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Der Rhein führt Eis. Erschreckt horchen die Lachse auf das scharrende Geräusch, wann Schollen aufeinandergeraten, die fast freundlich einander sich näherten. Heimtückisch sieht das aus, und die Wanderer halten sich in größerer Tiefe. Aber auch dort kommt im unsichtigen Wasser Treibeis vorbei, und man muß scharf äugen und behutsam steuern. So kurz vor dem Ziel müssen die Lachse sich Gewalt antun und langsam ziehen. Oft zerlöst die Reihe sich, taucht, windet sich zwischen scharfen, schwarzgrünen Schollen hin. Es ist eine gefährliche und ermüdende Fahrt, und das heimtückische und gespenstische, das sanfte und tödliche Einherwallen der Eisberge macht die Pilger aufgeregt.
Eines Tages kommen Wanderer hinter ihnen her, die sie als entfernte Verwandte erkennen. Sie sind ältere Leute, Männer und Frauen, und sehen müde aus. Das ist den Lachsen recht, denn die Sägen dieser Meerfahrer ängstigen sie. Anfänglich fliehen sie, in Trüpplein zerlöst. Weil aber die Großen ihnen keine Beachtung schenken und vorüberziehen, beruhigen sich die jungen Pilger und finden wieder in die Reihe.
Viele Tage dauert der Zug der Meerforellen, die von ihren Hochzeiten, welche sie nicht sehr hoch in den Bergen halten, heimwärts wandern in die See. Nicht immer 155 ziehen sie in Reihen; manchmal kommen Paare, dann einzelne; auch kleinere Trupps ziehen vorbei. Sie sind den Eisgang gewöhnt und steuern sicherer als die Lachse. Sie sind große Leute und lassen diese Erstlinge des Stroms bald hinter sich.
Allgemach wird der Rhein jetzt für die Lachse uferlos, und an den fremden Vogelleuten, die immer häufiger in der oberen Welt einherschaukeln und heisere gelle Stimmen haben, merken die Wanderer, daß eine neue Fremde vor ihnen sich auftut.
Noch ist eine tiefe und breite Fahrrinne, in der der Zug des Stromes stark ist. Weil aber in dieser Rinne die Eisschollen sehr herrisch sich gebärden, halten die Lachse sich an den Rändern dieses Stromes und rudern lieber. Vom Ufer sind sie so weit entfernt, daß sie bald darauf vergessen. Öfter kommen sie an breiten Schlamm- und Tangbänken vorüber und erleben allerhand. Schwarzgrüne Inseln tauchen auf, auf denen viel fremdartiges Leben sich begibt. Seltsame Geschöpfe hausen da.
Eines Nachts, als der Eisstoß besonders donnert, weil in den Rhein ein breiter Fluß mündet, der Eis aus fernen Gegenden bringt, verhalten die Pilger in einem kleinen Tal zwischen schwarzen Tangbänken. Über ihnen wölbt sich eine starke Eisdecke, durch die fahles Mondlicht geistert. Das Wasser schläft fast ein und gurgelt manchmal freundlich in Tümpeln und Strudeln um die Inselränder.
Gemächlich rudern die Lachse in dieser Gegend umher und treiben es nach Laune, jeder für sich. Sie suchen die Tangbüschel nach Würmern und Asseln ab, aber ohne besonderen Hunger. Ehe sie nicht am Ziel sind, werden sie 156 keine großen Mahlzeiten halten. Dann aber, oh, sie werden Unerhörtes leisten und vielleicht werden sie das Meer ausfischen!
Laikan ist um eine Inselzunge herumgekommen, wo der Schlamm besonders weich ist, weil diese Zunge mit dem Strom liegt, der das Harte und Grobe mitnimmt. Hier wallt der Tang sehr sanft, und im fahlen Licht liegt die Schlammbank gar nicht tief unter der Eisdecke.
Als Laikan gemächlich und vergnügt über sie hinstreicht, steigt eine grüne Wolke aus ihr auf, und die Schlammdecke wird aufgewühlt. Der Lachs fährt um eine Länge zurück, aber neugierig, wie er ist, verhält er; freilich mit gestrafftem Ruder, zur Flucht bereit. Als die Wolke von der sanften Strömung zerteilt und fortgeschwemmt ward, sieht er einen, der den Kopf aus dem Moder reckt.
Ein seltsamer Mann! denkt Laikan, der zuerst an die Schleien sich erinnern muß. Aber der Kopf dieses Schlammschläfers ist ganz anders, fast wie jener Frau, die den Grünen im Menschenteich verschlang. Als der nun unter ziemlicher Anstrengung sich weiter aus seinem Bett windet, da ist er doch wohl ein naher Verwandter der Natter?
Laikan erinnert sich an die weitoffene Säge, in der der Frosch gut Platz hatte, und er geht etwas weiter zurück. Wie er scharf zusieht, gewahrt er den Mann umständlich eine Wasserlaus vom Tang ablesen, und sieht ihn ein Maul spitzen, vor dem man wahrhaftig keine Furcht, ja nicht einmal Achtung zu haben braucht, wenn man selber ein hochgeborener Raubritter mit einer zukünftigen Schreckensäge ist. Im Gegenteil, man nähert 157 sich dem schwarzen Kerl ein wenig hochmütig und tut seiner Neugier keinen Zwang an.
Der Schwarze hat sich halb herausgearbeitet, und der Lachs staunt, daß der so seltsame Ruder hat, die ihm über den ganzen Rücken und längs des Bauches gehen.
Was der Mann für kluge Augen hat! Schön sind sie nicht, und sie strahlen von keiner Heldenseele, wie die Laikans und seiner Sippen. Aber muß es denn nur Helden geben und Unrastige und Sehnsüchtige? Bewahre! Es sind den Geistern seiner Geschöpfe auch viele Wohnungen bereitet im Hause ihres Erschaffers. Aber auch der Aal hat seine Sehnsucht; nur pflegt er davon wenig Wesens zu machen, präsentiert sie weder der Sonne noch den nächtlichen Himmelslichtern, weder den Menschen noch mit Absicht auch seinen Sippen. Wann die ihn überfällt, dann bricht er in schwarzen und Sturmnächten auf und wandert, bis er genug hat. Das tut er als Neugeborener einmal, und als Mann auch einmal; und dabei läßt er es bewenden. Sein Leben ist mit allerhand Abenteuern genug erfüllt, als daß er weite Reisen unnötig unternehmen müßte.
»Ja, kleiner Lachs«, sagt er zu Laikan, dessen neugierige und fast mitleidige Gedanken er dem Bürschchen aus den Augen liest. »Ja, mein Kleiner! Nur einmal! Aber sehr weit! Nicht wie du und deinesgleichen alle Jahre, vom Eisbruch bis zu den Donnerzeiten aufwärts, und von den Herbstregen bis zum Zufrieren abwärts. Ich kenne euch gut! Deine Sippen begegnen mir im Strom. Immer kommen sie fett und hochmütig aus dem ewigen Jagdgrund; und wann sie von den Gebirgen 158 abwärts dösen, sind sie mager und lächerlich. Oh, ich kenne deine Heimat ein Stück weit hinauf; als Kind bin ich hinaufgereist, vom Meere her, wo ich zur Welt gekommen bin.«
»Du bist im Meer geboren?« fragt Laikan. Er weiß nicht, daß das Meer auch Wanderer aussendet.
»Natürlich!« sagt der Schwarze, und sperrt die Schnauze auf. »Oh, jetzt habe ich gut geschlafen, und es ist möglich, daß ich wandere.« – Dann windet er sich fast ganz aus dem Bett, und Laikan fährt erschrocken zurück. Dieser Mann ist fast so lang wie Mutter Lachs, und kohlschwarz erscheint er im ungewissen Dämmer. Man wird ihn nicht umschwimmen, wie man es bei der stolzen Frau getan hat; denn dem großen Ruder dieses Mannes traut man keinesfalls. Wahrhaftig, der ganze Leib ist ein einziges Ruder; und jetzt schwimmt er so schön und so selbstgefällig und so hinterlistig wie die Natter.
Aber er ist gar nicht hinterlistig und legt sich gleich wieder hin. Er hat sich nur ein wenig den Schlaf aus dem Leib gewunden, und dabei macht er eitle und gefährliche Schwimmzüge. Er ist noch dösig im Kopf, denn seit dem ersten Herbstregen liegt er in diesem Lotterbett aus Tang und Schlamm und Schlick und Moder. Er riecht wie der Karpfengreis und wie die Schleien, und wann er atmet, speit er grüne Wolken aus.
Ein seltsamer Mann und sehr fremd meinem Geblüt, denkt der Lachs.
Da zottelt eine kleine Laube vorüber. Blitzgeschwind ist der Schwarze über ihr, und Laikan staunt über die Behendigkeit dieses langen Kerls. Beim Futtern ist er 159 weniger behend, aber endlich hat er die Laube verschlungen. Der Lachs hält Abstand; aber fühlt sich nicht mehr so fremd.
»Ich werde wandern. Ich bereite mich vor zur Meerfahrt, kleiner Lachs. Es ist nicht mehr weit. Aber das Meer will kräftige Leute. Die Schwachen speit es aus. Ich fahre bald!«
»Es ist nicht mehr weit!« Laikan wird schlank vor frohem Schreck.
»Im Sommer habe ich es ein paar Nachtreisen von hier gerochen. Ich bin aber wieder umgekehrt. Ich war nicht aufgelegt. Man muß aufgelegt sein für das Meer! Und es muß aufgelegt sein; dann ruft es! Du bist aufgelegt; ich kenne es dir an.«
»Ist es freundlich zu Fischleuten aus den Bergen?«
»Oh, wer kann es sagen? Es ist lang her, seit ich es verlassen habe. Wir waren so viele, daß es dunkel wurde unter uns, wann wir über Schlick und Sand ruderten, trotzdem wir viel kleiner waren, als du bist. – Ob es freundlich ist? Ich kann mich nicht erinnern. Ich glaube, das Meer hat sich um uns nicht gekümmert. Es kümmert sich wahrscheinlich um niemand als um sich selber und daß es zur rechten Zeit atmet.«
»Es atmet! Das Meer atmet?« Tief staunt der Lachs.
»Oh, es atmet, das Meer! Man muß warten, bis es einatmet, sonst kommt man nicht zu ihm; und bis es ausatmet, sonst läßt es einen nicht los.«
»Aber es ruft! Das Meer ruft!«
»Ja, ich glaube, daß du recht hast. Ich habe seinen Ruf im Schlaf gehört. Aber ob es aus Freundlichkeit 160 ruft, weiß ich nicht. Wahrscheinlich will es etwas von uns.«
»Man muß gehorchen!«
»O ja! Vielleicht ist man zum Gehorchen im Leben. Aber man muß schon aufpassen, wem man gehorcht. Ich habe einmal zuviel meinem Gaumen gehorcht und hätte davon fast das Leben verloren«
»Das kenne ich auch!« sagt Laikan.
Der Aal erinnert sich an eine abenteuerliche Wanderung vor mehreren Jahren, als er noch in der Maas gewohnt hat, wohin er als fingerlanges, fingerdünnes, durchsichtiges Geschöpf gepilgert war. Mit Millionen seiner Sippe ist er damals aus dem Ozean gekommen. So dicht war ihr Zug, daß eins am anderen förmlich klebte; und daß er selber damals, als der Mensch mit Schäffern und Kannen und dünnmaschigen Netzen unter seinen Sippen große Fischzüge tat, nicht auch nachher in gebackenen Aalpfannenkuchen verspeist ward, das war reiner Zufall. Aber noch sind immer Millionen beisammen geblieben, sind rastlos und furchtlos stromaufwärts gestiegen und dann in Seitenstraßen eingebogen, die einen hier, dort die anderen, wie es ihnen gerade einfiel, wie es ihr Stern sie hieß, wie es das Geheimnis ihrer Seelen forderte.
So ist der Schwarze in die Maas gelangt, und dort hat sich nach einigen Jahren das seltsame Abenteuer zugetragen, an das er nur noch eine verworrene Erinnerung hat, aus Licht, Menschengeschrei, Fesselung und Marter.
Maasabwärts war er gerudert und an einer Stadt vorbeigekommen, die ihre Kanäle in den Fluß ausgießt. 161 Die Witterung der Abwässer war für solchen Feinschmecker köstlich, und er ist ihr nachgezogen. Er geriet in einen Kanal, der unter der Stadt durchlief. Im Dunkel fühlt er sich behaglich, im Dunkeln nur wandert er und ist gut aufgelegt. Kleinere Rinnen biegen ein, und er folgt einer, die sich wieder teilt; ihn verlockt eine Röhre, aus der es besonders heftig riecht und ihm besonders den Gaumen reizt. Daß diese Röhre fast senkrecht ansteigt, ist ihm gleichgültig. Er klettert wie ein Tausendfüßler, und wenn das Wasser entgegenkommt, benutzt er es als Kletterbaum. Denn sein Körper ist unerhört geschmeidig, seine Lebenskraft ist fast unerschöpflich und seine Neugier unbesieglich. Dann teilt der Weg sich noch einmal und wird so eng, daß er gerade noch Platz findet und weiterreisen kann. Jetzt aber hört der Weg auf, und der Kletterer streckt den Kopf irgendwo hinaus. Weil es dunkel ist, fühlt er sich zu Hause und windet sich aus der Röhre. Da ist aber kein Halt mehr, und er stürzt; stürzt und planscht in Wasser. Auch recht! Dahin gehört er ja, ist ihm. Aber die köstliche Witterung ist weg; dafür beizt ihm etwas Gaumen und Augen, und er eilt sich, davonzukommen. Er muß einen glitschigen Steilrand erklimmen, was ihm erst nach einigen Versuchen gelingt. Dabei aber hat er sich so laut benommen und ist so zornig geworden, hat sein starkes Ruder so rücksichtslos herumgeschleudert, daß dann eben das eintrat, woran er sich heut noch mit Furcht und Entsetzen erinnert.
Es wird plötzlich grelles Licht, das seine schwarzen, mit Haut überzogenen Augen, die höchstens dem Mondschein nicht ausweichen, hassen; über harten Boden strebt 162 er schlängelnd irgendwo ins Dunkel. Dann erhebt sich Geschrei, und man greift nach ihm; man läßt aber gleich wieder los, weil er wütend um sich schlägt. Wieder wird er ergriffen, und das Heiße um seinen Körper macht ihn rasend; aber es ist sehr fest diesmal, daß er sich nicht mehr winden kann. Dann fühlt er schreckliche Schläge auf seinen Kopf, bis ihm die Augen dunkel werden; dann liegt er da wie tot und weiß von gar nichts.
Die Menschen, die die Schläge nach ihrer Menschennatur messen, glauben ihm den Tod auch. Oh, da kennen sie den Fischmann schlecht! Als es wieder dunkel und still ist um ihn, wacht er auf und ist sehr lebendig. Zwar, der Kopf dröhnt ihm; aber seinen Willen hat er behalten.
Aus der Waschküche führt eine Rinne durch die Mauer in den Hof. Weil sich im Hof ein Abzugloch befindet, das vertraute und nicht beizende Witterung ausschickt, findet der Aal seinen Weg zum Leben und stürzt sich in den schwarzen Schlund. Da ist er gleich zu Haus, und nachdem er mit zornigen Schlägen einer Ratte, die sich in ihn verbissen hat, an der Steinwand die Knochen fast zerschmettert hat, gelangt er in breitere Wege und ist endlich, dem Rauschen dieser unterirdischen und übelriechenden Wässer folgend, wieder in den Fluß gelangt.
Seither meidet er allzu enge Abenteuer, wenn sie nicht ganz deutlich zu seiner Lebenslandschaft gehören; und er fürchtet den heißen und gewalttätigen Menschen, dem er entsetzt ausweicht, wenn er ihn, in seichterem Schlamm sich tummelnd, aus einem Boot reden hört. Nie hat er es begriffen, daß andere seiner Sippe mit dem Menschen sehr vertraut sind, ihm Würmer aus der Hand nehmen 163 und mit den gefährlichen Fingern des Menschen spielen. Er hat das gesehen, als die Hand des Menschen aus einem Boot ins Wasser hing, und ein älterer Vetter, der viele Jahre in einem Menschenteich gelebt hat, aus alter Gewohnheit solch gefährliches Spiel trieb.
Er hat viel gesehen, der schwarze Aal, und jetzt wird er seine große Reise antreten, die ihn vielleicht bis an die afrikanische Küste führt. Dann wird er in schwarzen Sturmnächten Hochzeit halten mit einer Aalfrau, die ihm auf der Reise begegnen wird. Nachher wird er tiefe Gründe, finstere und gleichmäßig kalte Regionen des Meeres aufsuchen und dort ein zähes und langes und leidenschaftliches Leben führen. Ob er wieder in süße Wasser und sich stemmende Ströme aufsteigen wird, zweifelt er. Das überläßt er seinen Söhnen und Töchtern. Ihm ist die ungeheure Stille und das hüllende Dunkel lieber; und er denkt nicht, daß er sterben wird. Denn nicht viele Räuber wagen sich an ihn, den sie um seiner Kraft und seines trotzigen, unzerstörbaren Lebenswillens selten angreifen.
Vielleicht, daß er, alt geworden und müde, dem Saugarm eines Polypen nicht mehr entkommt und, festgeklemmt, vielen Sägen und dem Hornmaul dieses fürchterlichen Vielfältigen zum Opfer fällt. Vielleicht, daß er in ein Korallendickicht gerät und dort eines grausamen, monatelangen Todes hinstirbt. Vielleicht auch, daß Altersschwäche ihn tiefer hinabgleiten läßt, wo der Tod geheimnisvoll, unsichtbar und wie allgegenwärtig ist, weil er dort das Leben nicht mehr duldet. Stolze, hohe Fahrt, schwarzer Aal! – 164
Als Laikan mit den Seinen um die Sandbank verschwunden ist, windet und aalt der Schlaftrunkene sich wohlgefällig und lebenslüstern um die Tangwälle und hält ausgiebige Mahlzeiten, um sich zu stärken für die Wanderschaft in den Stillen und Großen Ozean.