Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Die Gründlinge

Der Sommer ist ins Gebirg gekommen, und mit ihm ist die Welt lebendiger geworden. Es begibt sich allerhand im Bach und an seinen Ufern, davon die beiden Bürschchen Erfahrung gewinnen. Sie sind größer geworden; fast verbirgt sie der Huflattich nicht mehr, aber man sieht ihnen die Kindheit an. Sie tragen noch Nestlingsgewand, und der Ausdruck ihrer Lärvchen ist eher dreist als stolz, mehr neugierig als prüfend; auch spielen sie noch gern mit allem Blinkenden im Sand und üben sich fast unvorsichtig im Springen und Schwimmen. Der Tapfere hat ein kühneres, aber bedächtigeres Wesen; sein kleinerer Bruder ist übermütiger, aber er fühlt sich im Schutz des größeren.

Eines Tages – die beiden Lachse dösen, weil es um Mittag heiß ist unterm Erlenast –, da kommt es den Bach herauf. Zuerst sieht es aus, als ob ein dunkelgrünes breites Band heranschwimme; in dem Band blitzt es da und dort silbern auf. Die Lachse starren auf die Erscheinung und staunen tief. Denn wie sich das Band näher schlängelt, gewahren sie viele Hunderte grüne Fische, nicht 24 größer als sie selbst: viele kleiner, manche so klein, daß die Mäuler der beiden Burschen unterm Erlenast wie von selbst sich auftun. Aber die Schar ist groß, und Vorsicht scheint geboten.

Jetzt ist der Vortrab in die Höhe der Erle gelangt. Es sind die stärksten der Sippe, und sie scheinen zu beraten; einige schießen gegen das Ufer, das beiderseits flach und kiesig ist. Einige dringen weiter, doch kehren sie vor der wirbelnden Stromschnelle um; wahrscheinlich berichten sie, daß ein Weiterkommen nicht mehr möglich ist, denn der Bach wird jetzt sehr unfreundlich für Leute ihrer Sippe, die eigentlich See- oder Strombewohner sind, und denen der Mensch den Namen Gründling gab.

Die Menge staut sich, denn die Hintersten hat die Botschaft, daß hier haltgemacht werden müsse, noch nicht erreicht. Sie drängen und stoßen, und jetzt ist auf einmal die ganze Breite des Baches ein einziger, blaugrüner, wimmelnder und zuckender Fischleib. Oh, sie sind lustig, übermütig, ausgelassen. Sie springen einander auf den Rücken, schnellen dahin, dorthin; Silber blitzt, bunt strahlt aufstäubender Gischt. Es ist ein großes Fest, das die Natur sich bereitet.

Im ersten Schrecken, als die tolle Gesellschaft sich über den Bach ausbreitete, wollten die Lachse davon. Aber es war unmöglich. Die Gründlinge erfüllten das Bachbett bis auf den Grund mit ihren Leibern. Natürlich gerieten sie auch gleich ins Versteck unterm Erlenast. Es waren die Größeren vom Vortrab. Sie stutzten einen Augenblick, als sie die beiden Bürschchen gewahrten, und standen rudernd still. Zwanzig Augenpaare bohren sich in die 25 Gesichter der Lachse. Vertreibt man die? Gibt's Kampf? Ach was! Man ist in der Mehrzahl, man ist gutmütig, man ist sogar sehr für fremde Leute eingenommen, wenn sie keine Sägemäuler haben; und dafür sind diese zwei zu klein; ja, man erkennt sie, fast nachsichtig, als heurige, aber immerhin aus edler Familie stammend. Also wird man gute Kameradschaft halten; man ist festlich gestimmt, ist mit eigenen Angelegenheiten vollauf beschäftigt, denn man befindet sich auf Hochzeitsfahrt, und so mag es bleiben, wie es ist. In drei bis vier Wochen kehrt man wieder in den See zurück, aus dem man vor zwei Monaten abgerudert ist.

Die Vortrableute machen anderen Platz; es ist ein Drängen, Schieben, Stoßen unterm Erlenast, daß die Lachse endlich weichen müssen, denn die Gründlinge haben es auf die seichten Uferränder abgesehen. Nicht daß sie die beiden Burschen mit Absicht und Gewalt vertrieben hätten; so viel Zeit nehmen sie sich nicht. Sie sind Hochzeiter und müssen ihr Hochzeitsbett haben.

Die Lachse, welche von solchen Festen noch keine Vorstellung in ihrem Gemüt fassen können, begreifen nichts. Muß es ihnen nicht schrecklich vorkommen, wenn sie nun sehen, wie die Gründlinge mit gewaltigen Flossenschlägen sich auf den Uferrand hinausschnellen, daß nur mehr der silberne Bauch ein wenig vom Wasser bespült ist? Und ist es nicht außer aller Sitte und jenseits jeden Herkommens, daß sie, jeder einzelne, um sich schlagen wie angebissene Würmer? Daß die Kiemen so weit sich spalten, bis man die roten Blutadern sieht? Daß sie die Mäuler aufsperren und gleich ersticken werden in der furchtbar 26 dicken Luft? Und dazu freut sie das; denn es ist ein Jauchzen und Gelächter, das kein Mensch und kein Vogel, und niemand von den Haarleuten vernimmt, das aber die beiden Lachse ungeheuer dünkt. Und es dauert Tage und Nächte, und hört keine Minute auf; immer neue kommen und schnellen ans Ufer, und wenn sie müde sind, rutschen sie ins Wasser zurück, rasten, vergessen, daß sie hungrig sind, schnellen wieder hinaus, Männer und Weiber, ein toller Wirbel.

Die Gründlinge sind fetter und wohlschmeckender als die knochigen Junglachse; denn als eines Tages die Forelle in den Schwarm einbricht, achtet sie gar nicht auf die erschrockenen Brüder. Aber unter den Hochzeitsgästen wütet sie erbarmungslos, und die Lachse, welche sich vorsichtig abseits halten und ihre Jagd auf die Mittagsstunde, während die Forelle döst, verlegen, wundern sich, daß selbst dieser entsetzliche Räuber die Rasenden nicht einzuschüchtern vermag.

Bis eines Nachts die gelichtete Schar bachabwärts zieht, und dem nun schmal gewordenen blaugrünen Band in kurzer Entfernung die Forelle folgt, und in viel weiterem und bescheidenem Abstand die beiden Bürschchen. Dann ist's an den kiesigen Ufern still; die Seichte unterm Erlenast ist leer. Aber auf dem Sand, unterm dünnen Wasser, liegen Tausende kleiner blauer Eier; und wo die Sonne hinkommt, werden in wenigen Wochen Tausende winziger Gründlinge an gelben Dottersäcken hängen; und wenn Sonne, Mond und Gestirn ihnen wohlwollen, werden manche von ihnen in die heimischen Seen und breiten Flüsse gelangen. 27

 


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