Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Mit tiefer Bestürzung vernimmt der Graubart, wie gelehrt
Sein Telemach ist, sich selber zu verführen.
So den Homer zu commentieren,
Das hatt' er wahrlich nicht in seinen Stunden gehört!
Man hätte dem Prinzen, sein Herz der Liebe zu verschließen,
Homern nicht lesen, viel minder Cytheren mahlen müssen.
Vergebens wird er, seitdem ihm diese Lehrer entdeckt,
Wofür er zärtlich ist, mit Orakelsprüchen geschreckt.
Er läßt euch bitten und dräun, und seine Verblendung beklagen.
Dieß alles reizt ihn nur mehr, das Abentheuer zu wagen!

Nicht ferne vom Thurme, worinn Prinz Amadis
Der Liebe zu einer Idee, die außer seinem Gehirne
Vermuthlich nirgends ist, sich schmachtend überließ,
Wohnt' eine Fee, auf deren schöner Stirne
Das Alter bereits begann die ersten Furchen zu ziehn.
Schön war sie einst gewesen, und hatte im Verblühn
Die Reizungen alle in vollem Glanz erhalten,
Die nicht so bald wie Mund und Wange veralten.
Sie hatte den Prinzen zwar nur in ihrem Buche gesehn;
Doch fand sie ihn schon in ihrem Buche zu schön,
Ihm nicht in seiner Bedrängniß aus – Großmuth beyzustehn.

Das schwarze Stäbchen, womit die Alquifs und AlcinenDer weise Zauberer Alquif, der im Amadis de Gaule eine große Rolle spielt, ist aus dem Don Quixotte, und die Zauberin Alcine aus dem Orlando Furioso bekannt genug.
So große Wunder thun, sprengt seine Kerker auf.
Er schleicht hinaus; zween Sylphen ersparten ihm den Lauf
Bis in der Fee Gebiet; er schwebte zwischen ihnen
Nach Art der Götter daher, und wußte nicht, wie ihm geschah,
Da er im schönsten Garten allein und frey sich sah.
Er lag auf Blumen, in zweifelhaftem Entzücken,
Und traute seinen Sinnen kaum:
An einem solchen Ort ließ oft ein schmeichelnder Traum
Die schöne Idee, die er liebt, ihn unter Rosen erblicken.

Doch, da er gewiß zu seyn meynt, sein Abentheuer sey wahr,
Steigt sein Entzücken zum äußersten Grade.
Man hoffet so leicht im sechzehnten Jahr,
Was man sich wünschet! Er glaubt sich auf dem Pfade,
Der ihn geraden Wegs zu seiner Göttlichen führt.
Die Sonne stand noch hoch. Die kluge Fee hatte
Die Stunde seiner Befreyung sehr weislich calculiert.
Sein alter PansophusPansophus – ein Mann der alles weiß; welches in Concreto ungefehr eben soviel sagen will, als ein Mann, der besser thäte, gar nichts zu wissen. schlief getrost auf seiner Matte,
Und träumte – die Quadratur des Cirkels, ahnungslos,
Was gegen die Tugend des Prinzen sich, während er träumte, beschloß.

Gleich unbesorgt, auf einem Sopha, pflegte
Die schöne Fee, in einem Gartensaal
Der Mittagsruh, – und überlegte,
(Wie einer Dame geziemte, die nicht zum erstenmal
In dieser Lage sich fand;) mit scrupelhafter Wahl,
Die Mittel, sich des Prinzen, der ihr aus ihren Büchern
Ein mächtiger Schwärmer schien, am besten zu versichern.
Die Thür des Saals (vermuthlich aus Versehn
Des Kammermädchens) offen sehn,
War meinem Prinzen ein Wink, sich sanft hinein zu stehlen.
Es herrschte darinn der dämmernde, zärtliche Tag,
Den Damen von vierzig sehr klug zu ihren Siegen wählen.
Sehr sittsam war die Stellung, worinn die Nymphe lag.
Die schlaue Tugend der hohen feyrlichen Prüde
Setzt, wenn sie bezaubern will, sich in diese Attitüde.
Kurz, ihr gelangs. Mein Prinz, von seiner Idee
Bethört, glaubt, daß er sie in ihr verkörpert seh,
Und alle Schüchternheit vom ersten Jünglingsstande
Hält ihn mit Müh zurück, Thorheiten zu begehn.
Schon schwebte der Ausruf, o Götter, wie schön!
Auf seinen Lippen. Das Beste war, zu gehn!
Auch that er's, nachdem er vorher den Saum von ihrem Gewande
Geküßt, nicht ohne den Kopf sehr oft zurück zu drehn.

Was weiter erfolgt, und wie die Fee erwacht,
Den Prinzen gefunden, Bekanntschaft mit ihm gemacht,
Und ohne dergleichen zu thun, als ob sie seine Befreyung
So nah beträfe, ihm viel verbindlichs gesagt,
Und wie er, von ihren Blicken ermuntert, und voller Verzeyhung
Voraus versichert, zuletzt sein kühnes Geständniß gewagt;
Wie viele Schwierigkeit er in ihrer Tugend gefunden,
Bis endlich nach manchem Strauß die Liebe überwunden,
Und kurz, den ganzen Proceß, wie, an Händen und Füssen gebunden,
Ein Knabe, der sein Herz in seinen Augen trägt,
Betagten Reizungen sich Preiß zu geben pflegt:
Dies alles sind Dinge, wovon die Meister der Kunst zu lieben
Uns Anfang, Mittel, und Ende, in mehr als Einem Roman,
Aus sichern Quellen so psychologisch beschrieben,
Daß ich hierüber mich gänzlich auf sie beziehen kann.
Drey lange Wochen, drey Tage nach Amors Calender,
Träumt Amadis, im Besitze des höchsten Gutes zu seyn.
Man theilte Tag und Nacht in tausend Vergnügungen ein,
Und gab und nahm unzählige Liebespfänder.
Doch unvermerkt zerfloß der zaubrische Nebel, durch den
Er seine phantastische Göttin in einer Prüde gesehn;
In einer Prüde, die ihm die Würkung sinnlicher Triebe,
Mit schlauem Betrug, für Empfindungen gab.
Und wie der Nebel verschwand, so nahm die feurigste Liebe
Die jemals gewesen, in schnellen Graden ab.
Die arme Fee! Hier half kein Zauberstab,
Hier halfen nichts die schlauen ovidischen Künste!die schlauen ovidischen Künste, – deren ziemlich vollständige Theorie, auf tiefe Kenntniß des menschlichen Herzens gegründet, die Schönen, welche derselben vonnöthen zu haben glauben, aus dem dritten Buch des Ovidius, von der Kunst zu lieben, auf ihre Gefahr, lernen können.
Vergebens ließ die Dame an ihm nichts unversucht,
Ihr half Coketterie nicht mehr als Eyfersucht,
Geduld und zärtliches Schmachten so wenig als Launen und Dünste;
Abtreten mußte sie ihn, und an ein Hirngespinste!
Zum Glücke für meinen Herrn fiel just zur nehmlichen Zeit
Ein junger vielversprechender Ritter
In ihre Netze. Die Ungelegenheit,
In irgend ein himmlisches Thier, Stier, Seekrebs oder Widder,
Sich übersetzt zu sehn, ward ihm dadurch erspart.
Itzt trennte man sich doch mit ziemlich guter Art.
Sie selbst ermahnte den Prinzen, die Zeit nicht zu verliehren,
Und als er sich höflich zu Gnaden empfahl,
So hatte sie Bosheit genug, den Abschied nicht einmal
Mit einem einzigen Thränchen zu zieren.

Mein Prinz verfolgte nunmehr auf einem schönen Pferd,
Das ihm gezäumt und gesattelt die dankbare Fee verehrt,
Das schöne Phantom, an welches er sonder Entzücken
Nicht denken kann, und das mit jedem neuen Betrug
Nur desto tiefer sich scheint in sein Gehirne zu drücken.
Nur dieses (schwor er mir zu, auf unserm ersten Flug)
Sey fähig, ein Herz wie seines zu beglücken.
Die erste Dame, zu welcher uns Weg und Zufall trug,
Schien ihm die Gesuchte zu seyn, und seit drey Sonnenjahren
Hab ich sechs Dutzend gezählt, die nach und nach es waren.

Dem lauten Gelächter Don Parasols, der neben
Der Tochter Bambos saß, und mit zerstreuter Art
Erzählen hörte, Raum zu geben,
Hält Ferafis inn, und zupft sich indessen am Bart.
In viel ernsthafterem Lichte betrachtet Colifischette
Die Sache. Sie reizt der Gedank', ein Herz zu fixieren, wie dies.
Die Kleinmuth, daß sie dazu vielleicht nicht Reiz genug hätte,
War nicht in ihrem Character. Sie hielt sich des Sieges gewiß.
Herr Ritter, denken Sie nicht (fragt sie mit schelmischer Miene)
Daß dieser Schwärmer die Müh ihn fest zu halten verdiene?
Die Frage war spitzig genug. Der Stutzer, als hört' er sie nicht,
Fängt mezza voce an: »wie gleichet nicht Zephyr der Floren!
Sie haben sich weislich erkohren,
Sie wählen den Wechsel zur Pflicht.«
Sie singen vortrefflich, mein Herr! Ich sehe wohl, sie haben
(Hier seufzt sie) für unsre Ruh nur allzuviele Gaben!
Sieh, Zelis, (fährt sie fort, zu einer Sclavin) wie sich
Der schöne Ritter befindet! – Doch Nein, ich selbst will gehen!
Er ist der artigste Mann – Mein Herr, Sie führen mich –
Der artigste Mann, den ich jemals gesehen.

Mit einer kleinen Grimasse, die lächeln sollte, reicht
Der Stutzer ihr den Arm, wirft auf der Zofen eine
Im Fortgehn einen Blick, der Stahl und Marmor erweicht,
Und läßt, sobald er das Zelt des Nebenbuhlers erreicht,
Mit einer tiefen Verbeugung die Dame bey ihm alleine.
Die Nymphe, die er zum Werkzeug zu seiner Rache ersah,
War reizend genug für eine Passade,
Und dringend Parasol. Doch ob, und wann er Gnade
Vor ihr gefunden, und was in den Zelten weiter geschah,
Verschieben wir itzt, und suchen der andern Schwestern Pfade.


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