Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der sterbende Strom

Unübersehbar liegt die Mündung des Rheins unterm Nebel des Märzmorgens.

Wo hebt das Meer an? Wo entläßt der Strom sein Leben und hört zu atmen auf und gibt sich preis? Wo umarmt den müden Herrlichen der erhabene Tod, dem er lebenslang sehnsüchtig und herrscherlich entgegenwallt?

Verstummt ist sein Lobgesang, den er Tagen und Nächten, Winden und Wolken, den Himmelslichtern und seiner Schwester, der Erde, sang. In ehrfürchtigen Schauern hält er tief an sich und bereitet sich, überwältigt vom majestätischen Puls, dem Meere ans Herz zu sinken.

Oh, wie es großatmend ihn empfängt und sein Überströmen weitoffen duldet!

Noch ehe seine Pilger fühlen, daß der Rhein zum Sterben sich hinbreitet, begegnen denen ihre Ahnen, die zur großen Bergfahrt aufgebrochen sind. Drei Monate sind vergangen, seit die talwärts Wandernden an den jungen Lachsen vorübergekommen sind; und sie haben im nährenden Meere ihre Erschöpfung vergessen und haben neue Kräfte und stolze Schönheit gewonnen. 165

Die Lachse werden zuerst flüchtig vor dem funkelnden Zug dieser ernsthaften Geschlechter, die hochgeschmückt einherwallen zur Hochzeitsfeier in den Gebirgen.

Und wie die jungen Wanderer leidenschaftlich der Verheißung entgegenwandern und der Schwelle des Meeres, begibt es sich, daß Leidenschaft und Verheißung die Väter und Mütter ihrer Kinder ruft, emporzusteigen in die brausenden Quellen und in die gebärenden Schluchten des hier zum Tode sich bereitenden Stromes.

Weich und tief bettet er seine Geschöpfe, die er ernährt und erzogen, gehütet und geliebt hat; und sein hinsterbendes, sehr stilles Gurgeln ist ein einziges Wohlwollen und ein müdes und stolzes Abschiednehmen. Er vertraut sich und die Bereiten dem hohen Willen und der unergründlichen Gnädigkeit des Meeres an. Sanft wallt er über der Begegnung dieser edlen Geschlechter, die, mit kühlen und weisen Augen die Alten, neugierig und furchtbeklemmt die Jungen, einander im Vorüberfahren anschauen. Er kennt dieses ernsthafte Spiel seit Jahrtausenden und wird es nie müde. Er liebt sie alle, die in ihm leben, so wie er sein Leben liebt und seinen Tod. Er weiß, daß er durch Jahrtausende hinrauschen wird und daß Jahrtausende hin seine Kinder ihn lieben und ernsthaft spielend auf und ab steigen werden und den Atem des Meeres und des Tages und des Jahres und des Willens Gottes sinnbilden. Und er ist so glücklich wie seine Geschöpfe am ersten und am letzten Tag, und wie es die Weisheit am ersten Schöpfungstage anschaffte.

Der Eisgang wird gewaltig, und das Krachen der aneinandergeratenden Schollen erfüllt die Tage und Nächte 166 dieser schweigenden, großartigen und nebelverhangenen Landschaft.

Die Lachse ziehen unter dunkler Eisdecke und fühlen das Ende der Fahrt herankommen. Als eines Apriltages das Wasser fremden Geschmack hat, kehren sie um und biegen in einen Seitenarm ein, über dem das Eis zusammengewachsen ist. Dort rasten sie und haben doch keine Ruhe. Das Meer schickt seine Gewalt in unzähligen Strahlen aus, die die Seelen seiner Geschöpfe erschüttern und unrastig machen.

Kleine Trupps, wandern sie im stilleren und seichteren Wasser ziellos und gespannt hin und her. Die große Hingabe ist, nahe vor der Erfüllung, zur Furcht geworden. (Oh, auch ihre Seelen sind erschaffen in den geheimen Ordnungen der großen Liehe!)

Laikan bestaunt eine Weile das Treiben eines wunderschönen, kleinen und eifersüchtigen Männchens, das in großer Hochzeitslust sich wahrhaft königlich herausstaffiert hat. Viel Buntheit hat der Lachs gesehen; aber daß ein solches Kerlchen, das nicht größer ist als ein kleiner Gründling, mit so hohem Feststaat sich angetan, scheint ihm sehr merkwürdig. Er ist so jung noch, daß er für große Schönheit auch Leibesgröße meint; wahrscheinlich denkt er an Mutter Lachs. An den Eisvogel muß er sich erinnern. Und wie die Sonne jetzt durch Nebel und Eis tanzt, ja wahrlich, da ist der Kleine herrlicher als der Regenbogenmann der oberen Welt. Solche violette, goldene, morgenrötliche und herbstblaue, mit smaragdenen Litzen bebänderte Schabracke müßte einen neidisch machen, wenn eben der Bitterling nicht gar ein so kleines und, 167 wie Laikan merkt, gewöhnliches Kerlchen wäre. Denn, daß der die Schlammleute zu Ahnen und Vettern hat, sieht er ihm am Maul und an seiner Gestalt und überhaupt an.

Was treibt der Bunte? . . . Er hetzt andere Männchen seiner Sippe und stößt sie mit seinem großen Kopf außer Sehweite; und dann hetzt er seine Frau, die sich durchaus nicht fangen läßt.

Sie ist ein possierliches, behendes Geschöpfchen, gewiß aber weniger eitel als er. Sie hat sich keineswegs so vordringlich hergerichtet. Wahrscheinlich hat sie das gar nicht notwendig, denn es sind recht viel mehr Männlein da, und sie kann wählen; sie braucht sich nicht anzustrengen, einen Mann zu kriegen, wie dies bei anderen Fischleuten hier und da vorkommt.

Dann erstaunt der Lachs. Hat der Eifersüchtige sie verletzt? Hat er sie aus Liebe gebissen? Oh, Laikan hat dies bei anderen Hochzeiten gesehen! Ihr hängt ein Därmchen vor der Schwanzflosse! Wenn einem Lachs, einer Forelle, einem Hecht, ja wem immer von den Fischleuten ein Därmchen aus dem Leibe hängt: dann Gott befohlen! Dann liegt man bald auf dem Rücken, und die Vettern kosten, wie man schmeckt!

Aber dieser Fischfrau scheint das selbstverständlich. Es freut sie sogar, das kennt der Lachs ihr an. Niemand aus der Sippe denkt an Grausames; keineswegs dreht sie sich bäuchlings. Es geht ihr gut. Alle scheinen sie darum sogar zu lieben, denn sie verfolgen sie leidenschaftlich. Aber der Eifersüchtige tut wütende Ausfälle nach links und rechts und vertreibt die Nehenbuhler. 168

Was macht sie jetzt? . . . Kopfunter steht sie auf einmal und äugt sehr gespannt in das graue Haus einer Teichmuschel, die ihre Tür offenstehen hat und mit den Flimmerhärchen sich besonntes Wasser zufächelt und ein fast unsichtbares Frühstück.

Die bunte Frau starrt, und die graue Frau läßt es sich gefallen. Die weiß nicht oder erinnert sich nicht mehr, was diese kleine schlaue Person vorhat. Die Muschel ist voll Vertrauen dem Sonnenlicht aufgetan und rührt sich nicht. Der Bitterling umkreist seine starrende Frau sehr aufgeregt und kann es nicht erwarten, bis sie sich entschließt . . . wozu? . . .

Das Bitterlingweibchen und die Malermuschel

Aber jetzt hat sie sich entschlossen . . . Blitzschnell wirft sie sich herum und steckt das hangende Därmchen der Arglosen in die offene Tür. Die klappt erschrocken zu; aber so dumm ist die kleine Hochzeiterin nicht. Sie hat sich den Spalt ausgesucht, der auch bei geschlossener Tür nicht ganz abriegelt. Dann hat sie eine große Freude, daß ihr die List gelang, und sie legt der grauen Frau ein winziges Ei ans Herz und weiß, daß die es betreuen wird. Dann zieht sie das Röhrchen vorsichtig wieder aus dem grauen Haus und flitzt davon, ohne Dank, aber in froher Hoffnung und sucht eine andere willfährige graue Frau.

Der herrlich geschmückte Bitterling verrichtet dann sein Hochzeitsgeschäft über dem eingeschmuggelten Ei und zittert an allen Flossen vor Stolz und Freude.

Diese Lust treibt das kleine Paar bis tief in den Frühling hinein und ist voll Daseinsfreude und Lebendigkeit. Nachher überfällt sie eine große Müdigkeit, und sie suchen 169 dunklere Verstecke auf; es sieht aus, als schämten sie sich; und vielleicht haben sie ein Gefühl von Sterben und Verlassenheit.

Die graue Frau ist guten Willens. Ein wenig unbequem sind ihr die Kinder der fremden Leute, denn sie wird noch viele ans Herz gelegt bekommen. Aber wann die Kleinen ausschlüpfen und mit großen Köpfchen und 170 erstaunten Augen und an winzigen Dottersäcken hängend zum grauen Haus herauslugen, manchmal die vorbeiflitzenden Eltern gewahren und mit winzigen Flossen im Rudern sich üben: dann paßt es der guten alten Amme, wann die ihr Wasser zum Atmen und unsichtbar feine Nahrung zurudern.

Eines Tages besinnen sich dann die kleinen Einleger, daß sie keine Muscheltiere sind, und suchen ins Freie zu kommen. Daß sie dabei durch den geduldigen Leib ihrer Pflegemutter wandern und plötzlich am anderen Ende des grauen Hauses ins Helle geraten, kommt ihnen nicht zu Bewußtsein und stört die stille Eremitin nicht. Die ist froh, daß es für dieses Mal wieder vorüber ist, und im nächsten Frühjahr denkt sie lange nicht mehr an ihre Waisenstube; und jährlich staunt sie aufs neue über die Gewalt, die ihr die zierlichen Bitterlinge antun.

 


 << zurück weiter >>