Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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»Und nun, mein Herr, ich dächte, wir setzten uns hier
An dieses Säulengestell, und Sie erzählten mir,
Was Ihnen, seitdem wir uns trennten, für schöne Avantüren
Begegneten. Zwar hat Fama, die Wahrheit zu sagen, hievon
Uns etwas ins Ohr geflüstert; allein die kennt man schon!
Sie pflegt die Geschichte gern ein wenig auszuzieren.«
Die Fama? – (spricht der Held mit glühenden Wangen) Madam?
Ich bin ihr verbunden, wofern sie sich diese Mühe nahm;
Ich hätte nicht gedacht, daß solche Kleinigkeiten
»Bescheidenheit! (ruft die Princessin) an einem Manne, wie Sie,
Sind Dinge bemerkenswürdig, die nichts an andern bedeuten.
Doch, um Vergebung, mein Herr, wenn diese Melodie
Ihr Ohr vielleicht verletzt! – Sie erröthen?« – Ich? – »zum Brennen!«
Das dächt' ich nicht; es muß vom gestrigen Wein –
»Sie tranken Champagner? Gut! dies muß die Ursach seyn!
Indessen seh ich würklich nicht ein,
Warum die Sache Sie sollte verlegen machen können!
Wohlan! Nun errath' ich was; dies lößt das Räthsel auf!
Bekennen Sie, Ritter, Sie sind ein kleiner Ungetreuer?
Sie spielen gern den Damen-Befreyer,
Allein Sie setzen, so scheints, auch einen Preis darauf.«
Princessin, ich sehe, Sie wissen – »von Ihrer geheimen Geschichte
Ein wenig mehr, mein Herr, als einem gewissen Paar
Gefällig ist. –« Madam, aus Ihrem Ton ist klar,
Daß Ihnen die ganze Sache in einem falschen Lichte
Gezeiget wurde. – »Verzeihn Sie! Auch hierinn irren Sie Sich;
Ich habe sie von der Quelle. Der Neger bewirthete mich
Mit allen Umständen davon. Es war, dies muß ich gestehen,
Ein tückischer Einfall von ihm! – Sie zu nöthigen, in den Stand,
Worinn er, wie man sagt, bey Blaffardinen Sie fand,
So lang' in seinem Garten den Nymphen zum Schrecken zu stehen,
Bis sich, der Himmel weis aus welchem Feen-Land,
Die Obermeisterin von allen Preciösen
Hieher verirrte, mit eigner zarter Hand
Den Zauberknoten aufzulösen.
Sehr glücklich war es für Sie, mein Herr, in Schatulliösen
Die Dame so bald zu finden. Sie hätte zu Samarkand,
Smolensko, Peking, wer weis an welchem Ende der Erden,
Versteckt seyn können, und lange vergebens erwartet werden!«
Princessin, (versetzt der Ritter mit etwas Ungeduld)
Verschonen Sie wenigstens doch die liebenswürdige Dame.
»Wie, Amadis? Schwärmen Sie gar? wer hindert Sie denn, die Dame
(Sie wissen vermuthlich nicht, ihr Nahme
Ist Schatulliöse!)
zum Dank für ihre voreilende Huld
Zu würdigen wessen Sie wollen? – Auch muß ich sagen, es wäre
Sehr lieblos, (nichts stärkers zu sagen) aus ihrer Ohnmacht ihr
Ein großes Verbrechen zu machen. Sie that blos ihre Gebühr.
Wo ist in der ganzen Welt (das Meer und die Atmosphäre
Mit eingeschlossen) ein Mädchen von feiner Empfindung der Ehre,
Die weniger thäte? Und würklich, erlauben Sie mir,
Läßt für ein Mädchen von Ehre sich kaum ein Fall erdenken,
Worinn es verdrieslicher wäre, bey einer Schwachheit sich
Ergriffen zu sehn. Wahrhaftig! Ich würde mich
Vor Gram in einer See von meinen Thränen ertränken.
Bedenken Sie selbst, mein Herr –« Hier fand der Paladin,
Der bis hieher auf glühenden Kohlen gelegen,
Es länger auszustehn sey über Menschen-Vermögen.
Er hätte lieber wie Roland rasen mögen,
Und würklich schwebt' ein Fluch auf seinen Lippen, – als ihn
Zu gutem Glücke die Ankunft der Dame seiner Gedanken
Zum zweytenmale befreyt. Zwar fieng sein hoher Begriff
Von ihrer Tugend bereits ein wenig an zu wanken.
Allein, er hätte zur Schmach, auf einem Rauberschiff
An Ketten zu rudern, sich eher verglichen,
Als länger sich mit solchen Natterstichen
Gemartert zu sehn. Die Dame kam demnach,
Da eben von seiner Geduld der letzte Faden brach.
Entzücken war in seiner ersten Regung.
Allein Sie kam an Caramells Arm;
Dieß stimmte flugs die zweyte Bewegung
Zehn Grade tiefer herab.Womit der Dichter beweisen wollte, daß es just zehn Grade, und nicht 9 oder 11 gewesen, das wünschten wir wohl zu sehen. Wenigstens wüßten wir nicht, daß die Psychometrie, oder Seelen-Meßkunst, schon so hoch gestiegen wäre. Vermuthlich soll 10 hier nur ein numerus rotundus seyn, wie z. ex. beym Virgil, Quinquaginta intus famulæ &c. welches eben nicht schlechterdings sagen will, daß es nicht etliche mehr oder weniger gewesen; denn gesetzt auch, es wären ihrer acht und vierzig gewesen, so hätte Virgil doch keine andre Wahl gehabt, als entweder einen Hexameter mit einem halben Fuß zuviel zu machen, oder quinquaginta zu sagen. Sein Kopf war würklich zu warm,
Um nur ein Stäubchen mehr, als er bereits ertragen,
Erträglich zu finden. Ihm schwoll das Herz empor,
Er hätte sich gar zu gern mit der ganzen Welt geschlagen,
Und würklich nahm er den Ritter statt bey der Hand beym Ohr,
Zwar aus Zerstreuung bloß. Auch, statt es übel zu nehmen,
Begnügte sich Caramell, ihm mit seinem phlegmatischen Ton
Zu sagen: dieß ist mein Ohr, Herr Ritter.Hier ist eine Instanz, welche bestätiget, was die Leute mit feinen Nasen schon so oft bemerkt haben, daß alles, was unser Autor erträgliches sagt, Nachahmung ist. Diese Kaltblütigkeit des Ritters Caramell, z. e. ist offenbar vom Epiktet nachgeahmt. Als dieser sich noch im Sclavenstande befand, ließ ihn einst sein Herr, um einer schlechten Ursache willen, auf die Folter ziehen, und so grausam auf eins von seinen Beinen schlagen, daß Epiktet endlich sagte, es würde brechen, wenn er so fortmachte; gleichwohl fuhr der Herr fort zu schlagen; das Bein brach, und Epiktet sagte ganz gelassen: Sagt' ich doch, daß es endlich brechen würde. – Die Nachahmung fällt in die Augen. D. T. Auch Colifischon
Fieng an zu merken, sie habe die Lust ihn zu beschämen
Ein wenig zu weit getrieben. Sie bot itzt allem auf,
Den Fehler wieder gut zu machen,
Und kurz, man fand sich nach Verlauf
Von wenig Minuten geschickt, von nichtsbedeutenden Sachen
Zu schwatzen, zu lachen, zu tändeln; und unser Paladin
Sah in des fremden Ritters und Schatulliösens Betragen
Nichts, das ihm Grund zu geben schien,
Ihm seine Freundschaft, ihr sein Zutraun aufzusagen.
So kann, trotz seinem Adlersblick,
Ein warmer Kopf oft falsch aus wahren Bemerkungen schliessen!
Wir hielten nehmlich bisher mit einem Geheimniß zurück,
Das wir dem Leser sub rosa nunmehr eröffnen müssen.

Herr Caramell hatte, wie wir wissen,
Auf Schatulliösens Herz schon lang ein Auge gehabt;
Und wie die Furcht vor dem Riesen sie erst den wäßrichten Küssen
Des Flußgotts ausgesetzt, – wie drauf, mit Gaben begabt,
Wovon wir die Schatulliösen für Kennerinnen geben,
Don Boreas sie ihm vorm Munde weggeschnappt,
Dieß wird dem geneigten Leser in frischer Erinnerung schweben.
In Caramells Busen lag das Unrecht tief verwahrt,
So er durch ihre Wahl erlitten zu haben glaubte.
Wiewohl er, da ihn der Zufall mit Dindonetten gepaart,
Sich eine kleine Zerstreuung erlaubte;
So schwor er dennoch, (und schwur's bey kaltem Blut)
Nichts sollte vor seiner rächenden Wuth
Die Ungetreue beschützen, sobald er Gelegenheit fände.
Nun hatte sie wider Verhoffen der Zufall in seine Hände
Geliefert. Nichts gliech der Freude, die er darüber empfand.
Ihm konnte der neue Beweis von ihrem Unbestand
Nicht eine Minute entgehn! und da er durch einen der Geister
Im Hause sich ohne Mühe zum Meister
Von ihrem Geheimniß gemacht, so war die Schwierigkeit
Nicht groß, den Angriffsplan gehörig anzulegen.
Der Dame selbst war eine Gelegenheit
Sich wieder in Achtung bey ihm zu setzen nicht entgegen.
Und also hatten sie sich bey guter Tageszeit
Zu einem Spatziergang in den Alleen
Des Myrtenwaldes bestellt, von süßer Hoffnung genährt,
Einander wechselsweise recht fein zu hintergehen.
Doch da sie es der Mühe werth
Befanden, des Ritters vermeyntliche Klage
Genauer zu untersuchen, und da hiezu bey Tage
Gelegenheit fehlte, so wurde von Schatulliösen zuletzt
In einem Gartensaale die erste Stunde vor Morgen
Zu einem Tête-à-tête, doch ungern, angesetzt.
Denn Caramell hatte mit einem entfallnen Wort
Sich merken lassen, ihm sey der schwache Ort
Von ihrer Tugend bekannt. Dieß hieß sie billig besorgen,
Er könnte bey Amadisen zu ihrem Schaden vielleicht
Gebrauch davon machen. Die Liebe ängstigt sich leicht.

Zum Unglück war ein Gnom, in einer Hecke verborgen,
Von dieser geheimen Bestellung ein Zeuge gewesen. Es war
Gerade der Kammer-Gnom der schönen Colifischette,
Ihr so ergeben, daß er sogar
Die Ohren im Fall der Noth für sie gewaget hätte;
Ein kleiner Schalk, wie Pagen meistens sind,
Der seine gutherzige Lust in andrer Plage findt,
Und wenn er Gelegenheit hat, durch seine Schelmereyen
Ein zärtliches Paar um einen Rendez-vous
Zu bringen, oder um Nichts zween Freunde zu entzweyen,
Sich einbildt, es sende der Himmel ein großes Glück ihm zu.
Wen ein Geschöpf von dieser edeln Classe
Von ungefehr behorcht, verlasse
Sich zuversichtlich drauf, es werd ihm nicht besser ergehn,
Als Midas, dem König. Der hatte längere Ohren,
Als man an seinesgleichen zu sehn
Gewohnt ist. Nicht als hätte die Dame, die ihn gebohren,
An einem Satyr sich versehn;
Die Wahrheit war, es hatte sie Phöbus dem König
Bey einem bekannten Anlaß erhöht,
Der seiner Phrygischen Majestät
Geschmack und inners Ohr ein wenig
Verdächtig machte.Midas war bey einem musikalischen Wettstreit zwischen dem Apollo und Pan Schiedrichter gewesen, und hatte den Unverstand gehabt, dem Pan den Preis zuzuerkennen. Dafür hatte ihm Apollo ein paar lange Ohren angesetzt. Die Strafe war ein wenig hart. Denn was konnte Midas dafür, daß ihm Pans Musik besser geriet, als Apollons seine? Auch soll es keine Strafe seyn, sagte Apollo. Freylich kann Midas nichts für das Urtheil seiner Ohren; aber weil seine Ohren urtheilen wie Eselohren, so ist billig, daß sie auch so aussehen. Dieses Beyspiel soll keinen kleinen Schrecken unter die damaligen Kunstrichter gebracht haben. Don Midas (wie man sich
Leicht vorstellt) trug nun eben kein Verlangen,
Zu diesem Zuwachs öffentlich
Vom Hof, und den fremden Ministern den Glückwunsch zu empfangen.
Im Gegentheil verbarg er diese Zier
So gut er konnte. Er war der Erfinder der Phrygischen Mützen,
Die über die Ohren gehn. Allein vor seinem Barbier
In einer phrygischen Mütze zu sitzen,
War eine Sache von größrer Schwierigkeit,
Als er gedachte; zumal wenn im Calender die Zeit
Zum Haarabschneiden kam. Kurz aus dem Handel zu kommen,
Der Leib-Barbierer ward in Eid und Pflicht genommen,
Das Uebermaß der Majestät
Des Königlichen Ohrs vor allen lebendigen Seelen,
So lieb die seinen ihm sind, bis in sein Grab zu verheelen.
Acht Tage schleicht, von seinem Geheimniß gebläht,
Tiefsinnig den Kopf gesenkt, die Stirn' in politischen Falten,
Der arme Mann herum, doch länger es bey sich behalten,
Ist keine Möglichkeit. Die Chronik sagt, er sey
Von jenem berühmten Barbier zu Bagdad Anherr gewesen,
Von dessen enthaltsamer Zunge wir alle zweifelsfrei
In Tausend und einer Nacht die seltnen Proben gelesen.
Ihn schreckt des Königs Zorn, ihn schreckt sein theurer Eid,
Allein die Gefahr zu bersten ist keine Kleinigkeit.
Indessen da der Eid nur auf die Lebenden gehet,
So giebt sein Genius endlich ihm diesen Einfall ein:
Er scharrt ein Loch in die Erde, und murmelt leise hinein,
Was ihn acht Tage lang so schrecklich aufgeblähet.
Erleichtert schleicht er sich davon,
Und glaubt es schön gemacht zu haben;
Allein im nächsten Lenz, wächst, wo er aufgegraben,
Ein kleiner Wald von Rohr; und ein verräthrischer Ton
(So oft mit säuselndem Fittig ein Sohn von Zephyr und Floren
Es anweht) lästert aus dem Rohr
Dem, der es hören will, ins Ohr,

– Der König Midas hat  was hat er? –   Eselohren.
piano p.p. pianissimo


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