Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Dreyzehnter Gesang.

Inzwischen hatte der Neger vom Rausch der letzten Nacht
Sich wieder hergestellt, und große Anstalt gemacht,
Den Damen und Rittern, mit denen er Spaß zu haben gedenket,
Die Zeit zu vertreiben. Man wurde diesesmal,
Nach einem entsetzlichen Diner im großen Spiegelsaal,
Mit einer Opera-Buffa von seiner Erfindung beschenket.
Denn unser Mann war alles was ihr wollt;
Er hatte ein großes Talent zu Gastereyen und Festen,
Er machte auch Verse, so, so; sie klangen nicht zum Besten,
Doch desto besser klang sein Gold.
Man lobte an seinem Schauspiel – Verzierung und Maschinen;
Ihm kostete alles dieß nur einen Zauberschlag.
Und daß der letzte der Negern, wenn Sylphen und Gnomen ihm dienen,
Den großen Neguz selbst hierinn verdunkeln mag,
Ist keine Kunst. Die Damen und Herren erhoben
Auch seine Musik; Allein, was dies betrifft,
So können wir seinen Geschmack am Schwehren und Bunten nicht loben;
Uns ist er wahres Ohrengift.
Es lebe Galuppi und Hasse, und du, erzogen am Busen
Der Grazien, Sohn der Natur, mein Pergolese, du!
Dir hören, wenn du scherzest,Andeutung auf die Serva Padrona. entzückt die Griechischen Musen,
Es hören, wenn du das Schwerdt im tiefzerrißnen Busen
Der göttlichen Mutter beweinst,Andeutung auf das Stabat Mater dieses in seiner Art unvergleichlichen Genies. mitweinende Engel dir zu!
Dir, ihrem Liebling, entdeckte das große Geheimniß, die Herzen
Allmächtig zu rühren, die Göttin Harmonie,
Der Einfalt hohe Kunst! Wir fühlen wahre Schmerzen
Tief in der Brust, und wünschen ewig sie
Zu fühlen. Dem Wilden selbst, von dessen rauher Wange
Nie sanfte Thränen gerollt, wird warm in seiner Brust;
Erstaunt erfähret er bey deinem hohen Gesange
Zum erstenmal der Thränen göttliche Lust.
Und o! wem wallet nicht, von neuen Gefühlen umfangen,
Das Herz im Busen vor Verlangen,
Zu sterben den süssen Tod, in den dein himmlisches Lied
Den sanft entschlummernden Geist, von Engelsharfen umgeben,
Hinüber in Elysium zieht,In der Stanze: Quando Corpus morietur.
Des Weisen Uebergang zu einem bessern Leben!
In ihm, ihr Amphionen, studiert
Den hohen Geschmack, das Wahre zum ungefärbten Schönen
In edler Einfalt gepaart; die Kunst zu mahlen mit Tönen,
Die Kunst, mit starken Gefühlen den Busen auszudehnen,
Die Kunst, die Steine beseelt, und Seelen den Leibern entführt.
Seyd stolz genug, den neuen MarsyassenMarsyas, sagt die poetische Geschichte, war ein Satyr, der die Verwegenheit hatte, dem Apollo den Vorzug auf der Flöte streitig zu machen, und dafür, im eigentlichen Verstande, mit seiner Haut bezahlen mußte.
Die eitle Kunst zu überlassen,
Die, ähnlich einem Zauberfest,
Bey ihrem schalen Getön das Herz verhungern läßt,
Die mit den Tönen spielt, wie Gaukler aus der Taschen,
Und immer blenden will und immer überraschen.

Nach diesem Seitensprung – zu billigem Verdruß
Von jedem ächten Zoilus!
Wiewohl ein solcher dafür in seinem Exemplare
(Falls er ein eignes vermag) die beleidigten Regeln und sich
Mit einem langen rächenden Strich
Versöhnen kann – Sehn wir uns um nach unserm zärtlichen Paare,
Das, eh der Morgen erwacht, ungleicher Erwartungen voll,
In einem Gartensaal zusammen kommen soll.

Das Schauspiel, die Abendtafel, und alles war vorüber.
Auch unser Neger (der einer schönen Madam
Und vollen Flaschen gegenüber,
Zerstreut durch jene, gern von diesen zuviel bekam)
War, zwischen Seyn und Nichtseyn, nach seiner Gewohnheit, verlohren,
Zur Freude der Damen zu Bette gebracht,
Kurz, alles im Hause schlief, und lag noch auf den Ohren;
Als eine Stunde vor Auroren
Die keusche Wittwe des Tritons, mit gutem Vorbedacht
In sieben Schleyer verhüllt, nach dem bestimmten Orte
Beym hellen Glanz der Spica VirginisDie Aehre der Jungfrau, Nahme eines Sterns der ersten Größe im sechsten Zeichen des sogenannten Thierkreises.
Sich ihre Füße tragen ließ.
Sie fand, wie billig, an der Pforte
Des Saals, Don Caramellen schon,
So schmuck, als weiland Seladon,
Mit offnen Armen ihrer warten.
Sie spricht: Ich dächte, mein Herr, weil's noch in diesem Saal
Sehr dunckel ist, wir giengen hier im Garten,
Beym Sternenlicht. – Madam, ein andermal,
Wenn's Ihnen beliebt, versetzt der Ritter; ich bitte,
Bemühen Sie Sich in meine kleine Hütte;
Sie ist mit einem Sopha meubliert.
»Mit einem Sopha, mein Herr?« – Auf dem sich's herrlich lieget!
Man wird so sanft darauf gewieget;
»Mein Herr, Sie haben mich zu einem Schritte verführt,
Wobey ich Mühe habe, mich für mich selbst zu halten.
Sie sehen, wie weit mein Vertrauen auf ihre Weisheit geht!«
Ich kenne (versetzt der Ritter) und ehre die Majestät
Von Ihrer Tugend, Madam, sie soll bey Ihrem alten
Blaubärtigen Triton nicht besser versorgt gewesen seyn!
Geruhen Sie alle Scrupel für überflüßig zu halten.
Ein anders war es vielleicht bey Ihrem Boreas;
Da mochte sie in Gefahr brüskiert zu werden schweben;
Allein – »dieß, spricht sie, ist es eben
Was, Ihnen den wahren Schlüssel zu meinem Betragen zu geben,
Dieß Tête-à-tête mir abgenöthigt hat.«
Ich bitte Sie, schönste Prinzessin, kein Wort hievon zu verliehren!
Wo niemand klagt, findt keine Vertheidigung statt.
Sie sind in dem Alter, Madam, sich selber zu regieren,
Wer hat ein Recht zu fragen: was machen Sie da?
Und könnt' ich allenfalls, durch das, was jüngst geschah,
Beleidigt scheinen, – so ist, ich schwör es bey allen Kreisen
Des Ptolemäischen Himmels,Nach dem gemeinen Begriff, den man sich vor Copernicus und Galilei vom Welt-System machte, (welches nach dem bekannten Alexandrinischen Sternseher Claudius Ptolemäus, das Ptolemäische genennt wird) bewegen sich die Planeten, unter die man auch die Sonne zählte, nebst den Fixsternen, in acht verschiedenen Kreisen, von denen die Erde der ruhende Mittelpunct ist; eine Meynung, deren Ungereimtheit Fontenelle, in seinen berühmten Entretiens sur la Pluralité des Mondes, schon zu Ende des vorigen Jahrhunderts, auch den Damen einleuchtend gemacht hat. ein einzig Mittel nur,
Mir ihre Unschuld zu beweisen.
»Und welches?« – fragt die sanfte Creatur
Mit lispelndem Ton – Madam, mich kurz zu fassen,
Es ist, auf diesen Sopha sich gnädigst niederzulassen;
»Ich sehe nicht, mein Herr, was dieß beweisen kann;
Doch, Ihnen gefällig zu seyn, da bin ich,« – Reizende Güte!
Wie sehr verbinden Sie mich! In diesem Augenblick
Wird alles Vergangne zum Traum. Der müst' ein doppelter Scythe,
Ein Caraibe seyn, aus einem knotichten Stück
Brasilien-Holz gemacht, der sich, so nah bey Ihnen
Auf einem elastischen Sopha, vom Morgenstern beschienen,
Nicht sehnte, den leisesten Wunsch gereizter Rachbegier
Zu Ihren Füßen auszuhauchen.
»Wie, Caramell! (spricht die Dame) Sie sprechen so mit mir?
Vergessen Sie nicht, mein Herr, in ihren Reden hinfür
Ein wenig mehr Respect zu gebrauchen!«
Allein Herr Caramell, wenig durch diese Grimasse geschreckt,
Erwiedert: die seltsame Fordrung! Sie scherzen, Princessin! Respect?
Respect von einem Verehrer, der, auf die Folter gestreckt,
Zu ihren Füßen liegt? – Sie wissen am besten, wie brünstig
Wie lange Sie Caramell liebt! Itzt ist das Glück ihm günstig;
Was wär' er, Schönste? Sie Selbst, was dächten Sie von ihm,
Wofern er, wie ein Thor, die schönste der Morgenstunden
Entschlüpfen ließe? – »Mein Herr, Sie werden ungestüm!
Verwegner, was haben Sie je in meinem Betragen gefunden,
Das eine Sprache wie diese« – Princessin, fällt er ein,
Ich bitte, zwingen Sie mich nicht, indiscret zu seyn:
Nichts vom Vergangnen zu sagen (ich will Sie Boreassen,
Und Ihren Wassermann selbst ganz gern vergessen lassen)
Allein, ich weiß es, Sie lieben den schönen Amadis;
Sie haben sich ihm zur Dankbarkeit verbunden;
Der Stand, worinn Sie ihn gefunden,
Ein Stand, der blödern Nymphen die Augen schliessen hieß,
Die Gunst, die ihre Hand ihn damals fühlen ließ,
Dieß nennt man Proben, die keinen Zweifel erlauben.
Sie sehen, Erläutrungen wären bey mir nicht angewandt.
Was brauchen Sie das? Ist Ihnen mein Herz nicht längst bekannt?
Ich will von Allem nichts zu Ihrem Nachtheil glauben,
Doch, sprechen Sie Selbst, verdient so viel Ergebenheit
An ihrer Seite nicht ein wenig Dankbarkeit?

Die Dame seufzt, und schwieg, und fiel in tiefe Gedanken,
Ihr läßt, um Kleinigkeiten zu zanken,
Ja, nur zu sich selber zu kommen, der Grausame keine Zeit;
Doch endlich erkennt er es für seine Schuldigkeit,
Wir wissen nicht wofür Sich bey ihr zu bedanken.

Zum Unglück stieß unmittelbar
An eben diesen Saal, worinn wir Schatulliösen
Beschäfftigt sehen, die Zweifel des Ritters aufzulösen,
Ein kleines Boudoir an, das ihnen unbekannt war,
Und – rathet, wer darinn gewesen?

Wer anders als Amadis selbst? – Das war ein häßlicher Streich!
So geht's wenn man vergißt, daß Wände Ohren haben!
Der naseweise Gnom von einem Edelknaben
War einzig Schuld daran! – Nun denket selbst, wie euch
Bey einer solchen Verhandlung der dritte Mann gefiele?
Sie wußten zwar von nichts, und glücklich war's für sie;
Doch Amadis, dessen Rolle bey diesem Freudenspiele
Die angenehmste nicht war; fand desto grössere Müh,
Sich selbst in Fassung zu halten. Schon gab er dem raschen Triebe
Der zornigen Seele Gehör, dem Ruf beleidigter Liebe;
Schon wollt' er den Degen ziehen, und hätte durch Einen Streich
Zwoo schuldige Seelen zugleich
Dem Orkus zugesendet – –
Allein, erschrecket nicht! die Gefahr ist nicht so groß;
Denn da er ziehen will, so war sein Degen entwendet.
Das hatte der schelmische Gnom aus schlauer Vorsicht gethan,
Den Spaß dadurch vollständiger zu machen.
»Wie lustig wird es seyn (er mußte zum voraus lachen)
Wenn Amadis, schnaubend und roth wie ein gereizter Hahn,
Sein Eisen ziehn will, und nicht kann!«

In Fällen dieser Art kommt einem Bidermann
Sein Seneca vortrefflich zu statten.
Da fängt man mit sich selbst zu raisonnieren an:
»Welch häßliches Ding um den Zorn! – Er ist der schönen Natur
Zuwider, ist ungroßmüthig, ist schädlich, ficht mit Schatten,
Haut in die Luft, und trifft sich selber nur.
Unmöglich ist's, ihn mit der Weisheit zu gatten.
Ein Weiser sollte den Thoren, den Wurm, die Mücke, die ihn
Gestochen hat, mit seinem Zorne beehren?
Ihn sollten Dinge, die nicht zu seinem Wesen gehören,
In seiner hohen Ruhe stören,
Und aus sich selbst heraus in ihren Wirbel ziehn?«
Dergleichen prächtige Phrasen philosophierte der Ritter
Sich selber vor, so wie sich das Ungewitter
In seinem Blute zertheilte; – und merkten wir's nicht an,
So dächte wohl kein Mensch daran,
Daß sieben Achtel davon dem kleinen Gnomen gehören.
Er endigt endlich damit, für einen Phantasten den Sohn
Von seinem Vater, die Dame und ihren Endymion

Sed tuus Endymion dilectæ fiet adulter
Matronæ –
Juvenal. Sat. X. 318.
Abermal ein Plagium!


Unwürdig seines Zorns zu erklären;
Und da ihn beydes spornt, aus diesem verhaßten Schloß
Sich auf der Stelle zu verbannen:
So schleicht er leise sich fort, besteigt sein edles Roß,
Und reitet unmuthsvoll den großen Trott von dannen.


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