Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Tödliche Hochzeit

Verstummt und staunend gehorcht der kleine Lachs. Der stolzen Frau den Rücken zuwenden, hätte er nicht gewagt. In ihre Augen starrend, rudert er langsam fort und gewahrt noch, daß eine funkelnde Freude in ihnen aufblitzt, und eine herrische Wildheit. Dann ist er hinter der Uferbiegung verschwunden, dreht bei und zieht bachaufwärts.

Mutter Lachs hat ihn rechtzeitig gewarnt. Ihr ist nicht entgangen, daß es bachabwärts lebendig wird. Sie kennt das gewaltige Rauschen, das in kurzen Absätzen sich wiederholt und die Ankunft des Mannes und ihrer Trabanten anzeigt. Davon ist die wilde Freude in ihre Augen gekommen, die der kleine Lachs noch gewahrt hat. Dann hat sie sich vom weißen Kies aufgehoben und ist zur Uferseichte geschwommen. Dort untersucht sie den sandigen Grund. Dann fährt sie langsam darüber hin. Mit dem gewaltigen Ruder höhlt sie den Sand aus und haut die Nestmulde.

Jetzt ist der Mann herangekommen. Wild und herrisch dreht er bei und läßt die Rüstung in der Sonne blitzen. Er hat sich fürstlich geschmückt. Die blaugrüne Schabracke ist mit prachtvollen roten Litzen verbrämt, die auf dem mächtigen Haupt in breiten Zickzackbändern sich kreuzen. Tiefpurpurn sind Flanken und Bauch, und die vorderen 49 Ränder der Ruder des gewaltigen Steuers haben einen Schimmer wie Morgenrot überm Meer. Feuer der Lust sind die großen Augen, und eines alles bezwingenden Willens. Furchtbar droht die Säge aus dem halbgeöffneten Maul, das in kurzen Stößen das Wasser einzieht. Die schimmernden Kiemenschilde heben und senken sich, weisen purpurne Adern und zeugen von einem Herzen, welches dröhnt in Leidenschaft und Kraft.

Wie ausgestorben ist der Bach. In wilder Flucht zerstob alles vor dem Gewaltigen aus dem Meere. Nur die Trabanten, jüngere Männer, die, von der Schönheit der Frau entzündet, ihrer Bergfahrt folgten, halten in Abständen bachunterwärts; der Größte unter ihnen einen tüchtigen Forellensprung vor den anderen. Funkelnden Blicks beobachtet der die Zurüstung der Nestmulde, sieht die stolze Frau über den Sand gleiten und die Grube größer werden. Bald ist die so lang und so weit, daß ein erwachsener Mensch Platz in ihr fände. Funkelnden Blicks beargwöhnt der Gewaltige im Harnisch, der nahe der Nestmulde sich aufgestellt hat, den Nebenbuhler.

Dann ist die Grube bereit, und Mutter Lachs ruht sich aus. Der Geharnischte umschmeichelt sie in langsamen und entzückten Kreisen. Näher, unmerklich fast, rudert der Jüngere. Die Trabanten starren und sind gebannt. Sie kauern nicht; sie tun keinen Flossenschlag; sie gewahren nicht die einbrechende Dämmerung; sie wissen von keiner Zeit und fühlen keinen Hunger; sie schweben außer sich in einer unerhörten und tödlichen Spannung.

Jetzt hebt die hochzeitliche Frau sich auf; ein Zittern und Beben fliegt durch ihre Flanken; die gewaltige Säge 50 öffnet sich in stoßender Atemnot; gleich einem Schiff mit schwerer Schlagseite taumelt sie über die Nestmulde; jetzt auf die linke, dann auf die rechte Seite sich werfend, steigert sich ihre Leidenschaft zum herrischen Leben selbst, das, neidisch und haßerfüllt, sie töten kann.

Den Mann hat sie zu Wildheit entflammt; eng ist der Bach, zu gering das Element; vergehen will er in selbstsüchtigster Selbstpreisgebung. Es reißt ihn aufwärts, wo der Tod ist, und er tut einen ungeheuren Sprung, daß sein riesiger Leib, gespenstisch gleißend, einen Augenblick über dem Bach aufsteht. Entsetzt fahren die Vögel davon. Funkelnden Blicks gewahrt der Jüngere drunten die Schönheit und den Schrecken, die von diesem Geharnischten ausgehen. Das Wasser rauscht auseinander, als er wieder zurückstürzt. In großem Entzücken verhält die hochzeitliche Frau. Eng aneinander kreisen die herrlich Erschaffenen über der Nestmulde.

Dann bedeckt Mutter Lachs, indem sie langsam und vorsichtig das Steuer fächelt, ihre Eier mit dünnem Sand. Das kümmert den Mann nicht; aber er hat Zeit, den Jüngeren ins Auge zu fassen, und die verwegene Nähe desselben reizt ihn zu herrischer Eifersucht. Mit gewaltigem Sprung geht er ihn an; der fährt bis zur nächsten Schnelle zurück; dort aber hält er stand. Einem Stoß gegen die Flanke weicht er behend aus und bekommt die Fettflosse des Angreifers zu packen. Der zerrt, ohne des Schmerzes zu achten; aber der andere läßt nicht los. Jetzt gewinnt der Riese, der die Schwanzflosse nicht brauchen kann, weil der Jüngere hart anliegt, tiefer Wasser und greift von unten an. In den vielen Monaten seit dem 51 Aufbruch aus dem Meere hat er nicht mehr gefressen, weil er nur an die hochzeitliche Frau gedacht hat und sie nicht aus der Witterung verlieren durfte. Da er die Säge monatelang nicht benutzte, ist ihm der Unterkiefer ausgewachsen und hat ein Horn bekommen, das ihn am Beißen hindert. Er will dem Nebenbuhler das Kiemenschild aufreißen, aber er kriegt es nicht zu fassen. Aus der Fettflosse fließt Blut, und auf einmal fühlt er, daß der andere jünger ist und wild von Leidenschaft, wie er selbst. Hochauf spritzt das Wasser vom Kampf der beiden Lachse. Die Trabanten haben die Gelegenheit wahrgenommen und nähern sich verwegen der Nestmulde.

Da stößt es vom Ufer herein, und der Riese fühlt erschauernd, daß der Tod in seinen Leib einbricht. Ein Spieß ist ihm durchs Herz gefahren. Sein brechendes Auge gewahrt noch, wie der Nebenbuhler zur Nestmulde stürzt. Mit großer Mühe nur kann der Mensch den im Rausch des Lebens und des Todes Tobenden ans Ufer ziehen.

Die stolze Frau über der Nestmulde fühlt, was bachabwärts sich begibt. Sie kennt das alles von vielen Liebesfahrten her. Als die Trabanten plötzlich davonstürmen und statt des Geharnischten der Jüngere vor ihr sich hinstellt und sie herrisch anfunkelt, da weiß sie, daß er der Stärkere geblieben oder daß der andere wahrscheinlich unter die Menschen geraten ist. Hundertmal hat sie gesehen, wie die Menschen mit den Leuten ihrer Sippe verfahren, und sie wundert sich über nichts. Als der Mann sie jetzt entzückt und leidenschaftlich umkreist, ist ihr Gemüt gleich entflammt, und der strenge Rausch überfällt die Taumelnde. – 52

Beide achten nicht des roten Feuerscheins, der aufs Wasser fällt und ihre mächtigen Leiber zu gespenstischem Gleißen und Schimmern bringt. Jetzt rudern sie in roten brandigen Flammen, aneinandergepreßt, über der Mulde. Sie gewahren nicht die geschwungenen Fackeln; sie hören nicht die Schritte der Menschen über der Böschung; nicht den kurzen und scharfen Knall. Nur daß das Wasser hoch aufspritzt und Mutter Lachs zum großen Erstaunen ihres Liebhabers ein paar heftige und ganz ungehörige Schläge mit der Schwanzflosse tut, wodurch sie die Nestmulde und ihr Gelege fast zerstört. Dann liegt sie plötzlich seitlings und beginnt mit der Strömung zu treiben; und da ist auch Witterung von Blut im Wasser. Das alles ist dem Lachs unbegreiflich, und er ist von seinem Liebesrausch so benommen, daß er unbeweglich bei der Nestmulde verharrt. Erst als zwei furchtbare Hände ins Wasser tauchen und er diese Hände nach der toten hochzeitlichen Frau greifen sieht, stürmt er entsetzt bachabwärts.

So wurde Mutter Lachs von frevelnden Menschen während ihres hohen Festes getötet, und der kleine Lachs, der nach ein paar Tagen um die Uferbiegung lugt, wird seiner Mutter nicht mehr begegnen.

 


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