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Italo Svevo, Ein gelungener Scherz

Italo Svevo, dessen an Zahl geringe, aber an Bedeutung schwerwiegende Werke ihre Zeit vielleicht erst noch vor sich haben, hieß eigentlich Ettore Schmitz. Ettore: Italiener, Schmitz: Deutscher. Er war 1861 in Triest geboren, seine Vorfahren waren Deutsche, die immer Italienerinnen geheiratet hatten. Als Ettore zwölf Jahre alt war, wurde er auf fünf Jahre in eine Schule bei Würzburg geschickt, wo er die deutsche Sprache völlig beherrschen lernte. Seine Götter waren Schopenhauer und Jean Paul. Seiner Sprache und seiner politischen Überzeugung nach war er Italiener, seiner geistigen Struktur nach Deutscher. Und hinter beiden ein Mensch der gewollten Anonymität, ein Freund der Maske. Unter der Maske »Ettore Samigli« beginnt er zu schreiben, später nennt er sich, in dankbarer Erinnerung an Schwaben, Italo Svevo, den italienischen Schwaben, den italienischen Deutschen.

Wer so wie er die Maske liebt, muß wohl meist sehr empfindlich sein, sehr stark ichverkettet, ichgefangen. Deshalb schützt er sein allerheiligstes, allerzartestes Ich vor der unbarmherzigen Hand der apathischen oder böswilligen Umwelt; er kämpft, weil er kämpfen muß, aber er kämpft mit geschlossenem Visier, und er kämpft, wenn er um Liebe kämpft, vor allem auch um die Liebe zu sich selbst. Wenn er um Erfolg wirbt, will er vor seinen eigenen Augen Gnade finden.

Noch ist es nicht das fürstlich souveräne, das und zugleich ichtrunkene, welttrunkene Genie eines James Joyce, dessen intimster Freund dieser noch unbekannte Italo Svevo gewesen ist, aber gerade dieser mönchische Zug gibt ihm etwas menschlich Ergreifendes. Seine Ichbefangenheit macht es den Menschen schwer, sich ihm zu nähern; hat man sich ihm aber einmal zugewandt, läßt er einen nicht los, er macht den Leser nicht froh, aber weise. Denn er ist sich selbst der klarste, kälteste Richter gewesen und so, wie er das Leben und sich selbst sieht, so ist er, und so ist die Welt.

Wenn er sich selbst schildert (und er hat nie etwas anderes geschildert), so schildert er die Welt, seine Anklagen gegen sich sind Anklagen gegen die menschliche Natur. Er kann zeitlos sein. Die nationalen Eigentümlichkeiten treten in den Hintergrund, und ich bin überzeugt, daß seine Werke noch in hundert Jahren einige Menschen, und nicht die wertlosesten, fesseln und über das hintergründige Wesen der menschlichen Seele aufklären werden.

Jede einigermaßen intensive Beschäftigung mit dem eigenen Ich wird seit einigen Jahren unter dem Sammelbegriff Psychoanalyse zusammengefaßt. Svevo war einer von denen, die den großen literarischen Wert dieser Methode erkannten, und es ist anzunehmen, daß Joyce ihm den ersten Hinweis darauf verdankt. Freilich, von wahrer Liebe, von tollen Leidenschaften, von sexuellen Kämpfen ist hier nur auf einer ganz anderen Ebene als der des Romanes die Rede. Wenn sich Menschen dieser Art (ich zähle auch Franz Kafka dazu) der intensivsten Selbstbeurteilung und Selbstverurteilung in glühend-kalter Pein hingeben, tun sie es wie Mönche – nämlich um ihrem großen Ideal ähnlich zu werden, nicht aber, um sich Menschen in Wahrheit anzunähern.

Nun leben aber Menschen dieser Art als Bürger unter ihresgleichen, Kafka war Versicherungsbeamter, Svevo war Kaufmann, beide schienen nach außen hin gute Bürger, sie waren sehr erfolgreich. Niemandem waren sie ein Stein des Anstoßes, nur sich selbst. Und doch im Wesensgrunde Mönche. Sie mußten sich daher ihre Klostermauern selbst bauen. Sie flochten sich selbst die Marterwerkzeuge, Ruten mit Stacheln gespickt, mit denen sie ihr Ich büßten, um es doppelt zu genießen. Unangreifbar gegen Liebe und Schmerz von außen her, gossen sie ihre gewaltige Gedankenwelt in klassisch schöne, kristallisch klare Form.

Unbeweibt, hager und eines frühen Todes sich selbst bewußt, von Menschen umschwärmt und dennoch stets in der tiefsten Höhle ihres Ichs allein – welch eine tragische Situation und – darüber hinaus – welch eine tragikomische! Sie sprachen und arbeiteten wie alle. Aber sie sprachen eigentlich nur von und für sich, sie arbeiteten nur an sich. Trappisten im Büro. Aus den Gegenständen ihres Lebens wurden Sinnbilder, Allegorien, Symbole, Schattengebilde an der Wand.

In dem vorliegenden Buche des Italo Svevo, »Ein gelungener Scherz« (Müller & Kiepenheuer Verlag), ist die Haupterzählung einem Manne gewidmet, dessen Wesen ganz das des Kafka, sein könnte. Seine Umwelt erscheint ihm unter dem Sinnbild von Sperlingen, über die er, der schriftstellernde Einsamkeitsmensch, schöne, klare Fabeln dichtet. Aber neben dem geschwätzigen vulgären Wesen der Spatzen gibt es auch ein stilleres, feineres: den kranken Bruder. Er ist das zweite Ich des Helden, und bei aller Liebe versündigt sich das erste Ich, der Dichter, am zweiten, dem kranken, leidenden Menschen. Und die Welt versündigt sich an beiden. Ein noch geschwätzigerer, noch vulgärerer Mensch, ein neidischer Kollege unseres Helden, macht sich einen »gelungenen Scherz« mit dem armen Seeleneinsiedler, und er, der Pessimist, ist im Grunde seines Herzens so glücksgläubig, daß er diese plumpe Falle noch nicht einmal ahnt, er ist so sehr Kind, daß er sich am vergifteten Brocken ehrlich freut, daß er bereit ist, die Zelle seiner Einsamkeit aufzugeben und die selbstgewählte Klausur zu brechen. Aber wenn es Glück ist, so muß es wohl, das ist der Sinn dieser grandiosen tragikomischen Legende, wohl Lüge sein.

Wenn man überlegt, warum sich ein so feiner, an Seelenweisheit so reicher Mann wie Svevo bei Lebzeiten und jetzt, nach seinem frühen Tod, so ungeheuer schwer durchgesetzt hat, so muß man wohl den Grund darin sehen, daß der Psychologe in ihm den darstellenden lebensfreudigen Künstler erstickt hat. Er hatte so gut gelernt, in den Seelen zu lesen, daß er darüber verlernt hatte, mit lebenden Menschen zu verkehren und unter ihnen glücklich zu sein. Er wurde Seelenarzt nur nach der Seite der Diagnose hin, nicht nach der Seite der Heilung hin. Er war weise, aber mitleidlos. Er schonte sich selbst nicht. Er setzte das Seziermesser nur am eigenen Herzen an. War es das wertvollste Objekt? Das einzige? Die Psychoanalyse hat ihn zum Meister der Seelendarstellung gemacht, aber sie hat ihn noch mehr als seine Landfremdheit den Menschen entfremdet.

Landfremd war auch Kafka, der deutsche und jüdische Dichter im slawischen Land. Vielleicht suchte Kafka gegen Ende seines Lebens die Scholle in Palästina. Svevo suchte sie in Italien. Heimisch wurden beide nicht auf ihr. Wie hätten sie auch auf einer Scholle heimisch werden können, wenn sie bei sich selbst, beim eigenen Ich nicht heimisch hatten werden können? Was waren ihnen die Menschen? Italo Svevo schrieb einmal Aufzeichnungen über einen Vortrag, den er über sich halten sollte, aber bezeichnenderweise nicht gehalten hat: »Ich lernte die Psychoanalyse im Jahr 1910 kennen. Einer meiner Freunde, der nervös erkrankt war, fuhr nach Wien, um sich psychoanalytisch behandeln zu lassen. Daß dadurch meine Aufmerksamkeit auf die Psychoanalyse gelenkt wurde, war das einzige erfreuliche Ergebnis dieser Kur ... Als Behandlungsmethode war die Psychoanalyse ohne jedes Interesse für mich ... aber sie ließ mich nicht mehr los. Es wurde ihr freilich nicht schwer, mich festzuhalten, da mein Geist von nichts anderem gefesselt war.« Daß mein Geist – von nichts anderem gefesselt war – das ist die Tragikomödie dieser genialen Menschen gewesen. Es sind Krankheitsberichte der europäischen entwurzelten, weisen, aber kalten Seele, die sie in ihren Büchern uns gegeben haben.


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