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Ist's möglich? – rief erstaunt der Andre; Neun und Neunzig!
Und diese, wie es scheint, in ziemlich kurzer Zeit!
So bleibt gewiß das hunderte Feld nicht einzig
In seiner Art! – Ich hoff' es soll nicht weit
Von seiner Bestimmung seyn, versetzt der Ritter vom Fächer;
Gut, fährt er fort, indem er beyde Becher
Mit Weine füllt, Herr Bruder, stoßen Sie an;
Es leben die Neun und Neunzig! – Sie leben! ruft mit Lachen
Der schöne Amadis, weil ich's nicht hindern kann;
Wiewohl sie ihrem Geschlecht sehr wenig Ehre machen.
Indessen wünscht' ich doch, wofern es thunlich ist,
Dieß Wunder von einem Fächer mit eignen Augen zu sehen.
Vom Herzen gerne, versetzt der Anti-Platonist;
Doch ohne Gefährde der sämmtlichen Damen und Feen,
Von denen die Ehre dabey ein wenig betroffen ist!
Hier, Amadis, nehmen sie ihn! – Bey Skogula und Mist,Seh. das Lied eines Skalden.
Ruft Jener, indem er davon die seidnen Flügel entfaltet,
Was zärtliche Mädchen! Und alle, wie Venusbilder gestaltet!
»Nicht eben alle, mein Herr! Ich sehe, der Nachthabit
Kann auch an Bildern das Urtheil ein wenig verfälschen.
Indessen gesteh ich selbst, die meisten gehen mit.
Sie finden wenigstens doch von Deutschen, Gallischen, Wälschen
Und Maurischen Damen, von jeder Colorit,
Gestalt und Maaß, von braunen, blonden und rothen,
(So gut sie auf meinen Reisen das Glück mir angeboten)
Die ächten Originale in einem Inbegriff hier.
Sie sind ein glücklicher Prinz, ruft unser Cavalier;
Und doch begreif' ich nicht (Sie müssen mir verzeyhen)
Wie man, wie Sie, nur kömmt, und sieht, und siegt.
Ich denke, versetzt der Andre, was uns am meisten betrügt,
Ist, daß wir dem weiblichen Geiste zu viele Gründlichkeit leyhen.
Ich läugne nicht, daß manche den Sieg mir schwer gemacht,
Doch wurden die Meisten geschwinder zur Uebergabe gebracht,
Als sie, und als ich selbst gedacht.
Bey solchen Erobrungen kömmt (wie bey der Hanniballen
Und Cäsarn ihren) unstreitig sehr vieles auf den Plan,
Viel auf die Kunst, dem Feind in die Flanke zu fallen,
Kurz, viel auf die Klugheit, doch mehr auf den Augenblick an.
Von diesem sogleich Gebrauch zu machen wissen,
Dieß nenn' ich den Gipfel der ächten Eroberungskunst.
So war's, zum Exempel, bloß die unverhoffte Gunst
Des Zufalls, was mir die Ehre verschaffte, Sacharissen
An ihrem Geliebten zu rächen, von dem sie verrathen sich hielt.
Ein Stündchen später, so hatte ihr Blut sich abgekühlt!
Hier, Ritter, sehen Sie hier – Wer sollte dieser Spröden
Mit dieser vestalischen Miene, mit diesem strengen Blick,
Was menschliches anzusinnen sich nur im Traum entblöden?
Und dennoch – könnt' ihr Sopha reden!
Ich sage nichts, – es war ein bloßes Glück.
Sie hatte doch Ursache, sich in ihrem Cabinette
Vor Zeugen sicher zu glauben! Wie konnte sie jemals davon
Sich träumen lassen, auf ihrem Ruhebette,
Mit ihrem Ovid in der Hand, auf einen Endymion
Von Titian mit ausdrucksvollen Gebehrden
Die sterbenden Augen gesenkt, – von mir ertappt zu werden?
Dem Zufall ganz allein und ihrer Iris war
Im Grund die Sache beyzumessen.
Und würklich muß ich gestehn, daß von der ganzen Schaar
Von meinen eroberten Feen, Marquisen, und Princessen
Zum mindsten ein Drittel sich bloß zufälliger Weise vergessen.
Der Einfluß der äußern Dinge ist würklich wunderbar.Gerade das Widerspiel! Nichts ist begreiflicher als dieser Einfluß nicht nur auf die Leidenschaften, auch auf die Denkensart und Entschließungen der Menschen. Es scheint, Anti-Seladon rede hier nach der Weise des großen Haufens, der gerade nichts wunderbarers findet als das Natürliche.
Im Monat April und May, und in den warmen Tagen,
Worinn der Sirius glüht, befand ich viele zu schwach,
Gefälligkeiten abzuschlagen,
Wozu zehn Tage zuvor und hernach
Nichts in der Welt sie hätte bringen können.Wir erinnern uns, von einer französischen Dame von Rang und ungezweifelter Tugend gelesen zu haben (wo, können wir uns nicht besinnen) welche unter guten Freunden gestanden habe, daß der Monat May der einzige sey, in welchem sie nicht für ihre Tugend stehen wollte, wenn sie das Unglück hätte, auf die Probe gesetzt zu werden. Vermuthlich hatte der Dichter diese Anekdote hier im Auge. M. S.
Indessen glauben Sie mir, mein trauter Amadis,
Um einen Platz mit Vortheil zu berennen,
Hängt alles davon ab, das Innre wohl zu kennen.
Vom Zufall bleibt der Erfolg doch immer ungewiß.
Allein die schwache Seite von einem Charakter studieren,
Dieß nenn' ich das wahre Geheimniß, ihn wie ihr wollt zu führen.
Vor jedem neuen Gegenstand
Ein andrer Mann! Ein Momus bey gallichten Spröden,
Bey Zärtlichen voller Empfindung, voll stiller Zucht bey Blöden,
Bey Ernsten ein Sittenlehrer, bey Muntern lauter Tand,
Begeistert bey Schwärmerinnen, und bey Coketten galant,
Kurz, bey Europen ein Stier, ein sanfter Schwan bey Leden,
Und bey den zehenten Musen, die academisch reden,
Gelehrter als ein Foliant!Der Titel der zehenten Muse war ohne Zweifel unendlich schmeichelhaft für die Dichterin Corinna, oder welche andre es war, die zuerst damit beehrt wurde; vermuthlich auch damals noch, da ein Griechischer Dichter, seinem Mädchen zu Ehren, versicherte, daß vier Grazien, zehn Musen, und zwo Liebesgöttinnen seyn. Aber seitdem diese Schmeicheley so häufig verschwendet worden, daß man nur allein mit allen zehenten Musen den ganzen Helikon bedecken könnte; wird es wohl erlaubt seyn, sie in dem ironischen Sinn zu gebrauchen, worinn es hier geschieht.
Dieß war mein Talisman! – In meinen Knaben-Jahren
Lernt' ich's im Nepos schon dem Alcibiades ab,
Und bin, seitdem ich die Welt in ritterlichen Trab
Durchziehe, wie Sie sehn, sehr wohl dabey gefahren.
Sie können nicht glauben, Herr Ritter, wie weit
Die einzige Regel uns führt; Gefällig zu rechter Zeit!
Ich gebe sie in allen andern Sachen
Für einen Passe-par-tout, allein insonderheit
Sein Glück bey den Damen, und durch die Damen zu machen,
Ist nichts von solcher Würksamkeit.
Ein Kinderspiel thut öffters Wunderdinge.
Bey Flavien setzte mich bloß ein seltner Wurm in Gunst,
Aus dem die Kennerin sich den schönsten der Schmetterlinge
Für ihre Sammlung erzog; bey andern die edle Kunst,
Ihr Bild in Papier zu schneiden, zu würken, zu brodieren,
Ihr Papchen schwatzen zu lehren, Dianchen zu caressieren;
Und zwanzig andre Künste von dieser Wichtigkeit,
Worinn ich die Ehre hatte, in meiner schönen Zeit,
Für einen großen Mann zu passieren.
Indessen ist alles, mein Herr, was ich damit gewann,
Ein ekler Geschmack, den nichts mehr reizen kann.
Schon Jahre lang durchstreif' ich Thäler und Berge,
Und überlasse den Rest der schönen Welt
Gelegenheitlich – meinem Zwerge,Das ist sehr boshaft von ihnen gesagt, Herr Antiseladon!
Der, wie Sie ihn sehn, für einen Adonis sich hält,
Und, was noch seltsamer ist, mit seinen kleinen Gaben
Schon manchen Adon sich rühmt dethronisiert zu haben.
Allein, das hunderte Feld? (Fällt unser Ritter ein)
Dieß werden Sie doch vermuthlich nicht allein
Brach liegen lassen wollen? – Dafern ich's wollt', (erwiedert
Der blaue Ritter) so bindet mich mein Schwur.
Und etwas, das ich seit kurzem von einem Fremden erfuhr,
Hat meinen Eroberungs-Geist von neuem ein wenig befiedert.
Ein blasser, milchichter Ritter, ich weiß nicht wie genannt,
Ein wahrer Seladon macht mir eine Dame bekannt,
Die, wie er mir sagt, in diesen Wäldern irret.
Er bete, sagt er, die Wilde schon sieben Sommer an,
Und hab' in dieser Zeit sein möglichstes gethan,
Sich abgehärmt, geseufzt, geweint, gegirret,
Und nichts vermocht; so daß, nachdem ihm nun
Die Lust vergangen, ihr länger nachzujagen,
Er fest entschlossen sey, sich ihrer abzuthun,
Und sein verschmähtes Herz der ersten anzutragen,
Die ihm begegnen würde. Die Dame, schwört er mir,
Sey schöner als Juno, allein kein lyrisches Thier
Nur halb so grausam. Vermuthlich lag der Fehler
An seiner Methode. Wie dem auch sey, ich bin
Entschlossen, das hunderte Feld und meine Siegesmäler
Mit dieser Menschenfresserin
Vollzählig zu machen. Viel Glück zur Unternehmung,
Viel Glück, Herr Anti-Seladon
Ruft unser Held; ich bin ein Augenzeuge davon!
Indessen gesteh ich Ihnen, mit aller Antheilnehmung
An Ihrem Vergnügen, die einem Freunde geziemt,
Ich wünschte meinen Freund durch edlere Siege berühmt!
Unmöglich kann ich mein Herz mit dem Gedanken versöhnen,
Ein sanftes Geschöpfe, dem gegen den Uebermuth
Des stärkern Geschlechts die Natur nur zärtliche Blicke, und Thränen
Zu Waffen verlieh, zu mißhandeln mit kaltem Blut,
Und, wenn sie zuletzt das Opfer von unsern Künsten geworden,
Mit grausamer Hand noch ihren Ruhm zu ermorden!
Dazu, ich sag es frey, gebräche mir der Muth.
Ich kann im Nothfall Tigern und Löwen
Hyänen und Amphisbänen ins Weisse im Auge sehen;
Dieß kann ich nicht! – und bilde nicht minder mir ein,
In diesem Stücke schwach zu seyn.
Herr Bruder, erwiedert der Ritter in blauen Waffen,
Wiewohl die Natur mein Herz aus spröderem Thon geschaffen,
So sag' ich, und sagt' es zuerst; Sie haben völlig Recht!
Im übrigen seh ich doch nicht, warum wir dem schönen Geschlecht
Mit Tugenden, die es nicht hat, noch suchet, schmeicheln sollten.
Ich hasse den Bösewicht selbst, so gut ein Bidermann
Ihn immer hassen soll und kann,
Der durch Betrug und niederträchtige Ränke
In Herzen, die ihre Unschuld und Güte sicher macht,
Sich einzustehlen sucht. Doch daß ichs dem verdenke,
Der, wenn, zum Exempel, der Feind die Festung schlecht bewacht,
Sie mit Vertheidigungsmitteln gehörig zu versehen
Versäumt, die Aussenwerke und nahe gelegenen Höhen
Entblößt und übel beschützt
Dem Feinde Preis giebt, kurz, sich schlecht und läßig vertheidigt,
Wer, sag' ich, in solchem Falle die Schwäche des Feindes benützt,
Bedient sich seines Rechts. – Ihr Gleichniß, Herr Ritter, beleidigt
Ein zärtliches Ohr, erwiedert unser Mann;
Ich möchte wohl wissen, was uns berechtigen kann,
Das weibliche Herz für eine Festung zu halten,
Die wir erobern müssen? – Ich finde bey Neuern und Alten
(Spricht Jener) zu allen Zeiten, und in der ganzen Welt
Durch dieses Bild die Sache vorgestellt.
Und glauben Sie mir, es stünde noch schlimmer um die Sitten,
Wofern es anders wäre. Es geht uns wie den Britten,
Bey denen die Grundverfassung sich nur durch Zwietracht erhält.
Doch, wenn es Ihnen die Reise mit mir zu machen gefällt,
So wird es Zeit seyn, aufzubrechen;
Wir können unterwegs uns weiter hiervon besprechen.