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Sie schien auch daraus wenig zu machen,
Nur ein bischen mußte sie lachen.
»Das Altdeutsch mag ich, das hat noch Kraft
Und Leben und Mark und flüssigen Saft,
Auf euer Neudeutsch seid nicht stolz,
Es ist nur trocknes, gesägtes Holz.
Verglichen mit dem ironischen Thran
Geht das Ganze noch leidlich an,
Es ist um ein gutes Bröselein besser:
Uebrigens hat der Herr Professer
Den Schnitzer vom Grafen Eberhard
In verspäteter Geistesgegenwart
Am Schlusse vernäht mit Ach und Krach;
Es klappt nicht ganz, denn man merkt die Sach.«
Bei dieser Kritik meines Dichterwerks
Dachte ich: Donner! das Weib hat Merks! –
»Professer,« sprach sie mit einem Ton,
Als habe sie ohne das Blatt auch schon
Meine Condition entdeckt,
Und zwar ohne besondern Respekt.
»Und für nichts wieder die ganze Schur?
Und es hieß: nach Hause, nach Hause nur?«
»»Es wiederholte sich wie ein Reim
Und der Krüppel schleppte sich wieder heim.
Ja schlimmer noch stand es, als zuvor,
Und doch fieng wieder ich Narr, ich Thor –««
»Wieder das Schmieren und Salben an?«
»»Nicht gleich. Es erschien auf dem Feldzugsplan
Mit seinem Kolben, Pinsel und Draht
Auf's Neu' der elektrische Apparat;
Drei Wochen, um konsequenter zu sein,
Durchknisterte man das störrische Bein. –
Umsonst. – Da dachte der menschliche Witz:
Man probire ein Mittel, weniger spitz,
Man durchknete mit starker männlicher Faust
Die Muskel, worin der Nervschmerz haust!
Und es kam der Kneter und walkte und strich,
Und als nach Wochen der Schmerz nicht wich,
Meint' er, zum Kneten
Fehle das Beten –
Doch statt das Beten nun zu probiren,
Ach, da begann ich das Mediziniren,
Da gieng's an's Verschreiben und Rezipiren!
Wohlan, so hieß es, jetzt wirkt man von innen,
Das treibt den Satan von hinnen!
Jodkali, vorlängst schon angeraten,
Schien uns zu schwach für solche Thaten,
Schärfer dem Feind auf den Leib zu rucken,
Mußte ich Phosphorsäure schlucken,
Etlich Tropfen des Tags nahm ich wochenlang ein,
Doch nichts darnach fragte die Pein im Bein;
Mir schien es bereits, ich sollte auf Erden
Noch gar ein wandelndes Zündhölzchen werden.
Man beschloß, da auch dieß nichts wollte verfangen,
Episodisch nach dem Schmiertopf zu langen,
Nach Salben, Decocten, aus beizendem Saft,
Aus Pflanzen, aus mineralischer Kraft,
Die man hoffte Durch tüchtiges, emsiges Reiben
Bis hinein in das Mark des Nervs zu treiben:
Zuerst eine Mischung von Laudanum,
Coctum hyoscyami oleum
Und dazu als vermittelnden spiritus
Schmerzbannenden aether sulphuricus,
Was aber, wie sehr es auch brannte und biß,
Auf Wirkung gemüthlich hoffen ließ.
Nun rieth mir ein guter Bekannter,
Ein Leidensverwandter:
Sicherer wirke da nichts und schneller,
Als Doctor Airy's Pain-Expeller,
Und ich schmiert' als duldendes Lämmelein
Den amerikanischen Schwindel ein,
Doch wie ich auch hantirte und rieb,
Der Teufel im Nerv mir sitzen blieb.
Jetzt tauchte nur auf eine alte Idee:
Es hatte mir droben am Bodensee
Noch im Herbst ein wackerer Doctorsmann
Als Mittel, das nothfalls heilen kann,
Gerathen in einem Colloquium
Kanthariden mit Collodium:
Mau müsse mit einem breiten Pinsel
Eine Art von langgestreckter Insel
Von der Hüfte über den Schenkel hin
Von dieser scharfen Latwerge ziehn;
Hat dieß den gehörigen Brand erzeugt,
So soll der Kranke sich ungebeugt
Einen zweiten solchen Streifen führen,
Und damit so lang continuiren,
Bis die ganze betreffende Hügelwelt
Nichts ist als ein einziges Wundenfeld.
Ich will es Euch, sprach er, nicht so empfehlen,
Als sei auf das Mittel immer zu zählen,
Doch ein Fall bezeugt, was es wirken kann:
Auf's Land hinaus rief mich ein kranker Mann;
Ich fand von der Ischias ihn gelähmt,
Kein Remedium hatte das Uebel gezähmt,
Er krümmte sich, ächzte vor Höllenqual
Und sehnte sich weg aus dem Jammerthal.
›Wollt Ihr das verzweifelte Mittel wagen?‹
››Nur her damit!‹‹ rief er ohne Zagen.
Es geschah. Vier Wochen nicht ganz voll
Gehen in's Land. Ein Rädergeroll
Hör' ich und schaue zum Fenster hinaus,
Da hält ein Wagen vor meinem Haus.
Wer springt aus der Kutsche? Wer flink und behend
Die Stiegen herauf? mein Patient.
››Herr Doctor, da bin ich! Bin frei und frank!
Und sag' Euch vieltausendmal Herzensdank!
Herr Doktor, mein Retter, ich bin genesen,
Aber eine Saukur ist es gewesen!‹‹««
Die Frau erschrak im mindesten nicht
Vor des biederen Wortes Vollgewicht;
Sie schmunzelte, sie begann zu lachen,
Erst leise, dann immer heller und heller,
In kollernden Rucken schneller und schneller –
Es war ein Ton, ein waldfrisch ächter,
Als hört' man wilder Tauben Gelächter.
Die Vögel, durch mein Erscheinen scheue,
Gelockt von dem Ton erschienen auf's Neue.
Sie lachte und streute, streute und lachte,
Indessen ich schwere Skrupel mir machte,
Fortzuspinnen am faden Berichte
Meiner trübseligen Leidensgeschichte.
»Nur weiter!« sagte sie, »mach' nur fort.«
»»Nun ja!«« versetz' ich, »»das gröbliche Wort,
Das der gediegene Landmann sprach,
Gieng doch wie ein grauses Gespenst mir nach
Und ich wagte es nicht auf so grimme Beschwerden.
Nun sollte doch aber gestiegen werden,
Gegriffen heroisch nach einem Unguent,
Das superlativisch beißt und brennt.
Man wählte das Oel aus Krotonkraut
Und verbrannte umsonst mir die arme Haut.«« –
»Und nun?
Was weiter thun?«
»»Nun versuchte man wieder, von innen
Den Rettungsweg zu gewinnen.
Auf stieg der Gedanke kühn und groß:
Den Teufel durch Beelzebub zu vertreiben,
Muß man Gift gegen Gift verschreiben,
Metallisches Gift aus der Berge Schoß
Gegen des Satans Geistergift!
Das muß wirken, wohlan, das trifft!
Und so nehm' ich denn jetzt mit Muth,
Hoffend, es thue gut,
In einem Löffelein
Per Tag sechs Tröpfelein
Arsenik ein. –««
Stärker und stärker lachte das Weib,
Es schüttelte förmlich den rüstigen Leib
In Polterstößen, in rhythmischem Schwall,
Wie Trommelgedröhne, Trompetenschall,
Auf die Schenkel schlägt sie sich, daß es klatscht,
Ja im Lachrausch wird sie so frech und grob,
Daß sie jauchzend auch mir auf den Schenkel patscht,
– Den gesunden gottlob.
Ueber der Schande
Stieg mir und brannte
Die flammende Röthe bis an's Ohr,
Bis zu des Stirnhaars Wurzeln empor;
Auf will ich fahren und zucke
Vor Schmerz bei dem mühsamen Rucke,
Und wie ich so schwebe, gestützt auf die Hand,
Halb Sitz, halb Stand,
Was muß ich sehen? Das schnöde Weib
Erdrosselt im Muthwill, zum Zeitvertreib,
Im Kitzel des Lachens, im Frevelmuth
Der niedlichen Vögelein bettelnde Brut,
Nur so in der Geschwindigkeit
Ist Daumen und Zeigefinger bereit,
Wenn so ein Thierchen vertraulich pickt,
Und das tonreiche Hälschen ist geknickt;
Da lagen im Sande, es war zum Weinen,
Noch zuckend ein Theil, die armen Kleinen.
Ich konnte nicht schweigen, im tiefsten Baß
Sag' ich: »»Pfui! so gemein, wie graß!
So graß wie gemein!««
Nicht länger bei dieser Person zu sein,
Versucht' ich auf's Neue, rasch aufzustehen,
Was leider so schnell nicht konnte geschehen.
Sie erhob sich und pflanzte sich vor mich hin,
Wobei sie mir seltsam größer schien
Als zuvor. Ihr Auge brannte
Auf mir, mich bannte
Der Blick. In die Hüften die Fäuste gestemmt
Stand sie und ich, bestürzt, beklemmt,
Setzte mich wieder. Sie schwieg eine Weile,
Im Innern wohl sammelnd ihre Pfeile,
Dann that sie den Mund auf und begann:
»Armselige Menschlein, Weib und Mann,
Stellet euch nicht so, thut nicht so!
Wir kennen es, euer Ach und O!
Lügner vom Wirbel zur Zeh!
Da rufet ihr Au! Da rufet ihr Weh!
Wenn ein luftiges Vogelwesen
Von der Grundkraft Hand und strotzendem Besen
Schlechthin sein natürlich Schicksal befährt!
Raffinirte Bestien, die ihr zehrt
Von der gebundenen,
Geschundenen,
Um ihr bischen Glück betrogenen,
Gefesselten, ausgesogenen,
Der überlisteten Kreatur! –
Empfindsam ist die Kultur,
Thränen der Rührung läßt sie fließen,
Um das Mitleid süß zu genießen, –
Ja, ja! Empfindsam und grausam zugleich:
So steht's in eurem moralischen Reich! –
Ihr schwätzt vom Naiven,
Vom Primitiven,
Und tritt es herein,
So heißt es gemein.
Naturwüchsig heißt euer Modewort,
Und kommt die Natur, so stoßt ihr sie fort!
Das Naive – kokett muß es sein,
Dann leuchtet's euch ein.
Theater wird Alles.
Die Stürze des Wasserfalles
Müßt ihr bengalisch euch illuminiren,
Die Natur erst schminken und auffrisiren,
Dann stehen und gaffen
Die Gecken und Affen
Und klatschen und rufen: da capo! Heraus!
Als säßen die Laffen im Schauspielhaus.
Einsam sein
Mit der Natur allein:
Mit der keuschen, wilden, es macht euch Graus,
Einen Lebtag müßt ihr machen daraus,
Zu Hunderten drängt ihr euch herum
In Fratzenkleidern frech und dumm
Um das feierlich stille Heiligthum
Und belügt einander im lauten Gewühl,
Ihr habet Gefühl,
Und wallet im Schwarm zum »hôtel« zurück,
Gespannt auf des Koches Meisterstück,
Die Pastete, des Tisch-»menu Krone und Glanz,
Aus der Leber der krankgestopften Gans,
Denn eures Gefühles wahre Welt
Ist Magen und Geld.
Alles fälschet ihr, Milch, Brod, Wein
Und am Ende noch Wasser und Sonnenschein,
Ihr fälschet der Sprache goldenen Hort,
Verdrehet im Kerne das ehrliche Wort.
Ja selbst des Buchstabs bestimmter Laut,
Weil vor dem Klaren und Festen euch graut,
In seinem Bestande wird er gefälscht,
Von der schlüpfrigen, glitschigen Zunge verwälscht.«
Hier hemmt sie auf einmal der Rede Lauf;
»Halt!« ruft sie, »gieb Acht, pass' auf!
Sag: Natur!«
Ich sagte Natur.
»Sag: Humor!«
Ich sagte: Humor.
»Das laß dir gut sein,«
Lenkt sie nun ein,
»Hättest den R-Laut du gebrochen
Und Natua, Humoa gesprochen,
Wie mit den grog- und punschverschmorten
Zungen die Städter in eurem Norden,
Sieh, Mensch, ich hatte dir, meiner Seele!
Zerdrückt wie den Vögeln die zwitschernde Kehle,
Du solltest auf grünen Lebensauen
Mich nie wieder schauen.
Und doch, das will ja noch wenig sagen;
Nach etwas anderem laß uns fragen:
Beichte mir, sprich!
Nicht trüge mich!
Sag' mir auf's Haar:
Bist du wahr?
Hast du nie den franken
Gedanken
Gefälscht, mit verlognen Worten gegleißt,
Die Sünde gegen den heiligen Geist
Nie begangen? Den Mund auf, sprich!
Oder ich zwinge dich!«
Eigentlich wollte ich remonstriren,
Gegen die Drohung rebelliren,
Hätt' ihr auch gern es hingerieben,
Sie habe doch schrecklich übertrieben,
Allein in demselben Augenblick,
Da ich loszuschießen gedachte,
Spüre ich sachte
Ihre Hand geschoben an mein Genick
Und mir fiel ein, was im Franzenland
La toilette fatale ist benannt:
Der Henker tritt in's Gefängniß ein
Und führt dem Verbrecher sanft und fein
An den Nacken die Hand,
Zu fühlen, wie es bewandt
Mit den untern Haaren,
Ob das Messer bequemlich durch kann fahren,
Dann zieht er ein Scheerchen
Und schneidet die Härchen
Und verlangt kein douceur,
Der grause Friseur.
Nicht an den Locken, nur am Gewand,
Packte mich jetzt des Weibes Hand,
Am kummetähnlichen Kragen,
Wie wir nach der Mode ihn tragen.
Was soll es? schrei' ich entsetzt –
Aber jetzt, o jetzt –
Sie beginnt mich zu heben,
Ich fühle mich schweben,
Wie an der Angel baumelt der Fisch,
Wie am Galgen als armer Wisch,
Als nichtiger Fetzen hängt in der Luft
Ein Mörder, ein Räuber, ein diebischer Schuft.
Nun geht es empor – wie macht sie's nur?
Sie war doch so groß nicht von Statur –
Höher und höher geht der Zug,
Der unerbetene bange Flug,
Bis hinan zur Höhe der Pappeln
Schweb' ich, was half mein Zappeln,
Mein wilder Fluch, mein wüthendes Schreien?
Ich beschloß, dem Schicksal stille zu sein,
Nur Eins noch rief ich: »»Ich beichte nicht,
Ob zehenmal auch das Genick mir bricht!««
»Komm, Alterchen, komm an den See!
Da beichte mir, oder weh!«
Es ist in dem Park ein Wasserbecken,
Tief genug, um den Lahmen zu schrecken,
Den hülflosen Mann,
Der schmerzenhalber nicht schwimmen kann.
Sie macht Ernst, sie bewegt sich fort,
In wenig Minuten sind wir am Ort,
Sie streckt ihren Arm und hoch in der Luft
Schwebe ich über der nassen Gruft;
Ich hieng, den Rücken ihr zugewandt,
Sie dreht mich herum mit der Riesenhand
Und wie geblendet von magischem Licht
Schau' ich ihr jetzt in's Angesicht,
Schaue nieder
Ueber die mächtigen Glieder
Und wieder herauf zu Kinn und Mund,
Auf die Stirn, in des Auges gewölbtes Rund – –
Das ist nicht mehr das vorige Weib
Mit dem behäbig rundlichen Leib,
Athene Promachos glaub' ich zu seh'n,
Wie sie hoch auf der Burg zu Athen,
Die strenge, kalte Jungfrau, die hehre,
Mit gezücktem Schild, mit gezücktem Speere
Wachsam und furchtbar blickend stand,
Zu schützen ihr theures attisches Land,
Daß vor dem ehernen Riesenbilde
Der Gothenkönig, der blutige, wilde,
Entsetzt zurückfuhr, als er hervor
Aus dem prächtigen Säulenthor,
Aus der Halle der Propyläen trat;
Eine Walküre sei ihm genaht,
Mochte er meinen, oder mit Grauen
Glaubt' er die Mutter Hertha zu schauen,
Gegen dunkle Thursen der Urweltzeit
Die Erdenkinder zu decken bereit. –
Und wieder, wie ich so schrecklich nah'
In's große, weitoffene Auge sah,
Stand Eine vor mir, die höchste von allen,
Wie sie einst in Palasteshallen
Als Marmorgebilde vor mir stand
Und mir die Seele mit Ehrfurcht band:
Kronions Gattin, an seiner Seite
Herrschend über des Weltalls Weite,
Ein Haupt von erschreckender Majestät,
Und doch von der Anmuth Flügel umweht.
So jagten wie Stürme in einem Nu,
In kurzer Sekunden langem Lauf
Die Gedanken mir ab und zu;
Da thut sie die schwellenden Lippen auf
Und spricht in klangvoll tiefem Ton:
»Noch einmal frag' ich dich, Erdensohn:
Bist du immer wahr gewesen?«
Am Ton, in den Augen konnt' ich ihr lesen:
Jetzt wird's Ernst. – Wie ein Hammer
Schlug es mir in des Herzens Kammer.
Ich stockte, noch immer sträubte sich doch
Der Trotz mir gegen das schmähliche Joch,
Aber er wich dem Schauer und Bangen,
Denn über die Stirn und die runden Wangen
Kam ihr ein grauer Schatten geflogen,
Ein böser, dämonischer Hauch gezogen,
Das ruhige Licht im großen, dunkeln
Sterne des Augs ward nächtliches Funkeln;
Die hohe Göttin war sie nicht mehr,
Gespenstisch schaute sie zu mir her –
Ihr kennet das schauerlich schöne Haupt,
Das man soeben versteinert glaubt
Und das uns selbst zu versteinern droht
Und das noch mitten im grausen Tod
Und neben der Bosheit zuckender Spur
Der Reiz gefallener edler Natur,
Der Adel der griechischen Form umhaucht,
Den Beschauer in banges Entzücken taucht,
Das Haupt, aus dessen Lockenringeln
Die Nattern züngeln –
Ihr wißt, wie es starrt aus der Marmorwand:
Die Medusa Rondanini genannt.
In den Adern gefror mein Blut,
Hin war auch der letzte Rest von Muth,
In der Todesangst, im bleichen Graus
Stottert' ich kläglichen Tons heraus:
»»Ach ja, ach ja, ich hab' oft gelogen,
Als Knabe den strengen Lehrer betrogen,
Das harte Gesetz umschlichen mit List
Als mutwilliger Seminarist.««
»Das will ich nicht wissen! Weiter im Text!«
»»So beicht' und bekenn' ich denn zunächst:
Wenn mich der schelmische Gott besessen,
Gott Amor, da hab' ich oft vergessen
Der Wahrhaftigkeit ernste Pflicht.
Gewissensskrupel macht' es mir nicht,
Gevattern, Müttern und Basen
Zu drehen wächserne Nasen,
Half bei so manchem diebischen Schritt
Die Geliebte doch selber mit.««
»Nun ja, das weiß man, die Heimlichkeit
Liebt Eros. Mach' fort! Nicht so lang und breit!«
»»In der Welt verdorbener, falscher Luft
Bin ich höflich gewesen manchem Schuft,
Hab' Manchem: ergebenster Diener gesagt,
Dem eine Kugel ich lieber gejagt
Durch die freche Stirn
In's schlaue Hirn.
Hab' manchen Brief unterschrieben:
In ganz vorzüglicher Hochachtung,
Und hätte doch lieber die Feder gewetzt,
An die Stelle des Hoch ein Ver gesetzt.««
»Das ist die Welt, ihre Form und Art,
Worin ganz ächt sich Keiner bewahrt.
Springe nicht ab und beuge nicht aus,
Du glatte, schlüpfende Menschenmaus!
Du sollst mir sprechen, du weißt es,
Von Regionen des Geistes,
Von den Gebieten und den Stunden,
Wo man die Wahrheit unumwunden,
Ungeschminkt und nackt und scharf
Erwarten und verlangen darf.«
»»Ach Gott, ach ja, ich hab' oft geränkelt.
Phrasen gedreht, mit Worten geplänkelt,
Einen blauen Nebel oft vorgemacht,
Wenn ich sollte lehren
Und etwas erklären
Und hatt' es selber nicht klar gedacht.
Es macht eben gar so schwül und heiß,
Wenn man etwas selber nicht weiß
Und soll es doch sagen rund, profund,
Als spräche der Weisheit Prophetenmund.««
»Das ist schon schlimmer,
Doch dieß auch noch immer
Läßt sich verzeih'n.
Nein! Nein!
Wissen will ich, ob du dem Wahren,
Wo du es selber mit klaren
Augen erkannt und wo man es voll
Und ganz erwarten darf und soll,
Ob du da in deinem ganzen Leben
Der Wahrheit hast die Ehre gegeben.«
Bei den Worten spürte ich einen Ruck,
Von ihrem Arm einen Druck und Zuck,
Er fuhr mir vom Nacken durch alle Glieder,
In den Kopf hinauf, zu den Zehen nieder,
Auch krachten durch die Länge des Tragens
Bedenklich die Nähte des Kummetkragens, –
Was, wenn sie nicht extra mich fallen ließ,
Mir den nassen Tod ohnedas verhieß –
Doch wohl mir! Der Ruck gerieth mir zum Heil,
Er bewirkte sein richtig Gegentheil.
Er rüttelte, schüttelte mich zurecht,
Ich sagte zu mir: bin ich denn schlecht?
Auf die Ehre besann ich mich
Und fragte mich: bin ich nicht ich?
Ich kam zu mir, fand mich, in mir den Mann
Und gelüftet war der erdrückende Bann.
Gesammelt blickt' ich nach oben,
Dann schaut' ich ihr ruhig in's Gesicht
Und sagte gelassen: verlange nicht,
Daß ich mich selber solle loben.
Und wie ich das einfache Wort gesprochen,
Schien der böse Geist in ihr gebrochen,
Freundlicher wurde der finstere Blick,
Die Röthe der Wangen kehrte zurück,
Die Falte des Zorns auf der Stirn verflog
Und die Winkel der vollen Lippen umzog
Ein Lächeln so sanft, wie ich selten es sah,
Ein stummes, zufriedengestelltes Ja.
Gleichzeitig glaubte ich zu entdecken,
Es weiche des Arms straffliniges Strecken,
Der eiserne, starre Zwang und Spann,
Sie zog mich rückwärts, sie begann
Mich niederzusenken auf's feste Land.
Zugleich auch sank sie selber, es schwand
Langsam, langsam ihr Riesenleib
Und sie wurde wieder das vorige Weib:
Dicklicht, auf Menschenart leibhaft, lebig,
Rothbackig, gemüthlich, bequem, behäbig.
Und wie ich soeben an ihrer Seite
Zum Boden vollends herniedergleite,
Mein ich zu spüren,
Daß unsere Hüften sich berühren,
Meine linke, die kranke, die leidende, arme,
Streift ihre rechte, die volle, die warme. –
Vom Nacken löste sich ihre Hand
Und auf den eigenen Füßen stand
Mit einem lauten, freudigen Ah!
Der Märtyrer endlich wieder da.
Obwohl nun eigentlich offenbar
Hier ganz und gar nichts zu danken war,
Wollte ich dennoch ein Dankeswort
Stammeln. Aber das Weib war fort.
In die Luft zerflossen? Als Welle zergossen?
In's Gras, in's Laub, in der Stämme Schaft
Zerronnen als perlender, nährender Saft?
Gesunken hinab in der Erde Kern?
Gestiegen hinauf zu strahlen als Stern?
Wer konnt' es wissen? Vor Staunen stumm
Schaut' ich noch eine Weile mich um
Und gieng
Und hieng
Noch immer nach rechts, mich zu schonen beflissen,
Und meinte noch immer hinken zu müssen
Und merke doch nach und nach – Wie? Was?
Es geht ja, glaub' ich, auch ohne das!
Und als ich zu Haus nun angekommen,
Wo ich sonst so mählich die Stieg' erklommen,
So sprang ich in federleichtem Lauf
Wie ein Jüngling die Treppen hinauf.
Mit Hüpfen begrüßte mich frohen Lauts
Mein Hund, der arme Gefangne, der Schnauz,
Der immer so traurig sein Schwänzlein senkte,
Wenn ich zum Parke die Schritte lenkte:
Er wußte – es that in der Seel' ihm weh –,
Daß Hunde da haben kein Entrée.
Ich schellte – wie sonst nicht – stärker und schneller –,
Die Schaffnerin kam. »Geh', hol' aus dem Keller
Ein Flasche herauf vom Achajawein!
Eine feurige muß es heute sein!«
Fragend sah sie mich an; zum Feste
War der Trank gespart für heitere Gäste.
»Geh' nur und hole mir unverweilt,
Ein Fest ist, denn wisse, ich bin geheilt!«
Sie lief und brachte,
Ich aber dachte,
Indem ich schlürfte das köstliche Naß,
Der Tag ist des Festtrunks werth vor allen,
Uebrigens ist es doch kein Spaß,
In die Hand der lebend'gen Natur zu fallen. |