Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Fünfter Gesang.

Man hatte, ich weiß nicht wie (vermuthlich im Getümmel
Der Abentheuer, die dieser Abend gebracht)
An unsrer Damen Flucht nur obenhin gedacht.
Man hoffte sie wären nicht weit. Allein, nachdem die Nacht
Die Lichter nach und nach am Himmel
Itzt anzuzünden begann, und niemand kam, entstand
Ein schrecklicher Lerm. Princessin Colifischette
Zerriß in der ersten Wuth ihr schönstes Nachtgewand,
Und schrie mit ihrem Mädchen so kläglich in die Wette,
Als ob ihr Hündchen, Diana, den Styx befahren hätte.
Drey Schwestern fehlten, und wie man nach der vierten fragt,
So fehlt auch Dindonette, die, obenerzählter maßen,
Sobald man ihr die Flucht des Eichhorns angesagt,
Den guten Amadis mitten in ihrem Mährchen verlassen,
Und ihren Liebling zu suchen sich unbesonnen genug
Im dicksten Walde verlohr. Itzt muß sich ohne Verzug
Was Füsse hat aufs Suchen begeben.
Wohl funfzig Mohren durchirren mit flammenden Fackeln den Wald,
Man ruft, daß Felsen und Wipfel beben;
Und wenn der gerufene Nahm aus Klippen wiederhallt,
Wird oft des Rufenden Hoffnung betrogen.
Drey Stunden hatte das wüthende Heer
Vergebens ein großes Stück des wilden Gebürges durchzogen:
Sie fanden alles wüst und leer.
Die Löwen und Tyger ausgenommen,
Die sonst bey Nacht auf Beute ziehn,
Doch, glücklicher Weise, vor Fackeln als wie die Hasen fliehn.
Wie wird sie Colifischon, wenn sie zurückekommen,
Empfangen! Die Furcht davor verzögert ihren Lauf,
Und hält sie unterwegs noch eine Stunde auf.

Der Morgen brach heran, als auf dem schmahlsten Stege,
In blaugeschmelzten Waffen, ein Ritter auf sie stieß.
Ein Zwerg, der gut oder übel ein silbern Hifthorn bließ,
Ritt vor ihm her, und rief: Canaille, aus dem Wege!
Was sollten sie thun? Der Ritter schien ein Mann;
Und war ers (wiewohl hierinn der Schein betrügen kann)
So war er mehr, als Einer von unsern funfzig Mohren
Sich rühmen konnte. Denn ach! sogar sein muthiger Hengst
Erregte den Neid der Armen; sie hatten vorlängst
Die Quelle des männlichen Muths mit der Freude des Lebens verlohren.Une princesse de grande vertu & qui étoit demeurée fille toute sa vie, perdit la veue sur le retour de son âge. Comme elle etoit en cet état, un pauvre aveugle fut conduit à la portiere de son carosse, & lui dit: ma bonne Dame, ayés pitié d'un pauvre homme qui a perdu les joyes de ce monde: La princesse, qui l'entendit, demanda à une de ses femmes: Qu'a donc cet homme? Est-ce qu'il Eunuque? Non, ma Princesse, lui repondit cette femme; c'est qu'il est aveugle. Helas! le pauvre homme! Il a raison, repliqua-t-elle, je n'y songeois pas. Receuil des bons Contes & des bon mots par Mr. de Cailliere p.132. selon la Citat. de Bayle, Dict. H. & Crit. Tom. IV. p. 384.
Sie fanden also, nach wohl genommnem Bedacht,
Das sicherste sey, der ungeprüften Macht
Des Paladins und seines Zwerges zu weichen,
Der würklich einem Unhold zu gleichen,
Und nicht umsonst so höhnisch sie anzugrinsen schien.
Doch wie sie sahen, daß sich der gute Paladin
Begnügte, seinen Weg im Frieden fortzureiten,
Ward einer von ihnen so kühn, ihm in den Weg zu stehn,
Und fragte mit bittendem Ton: ob ihre Herrlichkeiten
Nicht drey bis vier Princessen im Walde laufen gesehn?
Meerkatzen in Menge, versetzte der Zwerg mit lautem Lachen,
Und manche darunter vielleicht noch gut genug,
Princessen daraus wie ihr sie sucht zu machen.
Doch, unter uns, ihr Herren seyd ihr klug!
Seit wann, wenn's euch beliebt, sieht man die Princessen in Haufen
Als wie die SapajousSapajous. Eine Art von kleinen Affen. herum in Wäldern laufen?
Seit gestern, sprach der Mohr; und daß dem also sey,
Das haben unsre Füsse nun gar zuwohl empfunden.
Wir laufen die ganze Nacht in dieser Wüsteney
Mit Fackeln herum, und haben nichts gefunden.

Dem Ritter scheint dieß Abentheuer werth,
Umständlich sichs erzählen zu lassen.
Der Mohr verspricht, die Sache ins kurze zu fassen,
Und sagt wohl zehnmal mehr, als jener zu wissen begehrt.
Dem Dichter gleich, der seine Iliade
Von Leda's Ey begänne, fieng Moslem seinen Roman
Von Bambo's Hochzeitnacht, und von den Feen an,
Die ihn dabey begabt, und wie Frau Carminade,
Die Königin, alle Jahre dem Sultan ihrem Gemahl
Ein hübsches Mädchen gebohren, und das zum sechstenmal;
Und wie die Mädchen gewachsen und schön und groß geworden,
Und manche Prinzen und Herrn vom ritterlichen Orden
Um ihren Besitz sich viel vergebliche Müh
Gegeben, sich blind geweint, die Kehlen sich abgeschnitten,
Auf schreckliche Abentheuer, um sie
Zu amüsieren, ausgeritten,
Mit Drachen, und Riesen und blauen Centauren gestritten,
Und, wenn sie alles gethan und erlitten,
Zu großem Verdruß des Sultans es doch nicht weiter gebracht,
Als daß die Princessen sich Spaß aus ihrem Leiden gemacht.
Wie nun Schah Bambo hierauf, aus väterlichem Verlangen,
Sich Großpapa nennen zu hören, nach einem Orakel gegangen,
Sey ihm zur Antwort geworden: er sollte ohne Verzug
Die Mädchen von sich schicken, um was sie nicht hätten zu suchen.

Wie! habe Schah Bambo gerufen, ist das Orakel klug?
Wo sucht man was man hat? Corbleu! wer sollte nicht fluchen?
Ich wette, die Mädchen kommen nicht wieder wie sie gehn!
Oft will man fischen und krebst. Doch, wenn sie suchen müssen
Und müssen suchen, so mag des Orakels Wille geschehn!
Nur wünscht' ich, mit seiner Erlaubniß, das quamobrem zu wissen.

Der Mohr erzählte weiter, wie Bambo's Töchter sogleich
Zum Abzug Anstalt gemacht, wie prächtig ihr Zug gewesen,
Wie groß die Welt sie gedäucht, wie manches Königreich
Von CaschemirWir merken diese Stelle an, weil sich daraus vermuthen läßt, daß diese Princessin aus diesem schönen Lande, welches heutiges Tages eine Provinz des Mogolischen Reiches ist, gebürtig, und also Schah Bambo, ohne Zweifel, Sultan von Caschemir gewesen. an bis zu den Siamesen
Und wieder vom Ganges zurück bis an den Nil
Sie durchgezogen, und allenthalben viel
Von sich zu reden gemacht, und Abentheuer gefunden;
Bis gestern, da sie Mittags in diesem Walde campiert,
Ihr Unstern einen Riesen die Queere dahergeführt,
Bey dessen Anblick vier von Bambo's Töchtern verschwunden;
Vier Damen, und zween Ritter, von manchem hübschen Schock
Verehrern, das einzige Paar, das ihnen treu geblieben,
Und wie die Aeltste sogar in der Angst den Unterrock
Vergessen, – kurz, was die Leser sich noch zu erinnern belieben.
Dabey wird auch des Ritters in Ehren gedacht,
Der Colifischetten indessen Cour gemacht,
Auch wird sein Sonnenschirm und Fächer nicht vergessen.
Der schöne Paladin (der mit zerstreutem Gesicht,
Ein wenig vorwärts gelehnt, auf seinem Pferde gesessen)
Fährt plötzlich auf, wie der Mohr von einem Fächer spricht,
Und läßt den Mann mit dem Fächer sich so genau beschreiben,
Als ob er ihn mahlen müßt'; er wußte wohl, warum.
Drauf spricht er: Ich denke, die Zeit uns zu vertreiben,
Wir ziehen mit! Der Weg ist allenthalben krumm,
Und endlich müssen wir doch da oder dorthin kommen. –
Die Mohren denken: Gottlob! So kommen wir doch nicht leer,
Und unsrer Gebieterin ist zum Lermen der Anlaß benommen.
Zwar hat sie zween bereits; doch einer mehr
Macht richtig drey, und drey sind immer besser;
Den Zwerg mit eingezählt wird gleich der Hofstaat grösser.


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