Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Zweiter Teil

Das Meer

 

Landschaft

Neu und ungeheuer ist die Welt. Totenstille und finsteres Grün umgibt den verwirrten Wanderer. Verschollen ist das heimelige Gurgeln um Sandbänke und Tangbüschel; verschwunden sind strudelnde und kreisende Tümpel. Eintöniger dumpfer Donner dringt zu Laikan, wann er höher steigt, und verlischt, wann er hinabtaucht. Kein Rauschen mehr, kein sehnsüchtiges Gezogenwerden durch breite Strömung, kein Widerstand, kein Stemmen und Gestoßenwerden. Grenzenlos und gleichgültig, weithin sichtig und dann in Finsternis vergehend, drohender Geheimnisse voll und weither strahlender Verlockung, umgibt Laikan das Meer.

Noch ist Nacht. Der Vollmond steht über der Dünung. Das Wasser ergrünt weit hinab von seinem Schimmer; der geistert um gespenstige Landschaft. Tief atmend und sehr verwirrt fährt der junge Lachs ziellos und unrastig in der neuen Welt umher. Wo sind die Genossen? Es wäre heimeliger, in kleinem Trupp von dem Neuen Besitz zu ergreifen. Oh, sie sind versprengt, zerstoben, und fahren wohl gleich ihm, unrastig und furchtsam durch die erschreckende Unendlichkeit des Lebens.

In der großen Verwirrung, als die gewaltigen Sturzseen ihn hinausgerissen hatten aus den flachen Ufern des veratmenden Stroms, fühlt Laikan sich verfolgt und 178 gehetzt und stürmt, wie er es gewohnt ist, widerstandwärts. Weil aber jetzt der Widerstand nicht mehr von ziehendem Gewässer kommt, drängen seine feinen Sinne nach dem Widerstand der größeren Tiefe, und er schleudert seinen schlanken Leib finsterniswärts. Erinnerung an die schwereren Wasser des schwäbischen Meeres taucht in seiner Seele auf und läßt ihn auf dieser Fahrt ins Unergründliche vertrauter werden. Hoch schlägt sein Herz, und wenn er sonst mit geschlossenem Maul und sanften Bewegungen seiner Kiemen atmete, so zwingt ihn die neue und starke Luft jetzt zu tiefen und often Atemzügen. Weit geöffnet saugt er das schwere und dichte, das seltsam duftende und herrlichster Witterung trächtige Wasser ein, und stößt es in kurzen und leidenschaftlichen Zügen durch die weitgefächerten Kiemen.

»Wie ist das? Muß man hier nicht lauern und graben, nicht kosten und springen? Wie ist es denn? Braucht man nur das Maul aufzutun und wird satt? Ja, es wird so sein! Es wird so sein! Wahrscheinlich bin ich schon satt! Oder bin ich hungrig? Ich weiß nichts, gar nichts! Ich atme und schlucke, und mir wird wohl und wohler; und unter mir hört es nicht auf, und über mir hört es vielleicht auch nicht auf! Ich bin da, ich bin da! Oh, wie ist das seltsam, daß ich da bin!«

»Solche bösen Gesichter, solche bösen Augen«

Was er alles sieht! Oh, was alles! Sonst wachsen Bäume an den Ufern, und man kann in ihren Schatten dösen. Hier wachsen sie im Wasser und sind fast so groß wie die Jungerlen; wahrscheinlich braucht man keinen Schatten. Wie Birkenäste schneeweiß sind sie und haben Zweige, hinter denen man herrlich dösen kann. Aber da 179 lauern schon andere. Vettern? Nein, mit solchen Leuten ist man nicht verwandt. Es ist besser, man weicht aus. Solche bösen Gesichter, solche dreisten Augen, die blauschwarz und rot, durchsichtig und stumpf blicken; Kerle, die Arme und Beine recken wie die Geharnischten, und doch keine sind; Burschen, die wie Vögel auffliegen und 180 dann auf die edlen Ruder sich einfach hinsetzten, auf einen Ast, auf einen Felszacken wie die Bachstelzen und Wasseramseln! Nein, das ist nichts für den jungen Lachs. Das ist fremdeste Fremde. Er sieht ihnen an, daß sie nie ihre Riffe verlassen haben und ihre Finsternis; daß sie nichts wissen von Sonne, Mond und Sternen, von süßem Wasser und kaltem, herrlichem, funkelndem Rauschen. Ihr gleichgültiges und fernerhin gehendes Starren ist sehr fremd. Sacht rudert Laikan rückwärts und gleitet in sanften Windungen um eine Basaltklippe aufwärts.

Reisig wächst an den Wänden. Laikan will es nach alter Gewohnheit absuchen. Da ist es Stein und hat scharfe Kanten, daß man sich das Maul reißt. An den Enden dieser Aste hängen rote und weiße und hellgelbe Blumen, und gelbgestreifte, wie Schleienwämser. Als er diese Meerblumen absuchen will, sind sie nicht mehr da. Vor seinen Augen verschlossen sie in den Ast; wie er zupacken will, stößt er sich am scharfen Rand, und vor ihm gähnen schwarze Löcher, aus denen herrliche Witterung kommt. Tief atmet Laikan, und als ein anderer Ast wieder zu blühen anhebt, rudert er rückwärts aus dem Medusengarten; das Geheimnisvolle macht ihn scheu.

»Aus ihren bunten Kelchen winden sich Blätter, gleich schönen kleinen Würmern«

Andere Geschöpfe sieht er im Aufwärtsziehen, die auf den Felsen haften und sich nicht verstecken können. Aus deren bunten Kelchen winden sich Blätter gleich schönen kleinen Würmern, leuchten in tiefen und sanften Farben und wallen hin, als würden sie von kleinen Wellen gefächelt. Dabei ist das Element unbewegt und eine tiefe Stille. O herrliches Dasein! Mutter Lachs hat recht gehabt: »Unbeschreibliche Köstlichkeiten wirst du schlucken, 181 kleiner Bursch!« – Und er schickt sich an. Natürlich sucht er die gelblichen sich aus. Denn: violetten, blauen und purpurnen Würmern mißtraut er. Die gab es in seiner Welt nicht. Aber auch die gelben machen ihm keine Freude. Wie er zupacken will, fahren ihm die sehr 182 behenden Würmer massenhaft ins Gesicht, und das ist kein gutes Gefühl. Sie haben eine scharfe und beizende Witterung, und wehren sich tapfer. Mit einem heftigen Ruck entzieht Laikan sich den zornigen Fühlern der Seeanemone, die sich gleich beruhigt.

Kleinlaut ist er nahe in den Bereich der Dünung hinaufgetaucht. Als er das ferne Donnern der Brandung hört und das tiefe Rauschen der brechenden Seen, glaubt er den Strom nicht weit. Und wie sich unter ihm der Grund des Meeres aufhebt und grau ansteigt, fühlt er sich den gewohnten Sandbänken nahe. Als dann gar Tangbüschel und Algengekraus im Wasser wanken, von denen er vertraute Nahrung abliest, da kehrt in sein junges, von der unsäglichen Fremde verwirrtes Herz die Sicherheit und der Stolz seines Geschlechts zurück. Wenn der Glanz des heraufkommenden Gestirns niederbraust auf Meer und Land, tummelt der junge Lachs sich vergnügt über den Mulden und flachen Tälern des sanfteren Meeresbodens. Die Schrecknisse der nächtlichen Wanderung sind blasser geworden im Sonnenlicht, und er hat den Frieden und die Sicherheit jedes Gottesgeschöpfs gewonnen. Er fühlt, daß er sehr glücklich sein wird im neuen und ungeheueren Raum seines Daseins.

 


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