Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Hier können wir länger nicht schweigen. Entweder sagt sie das Ding
Das nicht ist
,Die Huynehnhms, deren mechanische Tugend Gülliver auf Unkosten der menschlichen Natur so sehr erhebt, hatten in ihrer Sprache kein Wort, um den Begriff der Unwahrheit oder Lügen zu bezeichnen. Sie mußten sich der Umschreibung dazu bedienen; du sagst das Ding das nicht ist, wieherten sie dem armen Gülliver zu, wenn er etwas gesagt hatte, das sie nicht begreifen konnten. oder es steckt sonst etwas hinter der Sache.
Ein Mädchen, die Zufallsweiß' aus einer Venus ein Drache
Geworden, denkt gewiß nicht so gering
Von ihrem Verlust! Sich selbst zur Hälfte todt und begraben
Zu sehn, ist wohl kein Scherz. So viel sie dabey vielleicht
An Geist und Herz gewinnt, die Zeit kömmt, da ihr däucht,
Zu ihren Vollkommenheiten auch noch die Schönheit zu haben,
Das wäre doch besser! Es ist bey allem dem
Von mehr als einer Seite bequem und angenehm,
Daß Bißchen Verstand der Männer in seiner Gewalt zu haben,
Und aus dem aufgeblasnen vermeynten Herrn der Welt
Den albernsten Gecken zu machen, sobald es euch gefällt.
Bekennet, Kinder, dieß ist ein Vorrecht, welchem keine,
Die seinen Reiz geschmeckt, mit kaltem Blut entsagt!
Ein Vorrecht, das so wohl behagt,
Daß manche um seinetwillen sogar dem Augenscheine,
Und ihrem Spiegel selbst noch Trotz zu bieten wagt.
Doch, wie es mit unsrer Olinde hierüber beschaffen gewesen,
Bekommen wir ohne Zweifel im letzten Gesange zu lesen.

Inzwischen, daß unser Held mit einer nie zuvor
Gefühlten Schwäche sein Herz an eine Dame verlohr,
Zu welcher öffentlich sich zu bekennen,
Ein Muth erfordert wurde, der ohne Beyspiel ist:
Befand sich Leoparde, durch Amors Trug und List,
In einem fiebrischen Stande, den wir der Stolzen gönnen!
Wenn jede Krankheit, wie Doctor Sassafras meynt,
Benahmset werden müßte; so scheint,
Wir könnten die ihrige wohl nicht anders als – Liebe nennen.
Allein das war es nicht! Es war ein bloßer Zug,
Ein bloßer Geschmack, ein ganz unschuldig Verlangen,
Den seltnen Ritter zu sehn, der einem Mädchen an Wangen
Und Haaren gliech, und doch sich wie ein Roland schlug;
Es war nichts mehr als bloß ein übergehend Wallen
Im Blute, von der Begier dem Ritter zu gefallen
Begleitet – und freylich war dieß für den Anfang genug.
Doch was es auch war, sie hatte den Schmerz zu sehen,
Daß unser Amadis, der wieder auszugehen
Im Stande war, so kalt, als wäre nicht geschehen
Was unvergeßlich ihr war, bey ihrem Anblick blieb;
Er, der so stark von ihr getroffen
Geschienen, und dem ihr Auge, durch einen mechanischen Trieb
Unachtsam überrascht, beynah erlaubte zu hoffen!
Es war verdrießlich, im Complimenten-Ton
Die frostigsten Dinge sich sagen zu hören!
Doch kaum entdeckte Herr Antiseladon
(Um alle Hoffnung bey ihr von Grund aus zu zerstören)
Ihr im Vertrauen die Ursach davon
Als etwas Neues, wovon ein Santon in der Wüste
Trotz seiner Gravität vor Lachen bersten müßte;
So fühlte sich auch ihr Stolz, an seinem empfindlichsten Ort
Beleidigt, stark genug, den Thoren zu verachten,
Der fähig war, für eine Begueule zu schmachten;
Und ohne ihn nur des Abschieds würdig zu achten,
Zog sie mit ihrem Gefolg aus dieser Gegend fort.
Daß Antiseladon sich nicht hiebey vergessen,
Wird Jedermann von selbst ermessen.
Er kannte das Herz; und schon Ovidius
Belehrt uns, daß verliebter Verdruß,
So fern man ihn gleich in der ersten Hitze
Zu schmieden wisse, mehr, als alles andre Geschütze
In Amors Arsenal, zu schönen Erobrungen nütze.

Am Abend des nehmlichen Tages, an dem sie das reizende Thal
Und unseren Helden zu den Füßen
Der häßlichsten Göttin, der je geopfert wurde, verließen,
Erblickten sie zum zweytenmal
Das nehmliche goldne Schloß, von dessen Schimmer betrogen,
Sie etliche Tage zuvor im Nebel herumgezogen.
Anstatt wie damals vor ihnen zu fliehn,
Schien's ihnen itzt entgegen zu kommen;
Und kurz, sie kamen noch bey guter Zeit dahin,
Und wurden freundlich aufgenommen.

Man sieht, es nähert sich alles dem großen Augenblick,
Worinn der Knoten entwickelt oder zerschnitten
Zu werden pflegt. Das Paar, das in den Schäferhütten
Zurückblieb, abgezählt, sind alle Personen vom Stück,
Auf einmal in Einem Saal an Einer Tafel beysammen,
Und – schauen einander an! – Dank unserm Zauberstock!
Fünf schöne Princessen, die alle aus Bambo's Lenden stammen
Und (mit dem Neger) ein Hut auf jeden Unterrock.Zu Verständniß dieses höchst abgeschmackten Verses diene den Itztlebenden und den Nachkommen, denen dieses Buch in die Hände fallen mag, zu wissen, daß in den meisten Städten in Thüringen und Sachsen, nicht etwan unter dem gemeinen Volke, sondern unter Leuten von Distinction, und selbst bey Personen vom Stande, gewöhnlich ist, die Mannsleute Chapeaux, Hüte, zu nennen. Wir begreifen nicht, was sich zur Rechtfertigung dieser wunderlichen und einem ganzen Geschlecht schimpflichen Benennung sagen läßt; aber soviel ist gewiß: wenn es anständig und galant ist, statt Mannspersonen, Hüte, zu sagen, so ist eben so anständig und galant, statt Frauenzimmer, sich hinfür des noch characteristischern Worts, Unterröcke, zu bedienen. Man hat mit diesem Vers einen Versuch machen wollen, und es wird sich nun zeigen, ob er die Ehre haben wird, die Hüte abzuschaffen, oder die Unterröcke Mode zu machen.
Die Zahl trifft überein, allein, die Wahrheit zu sagen,
Wir waren noch nie soweit vom Ziel als eben itzt!
»Warum?« – Erst ruhen wir aus! Zu langes Lesen erhitzt;
Und dann belieben Sie nur das Blättchen umzuschlagen.


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