Christoph Martin Wieland
Der neue Amadis
Christoph Martin Wieland

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Siebenter Gesang.

Ihr Grazien, wenn mein Dienst euch je gefällig war,
So laßt bey diesem Gesang mich euern Einfluß empfinden!
Wie könnt' ich, sonder euch, der Gefahr,
Die uns bevorsteht, mich und meinen Helden entwinden?
Die Wahrheit, so schön die Weisen sie unbekleidet finden,
Wird allzuoft dadurch den Schwachen ärgerlich.
Erlaubt ihr, sokratische Grazien,Sokratische Grazien.
Ohne Zweifel eine Anspielung auf die marmornen Bilder der Grazien, welche vor dem Eingang des Schlosses zu Athen stunden, und ein Jugendwerk des Sokrates waren, des nehmlichen Sokrates, welcher in der Folge Xenophonen und Platonen bildete. Diese Grazien waren bekleidet. Die Idee sie zu bekleiden würde dem Sokrates Ehre machen, wenn er der Erfinder davon wäre. Aber die Wahrheit zu sagen, Pausanias berichtet uns in seinen Boeoticis, daß die Mode, die Charitinnen nackend zu bilden und zu mahlen, erst in spätern Zeiten aufgekommen sey, ohne daß er eigentlich habe entdecken können, wann und von wem.
sich
Vor cynischen Faunen und critischen Zwergen
In euern Schleyer zu verbergen:
Und ist noch Raum, so deckt auch mich!

An Ort und Stelle gelangt, sieht itzt der Paladin
Den flammenden See vor seinen Augen prasseln.
Bey diesem Anblick verläßt beynahe sein Heldenmuth ihn.
Dieß, denkt er, sind die Flammen, worinn die Verworfenen glühn,
Ihr Winseln erschüttert mein Ohr, ich höre Ketten rasseln.
Sich hier hinein zu stürzen, wenn man's umgehen kann,
Das hätte Don Esplandian
Und Don Quischotte selbst so wenig als ich gethan.
Es wird kein Ueberfluß seyn (so spricht er zum PygmäenSo spricht er zum Pygmäen.
Zum Zwerge nehmlich, den der Dichter vorhin einen Lilliputter nannte. Man kennt diese letzten aus Güllivers Reisen, dem besten und schlimmsten von des berühmten Dechant Swifts Werken, welche (mit Erlaubniß eines gewissen weisen Mannes, der sich nicht allezeit die Mühe giebt zu denken was er sage,) die Hochachtung, worinn sie bey der vernünftigen und witzigen Welt stehen, nicht bloß der Wohlredenheit ihres Verfassers zu danken haben. – Pygmäen, sind, wenn wir dem Homer, (Iliad. III. v. 6.) und allen, die es ihm nachgesagt haben, glauben, eine Nation sehr kleiner Menschen, welche mit den Krannichen in einem Kriege leben, wobey sie gemeiniglich zu kurz kommen. Die alten Geographen widersprechen sich, nach ihrer Gewohnheit, in ihren Nachrichten von diesen angeblichen kleinen Menschen, die nur eines Palms hoch sind. Aristoteles versichert uns zwar ihre Existenz, aber nicht den Umstand, daß sie mit den Krannichen in ewigem Kriege lebten, wie die Herausgeber des Dictionnaire de Moréri, T. V. p. 1004. b. auf Treu und Glauben der lateinischen, sehr freyen, und unzählichemal unrichtigen Uebersetzung in Düvals Ausgabe, ihm andichten; denn davon sagt der Text kein Wort. S. Histor. Animal. L. VIII. c. 12. Opp. Aristot. Tom. I. p. 907.
)
Uns, eh man das äußerste wagt, ein wenig umzusehen.
Herr Ritter (sprach der Zwerg) von hier zum Schlosse geht,
Wie jeder weiß, der seinen Euklides versteht,
Der kürzeste Weg gerade durch die Flammen.
Doch, wenn Ihr Muth, wie es scheint, sich nicht durch Zögern kühlt,
Und sucht den Weg, den ihm die Klugheit empfiehlt,
So hängt das Schloß mit dem Lande durch eine Brücke zusammen –
Herr Zwerg, (erwiedert der Held) ich hätte gute Lust
Euch durch den kürzesten Weg, den uns Euklides weiset,
Die Ohren zu stutzen. Wofern ihr eine Brücke gewußt,
Was brauch' ich, daß ihr mir den Weg durchs Feuer preiset?
Ich bitte tausendmal ab! es war nicht böse gemeynt,
(Versetzt der Zwerg) Herr Ritter, wie es scheint,
Kann Eure Herrlichkeit die Laune nicht vertragen?
»Zur Unzeit nicht, Herr Zwerg! – Im übrigen wollt' ich nur sagen,
Der Neger, gnädiger Herr, sey schwerlich höflich genug,
(Wiewohl es bey Ihresgleichen gewöhnlich ist) den Zug
Der Brücke hinunter zu lassen; – und, wie Sie besser wissen
Als ich, ist eine Brücke, die aufgezogen ist,
So gut als keine. – »Mich wundert, daß diesmal Trismegist
Und Archimedes nicht als Zeugen erscheinen müssen.
(Spricht Amadis) – Doch sieh, dein Neger ist besser, als man
Nach deiner Beschreibung von ihm erwartet hätte.
Der Weg ist offen! Ich nehme das Omen an!
So rief er, und spornte sein Roß; denn eine Wagenkette
Von Gold, mit Rubinen besetzt, war aller Widerstand,
Den unser Held vorn an der Brücke fand.
Sie sprang auf den ersten Hieb vor seiner bezauberten Klingen
In Zwey wie Glas. Er ritt mit aufgezognem Visier
Bis an das innerste Thor, und weder Mensch noch Thier
Wehrt ihm, bis ins Gemach der Schönen einzudringen.

Sie lag, ihr blondes Haupt auf den Ellenbogen gelehnt,
In einem Negligé, der sehr bey Licht verschönt,
Auf goldne Polster hingegossen,
Die Locken aufgelöst, die Wangen von Thränen beflossen.
Beym ersten Blick erkennt der Paladin,
Daß ihn die Erwartung nicht betrogen.
Mehr aus Galanterie, als von Empfindung gezogen,
Läßt er vor ihr aufs linke Knie sich hin,
Bewundert, bedaurt, erbeut sich, sie zu rächen,
Kurz, sagt, was alle Ritter in solchen Fällen sprechen,
Im ächten Ton von einem Palmerin.Palmerin.
Man hat, so viel mir bekannt ist, zwey Ritterbücher dieses Nahmens, den Palmerin von Oliva, und den Palmerin von England, den ersten verdammt der Pfarrer im Don Quixotte, bey dem über die Ritterbücher angestellten wiewohl etwas unförmlichen Inquisitionsgerichte, ohne weitere Umstände zum Feuer, den andern schätzt er keiner geringern Ehre würdig, als in ein eben so kostbares Kistchen verschlossen zu werden, wie jenes berühmte war, welches Alexander unter den Schätzen des Darius erbeutete, und zu kostbar fand, um etwas Geringers als Homers Iliade darinn aufzubewahren. Dieses Buch, Herr Gevatter, fährt der ehrwürdige Sennor Licenciado fort, verdient aus zwooen Ursachen Hochachtung; erstlich weil es sehr gut ist; und dann weil man sagt, daß es einen weisen König von Portugall zum Verfasser habe. Don Quixotte Part. I. L. 1 cap. 17. p. 46.

Die Göttin, ohne die Stellung zu ändern,
Wirft einen gnädigen Blick, doch seitwärts nur, auf ihn,
Spielt, während er spricht, mit einem von den Bändern,
Die ihr Corset zusammenziehn,
Und dankt ihm, da er schweigt, so schläfrig, als ob sie zur Müh
Die Lippen aufzuthun sich nicht entschließen könnte.
Der edle Ritter, dem die Knie
Zu schmerzen beginnen, steht auf, setzt ohne Complimente
Sich auf den Sopha zu ihr, spricht in vertraulichem Ton
Von ihren Schwestern, besonders von Fräulein Colifischon,
Und setzt galant hinzu: Wie er sich vor Freude kaum fasse,
So reizende Schwestern noch diese nehmliche Nacht
Einander wiederzusehen. Die blonde Dame macht
Bey diesen Worten dem Ritter eine Grimasse,
Als hätt' er, indem er sie selbst zu ihren Schwestern gesetzt,
Die Majestät von ihrer Schönheit verletzt.
Ich denke, spricht sie, mein Herr, wir haben nichts zu eilen,
Sie fürchten den Neger doch nicht, der seinen Hof hier hält?
»Nicht daß ich wüßte, Madam; und wenn er Ihnen gefällt,
So bin ich nicht der Mann, der Sie zurückehält,
Bis zum Platonischen JahrBis zum Platonischen Jahr.
Die sämmtlichen Bewegungen des ganzen Weltsystems geschehen nach der Meynung der Platoniker in einem Cirkel, bey dessen Vollendung alles sich wieder auf dem nehmlichen Punct befindet, von welchem der Umlauf sich angefangen. Dieses ist das sogenannte Platonische oder Große Jahr, über dessen eigentliche Beschaffenheit und Dauer diese Erfindungsreiche Leute sehr ungleiche Meynungen hatten, indem einige 15003, andre 36000, andre noch mehr tausend Sonnenjahre zu dieser Revolution erforderten.
an seinem Hof zu verweilen.
Vermuthlich muß ihr Neger sehr liebenswürdig seyn?
Mein Herr, versetzt die Infantin, sie kennen Blaffardinen
Soviel ich höre noch nicht. Es ist für sie zu klein,
Dem männlichen Uebermuth zur Unterhaltung zu dienen.
Mein Herz gesteht den schönen FacardinenDen schönen Facardinen.
Wer die Facardinen überhaupt, und insonderheit den schönen Facardin, auf welchen hier gezielt wird, kennen lernen will, muß sich nicht entgegen seyn lassen, die vier Facardinen des Hamilton zu lesen, eine scherzhafte Erzählung, welche in ihrer Art unvergleichlich wäre, wenn sie nicht, wie die Venus des Apelles, unvollendet geblieben wäre; so wie sie auch, gleich dieser Venus, von keinem andern Autor in der Welt vollendet werden kann.

Den Vorzug, mit dem sie soviel sich wissen, nimmermehr ein.
Anbeten mögen sie uns, zu unsern Diensten sich weyhn,
Uns amüsieren, uns schützen, auch für uns sterben – allein,
Sich schmeicheln, daß wir dann sie wieder lieben müssen, –
Mein Herr, mit Ihrer Erlaubniß, und aller Ihrer Narcissen,
Dazu spricht Blaffardine nein!

Madam, erwiedert der Ritter, in gleichem Grade betroffen
Und mißvergnügt, Sie erklären Sich deutlich genug.
Gleich offenherzig zu seyn, so däucht mich der Mann nicht klug,
Der, ohne Gegenliebe zu hoffen,
Sein Herz sich rauben ließe. Der Ritter sagt's und schwieg.


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