Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Erster Gesang.

Von irrenden Rittern und wandernden Schönen
Sing, comische Muse, in freyen irrenden Tönen!
Den Helden besing, der lange Berg auf und Berg ab
Die Welt durchstrich, um eine Schöne zu finden,
Die fähig wäre, für ihn, was er für sie, zu empfinden,
Und der, sie desto gewisser zu finden,
Von einer zur andern sich unvermerkt Allen ergab.
Bis endlich dem stillen Verdienst der wenig scheinbarn Olinden
Das Wunder gelang, sein Herz in ihren Armen zu binden.

Allein, was werden (so denkst du vielleicht)
Zu unserm Gesang die strengen Kenner sagen?
Die Kenner? Gut! die wahren gewinnest du leicht.
Ergötzt dein Lied, so wird kein Kluger fragen,
Ob Aristoteles ihm (mit allem Respect für das Haupt
Der Critiker sey es gesagt!) sich so zu ergötzen erlaubt.
Die Grazie tanzt nach unstudierten Gesetzen,
Und ohne Guidosund ohne Guidos Kunst,
Guido von
Arezzo, ein Benedictiner-Mönch des eilften Jahrhunderts, ist mehr durch die Erfindung der sogenannten Solmisation, als durch die wichtigern Verdienste bekannt, welche ihn, nach dem Urtheil der Musikgelehrten, zu einem der vornehmsten Wiederhersteller und Verbesserer der Ton- und Setzkunst machen.
Kunst entzückt Philomela die Flur.
Bleib du der Empfindung getreu, und der ungeschminkten Natur,
So kannst du, auf meine Gefahr, die andere Regeln verletzen.

Erobre den Beyfall der lesenden Welt,
Und sey, wo möglich, die Schöne, die Allen gefällt.
Ich? (ruft die Muse mit spottendem Lachen)
Die Mühe, dächt'ich, erließen sie mir!
So wollten Sie mich zur Lais des Publicums machen?
Ich sollt' in seinem Dienste mich hypochondrisch wachen?
Sie hoffen ein wenig zuviel von meiner Dienstbegier.
Gewohnt, mit Grazien die Nächte wegzuscherzen,
Sänn' ich mich mager und bleich beym Dampfe nächtlicher Kerzen,
Und kraute die Nägel mir ab; und wofür?
Daß Criticus mich und Anticriticus preise?
Ein feiner Ersatz! Herr Dichter, wo denken Sie hin?
Nein! Allen Ruhm des Sängers der Frösche und Mäuse,
Erkauft' ich nicht um ein spitziges Kinn!
Da lob'ich mir dafür die runden sorglosen Backen,
Das doppelte Kinn, den vollen Busen und Nacken
Von meiner Schwester U**rin.
Ihr Beyspiel reizt. Fahrwohl, du Beyfall der Kenner!
Ich würd' um dich das Modell zu einer Sibylle von Denner?zu einer Sibylle von Denner.
Die mit unbegreiflichem Fleiß bis zum Mühseligen ausgearbeiteten Köpfe dieses berühmten Copisten der Natur sind eben so bekannt, als das Urtheil, welches K. Carl VI. ein großer Kenner der Kunst, von ihnen fällte. – Was unser Dichter durch eine Sibylle von Dennern gemeynt habe, ist leicht zu bestimmen, wenn man sich eine so abgelebte Alte, als die Erythräische oder Cumäische Sibylle war, von Dennern gemahlt, vorstellet. Uebrigens wird das Vorurtheil, das manche von der Häßlichkeit der Köpfe dieses Meisters gefaßt haben, unter andern auf eine sehr vorzügliche Art durch einen äußerst vollendeten Kopf einer alten Frau, in dem vortrefflichen Cabinette des Hrn. Gottfried Winklers zu Leipzig, widerlegt, in deren Gesichte man die erloschenen Spuren einer ehemaligen Schönheit wahrzunehmen glaubt.

Nein! wahrlich nicht, so wahr ich Muse bin!

Euch, Schwestern, mit denen ich oft in sommernächtlichen Stunden,
Am Rande der unberühmt schleichenden Riß,
Wie am Eurotas einst, und am Sokratschen Iliß,Iliß. Ein kleiner Fluß, der die Gegend um Athen verschönert, und der hier sokratisch genannt wird, weil Plato seinen Sokrates das berühmte Gespräch mit dem schönen Phädrus am Rande desselben halten läßt.
Den goldnen Gürtel losgebunden;
Euch weyh ich meinen Gesang. Ihn hört der romantische Hayn,
Den um Luisen-Lust die Oreaden gewunden,
Ihn hören, in Lauben versteckt, die Nymphen bey Cynthiens Schein;
Und fern im Felsen spitzt der alte Faun die Ohren,
Er raft vom Schlauche sich auf, in süßem Taumel verlohren,
Und schlummert horchend wieder ein.

Vielleicht, daß auch, indem sie die reizenden Schatten
Mit ihrer Freundin besucht, des Weisen Tochter uns hört,
Der, mit Verdiensten und Jahren beschwert,
Dem Vaterland theuer, und Königen werth,
Des Lebens Abend hier in selbstgepflanzten Schatten
Verlebte, wie Sülly und Oxford den ihrigen ausgelebt hatten.
Vielleicht, ihr Grazien, hört in unbelauschter Ruh
Sie, die von euch die Gabe zu scherzen
Und zu gefallen empfieng, gleich schön an Geist und Herzen,
Dann unsern Spielen lächelnd zu.

Ihr Lächeln, Schwestern, gewährt uns sicher den Beyfall von Allen,
Die Selbst verdienen, der Welt und uns zu gefallen.
Wem sängen wir sonst? – Gewiß nicht dem grämischen Mann,
Dem gelben Smelfungus,S.Yoriks (Sterne's) Sentimental Journey Vol. I. p. 86. dem Mann von stumpfen Sinnen,
Dem Oheim Toby selbst kein Lächeln abgewinnen,
Schah Baham nichtSchah Baham, dieses Ideal von einem ächten Sultan, (wiewohl die Ehre, diesen Character erfunden zu haben, um es beyläufig zu bemerken, nicht dem Hrn. Crebillon, sondern dem Grafen Anton Hamilton gebührt) wird wenigen Lesern des N.A. unbekannt genug seyn, daß sie ihn und den Ah! quel Conte, worinn er eine episodische Person spielt, ohne welche die Erzählung des Visiers wenig unterhaltendes haben würde, erst aus dieser Anmerkung sollten kennen lernen müssen. Der Dichter scheint diesen guten Sultan, und den Oheim Toby, – der unsern Landesleuten aus einer bessern Uebersetzung als man von dem originalsten Werk unsers Jahrhunderts, vom Tristram Shandy, hat, bekannt zu seyn verdiente – nur darum so nahe zusammengebracht zu haben, weil beyde Personen in einem ausnehmenden Grade launenhaft sind; denn unstreitig ist Oheim Toby in allen Betrachtungen der bessere Mann von beyden. die Stirn entrunzeln kann!
Der in Minervens göttlichstem Bilde
Die Göttin mühsam erkennt, doch nur an ihrem Schilde,
Der Venus am Arnoder Venus am Arno.
der bekannten Venus Medicis, an welcher nichts als die Hintertheile das Glück hatten, dem Hrn.Smelfungus (Smollet) zu gefallen. S. dessen Reisen durch Frankreich und Italien. 28. Br. S. 296, 97. der deutsch. Uebersetzung.
sein Auge geärgert entzieht,
Und nur ein Weib in Winkelmanns Niobe sieht.S. Winkelmanns Geschichte der Kunst 1. Th. 4. Cap. S. 226.
Auch nicht Tartüffen, der stracks zum Bösen versuchet sich fühlet,
Wenn Zephyr in Unschuld mit Hebens Unterrock spielet,
Und, wenn der schönen Sünderin Bild
Sein rollendes Aug mit verdächtigen Thränen erfüllt,
Susannens Aeltesten gleich, nach ihrem Busen schielet.
Noch Fatmen, die, künstlich und falsch, wie ihr studiertes Gesicht,
Bey Nacht QuartillenBey Nacht Quartillen gleicht
Quartilla
ist eine Heldin, deren Character wir, aus Achtung für ihr Geschlecht, lieber der Einbildung der Leser (welche sie nicht schon aus dem Petron oder aus St. Evremonds Abhandlung über diesen, von dem Verfasser der Pucelle d'Orleans mehr als recht ist verachteten, Scribenten, kennen) überlassen, als genauer bestimmen wollen.
gleicht, bey Tage wie Seneca spricht.
Noch dem, der, gegen sich selbst in blindem Eifer entflammet,
Die Freude, die er nicht kennt, mißgünstig in andern verdammet.
Flieht, Ungeweyhte, für euch singt keine Muse nicht!

Sie fliehen, Muse, sie fliehn, von Rosenbekränzten Satyren
Gepeitscht aus unseren Gesicht. Beginne deinen Gesang!

Es reiseten queer durch die Welt auf ihren langhalsigen Thieren
Schah Bambos Töchter bereits drey ganzer Monate lang;
Als an des Atlas Fuß in einem schattichten Thale
Die Mittagsglut sie still zu halten zwang.
Ein reiches Gezelt wird unter den Palmen dem Strahle
Der Sonn' entgegengespannt. Die Damen kleiden sich um.
Die Köche schwitzen indeß. Man rüstet die Tafel zum Mahle,
Und ringsum legt sich auf Polstern die hohe Gesellschaft herum.
Sechs Knaben, jeder so schön, wie Aetions zärtlicher Pinsel,
In Wollust getaucht, den Liebling Jovis gemahlt,wie Aetions zärtlicher Pinsel u. s. w.
Ob Aetion jemals einen Ganymed gemahlt habe, ist unbekannt. Der Dichter scheint hier auf das antike Gemählde Jupiters und Ganymeds zu deuten, welches Winkelmann auf der 276. Seite des vorangezogenen unschätzbaren Werkes beschreibt. Der darauf in der natürlichen Größe des sechzehnjährigen Alters abgebildete Liebling Jupiters »ist ohnezweifel (sagt Winkelmann) eine der allerschönsten Figuren, die ans dem Altertum übrig sind, und mit dem Gesichte desselben finde ich nichts zu vergleichen; es blühet soviel Wollust auf demselben, daß dessen ganzes Leben nichts als ein Kuß zu seyn scheint.« Was unsern Dichter veranlaßt haben mag, den Mahler Aetion durch die wollüstige Zärtlichkeit des Pinsels zu charakterisieren, und ihm zuzutrauen, daß er einen Ganymed, wie den Winkelmannischen, wenigstens gemahlt haben könnte, ist vermuthlich das Gemählde von Alexander und Roxane, welches Lucian in dem kleinen Tractat, Herodot oder Aetion genannt, umständlich und um soviel zuverläßiger beschreibt, da er es selbst zu Rom gesehen zu haben versichert. Der Begriff, den unser Dichter vom Aetion giebt, scheint dadurch hinlänglich gerechtfertiget zu werden, und wird durch eine Stelle der sogenannten Imaginum, oder des Ideals einer vollkommenen Frau, von ebendemselben Verfasser, noch mehr bestätiget, wo er, um seine mit Hülfe der größesten Bildhauer gezeichnete Panthea auszumahlen, vier Mahler, (ohne Zweifel, die Besten die er kannte) den Polygnotus, Euphranor, Apelles und Aetion zu Hülfe nimmt, und den Mund, den eigentlichen Sitz der Grazien, von der Roxane dieses letztern entlehnt.

Und jeder zum mindsten ein Prinz von einer kleinen Insel
Des festen Landes, bedienen die Tafel. Sie strahlt
Von goldnem Geschirr und elfenbeinernen Vasen;
Und Amber und Aloeholz beräuchert die fürstlichen Nasen.


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