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Eine Bergfahrt hat Laikan durch die Weser getan. In den grünen Strudeln der Fulda hat er dann Hochzeit gehalten, tief in den rauhen Tälern der Rhön. Hart war das Wasser. Aber nicht so herb und hart und voll dünner, strudelnder Luft wie im Vorderrhein. Laikan ist nicht wiedergekommen. Im Meere ist er dann südwärts gezogen.
Aus seinen Kreuzfahrten im Bereich der ostfriesischen Inseln lockte ihn ein neuer Frühling, emswärts zu wandern. Auch diesen Weg versucht der große und herrliche männliche Lachs. Wäre er noch jung gewesen, vielleicht hätte ihn der breite und ruhig strömende Kanal, den die Menschen vom Mittellauf der Ems gegen den Rhein hinab bauten, verführt. Der vielerfahrene, bis in die Schwanzknorpel mißtrauische Mann aber erkennt nach kurzer Fahrt das Menschengemäch und kehrt um. Mögen die vorausfahrenden Frauen, die aus jahrelangen 284 Wanderungen den Kanal kennen, nur weiterziehen! Gott befohlen! Er traut dem Ende der Fahrt nicht. Wo der Mensch zu ordnen anfängt, hebt die Unordnung für die Gottesgeschöpfe an. Nicht immer ist es so. Aber der Lachs weiß nicht, daß die Leitern in den Schnellen vom Menschen angeordnet werden. Und wüßte er es: wozu ordnet der Mensch die an? Seine Ahnen haben ohne Menschenleitern die Stromschnellen überwunden; sie sind zu Berge gefahren, als der Mensch noch nicht an ihren Strömen hauste; und sie haben länger gelebt und waren glückseliger ohne Mensch und Menschengemäch. Laikan dreht bei und folgt dem unvermenschten Wasser aufwärts. Im grünen und rauschenden Schatten des Teutoburger Waldes hat der Lachs in diesem Jahre seine Hochzeitsfeste gehalten.
Jetzt rudert Laikan um die weißen Ränder der westfriesischen Inseln. Er hält sich in halbdunkler Tiefe und hört das Brechen der groben Seen, die von den Winterstürmen gejagt werden. Da begegnet er einem riesenhaften Polypen.
Der Vielarmige ist auf der Suche nach einem Versteck. Jahrzehntelang hat er auf der anderen Seite des Felsens gehaust. Dorthin ist heute ein größerer als er selber gekommen und hat ihn ohne Rücksicht auf alte Rechte verjagt. Es hat einen ungleichen Kampf gegeben, und noch wölken Wut und Rachgier rötlich über den Leib des Vertriebenen. Wie er sich einherstößt und aus grünen Augen die Felswand absucht und mit den schlängelnden Armen da und dort sie abtastet, schleift er einen Arm leblos nach. Den hat der Große drüben durchgebissen. 285
Die flachen Schädel der Seeaale rutschen in ihre Schlüffe zurück. Die Muränen reißen hinter dem Hinwuchtenden ihre Sägen auf, und unter ihren bösen und grausamen Augen starren die Bärtelstumpfen aufgereckt und zornig. Alles Getier windet und krümmt sich in die Finsternisse dieses zerklüffteten Tuffgefelses hin und reckt sich lautlos, wenn der Unhold vorbei ist. Laikan ist in großen Fluchten davongefahren.
Der Kraken umschwimmt in zornigen Stößen den Tuffstock und findet an der Seite eine tiefe Mulde, die von einem Gesteinsbruch herrührt. Allenthalben liegen die abgebröckelten Trümmer in der flachen Senke. Das gefällt dem Vielarmigen. Breit und herrisch besitzergreifend, wuchtet der Polyp sogleich über die Mulde. Nach allen Seiten hin tasten die riesigen Arme und melden dem grünäugigen Schädel, daß hier gut wohnen sei. Der nimmt das zur Kenntnis; aber dann schickt das äußerst kluge Hirn, das durch tausend Erlebnisse und Erfahrungen sich durchgewunden hat, den nimmermüden, unrastigen Armen viele Befehle. Die sind sofort bereit und schicken sich an.
Das kluge Hirn hat erkannt, daß man, so breit über der Mulde wuchtend, von allen Seiten gesehen wird, selbst wenn man darauf Bedacht nimmt – was man zwar nie unterläßt! –, genau so auszusehen wie die Landschaft und sich alsogleich so umfärbt. Aber man ist einmal ein Versteckter, hat dies Bewußtsein tief in seiner kalten und herrischen Seele; man hat es aus Jahrtausenden ererbt. Man bleibt da, auch wenn es kein großes Vergnügen bereitet, Baumeister zu sein. 286
Man ergreift zunächst die großen Steine. Es ist gut, daß die in dieser Tiefe nicht so schwer sind, wie sie aussehen. Trotzdem: sie rutschen von den Saugenäpfen ab, die zwar eine große Kraft haben, solchen Felsblöcken aber nicht gewachsen sind. Dann starrt man grün und vor Zorn rötlich wölkend, dem ins Bodenlose gleitenden Stein nach. Man wird es geschickter anstellen. Man klemmt den Felsbrocken zwischen die drei größten Arme und stemmt ihn gegen den Leib. Die Zacken reißen die Haut und spießen sich ins Fleisch. Ho, man ist fühllos wie die eigene Seele. Der durchgebissene Arm ist im Wege, und man erinnert sich zornwölkend an den andern drüben. Jetzt liegt der riesige Stein dort, wo man ihn haben will. Man hebt sich wieder auf und wiederholt die Arbeit. Man rastet eine Weile und fängt von neuem an. Man hat endlich eine Bastion erbaut, hinter der man unsichtbar sich verknäueln kann, und nur über den Rand grün hinausstarrt. Man legt ein, zwei, drei Arme auf die Brüstung und schickt die schlängelnden Enden ins Unsichtige. Man kann, wenn man will, mit einem einzigen Ruck auffahren und nach allen Seiten hin vorpreschen; und wenn man dösen will, krümmt man sich in diesen Felsenschluff, färbt sich ebenso braungelb und stumpf und ist für die Welt nicht mehr da. Man ist wohl drei Dutzend Jahre alt und hat wahrscheinlich ein unendliches Leben vor sich; wenigstens hat man sich daraufhin jetzt in der Welt eingerichtet; und man nimmt sich vor, vor nichts und niemand aus dieser Burg zu weichen.
Die flache Mulde ist bewohnt. Eine Gesellschaft von Einsiedlerkrebsen haust da. Die ziehen sich in großem 287 Schreck in ihre Häuser zurück, und weil sie wissen, daß ihnen das wenig nutzt, flüchten sie an den Rand des Felsens und lassen sich ins Finstere fallen. Große Muscheln, die allenthalben an den Steinen hängen und auf dem Tuffgrund liegen, schlossen sich sofort, als die Schlangenarme das Wasser strudelten. Sie wissen: bewegtes Wasser ist Not und Tod, und jedes Leben, das das Wasser aufregt, ist zugleich vielfältiger Tod. Alle Fischleute sind aus dem kleinen Tal hinausgestürmt, und der riesige Seeaal, der als Letzter eines zahlreichen Geschlechts den Felsbruch überlebt hat, weil er seinen Schluff im dicksten Gestein am Fuß der Mulde hat, verschloff sich. Als er den Schlangenkerl an der Arbeit sieht, reckt er seinen flachen Schädel ein wenig hervor und betrachtet genau aus seinen hautbedeckten Glotzaugen die Arme des Polypen und vergleicht sie mit seinem eigenen blauschwarzen und gewaltigen Leib; und wie in Abwehr und Versuch auch, reißt er die Säge auf. Da trifft ihn das grüne Auge des Polypen. Eine Weile starren die beiden vielerfahrenen Leute einander an. Der Riese starrt, ohne dabei in seiner Arbeit innezuhalten, und der Aal starrt, ohne die Säge zu schließen. Der Polyp weiß, daß er dem Blauschwarzen zwar ankann, daß es aber eine Riesenarbeit ist, den Kerl zu üherwältigen, und daß sie sich nie recht lohnt, weil es nicht gelingt, den Aal ganz zu töten; auch kommen dann, selbst wenn man ihm schon das halbe Hirn ausgesogen hat, von dem Schwanzschlagenden angelockt, hundert räuberische Schmarotzer daher; man hat für soviel Mordarbeit nur Unfrieden und wird doch nicht satt. Der Aal hinwieder weiß, daß er dem 288 Mordkerl recht gut einen Arm nach dem anderen abbeißen könnte. Aber während man beim ersten anhebt, wird man so herumgebeutelt, daß man zum zweiten nicht mehr recht gelangt. Er hat ein solches Abenteuer mit einem jüngeren Kerl überstanden; aber es ist ihm lieber, wenn er keines mehr erlebt.
Der Aal verschlieft sich wieder, und der Polyp arbeitet. Der Aal hat in dem lockeren Gestein einen Ausgang nach der Seite. Dorthin windet er sich und macht sich davon. Er ärgert sich über diesen Umzug und ist so wütend, daß er drüben auf der anderen Seite einer großen Muräne, die sich heftig sträubt, in die offene Säge greift und sie unter gewaltigen Schlägen seines riesigen, fast zwei Meter langen Leibes aus dem Loch zieht. Dann nimmt er diesen Schluff in Besitz und verteidigt ihn durch mehrere Tage und Nächte, bis die Nachbarn wissen, daß mit dem Blauschwarzen nicht zu spaßen ist.
Der Polyp seinerseits hat noch während der Arbeit flüchtig ein paar Male einen seiner Arme in die Aalschluft geschickt, um nach dem langen Kerl zu fahnden, der ihm schon um seines ewigen Hungers willen ein unbequemer Nachbar wäre, ganz abgesehen davon, daß der Vielarmige Nachbarn in keinem Falle duldet. Als aber der Arm stets unverrichteterdinge wiederkehrt, wuchtet der Polyp nach Fertigstellung der Burg vor die schwarze Höhle und schickt drei seiner stärksten Arme in die Finsternis. Die ist leer. Das ist gut so, findet der Kraken.
Wie er wieder zurücktastet, lässig über seine großen Oberarme gebeugt, stutzt er. Über den Rand der Bastion glotzt einer. Diese Leute haßt der Polyp besonders. 289 Eigentlich haßt er alles in der Welt, aber diese Leute fürchtet er, wenn sie größer sind, soweit seine zornmütige Seele Furcht zuläßt. Aber dieser Panzerkerl ist wahrhaft zum Fürchten hergerichtet. Nur seinen Kopf hat er auf den mühselig gebauten Steinrand gelegt, und zwei Zangen, groß wie große Muscheln, hängen über das Gestein herab. Ein Paar stierer Augen, rund wie schwarze Kirschen, reckt sich dazwischen, und von der unaufhörlichen Arbeit riesiger Kiefer wallt das Wasser leicht. Seine gewaltigen Fühler langen weit in die Mulde hinein, und der Polyp stutzt und fährt zurück, als ihn die Spitze des hörnenen Fühlers an der Brust streift.
Wie der Hummer den Schlangenkerl gewahrt, kommt er langsam herauf. Oh, er könnte auch mit einem Ruck sich auf den Rand schwingen. Aber das tut er nicht. Man weiß nie, wie es kommen kann. Riesig, wohl doppelt so groß als der Leib des Polypen, stelzt der Geharnischte jetzt den Steinrand hin. Er ist dunkelblau, und die Panzerringe sind blaß wie Mondlicht. Sein Schwanz ist vor Alter tangschwarz. Er ist uralt und von gewaltiger Kraft. Sein Ruder fördert ihn mit einem einzigen Schlag durchs dichteste Wasser an zwanzigmal seine eigene Länge. Wohl an sechzigmal hat er seine Rüstung ausgezogen und sich immer größere und herrlich blauere Panzer angeschafft. Alle seine Beine hat er im Kampf vielmals verloren und hat sich immer größere angeschafft. Eine Schere hat er vor vielen Jahren einem Verwandten gelassen im tödlichen Zweikampf. Dann ist er monatelang in schwarzen Schlüften gehockt und hat in grimmiger Wut eine neue von seinem Leib sich ertrotzt. Die ist ihm scharf und blitzend 290 gewachsen, aber sie ist kleiner geblieben. Er kennt alle Meerleute und den Menschen. Alle Gefahren kennt er und die Glückseligkeit des Lebens. Er weiß um alle Genüsse seiner Welt und hat den Tod von allen Seiten kommen und gehen gesehen. Er liebt sein Leben und ist in seinem Alter ein furchtbarer Einzeljäger geworden.
Diese Mulde hier ist des Hummers Dösplatz seit langer Zeit. Niemand hat es gewagt, sie ihm streitig zu machen. Er befand sich auf Jagd in tieferen Gründen, als sein feines Gehör Erschütterung und kleine Wellenstöße vernahm. Der Polyp haute die Festung. Der Hummer war dabei, einer riesigen Muschel den Schließmuskel durchzusägen. Die Witterung war herrlich, und er ließ sich nicht stören. Als er die Aufgerissene verzehrt hatte, stelzte er die Felswand aufwärts. Jetzt ist er da. Jetzt kommt, was kommen muß.
Grün starrt der Polyp und hat seine Arme angezogen. Dieser dunkelblaue ist der einzige Kerl, vor dem er die Arme einzieht, solange es geht. Braunes und rotes Gewölk jagt über seinen breiten und wuchtenden Leib, der wie Wellen sich bauscht und flacht und wieder bauscht. Unmerklich fast rückt er ein wenig zur Seite, um aus der Richtung der Scheren zu kommen. Wie ein bösartiges Schleichen ist es, denn er ist nur mehr ein Klumpen und Knäuel und wie ohne Arme und Füße.
Schwarz starrt der Hummer und wiegt die Scheren wie in einer lässigen Drohung und macht steif die kleine Drehung nach der Seite mit. Sie halten sich gebannt, die beiden Schrecklichen. Der eine: die furchtbare, wallende, tückische Art des Meeres; der andere: die starre, 291 drohende, finstere Art abgründiger Schlüfte und Riffe. Oh, keiner wird weichen, und beide sehen den Tod vor sich. Neugierig und kaltherzig und wieder voll blinder Schauer verhalten Fischleute in der Nähe.
Dann ist plötzlich der Polyp vorgestürzt. Sieben Arme schleudert er gleichzeitig nach dem Hummer. Der ist mit einem gewaltigen Schlag seines Schwanzes seitwärts und aufwärts geschossen und hat einen Saugarm des Kraken an der dicken Wurzel in die Schere gekriegt. Weithin schleudert der Polyp in großem Schmerz seine Arme, speit einen riesigen Wasserstrahl aus seinem Leib und wirft sich gegen die Felswand. Mit wilden Schwanzschlägen reißt der Hummer sich auf die andere Seite, und der umklammerte Arm hängt leblos aus der riesigen Zange.
Aber der Polyp weiß, was er will. Tiefbraune Wutwolken schauern über seinen Leib. Mit drei Armen hat er einen Felszacken umfaßt und schleudert den Hummer, dem er einen zweiten Arm um den Rückenpanzer geschlungen hat, gegen das Gestein. In großen Strudeln geht der Atem aus dem Sack seines Leibes. Der furchtbare Panzer des Hummers hält den Anprall leicht aus, und er hat beim Rückprall die zweite Zange dem Kraken ins Brustfleisch geschlagen. Der wirft sich von der Felswand und fährt in wütenden Stößen, den umgriffenen Arm wie tot nachschleifend, in der Mulde hin. Er müht sich, dem Hummer den Schwanz auszureißen. Aber allzu fest sind diese Panzerringe gefügt. Die große Schere hat den abgestorbenen Arm losgelassen, und der Hummer reißt mit einem starken Ruderschlag den Kraken aufwärts. Der langt mit Aufwärtsstrudeln nach dem 292 Felszacken und klammert sich fest. Dabei strammen seine Arme sich. Der Hummer fährt an die Wurzel eines dieser Wülste und schneidet ihm tief und mit riesiger Kraft das Leben ab. Oh, noch hat der fünf wütende Greifer. Zwei haben das breite Ende des Ruderpanzers umschlungen und reißen es aufwärts. Da merkt der Hummer die Lebensgefahr. Der Kraken kann ihn mittlings entzweibrechen. Die Zangen lassen los, und der Krebs schnellt drei-, viermal seinen Leib, daß schreckliche Strudel umhergischten. Aus der Umklammerung aber bringt er sein Ruder nicht. Sand und Schlamm wölken dicht, und die zornigen Leiber kämpfen im Unsichtigen.
Weithin gehen die Strudel, und die Erschütterung des Wassers hat den Riesigen hinter der Tuffwand aufgestört. Zorn und Wut auf alles Lebendige wölken über seinen Leib, und er hebt sich auf. Mit wenigen Stößen ist er am Kampfplatz und wuchtet in die Mulde. Seine riesigen Arme schleudern sich hinab und umklammern den verbissen ringenden Knäuel. Vor diesem neuen Gegner muß der Gepanzerte weichen. Aber auch der Kraken weiß, daß es jetzt erst kommt, und schleudert sich zur Seite. Den Hummer hat er fahren lassen. Der schnellt über den Muldenrand ins Unsichtige. Die kleinere Schere hängt ihm gebrochen vom Gelenk, und wie er sich ins Bodenlose fallen läßt, schleudert er sie ganz fort.
Dann wälzt sich in der Mulde oben ein stummer rostbrauner Schlangenknäuel, aus dem grüne Augen da und dort funkeln, und der plötzlich rasend die Felswände auf und ab sich schleudert, mit windenden Armen nach Halt tastet, wieder hinweg sich reißt und endlich schwächer 293 und mühseliger sich im Schlamm hinbewegt. Dann lösen sich die Schlangenknoten, und der Riese schleppt den Erwürgten, der ihm wie ein Sack aus zweien der mächtigen Arme hängt, in seine Schluft jenseits des Riffs.