Seele brütet. Was kümmert's ihn, ob unsre Weiber in gröberen oder feineren Musselin, in Seide oder Wolle gekleidet sind? Es muß etwas Wichtigeres für ihn selbst sein, was ihn so schnell aus einem bloßen Zuschauer in eine so eifrig handelnde Person verwandelt hat. Daß er sich alle Mühe gibt das Wasser trübe zu machen, sehe ich wohl; aber was er fangen will, ist mir noch ein Rätsel. Ich habe noch ein paar zuverlässige Freunde, die ihn, ohne daß er einigen Verdacht in sie setzt, auf allen Tritten und Schritten beobachten; aber ach! Perisadeh, schon der bloße Gedanke, daß ich in diesem stillen, noch vor kurzem so paradiesischen Jemal, wo ich meine Tage in seliger Verborgenheit auszuleben hoffte, meiner Sicherheit wegen zu solchen Mitteln gebracht sein soll, vergiftet die Luft die ich hier atme. Von jeher ist mir alles was einer Intrigue gleich sieht tödlich verhaßt gewesen. Hätte ich die Rolle spielen wollen, wozu dieser verwünschte Kalender mich hier nötigen würde, wenn ich ihm den Sieg streitig machen wollte, so könnte ich noch immer Itimadulet zu Dehly sein. Aber unter Menschen zu leben, vor denen ich immer auf meiner Hut sein muß, die Mich verkennen und die Ich nicht zu kennen scheinen muß, von Mißtrauen, Argwohn, falschen Freunden, heimlichen Laurern und lächelnden Verrätern umgeben zu sein, und ein schales Dasein durch immer währende Verstellung erschleichen, oder durch ewigen Krieg mit offenbaren und verborgenen Feinden erkämpfen zu müssen, ein solches Leben ist für mich die Hölle.«
»Gott bewahre dich und mich vor einem solchen Leben!« rief Perisadeh: »lieber will ich meine Kinder, diesen rotbackigen Jungen auf den einen und diesen kleinen Engel mit seiner Schwester auf den andern Arm nehmen« – (und indem sie dies sagte, tat sie es auch) »und mit dir solange in der weiten Welt herumirren, bis wir einen Winkel finden, wo man uns ungestört durch uns selber glücklich sein läßt.«
»Braves Weib!« rief Danischmend, indem er seine Arme um sie und seine Kinder schlang: »in diesem Zirkel ist alles Glück, was ich vom Himmel verlangte, eingeschlossen, und nun hab ich nichts mehr zu begehren, als daß er mich's in Frieden genießen lasse! – Gute Perisadeh, diese Entschlossenheit, diesen Mut traute ich dir zu; ich wußte so gewiß als ich meines Daseins mir bewußt bin, daß ich mich nicht an dir irren könne; und doch hast du in diesem Augenblick eine so selige Ruhe, einen so herzstärkenden Balsam in meine Seele gegossen, als ob es eine Möglichkeit gewesen wäre, daß ich dir zu viel zutrauen könnte.«