Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Den Leser ohne Noth im Zweifel schweben zu lassen
Was dies und jenes sey, warum, und wie es so,
Nicht anders, geschieht, und so fort, – ist etwas das wir hassen.
Zu wissen sey demnach, der Garten (der denen zu StoweGärten zu Stowe
Die berühmten Gärten, welche Milord Cobham angelegt, und wobey er sich die villam des Kaysers Hadrians zu Tivoli, nach der Idee, die uns Spartian davon giebt, zum Muster genommen zu haben scheint. Denn Hadrian ließ in diesen Gärten die berühmtesten und schönsten Gegenden und Gebäude Griechenlands, welche er auf seinen Reisen gesehen hatte, im kleinern vorstellen.

Und keinem andern wiech, obgleich von Zephyrn und Floren
Der Mutter der Grazien selbst zum Sommersitz gebaut)
Der Garten, von dem die Infantin die Wunder itzt beschaut,
Gehörte zum Schloß des bezauberten Mohren,
Woraus wir die Blonde der Blonden, die schon sich selbst für verlohren
Gehalten, wiewohl mit ziemlicher Müh,
Herausgebracht, mit der Bedingung, daß sie
Den schönen Amadis zurücke lassen mußte.
Geschichten, wovon die Schwester, es wäre dann durch Magie,
Nichts wissen konnte, und würklich auch nichts wußte.

Wir selber wissen nicht, aus welcher Laune der Mohr
(Ein schelmischer alter Knabe!) dem armen versteinerten Ritter
Die höchste Gegend im Garten zum Ruheplatz erkohr.
Dort sollt' er, ringsumher von einem goldnen Gegitter,
Mit Blumentöpfen besetzt, bis an den halben Leib
Umgeben, (in einer Stellung, die einst den Antiquaren
Zu schaffen machen wird) das wundervolle Weib
Erwarten, die ihn, trotz allen Scrupeln, Gefahren,
Und Kosten der Unternehmung, aus seinem bezauberten Stand
Erlösen würde. Wir lassen dieß alles gern den Leuten,
Die auf entdeckte Aehnlichkeiten
Sich viel zu Gute thun. Genug, Herr Amadis stand
Auf einem Fußgesimse, an einer grünen Wand,
So da, als wäre sein Amt, die Vögel zu verscheuchen,
Und (ohne ihn darum mit jemand zu vergleichen)
Die Nymphen dazu, die hinter den Rosensträuchen,
Ihn anzusehn, auf den Spitzen der Füße herbey sich schleichen.

Ihr böser Genius (würd' ein alter Porphyrist,Die Alexandrinischen Platoniker, unter welchen Porphyrius einen großen Nahmen hatte, waren gewaltige Geister-Seher. Die unsichtbare Welt war es nicht für sie. Sie classificierten die Geister eben so zuversichtlich, wie Linneus die Pflanzen; sie wiesen einer jeden Gattung ihre Verrichtungen an, und schrieben die Mittel vor, wie man mit ihnen in Gemeinschaft treten, und sie sogar sich unterwürfig machen könnte. Der Satz, daß ein jeder Mensch seinen eigenen Dämon habe (eine Meynung, die von uralten Zeiten her bey den meisten Völkern des Erdbodens geherrschet hat) machte einen wesentlichen Grundsatz ihres Systems aus.
Ein Kapnio,Johann Kapnio, oder Reuchlin, einer der ersten Beförderer der ächten Litteratur unter den Deutschen zu Anfang des 16ten Jahrhunderts. Es war eine von seinen besondern Grillen, daß er sich bemühte, die Träumereien der Alexandrinischen Schule, und überhaupt die schwärmerische Philosphie, die in den Schriften herrschet, welche den ältesten Patriarchen, dem Hermes, und andern berühmten Personen des noch ungelehrten Alterthums untergeschoben worden sind, und die er für ächt hielt, mit den Grundsätzen der Christlichen Theologie in Verbindung zu setzen; eine Grille, welche in selbigen Zeiten das Steckenpferd verschiedener guter Genien war. ein RosenkreuzerRosenkreuzer. Die Brüderschaft des Rosenkreuzes, ein Schimärischer Orden von angeblichen Adepten, für welche die Natur nichts geheimes hatte, und die sich aller der Vollkommenheiten und Vorzüge rühmten, welche von den Reformatoren der heidnischen Religion aus der Schule des Ammonius und Plotinus der Theurgischen Magie zugeeignet werden. Wer diese Brüderschaft (welche eine Zeit lang viel Aufsehens in der Welt machte) aus ihren ersten Quellen kennen zu lernen keine Lust oder Gelegenheit hat, kann sich aus den berühmten Memoires du Comte de Gabalis, einem der besten philosophischen Romane, einen hinlänglichen Begriff davon machen. sagen,
Trieb ihrem Verhängniß sie zu. Ich, dessen Sache nicht ist,
So lang ichs vermeiden kann, Genien anzuklagen,
Ich sage gerade heraus: Der Vorwitz trieb sie dazu,
Die Schwachheit aller Even-Töchter,
Die ewige Feindin von ihrer und auch von unsrer Ruh.
Sie sieht den schönen Gartenwächter
In lebenathmender Stellung, so unbeweglich stehn,
Als wär' er Stein. Ihr scheint dieß Phänomen
Der kleinen Mühe werth, ein wenig näher zu gehn.
War denn, wenn ja die Genien soviel zu thun sich machen,
Kein weisser Genius da, gleich diesen Augenblick
In einen blauen Bären, Centauren oder Drachen
Sich umzukleiden, und Bambo's Tochter zurück
Bis an den äußersten Wald, woher sie kam, zu jagen?
Sie haben größere Dinge vielleicht zu thun; – Man kann
Nicht allenthalben seyn; – man ist – was sollen wir sagen?
Kein Genius kam! Sie stieg, sie stieg die Terrasse hinan,
Und ist schon nahe genug, um ohne Lorgnette zu sehen.
Sie stutzt – das bildet jedermann
Vorhin sich ein! – Umsonst! das Aergste war geschehen!
Unglückliche Nymphe! – O Töchter Bambo's, wozu
Treibt euer Schicksal euch von Caschmir bis zu den Höhen
Des himmelstützenden Atlas! – Du Arme! für deine Ruh
Hast du bereits zuviel gesehen!

»Fiat justitia! – und sollte das Menschengeschlecht
Zu Grunde gehn, und keiner übrig bleiben,
Der an die Wand p*st!« – Nun! So weit die Sachen zu treiben,
Gestrenge Herren und Freunde vom stricten Recht,
Dieß möchte Schwierigkeiten finden!
Doch, zum Beweise, daß wir gehörig empfinden,
Wir sehr uns Menschlichkeit und sensus communis verbinden,
Gerecht zu seyn, soll auch (wiewohl wir sie
Nicht lieben) Schatulliösen ihr volles Recht geschehen!
Wir sagen demnach: Sie hatte, bezaubert durch die Magie
Der Neugier, einmal nur den Helden angesehen.
Doch gleich beym ersten Anblick schlug
Die Keusche züchtiglich die kleinen Augen nieder.
Ihr fuhr ein Schauer durch die Glieder,
Sie lief so weit ihr Fuß, gelähmt von Schrecken, sie trug.

Ein kleiner Labyrinth von neubeschohrnen Hecken
Bot ihr die nächste Zuflucht an.
Der Argwohn flüstert, sie hab' es gethan,
Um ihren Vorwitz vor Zeugen zu verstecken.
Man konnte freylich bequem durch diese Hecken sehn.
Und Amadis, wie gesagt, war würklich ein Phänomen!

Was (denkt sie) mag es bedeuten? Wen stellt es vor? Ists möglich,
Daß Kunst auf diesen Grad sich in Natur verstellt?
Man glaubte von wollendem Blute die schönen Arme geschwellt,
Die, wie zum Umarmen, sich öffnen! Und doch so unbeweglich!
Die schönen Arme! nichts in der Welt
Kann feiner seyn! Man kann sie nicht zierlicher drechseln!
Ists Marmor? lebts? – Gewiß, es lebt, es athmet, es muß
In diesem Augenblick die Attitüde wechseln;
So spricht sie, und guckt hervor, und sieht nicht ohne Verdruß
Betrogen sich von einem beynah untrüglichen Schluß.

Die Dame machte, bey ihren andern Verdiensten,
Prätension, von allen schönen Künsten
Die feinste Kennerin zu seyn.
Sie spürt' in einem Gedicht, in einer Zeichnung die Mängel
Mit critischer Schlauheit aus, sprach technischIn Kunstwörtern. vom Contour,
Vom Zauber der Farben, von Ausdruck und schöner Natur,
Entzieferte wie ein Oedip die Räthsel im Merkur,Im Mercure de France, wo der Witz müßiger Provinzialen noch immer mit Räthseln und Logogryphen im Athem erhalten wird.
Und decoupierte wie ein Engel.
Doch lehnte sie sehr bescheiden die Ehre von sich ab,
Selbst Virtuosin zu seyn; sie kannte
(Sprach sie, mit einem Ton, der zu verstehen gab,
Sie fordre nicht, daß man's glaube) sie kannte
Sich selbst zu gut, und war nur eine Dilettante.

Wir geben gerne zu, das was man Kennerschaft nennt,
Ist auch an Damen ein schönes Talent.
Allein dieß schöne Talent – o, hört es, ihr Mädchen alle!
Ihr, die ein zweydeutiger Stern mit schönen Talenten begabt,
Wofern ihr's an euch selbst nicht schon erfahren habt,
So nehmt es zu Herzen! – es brachte die Tochter Bambo's zu Falle!

Sie denkt: Es kann am Ende doch nur ein Kunstwerk seyn!
Und ists ein Werk der Kunst, so würde michs ewig gereun,
Es nicht genauer betrachtet zu haben.
Vielleicht ist der Nahme des Meisters ins Fußgestelle gegraben?
Schönheiten sind daran, vielleicht auch Fehler, zu sehn,
Die in der Ferne verschwinden? Was hält mich, näher zu gehn?
Wer sieht mich hier? Wen sollte ich scheun?
Zwar ist's ein Mann, – doch nur ein Mann von Stein!

Sie schleicht, indem sie oft auf alle Seiten schielet,
In schlängelnden Linien näher und immer näher heran.
Nun steht sie ihm gegenüber, und blinzt erst schüchtern an,
Was itzt in vollem Glanz ihr in die Augen spielet,
Dann immer kühner und kühner; zuletzt mit allem Muth
Der Kennerschaft, nur nicht mit so gelaßnem Blut.
»Welch herrliches Werk! Wie konnt' es so vollkommen,
So idealisch, aus Menschenhänden kommen!
Von welchem sichtbaren Gotte ward das Modell genommen?
Doch nein! Es ist nicht Kunst! Es athmet würklich; gewiß!
Blut cirkelt ihm in den Adern! Ich wette, dürft' ich's wagen,
Und legt' ihm die Hand aufs Herz, ich fühlt' es unter ihr schlagen!«
O Tochter Bambo's! Welch ein Gedanke war dies!

Sie staunt. – »Und warum nicht, denkt sie, warum nicht wagen
Die Hand aufs Herz ihm zu legen? Was kann gleichgültiger seyn?
Denn was auch, hintergangen vom Schein,
Die Augen mir sagen, so ist es doch nur Stein!« –
Sich recht davon zu überzeugen,
Entschließt die Kennerin sich, getrost hinan zu steigen.
Doch wie sie so nahe sich sieht, trifft ihre Phantasie
Ich weiß nicht was; ihr Gehirn kömmt aus den Falten;
Ihr schwindelt; Sie muß, um nicht zu fallen, sich halten;
Legt in der Angst die Hand – sie sagte nie, worauf;
Und – Amadis wacht aus seiner Bezauberung auf!

Wer ist, der wohl im gleichen Momente
Zum Leben wieder auferstehn,
Die Schöne, deren Werk es wäre, vor sich sehn,
Und seine Dankbarkeit in Schranken halten könnte?
Was kann er weniger thun, als ihr von diesen Armen
Die Erstlinge weyhn, die wieder durch ihre Berührung erwarmen?
Entzücken und Dankbarkeit lassen in diesem Augenblick
Ihm nicht die Macht, auf dieß und jenes zu merken,
Was ihren Schrecken vielleicht geschickt war zu verstärken.
Sie zittert, mit einem Schrey, aus seiner Umarmung zurück;
Zum Unglück glitscht ihr rechter Fuß im Fliehen;
Sie fällt; – auf weiches Gras und ohne Schaden zwar,
Allein sie hat, was hier das schlimmste war,
Das Mißgeschick, den Ritter nachzuziehen.

Nun fordr' ich ungescheut die Weisen und Narren heraus,
Und sage: Versuchts, und sinnt mir einen Zufall aus –
Ich sage mehr: lasts alle der Menschheit gehäßige Wesen,
Den Arimanius und Typhon,Arimanius und Typhon. Nahmen der bösen Grundwesen, von denen in der Theologie der alten Perser und Egyptier der Ursprung des Uebels abgeleitet wird. mit allen bösen
Verdammten Geistern, versammelt in ihrem Parlament,
Versuchen, und einen ersinnen, der einer Preciösen
Die Seele vor Gram vom Leibe zu lösen
Geschickter wäre, – so fern er, Typhon, im gleichen Moment
Die dritte Person, von welcherley Geschlechte,
Zu diesem an sich selbst so simpeln Zufall brächte!

Man braucht nicht viele Kenntniß der Dinge dieser Welt,
Zu wissen, wie oft das Verhängniß der Unschuld, oder der Ehre
Des armen Erdenvolks dergleichen Fallen stellt.
Allein, wie selten ists, daß man zur Warnung und Lehre
Sichs merkt, und gegen den Schein sein Urtheil vorbehält?
Wer, der des wahren Verlaufs der Sache nicht kundig wäre,
Und hinter den Hecken, auf einmal daher-
Gegangen käm', und sähe zwo Personen,
Wie unsre hier, vom bloßen Ungefehr
So wunderlich gruppiert, – wer hielte nicht, ihrer zu schonen,
Für Thorheit und sträflichen Leichtsinn vielmehr
Als Billigkeit? – So gieng es Boreassen!
Der zwo Sekunden, nachdem der Fall geschah,
Die Dame, die er sucht', im Grase liegen sah.
Wie konnt' ein Mann wie Er bey solchem Anblick sich fassen?
Betäubt und sinnlos steht er da,
(Der Thor! Wer wird denn auch so gerade zur Unzeit erwachen?)
Sein Auge starrt, ihm klebt die Zung' am Rachen!
Doch plötzlich ergießt sich sein feuriges Blut
Durch alle Adern! Er zieht mit beyden schwellenden Händen
Sein Schwerdt, und stürzt hervor, in eyfersüchtiger Wuth,
Um beyde durch Einen Streich in Charons Nachen zu senden.


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