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Jetzt sind die Heringe ins Oberwasser gekommen und ziehen, unübersehbar hinschimmernd, magischen Weisern folgend, der Küste zu. Sie schwimmen unter dünnem Wasser, und davon haben auch die Vogelleute ein großes Fest. Spitziges Geschrei und heiseres Krächzen geht weithin übers Meer und hört auch in den Sturmnächten, die sich die Heringe für ihre Hochzeiten aussuchen, nicht auf.
Laikan und viele Verwandte treiben es am Rand der wimmelnden Schar, und, oh, viele haben sie an den Schwänzen gepackt und herumgeschleudert. Keiner von den stürmenden Hochzeitern wehrt sich. Es ist, als hätten sie gar keine einzelnen Leiber und Leben; es geht ihnen wahrscheinlich ums Ganze.
Immer neue Silberwolken steigen aus der Tiefe, und die Lachse, die dieses jahrtausendealte Hochzeitsfest zum erstenmal sehen, werden kleinlaut und machen sich davon. Mehr als satt werden kann man nicht, und von so viel Lebenshunger wird man bedrängt. Es ist nicht Art 241 der Edelinge, so viel Raum für das eigene Leben zu brauchen und in einer so unendlichen Sippe und Nachkommenschaft sich zu behagen. Überdem ist es lebensgefährlich, in das Gedränge dieser Leute zu kommen. Sie erdrücken einen, sie werfen einen aus dem Wasser, sie springen einem auf den Rücken. Es ist am besten, wenn man in den Schatten des Heeres hinabtaucht. Oh, da wölkt süßer Laich, der in weißen, dichten Schwaden herabsinkt, und diese Kost hat man immer gerne; von ihrem Fett und ihrer großen Lebensfülle wird man stark und räuberisch. Aber auch hier muß man zeitweise dem Segen sich entziehen, denn wenn durch den niedersinkenden Laich die Kiemen verlegt sind, wie soll man atmen?
Von überall kommen sie jetzt heran, die Kabeljaus und Schellfische, die Meerhechte und Makrelen, die flachen und schlanken Leute, die dunklen und hellen, die stachelbewehrten und die weicheren Herzens: alle kommen sie und von allen Seiten, aus der Tiefe und Weite, und haben mörderische und schlemmerische Tage und Nächte.
In das Prasseln der Millionen Fischleiber, in das Klatschen der aufspringenden Hochzeiter, in das Geschrei und Gekrächze der Heringsmöwen und anderen herabstoßenden Vogelleute und durch das Gedröhn brechender Wogen hallen die Schreie der Fischer. Lange haben die den Küstenrand und die Fahrstraße der Heringe mit riesigen Netzen umstellt und haben sogar noch eine Bucht umzäunt. Hunderte Schiffe umfahren die gleißende Schar, die arglos und blind von Leidenschaft herzieht. Nachts zünden die Fischer Fackeln an, und die lieben die Heringe besonders. So gelangen sie immer mehr an die 242 Küste, und die Spitze des großen Zuges ist schon im Bereich der Netze.
Da begibt sich an einem Tage Gewaltiges. Mit den Westwinden und ihrer Strömung sind drei Kerle herangerückt, die die Witterung der Heringe haben. Sie sind aus der Gegend der Shetlands-Inseln einem riesigen Kabeljauzug längs der schottischen Küste herunter gefolgt, weil das höchst nahrhafte Jagd gab. Als die Kabeljaus dann in ihre tiefen Gründe hinabsanken, ließen die drei Kerle sich dem Zug der obermeerischen Strömung, die ihre Welt ist, und haben gestern die Witterung der Heringe gekriegt.
Jetzt sind sie da. Schlank und schön, nackt und rauh gehäutet und dunkelblau, wie zuzeiten die See. Sie sind wohl dreimal so lang wie Mutter Lachs oder noch länger. Graublaue und silbern schimmernde Flossen tragen sie leicht hin, und das Ruder ist schwarzblau. Aus dunkelblauen, großen Augen starren sie klug und scharf. Auf breiten und scharfen Schwertern, die sie über der Säge nach vorwärts recken, und die so lang sind, daß sie einem schon durch den Leib fahren, bevor man noch die Säge genau erkannt hat: auf solchen furchtbaren Schwertern stürmt der Tod vor ihnen her.
Oh, wie leicht und behend sie steuern! Es ist ein schöner Nachmittag über dem Meer geworden, und da sind sie übermütig und freuen sich des Lebens. Sonst ziehen sie in halber Tiefe, denn ihre Jagdgründe sind nicht im großen Dunkel. Aber an blauen Tagen, unter blitzender Sonne, da spielen diese Unholde wie kleine und leichtfertige Burschen. Das Meer rauscht auf, und weithin 243 spritzt und klatscht es, wenn die schweren Leiber übermütige Luftsprünge tun. Vielleicht ist es doch nicht so, und hinter den Schwertern sind keine mordlüsternen Seelen?
Die Möwen kreisen schreiend und zeternd über den Spielenden. Die wissen aus jahrelanger Erfahrung, was jetzt kommt, und daß es ihnen gut dabei gehen wird. Aber noch geschieht nichts, und wahrscheinlich schreien die Möwen aus Ungeduld.
Dann aber kommt es anders. Man weiß nie, wann diese Kerle der Zorn überfällt. Sie ziehen dahin, blicken aus dunkelblauen großen Augen, und plötzlich überfällt sie der Zorn. Dann sind sie furchtbar, und man glaubt ihnen ihre Waffen. Aber von wannen sie der Zorn ankommt, weiß man nicht, wissen sie selbst nicht. Wahrscheinlich kommt er über sie aus dem Schwertgefühl, das sie vor sich hertragen, und das aus unvordenklichen Zeiten, in denen sie gegen schreckliche Meeresungeheuer gerüstet sein mußten, in ihren Seelen nistet und plötzlich aus ihnen hervorbricht.
Sausend fährt die Hornklinge des Vordersten in den Schwarm der glückseligen Hochzeiter. Sausend folgen die zwei anderen. Mit jedem Schlag, der hierhin und dorthin prescht, seitlich und von unten her, wächst der Zorn dieser Schwertseelen. Die Heringe möchten in großem Entsetzen davonfahren. Aber eingekeilt in die unzählbaren Sippen, schiebt der Schwarm sich dichter zusammen, und das reizt die großen nackten Kerle erst recht. Blut und Laich, Schuppen, Gedärm und zerstückte Leiber treiben allenthalb auf der Oberfläche. Die Möwen geraten in 244 einen Taumel wütender Gier, und ihr Geschrei schwillt betäubend. Was nützte es den Heringen, wenn sie tauchten? Nichts! Die Schwertfische tauchen mit und sind dann noch schrecklicher behend. Auch taucht man nicht, solange die Hochzeit nicht vorüber ist. Darum vorwärts, vorwärts, der Küste zu! Es ist, wie es ist! Man ist nicht für sich da; wahrscheinlich ist man überhaupt nicht da; nur die Sippe ist da; um die geht es und um die Nachkommenschaft! Und man schiebt und drängt und ist schon tief in die Netze der Menschen geraten. Aber auch das weiß man nicht.
Die Fischer sind sehr erschrocken, als sie die Schwertfische erblickten. Sie brauchen keine Zutreiber des Heereszuges, und Vertreiber sind die nackten Kerle auch nicht; denn ein Hochzeitszug läßt sich durch gar nichts vertreiben, wenn er einmal im Ziehen ist. Aber ihre Netze! Keinesfalls dürfen die Schwertfische in den Bereich der Netze hinein, sonst ist die Ernte eines Jahres hin.
Boote lösen sich, versuchen über den Schwarm zu kommen und den Schwertfischen den Weg abzuschneiden. Gegen Wellen anzurudern, verstehen die Fischer. Wenn aber der Kiel sich durch lebendige Fischleiber bahnen soll und die Ruder steckenbleiben im wimmelnden Leben; wenn Geschrei und klatschende Schwingen der Möwen Gesicht und Gehör lähmen und die wütenden Vogelleute weißen Kalk regnen auf die fluchenden und schwitzenden Bootsleute, oder wenn gar dort vorne der Tod bei den rasenden Schwertern ist: dann ist die Ernte diesmal eine hart eingeheimste, und es ist ganz und gar nicht sicher, ob sie eingeheimst werden wird. 245 Schon ist der größte der Schwertfische in den Außenbereich des Netzes geraten. Er hat sich vollgefressen und will ins ruhigere Wasser hinabtauchen. Da gerät er ans Netz. Widerstand reizt ihn zur Tollheit, und die Fischer, die den nackten Kerl im Unsichtigen nicht gewahren, spüren am gewaltigen Schwanken der Netzleine, was sich begibt. Mit allen Kräften rudern sie zur Stelle. Flinten und Harpunen haben sie ergriffen. Das Netz rüttelt schrecklich über dem im Unsichtigen wütenden Fisch. Die beiden anderen, die vom Morden abgelassen haben, kreuzen am Rand des Schwarms friedlich und satt, als hätten sie nie einen hundertfachen Tod losgelassen. Ihre blauen, silbern schimmernden Rückenflossen und einen halben Mond des schwarzen Ruders recken sie behaglich in den Abend herauf und haben wahrscheinlich wieder sehr sanfte und dunkelblaue Augen! Welch seltsame Seelen! Die Fischer hüten sich, die Kerle zu reizen, und hoffen, daß die in die offene See hinausziehen werden.
Mit Stangen und Harpunen suchen sie nach dem Gewaltigen und strengen sich an, ihn vom Netz loszubekommen. Kugeln klatschen ins Wasser, wo sie den Schwertkerl vermuten. Da sehen sie ihn plötzlich aus der Tiefe brechen. Ein gewaltiger Stoß wirft das Boot fast um, und durch die Wante fährt splitternd und krachend das hörnerne Schwert des Unholds. So wütend ist dieser Stoß, daß noch der Oberkiefer im Holz steckt und der riesige Fisch nicht mehr zurück kann. Am Grund des Schwertes hängen ihm Fetzen vom Netz, und seine Säge blutet von Mord und Stoß.
Als die Menschen ihn erschlagen. speit er im 246 Todeskampf unzählige Hochzeiter aus. Die Fischer sind es zufrieden, daß dieses gefährliche Abenteuer ohne ihren eigenen Tod überstanden ist, und nageln das tödliche Schwert als gutes Wahrzeichen an den Bug des Schiffes.