Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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4. Kapitel

Was Danischmend den Leuten ins Ohr sagte

Ich – der Erzähler dieser gegenwärtigen Geschichte – kenne einen Arzt, dem ich – auf der Stelle eine Lobrede zu halten versucht werde, und auch sogleich eine Lobrede halten würde, wenn ich so schön reden könnte wie Isokrates und Plinius; – einen Arzt, auf dem die Erfahrungskunst, die Weisheit und die Menschenliebe des göttlichen Hippokrates ruhen; – kurz, einen Arzt, wie ich aus herzlicher Wohlmeinung mit Bösen und Guten, Gerechten und Ungerechten, wünschen möchte, daß an jedem Orte, wo ein paar tausend Menschen beisammen wohnen, einer leben und so lange leben möchte, bis er der Nachwelt einen Mann wie er an seinen Platz gestellt hätte: – und eine von den Ursachen, warum ich diesen meinen Hippokrates ehre und liebe, ist, daß er weiß, was für ein Ding das Herz des Menschen ist, und welche Wunder derjenige zuweilen tun kann – er sei nun Arzt, oder Gesetzgeber, oder Pfarrer, oder Feldherr, oder Tragödienschreiber oder was ihr wollt – der auf das Herz und auf die Einbildung (in deren Gewalt jenes fast immer ist) zu rechter Zeit den gehörigen Eindruck zu machen weiß.

Was sind Jalappa und Senesblätter und Rhabarber und Fieberrinde und Genseng und Asa Fötida gegen Mittel, die geradezu auf die Phantasie und die Leidenschaften eines Kranken wirken! Von wie viel mehr Krankheiten als man gemeiniglich glaubt, liegt die wahre Ursache in einem verwundeten oder gepreßten oder entgeisterten Herzen! Wie viele körperliche Übel zeugt, nährt und verschlimmert eine kranke Phantasie! Wie oft würde eine rührende Musik, eine scherzhafte Erzählung, eine Szene aus dem Shakspeare, ein Kapitel aus dem Don Quichotte oder Tristram Shandy, das gestörte Gleichgewicht in unsrer Maschine eher wieder herstellen, Verdauung und Schlaf besser befördern, niedergeschlagene Lebensgeister kräftiger ermuntern, Milzsucht, Mutterbeschwerungen, Hypochondrie, Schwermut, Muckerei, Intoleranz und andre böse Geister schneller vertreiben, als irgend ein Rezept im Neu verbesserten Dispensatorium!

Ein fröhliches Herz und eine rosenfarbne oder himmelblaue Phantasie sind in tausend Verrichtungen des menschlichen Lebens unentbehrlich, wenn sie uns wohl vonstatten gehen sollen. – Grau in grau mag zuweilen hingehen, wiewohl ich kein Liebhaber davon bin.– Feuerfarben, pomeranzengelb und violet sind Farben, mit denen man sich wenigstens sehr in Acht nehmen muß. – Strohgelb, apfelgrün, lilas, pompadour, sind ungefähr, was des alten Herrn Shandy neutrale Namen; ich rate niemand seine Einbildung darein zu kleiden, wenn er was Kluges beginnen will: aber in Grüngelb und Schwarzbraun geht der Teufel, darauf kann man sich verlassen.

Wenn ihr euch für zehn, oder zwanzig, oder dreißig Tomans, mehr oder weniger, eine persische TänzerinDie Tänzerinnen und Sängerinnen von Profession in Persien (wer Lust hat, kann im Chardin, oder in den Lettres Chinoises, Tom. I. lettre 22. oder im Journal de Lecture, Tom. I. p. 1. mehr von ihnen lesen) werden nach der Taxe, wie sie ihre Nächte verkaufen, benannt. Sie nennen sich nicht Fatime, oder Kanzadeh, oder Zelika, sondern die Zehn-Toman, die Zwanzig-Toman, die Dreißig-Toman. (Ein Toman ist eine goldne Münze, ungefähr vier Dukaten unsers Geldes.)

Mark. d'Argens

Die sind teuer! Ουκ ωνουμαι μυριων δραχμων μεταμελειαν, sagte Demosthenes.

Philodemus

kommen laßt, so macht's wie ihr wollt: aber mit dem Weibe, das die Mutter eurer Kinder sein soll, wollt ich dienstlich gebeten haben ein wenig behutsam umzugehen.

Bei allem dem macht die Farbe der Einbildung allein noch nicht alles aus. –

Ich will es euch kurz und gut sagen, weil ihr's doch wissen wollt!

Man kann einen Freund herzlich lieben, ohne daß man es darum immer gleich stark fühlt wie sehr man ihn liebt; ja es gibt Augenblicke, Stunden, Tage, wo einer für sein Leben nicht fähig wäre, seinem besten Freund ein herzliches Wort zu sagen. Gerade so geht's einem Biedermanne zuweilen, ohne seine Schuld, mit seinem Weibe. Jedermann sieht, daß dies sehr vielerlei physische, moralische, politische, theologische, ökonomische, merkantilische, theatralische, musikalische, und andre Arten von Ursachen haben kann. Zum Exempel, es ist nebliges Wetter – oder man hat unruhig geschlafen – oder eine schlechte Verdauung gehabt – oder verdrießliche Briefe erhalten – oder Briefe wider Willen zu schreiben – oder unangenehme Geschäfte abzutun – oder man hat unversehens ein wenig Bonzengift in den Leib bekommen – oder ein elendes Schauspiel anhören müssen, und hundert andere solcher Zufälle mehr, die auch den fröhlichsten Menschen niederschlagen, und seine Phantasie mit Kapuzinerbraun austapezieren können.

Zum Ersatz hat ein Mann von Gefühl Tage oder Stunden, – je häufiger je besser für ihn – wo seine Seele ruhig, klar und heiter ist, wie ein stiller See; offen jedem unverfälschten Eindrucke der Natur; empfindlich für ihre leisesten Berührungen; geneigt mit allem, was lebt und webt, sich zu freuen; glücklich im Gefühl seiner selbst; glücklich durch allgemeines über die ganze Schöpfung ausfließendes Wohlwollen.

»In solchen Augenblicken« (sagte Danischmend) »spielen alle Federn, Räder, Druck- und Saugwerke unsrer Einbildung und unsers Herzens leicht und harmonisch zusammen; der Schleier der Gewohnheit fällt von den täglichen Gegenständen unsrer Zuneigung ab; sie verschönern und verklären sich in unsern entzückten Augen; jede angenehme Erinnerung erwacht, und vereinigt sich mit dem gegenwärtigen Wonnegefühl. Und nun, meine Freunde, sagt mir, gibt es einen Augenblick, der geschickter wäre als dieser, um einem glücklichen Geschöpfe das Dasein zu geben?

Es gibt noch andre herzausdehnende Augenblicke von ähnlicher Art«, fuhr er fort: »als da sind, – wenn wir eine unverhoffte Gelegenheit bekommen haben eine schöne Tat zu tun – oder wenn wir, nach trübseligen Stunden, wo dieser umwölbende grenzenlose Himmel, wie das dumpfige Gewölbe eines engen Kerkers, drückend auf uns liegt, im Arm einer redlichen Gattin Ruhe, in ihrem liebenden Blicke Trost, in der Ergießung unsers Kummers in ihr mitempfindendes Herz Erleichterung finden; wo sie uns alles ersetzt, alles vergütet, die ganze Welt für uns ist. – Erinnert euch, meine Freunde, daß wir nicht von einer Zehn-Toman sprechen, und daß es itzt nicht um Spaß zu tun ist: – die Rede, ich wiederhol es, ist von den Müttern eurer Kinder. – Wartet in Geduld solche Augenblicke ab, und haschet sie wenn sie kommen.«

»Aber wer nicht warten kann?«

»Dem hab ich nichts zu sagen«, antwortete Danischmend.

»Und doch« (fuhr er fort), »wir sind, ich gesteh es, am Ende nur arme schwache Menschlein; es gibt leichtsinnige, unempfindsame Augenblicke, über die man nicht allezeit Herr ist. In solchen wär einem Manne zu wünschen, daß eben eine hübsche Herde Ziegen und Ziegenböcke oder rüstiger Esel und Eselinnen vor seinen Augen ausgetrieben würde; – er würde sie ansehen, erseufzen, und – weise werden. Wo nicht, so wäre wenigstens zu wünschen, daß er von solchen Augenblicken des Selbstvergessens nur überfallen würde, wenn nichts zu verderben ist, – wofern dies anders jemals der Fall sein kann.«Ich leugne schlechterdings, daß es jemals einen solchen Fall geben könne.

Epiktetus

Was Danischmenden betrifft, der hatte sich – ein wenig grillenhaft wie er war – fest in den Kopf gesetzt, daß sein Genius sich auch in diese Sache mische, und daß er ihn allemal, wenn es Zeit sei, ganz deutlich höre.

Man wird nicht recht begreifen, wie er bei solchen Gelegenheiten, mitten in dem Lärm, den die Lebensgeister gewöhnlich dabei zu machen pflegen, fein genug habe hören können, um gewiß zu sein, ob sein Genius ja oder nein sage. Aber der Genius schrie ihm, wie es scheint, so stark ins Ohr, daß er ihn notwendig hören mußte. Dies war die einzige Gelegenheit, wo er so laut schrie.

»Noch eins wollt ich euch raten«, setzte Danischmend hinzu: – »es ist ein wesentlicher Umstand – um aller Welt willen das Licht nicht auszulöschen; es wäre denn, daß der keusche Mond bei heiterm Himmel eben mit vollem Lichte durch eure Vorhänge schiene.«Unsre meisten Kasuisten befehlen gerade das Gegenteil.

Phutatorius

Auch verstehen sie einen O.... von der Kallipädie!

Calvidius Lätus


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