Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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42. Kapitel

Schach-Gebal stattet dem Körbchenmacher einen Besuch ab

Schach-Gebal war einer von den Sterblichen, denen nichts unerträglicher ist, als in irgend einer Sache zwischen Ja und Nein in der Mitte zu schweben. Überdies hatte er noch eine besondere Ursache, warum er seinen Vorsatz, selbst zu untersuchen was es mit dem Körbchenmacher für eine Bewandtnis habe, so bald als möglich auszuführen beschloß. Er schlich sich also am Abend des folgenden Tages, in einen persischen Kaufmann verkleidet, mit einem einzigen vertrauten Kämmerling aus seinem Palast, und kam eine Stunde nach Sonnenuntergang, als ein ermüdeter Wanderer, vor Danischmends bäurischer Wohnung an.

Der Körbchenmacher saß mit seinem Weibe auf einer Bank vor der Hütte, und ihre Kleinen spielten um sie her. Perisadeh zog ihren Schleier herab, so bald sie den Fremden näher kommen sah.

»Darf ein müder Wanderer«, sagte der verkappte Kaufmann, indem er seine Stimme möglichst veränderte, »um die Erlaubnis bitten bei euch auszuruhen?«

»Von Herzen gern, Bruder«, sagte Danischmend, »wenn dich diese Hütte nicht abschreckt, die nicht ärmlicher aussieht als sie ist.«

»Ich verlange kein Nachtlager: ein wenig Brot und – Milch« (er war im Begriff Sorbet zu sagen) »und die Erlaubnis mich hier neben euch zu setzen, ist alles warum ich bitte.«

Perisadeh stand auf, und kam in wenig Augenblicken mit dem Verlangten zurück; ein schönes Mädchen von zehn Jahren, die eine Kopie ihrer Mutter nach verjüngtem Maßstabe schien, brachte einige auserlesene Früchte der Jahrszeit, mit Blumen untermengt, in einem niedlichen Körbchen.

Der Kaufmann betrachtete den Korbmacher mit durchdringenden Blicken. – »Wundre dich nicht, Bruder«, sprach er zu ihm, »daß ich dich so scharf ins Auge nehme; denn es ist wirklich zum Erstaunen, wie sehr du einem Wesir gleich siehest, den ich vor vierzehn Jahren zu Dehly kannte.«

»Man sieht öfters dergleichen Ähnlichkeiten, die sich meistens wieder verlieren, wenn man die Personen neben einander sieht«, erwiderte Danischmend, der dem Sultan sein Kompliment sogleich hätte zurück geben können, wenn er sich nicht ein Bedenken gemacht hätte, ihm seinen Spaß zu verderben; denn er hatte ihn in der ersten Minute erkannt.

»Bei allem dem, Bruder«, sagte der Kaufmann, indem er eines von den Kindern liebkosend auf seinem Knie wiegte, »wollt ich schwören, daß du der erste Körbchenmacher in deiner Art bist, und ich gäbe alles Geld, das ich in Dehly einzutreiben hoffe, darum, zu wissen wie ein Mann wie du zu einer solchen Profession gekommen ist.«

»Dies, ehrwürdiger Fremdling, will ich dir sagen, ohne daß es dir einen RayEine ostindische Münze, deren ungefähr fünfundzwanzig auf einen guten Groschen gehen.

F. Yves

kosten soll. Ich lebte vor einigen Jahren in einem Tale des Gebirges Jemal, unter einem noch sehr rohen, aber gutartigen unverdorbenen Völkchen; und weil ich damals wenig zu tun und in der Tat noch nie etwas zu tun gelernt hatte, schämte ich mich, der einzige Müßiggänger unter lauter beschäftigten Leuten zu sein, und lernte von meinem Nachbar Kassim Körbe machen. Vielleicht ahndete mir, daß eine Zeit kommen würde, wo mir dieses einfältige Handwerk nützlicher wäre als alle brotlosen Künste, die ich wohl ehedem getrieben hatte.«

»Darf man fragen, was für ein Zufall dich in die Täler von Jemal verschlug, die kaum dem Namen nach bekannt sind?«

»Unter uns gesagt«, antwortete Danischmend, indem er dem angeblichen Kaufmanne mit einem zutraulichen Blick in die Augen sah: »ich diente einst einem sehr großen und reichen Herren, der, bei einer Menge löblicher Eigenschaften, den einzigen Fehler hatte, daß er sich seinen Launen zu viel überließ, und dadurch gewissen Leuten, die er kannte und verachtete, eine Gewalt über sich gab, von welcher sie nicht immer den bescheidensten Gebrauch machten. Ich weiß nicht was mein Herr in meinem Gesichte fand, das ihm Vertrauen zu mir einflößte; genug er machte mich wider meinen Willen zu seinem Intendanten: und da ich es nun einmal sein mußte, so wollt ich auch meine Schuldigkeit tun, und das Haus von allem dem losen Gesindel reinigen, das den Herren bestahl; besonders von einem gewissen Mollah, der sich, ich weiß nicht wie, bei der Frau im Hause wichtig gemacht hatte, und einen langen Schweif von heuchlerischen Taugenichtsen und Bettlern nach sich schleppte, die unsern guten Herren ohne Scham und Scheu ausplünderten, und Leuten, die mehr wert waren als sie, das Brot vor dem Munde wegnahmen. Das gefiel nun anfangs meinem Herren wohl. Aber es währte nicht lange, so hatte sich das ganze Haus gegen mich zusammen verschworen; und weil meine Feinde die Launen des Herren abpaßten, so machten sie ihm weis, ich sei ein Grillenfänger, der sich mit keinem Menschen vertragen könne, und er würde, wenn er mich beibehielte, um alle die getreuen Diener kommen, von denen er sich mit sehenden Augen betrügen ließ. Um also, wie er sagte, Ruhe in seinem Hause zu haben, schickte er mich fort; aber weil er ein guter und großmütiger Herr war, gab er mir weit mehr als ich nötig hatte, um in dem armen Ländchen, wo ich meinen Wohnsitz aufschlug, angenehm und unabhängig zu leben.«

»Und wie kam es, Bruder, daß du nicht noch dort bist?«

»Diese Geschichte wäre zu weitläufig«, erwiderte Danischmend: »aber einem so verständigen Manne, wie du, kann ich die Sache mit zwei Worten begreiflich machen. Drei Fakirn und ein Kalender, die ein böser Wind zu uns führte, richteten binnen Jahr und Tag einen solchen Spuk unter dem guten einfältigen Völkchen an, daß ich's nicht länger mit ansehen konnte: ich tat mein möglichstes; aber die Partie war zu ungleich, und ich mußte meinen Gegnern abermals das Feld überlassen. Ich schlug also meine Hütte an einem andern Ort auf, wo ich mehrere Jahre mit den Meinigen glücklich lebte, und vor Fakirn und Kalendern ziemlich sicher war. Aber unversehens kam Krieg ins Land; unsre eigenen Soldaten plünderten uns aus, und der Feind zündete uns die Häuser über dem Kopf an. Um nicht noch was Ärgeres zu erfahren, mußten wir uns mit der Flucht retten; und so kam ich endlich hierher, wo ich mit meiner Familie von der Kunst lebe, die ich von dem ehrlichen Kassim in Jemal lernte. Sie verschafft uns zwar keinen großen Überfluß; indessen zweifle ich doch, ob Schach-Gebal in dem ganzen Umfange seines unermeßlichen Reichs zufriednere, frohere und bessere Untertanen hat als uns.«

Während Danischmend dies sagte, drehte der Sultan den kleinen Korb, worin ihm das Mädchen die Früchte angeboten hatte, in der Hand herum, und schien der Bedeutung der Buchstaben nachzusinnen. – »Sonderbar!« rief er endlich aus: »da find ich ja auf einmal einen alten Bekannten! Wie mag der Name Danischmend auf diesen Korb gekommen sein?«

»Du kennst ihn also, Herr?«

»So hieß der Wesir, dem ich dich so ähnlich fand.«

»Wenn dies ist«, sagte Danischmend, indem er sich dem Sultan zu Füßen warf, »so darf auch ich gestehen, daß diese Verkleidung mir den Sultan, meinen großmütigen Herrn, keinen Augenblick verbergen konnte.«

»Danischmend«, sagte der Sultan, indem er ihn aufhob und umarmte, »der Himmel soll uns nicht vergebens so sonderbar wieder zusammen gebracht haben. Laß uns Freunde sein, und folge mir, ich bitte dich, noch in dieser Nacht nach Dehly.«

»Mein gnädigster Herr«, erwiderte Danischmend, »alles was Treue und Dankbarkeit einem Untertanen gegen den besten Fürsten zur Pflicht macht« –

»Laß dies, Danischmend!« unterbrach ihn der Sultan: »Oder wolltest du auch einer von denen sein, die, um sich an uns andern wegen eines Vorrechts, woran wir unschuldig sind, zu rächen, so unbarmherzig behaupten, daß wir keine Freunde haben können?«

»Wer dies behauptet«, erwiderte Danischmend, »setzt ohne Zweifel voraus, daß eigentliche Freundschaft nur unter Gleichen möglich sei. Aber von mir würde es unartig sein, mit dem Sultan meinem gnädigsten Gebieter um ein Wort zu streiten. Nur bitte ich ihre Hoheit, auf Ihrer Seite zu glauben, daß die unbegrenzte Treue, zu welcher ich, wiewohl sie meine Pflicht ist, mich hiermit auch freiwillig verbindlich mache, kein leeres Wort ist. Was ich dabei fühle und denke, ist vielleicht noch mehr, als das Wort Freundschaft, selbst in seiner engsten Bedeutung, bezeichnet.«

»Alles, was ich dir itzt sagen kann, lieber Danischmend, ist mit drei Worten: ich fühle das Bedürfnis einen Freund zu haben mehr als jemals; aber ich fühle auch, daß, wer einen Freund verlangt, selbst ein Freund zu sein wissen muß. – Du folgst mir also, Danischmend?«

»Sire«, versetzte dieser, indem er sich ihm abermals zu Füßen warf, »fordern Sie alles von mir, nur dies einzige ausgenommen. Lassen Sie mich wo ich bin, und erlauben Sie mir zu bleiben was ich bin. Ich tauge an keinen andern Ort, und zu keinem andern Geschäfte. Aber, auch ohne Rücksicht auf mich selbst, muß ich um die Gewährung dieser einzigen Ausnahme bitten: denn sie ist die einzige Bedingung, unter welcher das Verhältnis möglich ist, das Ihre Hoheit Sich mit einem Manne geben wollen, der als ein geborner Indostaner Ihr Sklav ist, und von dem Augenblick an, da Sie ihn für Ihren Freund erklären, so frei sein muß als ob er selbst Sultan von Indien wäre.«

Schach-Gebal war kein Freund von solchen Subtilitäten, wie er's nannte, und wobei er sich in der Tat nichts sehr Deutliches denken konnte. Aber er fühlte doch, daß er sich selbst widersprechen würde, wenn er auf seiner Forderung bestehen wollte. »Mein Freund Danischmend muß seine eigene Weise haben«, sagte er lächelnd, indem er ihm die Hand schüttelte: »er ist noch immer der Alte, wie ich sehe. Aber genug für heute! Ich bin zufrieden daß ich dich wieder habe. Lebe wohl bis wir uns wieder sehen!«


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