Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Zwanzigstes Kapitel. Die Vorlesung

Kurze Zeit nach dieser Jagdpartie sah man eines Abends an der Ecke der Place Royale vor einem kleinen, ziemlich hübschen Hause viele Wagen halten; eine kleine Tür desselben öffnete sich, zu der man auf drei steinernen Stufen heranstieg. Die Nachbarn stellten sich mehrmals, trotz der Furcht vor Dieben, unter Klagen über den störenden Lärm zu dieser späten Abendstunde an die Fenster, und die Nachtwächter staunten, standen oft still und entfernten sich erst, nachdem sie bei jedem Wagen zehn bis zwölf mit Stöcken bewaffnete und Fackeln tragende Livreebediente gesehen hatten.

Ein junger, von drei Lakaien gefolgter Edelmann trat ein und fragte nach Fräulein de Lorme; er trug einen langen, mit rosenfarbenen Bändern geschmückten Raufdegen; ungeheure Schleifen von der nämlichen Farbe auf seinen Schuhen mit hohen Absätzen verbargen seine Füße, die er nach der damaligen Mode sehr nach auswärts drehte. Er drehte oft seinen kleinen, gekräuselten Schnurrbart in die Höhe und kämmte, bevor er eintrat, seinen leichten ausgespitzten Bart. Als man ihn ankündigte, empfing ihn die ganze Versammlung mit einem Schrei.

»Da ist er ja endlich!« rief eine junge, helle Stimme; »unser liebenswürdiger des Barreaux hat lange auf sich warten lassen. Geschwind einen Stuhl, setzen Sie sich an diesen Tisch und lesen Sie.«

Die Sprechende war eine ungefähr vierundzwanzigjährige, hochgewachsene Dame, die, ungeachtet sehr krauser schwarzer Haare und einer olivenfarbenen Haut, dennoch schön war. Sie hatte in ihrem Benehmen etwas Männliches, das sie durch ihren einzig aus Männern bestehenden Kreis angenommen zu haben schien; sie faßte dieselben zuweilen derb beim Arm und redete mit einer Freimütigkeit, welche sie auch ihnen mitteilte. Ihre Gespräche waren meist lebhaft und heiter; sie erregten oft Lachen, allein vor lauter Geist schuf sie Munterkeit um sich (wenn man sich so ausdrücken kann); denn so leidenschaftlich auch ihr Gesicht war, schien es doch unfähig sich zu einem Lächeln zu verziehen, und dies und ihre großen blauen Augen unter ebenholzschwarzen Haaren machten sie anfangs zu einer fremdartigen Erscheinung.

Des Barreaux küßte ihr mit galantem und ritterlichem Wesen die Hand, dann machte er mit ihr unter fortwährendem Gespräche einen Gang durch den ziemlich großen Salon, in dem ungefähr dreißig Personen versammelt waren, die einen in großen Lehnstühlen sitzend, die anderen unter der Wölbung des ungeheuren Kamins stehend, wieder andere hinter großen, dichten Vorhängen in den Fenstervertiefungen schwatzend. Die einen waren damals obskure, jetzt sehr berühmte Männer; die anderen berühmte, aber für uns, die Nachwelt, sehr obskure Männer.

Unter diesen letzteren verneigte er sich tief vor den Herren von Aubijour, von Brion, von Montmort und anderen sehr glänzenden Edelleuten, die sich hier als Richter befanden, drückte herzlich und achtungsvoll den Herren von Monteruel, von Sirmond, von Malleville, Baro, Lumbauld und anderen Gelehrten die Hand, die beinahe alle in den Annalen der Akademie, deren Stifter sie waren und die dazumal selbst bald Académie de beaux esprits (Akademie der Schöngeister), bald Académie éminente (hohe Akademie) hieß, als große Männer genannt werden.

Dem jungen Corneille aber, der in einer Ecke mit einem Fremden und einem Jüngling sprach, den er der Herrin des Hauses unter dem Namen eines Herrn Poquelin, Sohn des königlichen Kammerdieners und Tapeziers, vorstellte, nickte er nur mit einer Gönnermiene zu. Der eine der mit Corneille im Gespräch Begriffenen war Molière, der andere Milton.

Vor der Vorlesung, die man von dem jungen Sybariten erwartete, entstand ein großer Streit zwischen ihm und anderen Poeten oder Schriftstellern jener Zeit; sie sprachen mit großer Lebendigkeit unter sich, tauschten lebhafte Erwiderungen, führten eine für einen einfachen Mann, der plötzlich, ohne eingeweiht zu sein, unter sie hineingeraten wäre, unverständliche Sprache und drückten sich unter freundlichen Komplimenten und zahllosen Anspielungen auf ihre Werke herzlich die Hand.

»Ach, sieh' da, unser berühmter Baro«, rief der Neuangekommene; »ich habe Ihre letzten sechszeiligen Verse gelesen. Ach, welche Verse! Wie sind sie in das Zarte und Feine eingedrungen!«

»Was reden Sie da vom Zarten?« unterbrach ihn Marion de Lorme. »Haben Sie dieses Land je gekannt! Sie sind in den Dörfern Geistesgroß und Schönvers stehen geblieben und kamen nicht weiter. Wenn uns der Herr Gouverneur von Notre-Dame de la Garde seine neue Karte zeigen will, so will ich Ihnen sagen, wo Sie sich befinden.«

Scudéry stand mit prahlerischer und pedantischer Miene auf, entrollte auf dem Tische eine Art Landkarte mit blauen Bändern verziert und zeigte selbst die Linien, die er mit roter Tinte hingezeichnet hatte.

»Das ist das schönste Stück Clelias«, sagte er; »man findet diese Karte im allgemeinen recht gut, obwohl sie nur eine einfache Kurzweil des Geistes zur angenehmen Unterhaltung unseres kleinen literarischen Zirkels ist. Da es aber seltsame Leute in der Welt gibt, so fürchte ich, es möchten nicht alle, die sie sehen, in gehörigem Gemütszustande sein, die Erklärung anzuhören. Dies ist der Weg, den man von Neu-Freundschaft nach Zärtlichkeit einschlagen muß; und bemerken Sie wohl, meine Herren, daß, wie man z. B. sagt: Cumä auf dem Ionischen Meere, Cumä auf dem Tyrrhenischen Meere, man sagen wird Zärtlichkeit auf der Zuneigung, Zärtlichkeit auf der Achtung, Zärtlichkeit auf der Erkenntlichkeit. Man muß dabei anfangen, die Dörfer Groß-Herz, Großmut, Genauigkeit, Zarte Sorgfalt zu bewohnen.«

»Ach, das ist zu hübsch!« unterbrach ihn des Barreaux. »In der Tat, sehen Sie nur, das Dorf ist hier angezeigt, da ist: Zarte Sorgfalt, Freundschafts-Briefchen, dann Liebesbriefchen! . . .«

»O, Sinnreicheres kann es nicht geben!« riefen Vaugelas, Colletet und die anderen alle.

»Und bemerken Sie«, fuhr der vermöge dieses günstigen Erfolges sich spreizende Verfasser fort, »daß man über Gefälligkeit und Empfindsamkeit gehen muß und man, wenn man diesen Weg nicht einschlägt, Gefahr läuft, sich nach Lauheit und Vergessenheit zu verirren und in den Gleichgültigkeitssee zu fallen.«

»Köstlich! köstlich! Im höchsten Grade niedlich!« riefen die Zuhörer alle. »Man kann nicht mehr Witz besitzen!«

»Wohlan, Madame!« hob Scudéry wieder an; »ich erkläre hier bei Ihnen, daß diese unter meinem Namen gedruckte Arbeit von meiner Schwester ist; sie ist es, die die Sappho auf so angenehme Weise übertragen hat.«

Und ohne darum gebeten zu werden, deklamierte er in pathetischem Tone mehrere Verse, die mit folgendem endigten:

»Die Liebe ist ein süßes Weh
Und unheilbar im Herzen mein,
Doch wenn sie könnte heilbar sein
So möcht' ich lieber sterben dran.«

»Wie, diese Griechin besaß so viel Geist? Das kann ich nicht glauben«, rief Marion de Lorme; »wie weit überlegen ist ihr Fräulein von Scudéry! Diese Idee gehört ihr an, sie sollte diese reizenden Verse in die Clelia setzen, ich bitte Sie; das wird sich in dieser römischen Geschichte gut ausnehmen!«

»Vortrefflich! das ist vorzüglich!« sagten die Gelehrten alle; »Horaz, Aruns und der liebenswürdige Porsenna sind Verliebte von so feiner Lebensart!«

Sie bogen sich alle über die Karte der Zärtlichkeit, und ihre Finger kreuzten und stießen sich, während sie den Krümmungen der Liebesflüsse folgten. Der junge Poquelin aber wagte seine schüchterne Stimme und seinen feinen schwermütigen Blick zu erheben und sagte:

»Wozu dient das? Glück oder Vergnügen zu verschaffen? Der Herr da scheint mir nicht sehr glücklich, und ich fühle mich auch nicht besonders erfreut.«

Er erhielt nur höhnische Blicke zur Antwort und tröstete sich, indem er die Idee zu seinen »Verschrobenen« faßte.

Des Barreaux schickte sich an, ein frommes Sonett vorzulesen, das er während seiner Krankheit gemacht zu haben sich entschuldigte; er schien sich zu schämen, einen Augenblick an Gott gedacht zu haben, während sein Donner grollte, und errötete über diese Schwäche; die Herrin des Hauses hielt ihn aber vom Lesen zurück mit den Worten:

»Es ist noch nicht an der Zeit, Ihre schönen Verse herzusagen, Sie würden unterbrochen werden; wir erwarten noch den Herrn Großstallmeister und andere Edlen; es wäre eine Todsünde, während eines solchen Geräusches und solcher Störungen einen großen Geist reden zu lassen. Doch da haben wir einen jungen Engländer, der aus Italien kommt und nach London zurückkehrt. Man hat mir gesagt, er arbeite an einem Heldengedicht, ich weiß nicht an was für einem; er wird uns einige Verse davon zum besten geben. Viele dieser Herren der hohen Gesellschaft verstehen Englisch, und was die anderen betrifft, so hat er für diese die Stellen, die er uns vorlesen wird, durch einen alten Sekretär des Herzogs von Buckingham übersetzen lassen, und hier liegen französische Abschriften davon auf dem Tische.«

Mit diesen Worten nahm sie dieselben und teilte sie an ihre Halbgelehrten aus. Man setzte sich und gebot Schweigen. Es bedurfte einiger Zeit, Milton zu bewegen, die Fenstervertiefung, in der er sich mit Corneille sehr gut zu unterhalten schien, zu verlassen und die Vorlesung zu beginnen. Endlich begab er sich zu dem am Tische stehenden Lehnstuhl; er schien von schwächlicher Gesundheit und fiel eher in den Stuhl, als daß er sich setzte. Er stützte seinen Ellbogen auf den Tisch und bedeckte seine großen, schönen, halbgeschlossenen und durch Nachtwachen oder Tränen geröteten Augen mit der einen Hand. Seine Bruchstücke sagte er aus dem Gedächtnisse her; seine mißtrauischen Zuhörer schauten ihn mit einer hochmütigen oder wenigstens mit einer Gönnermiene an; andere durchliefen nachlässig die Übersetzung seiner Verse.

Seine anfangs beengte Stimme wurde im Laufe seiner harmonischen Erzählung immer klarer; der Hauch poetischer Begeisterung entführte ihn bald der irdischen Sphäre, und sein gen Himmel gerichteter Blick wurde verklärt, wie der des jungen Evangelisten von Raffaels Pinsel, denn das Licht widerstrahlte darin. Seine Verse schilderten den ersten Ungehorsam des Menschen und flehten zum heiligen Geiste, der ein einfaches und reines Herz allen Tempeln vorzieht, der alles weiß und dem Werden der Zeit anwohnte.

Tiefe Stille herrschte bei diesem Anfang, und ein leichtes Gemurmel folgte dem letzten Gedanken. Er hörte nichts, er sah nur durch eine Wolke, er war in der Welt seiner Schöpfung; dann fuhr er fort.

Er schilderte den höllischen Geist durch diamantene Ketten an ein Feuer der Rache geschmiedet, die Zeit, welche während des Sündenfalls sich neunmal in Tag und Nacht teilt, die sichtbare Dunkelheit der ewigen Gefängnisse und den flammenden Ozean, auf dem die gefallenen Engel schwebten; mit donnernder Stimme begann er die Rede des Fürsten der Dämonen:

»Bist du«, sagte er, »bist du der, den in dem glücklichen Reiche des Tages ein blendendes Licht umgab? O! wie sehr bist du gefallen! . . . Komm' mit mir . . . Ei! was liegt an dem Felde unserer himmlischen Schlachten? Ist denn alles verloren? Einen unbezähmbaren Willen, den unwankbaren Rachegeist, einen unsterblichen Haß, einen nie zu beugenden Mut bewahren, ist das nicht ein Sieg?«

Jetzt kündete ein Lakai mit schallender Stimme die Herren von Montrésor und von Entraigues an. Sie verneigten sich, sprachen, man rückte die Lehnstühle, endlich setzten sie sich. Die Zuhörer benutzten diese Störung, um zehnerlei besondere Unterhaltungen anzuknüpfen, die kaum etwas anderes als Worte des Tadels und Vorwürfe über üblen Geschmack enthielten. Einige im alten Schlendrian eingerostete Herren riefen, daß sie das nicht verständen, daß das ihre Fassungskraft übersteige (wobei sie allerdings nicht glaubten, so wahr zu reden), und zogen sich durch diese falsche Bescheidenheit ein Kompliment, dem Poeten aber eine Beleidigung zu: ein doppelter Vorteil. Einige Stimmen murmelten sogar von Gotteslästerung.

Der unterbrochene Poet stützte seinen Kopf in beide Hände und die Ellbogen auf den Tisch, um diesen Lärm von Kritiken und Artigkeiten, die man sich sagte, nicht zu hören. Drei Männer allein näherten sich ihm, nämlich ein Offizier, Poquelin und Corneille, welch letzterer Milton ins Ohr flüsterte:

»Verändern Sie das Gemälde; ich rate es Ihnen; Ihre Zuhörer sind diesem nicht gewachsen.«

Der Offizier aber drückte dem englischen Dichter die Hand und sagte:

»Ich bewundere Sie mit aller Kraft meiner Seele.«

Erstaunt schaute der Engländer zu ihm auf und sah in ein geistiges, leidenschaftliches und kränkelndes Gesicht.

Er nickte ihm zu und suchte sich zu sammeln, um fortzufahren. Seine Stimme nahm einen dem Ohr sehr wohltuenden Ausdruck an; er sprach von dem keuschen Glück der zwei schönsten Geschöpfe, schilderte ihre majestätische Nacktheit, die Unschuld und Macht ihres Blickes, dann ihr Wandeln zwischen Tigern und Löwen, die zu ihren Füßen spielten, und die Reinheit ihres Morgengebets, ihr zauberisches Lächeln, ihre mutwillige Jugendlust und die dem Dämonenfürsten so schmerzliche Liebe, die ihre Gespräche aushauchten.

Süße und ganz unwillkürliche Tränen zitterten in den Augen der schönen Marion de Lorme, die Natur hatte ihr Herz trotz ihres Verstandes ergriffen; die Poesie erfüllte sie mit ernsten, religiösen Gedanken, von denen der Rausch der Vergnügungen sie stets abwendig gemacht hatte; die Idee der mit Tugend vereinten Liebe erschien ihr zum erstenmal in all ihrer Schönheit, und sie saß wie von einem Zauberstab berührt und zur blassen, schönen Bildsäule verwandelt.

Corneille, des Dichters junger Freund, und der Offizier waren voll schweigender Bewunderung, die sie nicht auszudrücken wagten, denn ziemlich laute Stimmen übertönten die des überraschten Poeten.

»Man kann es nicht länger aushalten«, rief Des Barreaux; »das ist von einer Fadheit, die einen herzlos machen muß.«

»Und welcher Mangel an Anmutigem, Feinem und an schöner Flamme!« sagte Scudéry kalt.

»Das ist nicht unser unsterblicher d'Urfé!« sagte Baro, der Fortsetzer von dessen Werken.

»Wo ist die Ariane, wo ist die Asträa?« rief seufzend Godeau, der die Anmerkungen dazu schrieb.

Solche verbindliche Bemerkungen, die jedoch derart waren, daß der Poet sie nur als im Gemurmel hören konnte, dessen Sinn ihm undeutlich blieb, verlauteten in der Versammlung. Milton sah indes wohl ein, daß er keinen Enthusiasmus errege und sammelte sich, bevor er eine andere Saite seiner Leier anschlug.

In diesem Augenblicke kündete man den Parlamentsrat von Thou an, der sich nach einer bescheidenen Verbeugung schweigend hinter den Stuhl des Dichters, an die Seite Corneilles, Poquelins und des jungen Offiziers schlich. Milton nahm seine Gesänge wieder auf.

Er schilderte die Ankunft eines himmlischen Gastes in Edens Garten, der mitten im Tage gleich einer zweiten Aurora erschien, das Gefieder seiner göttlichen Flügel schüttelte, die Lüfte mit unaussprechlichem Wohlgeruch erfüllte und dem Menschen die Geschichte der Himmel, die Empörung Luzifers offenbarte, der, mit einer Rüstung von Diamanten angetan, auf einem der Sonne gleich leuchtenden Wagen und von funkelnden Cherubim bewacht, gegen den Ewigen auszog. Immanuel aber erscheint auf dem lebendigen Wagen des Herrn, und die zweitausend Donner seiner rechten Hand rollen mit entsetzlichem Krachen zur Hölle und reißen die verfluchten Armen in den unermeßlichen Trümmern des niedergerissenen Himmels mit sich.

Diesmal stand man auf und alles ward unterbrochen, denn die religiösen Bedenklichkeiten hatten sich jetzt mit dem schlechten Geschmacke verbündet; man hörte nur Ausrufe, welche die Gebieterin des Hauses nötigten, ebenfalls aufzustehen, um sich zu bemühen, dieselben nicht zu den Ohren des Poeten kommen zu lassen. Das hielt nicht schwer, denn er war von der Höhe seiner Gedanken völlig hingerissen; sein Geist hatte in diesem Augenblick keine Gemeinschaft mehr mit der Erde, und als er seine Augen wieder auf seine Umgebung richtete, fand er in seiner Nähe vier Bewunderer, deren Stimmen sich deutlicher vernehmen ließen als die der übrigen Versammlung.

Dennoch sagte Corneille zu ihm:

»Hören Sie! Wenn Sie nach dem Ruhm der Gegenwart streben, so hoffen Sie ihn nicht von einem so schönen Werke. Die reine Poesie wird von sehr wenig Seelen gefühlt, für den großen Haufen muß sie sich mit dem beinahe physischen Interesse des Dramas vereinigen. Ich bin auch in Versuchung gekommen, ein Heldengedicht über Polyeuktus zu schreiben; allein ich werde den Gegenstand beschneiden, werde die Himmel weglassen und es wird nur eine Tragödie werden.«

»Was liegt mir an dem Ruhm der Gegenwart?« antwortete Milton; »ich denke nicht an Erfolg, sondern singe, weil ich mich Dichter fühle, ich gehe, wohin mich die Eingebung zieht; was sie hervorbringt, ist stets gut. Und wenn man diese Verse erst hundert Jahre nach meinem Tode lesen sollte, so mache ich sie dennoch.«

»Ach, ich bewundere sie, bevor sie nur geschrieben sind«, sagte der junge Offizier; »ich sehe den Gott darin, dessen Bild ich meinem Herzen eingeimpft gefunden habe!«

»Und wer ist der, der mich so freundlich anspricht?« fragte der Poet.

»Ich bin René Descartes«, antwortete sanft der Offizier.

»Wie, mein Herr!« rief von Thou. »Sie wären so glücklich, ein Angehöriger des Verfassers der ›Prinzipien‹ zu sein?«

»Ich bin selbst der Verfasser«, entgegnete er.

»Sie, mein Herr? Aber . . . doch . . . verzeihen Sie mir . . . aber . . . sind Sie nicht Militär?« fragte der Rat voller Staunen.

»Ei, mein Herr, was hat der Gedanke mit der Kleidung des Körpers gemein? Ja, ich trage den Degen und war bei der Belagerung von La Rochelle; ich liebe das Kriegsgewerbe, weil es durch das beständige Gefühl des Opfers seines Lebens die Seele in einer Region edler Ideen erhält; dennoch beschäftigt es seinen Mann nicht völlig; man kann seine Gedanken nicht in beständiger Tätigkeit dabei halten; der Friede hemmt sie. Überdies muß man auch befürchten, sie durch einen Schlag aus der Zukunft dunklem Schoße oder durch einen lächerlichen und unzeitgemäßen Zufall unterbrochen zu sehen, und erreicht den Menschen mitten in der Ausführung seines Planes der Tod, so behält die Nachwelt die Idee von ihm, welche er nicht dabei hatte oder nur noch schlecht ausgeführt hatte, und das ist ein verzweiflungsvoller Gedanke.«

Von Thou lächelte vergnügt, als er diese einfache Sprache des geistig so hochstehenden Mannes hörte, diese Sprache, die ihm nach der des Herzens die liebste war; er drückte dem jungen Weisen aus der Touraine die Hand und zog ihn mit Corneille, Milton und Molière in ein anstoßendes Kabinett, wo sie sich in jene Unterredungen einließen, welche die ihnen vorangegangene und nachfolgende Zeit gleichsam als verloren betrachten lassen.

Schon zwei Stunden lang erfreuten sie sich ihrer gegenseitigen Gespräche, als der Lärm der Musik von Gitarren und Flöten, die Menuetts, Sarabanden, Allemanden und spanische Tänze spielten, welch letztere die junge Königin in die Mode gebracht hatte, einen beginnenden Ball ankündete. Eine überaus junge und schöne Person mit einem großen Fächer, gleich einem Zepter, und von zehn jungen Herren umgeben, betrat mit ihrem glänzenden Gefolge, das sie gleich einer Königin leitete, den kleinen stillen Salon und brachte die schwatzenden Gelehrten vollends aus dem Text.

»Leben Sie wohl, meine Herren, ich räume den Platz dem Fräulein von Lenclos und ihren Musketieren«, sagte von Thou.

»Ei, meine Herren«, entgegnete die junge Ninon, »machen wir Ihnen Furcht? Habe ich Sie gestört? Sie sehen mir wie Verschwörer aus.«

»Wir sind das während unseres Tanzens vielleicht mehr als diese Herren!« sagte Olivier d'Entraigues, der ihre Hand hielt.

»O, Ihre Verschwörung ist gegen mich gerichtet, Herr Page«, antwortete Ninon, indem sie nach einem anderen Chevauleger hinüber schaute und einem dritten ihren freien Arm überließ, während die übrigen sich ihren irrenden Blicken in den Weg zu stellen suchten, denn sie ließ ihre leuchtenden Augensterne über sie schweifen, wie man die leichte Flamme von Fackel zu Fackel eilen sieht, die sie nacheinander anzündet.

Von Thou machte sich aus dem Staube, ohne daß es jemand einfiel ihn aufzuhalten, und eilte die große Treppe hinunter, als er den kleinen Abbé von Gondi ganz rot, in Schweiß gebadet und keuchend heraufkommen sah, der ihm mit freudiger Miene rasch den Weg vertrat.

»Nun, nun! wohin gehen Sie denn? Lassen Sie die Fremden und die Gelehrten gehen, Sie gehören zu den Unseren. Ich komme ein bißchen spät, doch unsere schöne Aspasia wird mir verzeihen. Warum gehen Sie denn fort? Ist alles zu Ende?«

»Es scheint mir, ja, weil man tanzt; die Vorlesung ist beendigt.«

»Die Vorlesung schon; aber der Eid?« sagte leise der Abbé.

»Welch ein Eid?« fragte von Thou.

»Ist Herr le Grand denn nicht gekommen?«

»Ich hoffte ihn zu sehen; doch denke ich, er ist entweder nicht gekommen oder schon wieder fort.«

»Nein, nein, kommen Sie mit«, sagte der Unbesonnene; »Sie gehören zu den Unseren, parbleu! Es ist rein unmöglich, daß Sie nicht dabei sein sollten, kommen Sie!«

Von Thou wagte nicht, es ihm abzuschlagen und den Anschein zu erwecken, als verleugne er seine Freunde, selbst bei Lustpartien, die ihm mißfielen, und folgte ihm daher.

Der Abbé öffnete und durchschritt zwei Kabinette und stieg dann eine geheime Treppe hinab. Bei jedem Schritte vorwärts hörte man immer deutlicher Stimmen von versammelten Männern. Gondi öffnete noch eine Tür. Ein unerwartetes Schauspiel bot sich hier von Thous Augen.

Das Zimmer, in das er eintrat, lag in geheimnisvollem Halbdunkel und schien der Sitz der wollüstigsten Zusammenkünfte; auf der einen Seite sah man ein vergoldetes Bett mit einem gestickten und mit Federn geschmückten Betthimmel, mit Spitzen und Verzierungen bedeckt; alle von Vergoldungen strotzenden Möbel waren mit grauem, reich bordiertem Seidenstoff überzogen, und samtene Kissen lagen auf dichten Teppichen vor jedem Lehnstuhl. Kleine, durch silberne Verzierungen miteinander verbundene Spiegel stellten einen großen Spiegel, eine damals unbekannte Vollkommenheit, vor, und vervielfachten überall ihre funkelnden Flächen.

Kein Geräusch von außen konnte in diesen Ort der Lust dringen, allein die Leute, die er hier versammelte, schienen von den Gedanken, die er erwecken konnte, weit entfernt.

Eine Menge Männer, die von Thou als Personen vom Hofe und von den Armeen erkannte, drängten sich am Eingang dieses Zimmers und nahmen auch das anstoßende Gemach ein, das geräumiger schien. Mit aufmerksamen Blicken verfolgte er das Schauspiel, das ihm der erste Salon bot. Zehn junge Leute standen hier mit ihren Degen in der Hand, deren Spitze sie dem Boden zukehrten, um einen Tisch gereiht; ihr Gesicht, das sie Cinq-Mars zugewandt hielten, kündete an, daß sie ihm soeben den Eid geschworen hatten; der Großstallmeister stand vor dem Kamin mit gekreuzten Armen und in tiefe Betrachtungen versunken. Neben ihm stand Marion de Lorme ernst und gesammelt; sie schien ihm diese Edelleute vorgestellt zu haben.

Sobald Cinq-Mars seinen Freund erblickte, stürzte er, mit einem fürchterlichen Blick auf Gondi, der noch offenstehenden Tür zu, ergriff von Thou bei den Armen und hielt ihn an der Schwelle zurück.

»Was tun Sie hier?« fragte er ihn mit erstickter Stimme. »Wer bringt Sie her? Was wollen Sie von mir? Sie sind verloren, wenn Sie eintreten.«

»Was tun Sie selbst hier? Was sehe ich in diesem Hause?«

»Die Folge dessen, was Ihnen schon bekannt ist; entfernen Sie sich, sag' ich Ihnen; diese Luft ist für alle hier Anwesenden giftgeschwängert.«

»Es ist nicht mehr Zeit, man hat mich schon gesehen; was würde man zu meiner Entfernung sagen? Ich würde alle entmutigen und Sie wären verloren.«

Dieses Gespräch war halblaut und sehr schnell geführt; beim letzten Worte stieß von Thou seinen Freund vorwärts, trat ein und schritt mit festem Schritt durch das Zimmer und dem Kamin zu.

Bebend vor Zorn verfügte sich Cinq-Mars wieder an seinen Platz, senkte einen Augenblick den Kopf, um sich zu sammeln, und erhob ihn dann bald wieder, ein ruhiges Antlitz zeigend und seine durch den Eintritt des Freundes unterbrochene Rede fortsetzend:

»So gehören Sie denn zu den Unsrigen, meine Herren; doch so großen Geheimnisses bedarf es jetzt nicht mehr; erinnern Sie sich, daß, wenn ein starker Geist eine Idee erfaßt, er dieselbe trotz aller ihrer Folgen festhalten muß. Ihr Mut wird ein größeres Feld haben als das einer Hofintrige. Danken Sie mir, statt einer Verschwörung gebe ich Ihnen einen Krieg. Herr von Bouillon ist abgereist, um sich in Italien an die Spitze seiner Armee zu stellen; in zwei Tagen verlasse ich noch vor dem Könige Paris und gehe nach Perpignan; kommen Sie alle hin, die Royalisten der Armee erwarten uns dort.«

Bei diesen Worten warf er vertrauensvolle und ruhige Blicke um sich; er sah in den Augen aller, die ihn umringten, Freude und Begeisterung strahlen. Bevor er jedoch sein eigenes Herz der ansteckenden Bewegung, die großen Unternehmungen vorangeht, überließ, wollte er sich ihrer noch vergewissern und wiederholte mit ernster Miene:

»Ja, Krieg, meine Herren, bedenken Sie das hier noch, ein offener Krieg. La Rochelle und Navarra bereiten sich zum großen Erwachen ihrer Reformierten vor; Italiens Armee wird von der einen Seite einrücken, von der anderen der Bruder des Königs zu uns stoßen; der gefährliche Mann wird umzingelt, erdrückt werden. Die Parlamente werden unseren Nachtrab bilden und dem König eine Bittschrift, eine ebenso starke Waffe als unsere Schwerter, überbringen; nach dem Siege werfen wir uns Ludwig XIII., unserem Herrn und Gebieter, zu Füßen, daß er uns begnadige und verzeihe, ihn von einem blutdürstigen Ehrgeizigen befreit und seinen Entschluß beschleunigt zu haben.«

Hier blickte er wieder im Kreise umher und sah abermals in den Blicken und der Stellung seiner Mitverschworenen eine wachsende Zuversicht.

»Wie!« hob er wieder an, indem er seine Arme kreuzte und seiner eigenen Bewegung mit Gewalt Einhalt tat, »Sie schrecken vor diesem Entschlusse, der anderen Männern eine Empörung scheinen würde, nicht zurück? Glauben Sie nicht vielleicht, ich hätte die Vollmacht, die Sie in meine Hände gelegt haben, mißbraucht? Ich habe die Sachen weit getrieben, allein es gibt Zeiten, wo die Könige wider ihren Willen bedient werden wollen. Alles ist vorbereitet, Sie wissen es. Sedan wird uns seine Tore öffnen und wir sind der Hilfe Spaniens gewiß.

Zwölftausend Mann Kerntruppen werden mit uns bis nach Paris rücken. Ein fester Platz soll indes den Fremden nicht überliefert werden; sie werden alle durch französische Garnisonen besetzt und im Namen des Königs eingenommen werden.«

»Es lebe der König! Es lebe die Union! die neue Union, die heilige Ligue!« riefen die jungen Leute der Versammlung alle.

»So ist er denn gekommen«, rief Cinq-Mars mit Begeisterung, »so ist er gekommen, der schönste Tag meines Lebens. O Jugend, Jugend, von Jahrhundert zu Jahrhundert die unbedachtsame und leichtsinnige genannt; wessen wird man dich heute beschuldigen? Mit einem zwanzigjährigen Anführer wurde die umfassendste, rechtmäßigste und heilsamste der Unternehmungen beschlossen, zur Reife und zur Ausführung gebracht. Freunde! Was ist ein großes Leben, wenn nicht ein im reiferen Alter ausgeführter Gedanke der Jugend? Die Jugend starrt mit ihrem Adlerblick in die Zukunft, entwirft für dieselbe einen weitläufigen Plan, legt einen Grundstein, und alles, was unser ganzes Dasein tun kann, ist, dem Ziel dieses ersten Vorsatzes nahe zu kommen. Ach! wann könnten große Entwürfe entstehen, wenn nicht, so lange das Herz kräftig im Busen pocht? Der Verstand allein würde nicht dazu hinreichen, er ist nichts als ein bloßes Werkzeug.«

Ein neuer freudiger Ausbruch folgte diesen Worten, als ein Greis mit weißem Barte aus der Menge hervortrat.

»Ei«, sagte Gondi halblaut, »kommt da der alte Ritter von Guise mit seinem langweiligen Geschwätz, das unseren Eifer erkalten wird.«

Wirklich drückte auch der Greis Cinq-Mars die Hand und sagte, nachdem er an seine Seite getreten war, langsam und mit ziemlicher Anstrengung:

»Ja, mein Kind, und ihr alle, meine Kinder; ich sehe mit Freude, daß mein alter Freund Bassompierre durch euch befreit werden soll und ihr den Grafen von Soissons und den jungen Montmorency zu rächen gedenkt . . . Der Jugend aber, so feurig sie ist, steht es zu, auf die zu hören, die viel gesehen haben. Ich habe die Ligue gesehen, meine Kinder, und sage euch, daß ihr diesmal nicht, wie man damals tat, euch die Heilige Ligue, Heilige Union, Beschützer des St. Petristuhles und Pfeiler der Kirche nennen könnet, weil ich sehe, daß ihr auf den Beistand der Hugenotten zählt; ebenfalls könnt ihr nicht einen leeren Thron auf euer großes Siegel von grünem Wachse setzen, weil dieser von einem König besetzt ist . . .«

»Sie können sagen von zwei Königen«, unterbrach ihn Gondi lachend.

»Dennoch ist es von großer Wichtigkeit«, fuhr der alte Guise mitten unter den lärmenden jungen Leuten fort, »dennoch ist es von großer Wichtigkeit, der Sache einen Namen beizulegen, dem sich das Volk anschließt; der ›Öffentlicher Wohlfahrtskrieg‹ ist früher schon gebraucht worden, ›Friedensfürsten‹ erst kürzlich; man muß einen neuen erfinden . . .«

»Wohlan! ›Königskrieg‹«, sagte Cinq-Mars . . .

»Ja, das ist's! ›Königskrieg‹«, riefen Gondi und die jungen Leute alle.

»Es wäre aber«, begann der alte Anhänger der Ligue wieder, »es wäre wesentlich, unser Unternehmen durch die theologische Fakultät der Sorbonne, welche ehemals sogar die Haut-gourdiers und SorgueursBenennungen Angehöriger der Ligue. sanktionierte, gutheißen und ihr zweites Mandat in Kraft treten zu lassen, daß dem Volke nämlich erlaubt sei, seinen Oberen den Gehorsam zu versagen und sie zu hängen.«

»Ei, Ritter!« rief Gondi, »es handelt sich nicht mehr um das; lassen Sie Herrn le Grand reden; wir denken jetzt an die Sorbonne nicht mehr als an Ihren heiligen Jacques Clément.«

Man lachte, und Cinq-Mars hob wieder an:

»Meine Herren, ich habe Ihnen von den Plänen Monsieurs, denen des Herzogs von Bouillon und von den meinigen nichts verheimlichen wollen, weil es nicht mehr als billig ist, daß ein Mann, der sein Leben einsetzt, auch wisse, wie die Karten liegen; allein ich habe Ihnen vor Augen geführt, was im unglücklichsten Falle eintreten könnte, und Ihnen unsere Kräfte nicht umständlich auseinandergesetzt, weil sie nicht einem von Ihnen mehr Geheimnis sind. Oder sollte ich etwa Ihnen, Herr von Montrésor und Saint-Thibal, mitteilen, welche Reichtümer Monsieur zu unserer Verfügung stellt? Sollte ich etwa Ihnen, Herr von Aignan und Herr von Monqui, sagen, wieviel junge Edelleute sich Ihren Kompagnien der Gardereiter und Chevaulegers anschließen wollten, um gegen die Kardinalisten zu kämpfen? Wieviel aus der Touraine und der Auvergne, wo die Güter des Hauses Effiat sind und von wo zweitausend Edle mit ihren Vasallen zu uns stoßen werden! Baron von Beauvau, soll ich Sie wiederholen lassen, welchen Eifer und welche Tapferkeit jene Kürassiere an den Tag legten, die Sie dem unglücklichen Grafen von Soissons, dessen Sache auch die unsere war, liehen und den Sie mitten in seinem Siege durch den ermorden sahen, den er mit Ihnen besiegt hatte? Soll ich diesen Herren die Freude des Grafen-Herzogs bei der Nachricht unserer Anordnungen und die Briefe des Kardinal-Infantenvon Olivarez, Graf-Herzog von San-Lucas. an den Herzog von Bouillon mitteilen? Soll ich dem Abbé von Gondi, d'Entraigues und Ihnen, meine Herren, von Paris sprechen, da Sie täglich sein Unglück, seine Entrüstung und sein Bedürfnis, loszubrechen, mit eigenen Augen sehen? Während alle auswärtigen Reiche Frieden verlangen, den der Kardinal, der weder Treu noch Glauben hält, stets zerstört (wie bei dem Vertrag von Regensburg geschah, den er eigenmächtig brach), seufzen alle Klassen des Staates unter seinen Gewalttätigkeiten und fürchten jenen kolossalen Ehrgeiz, der nach nichts Geringerem strebt als nach dem weltlichen und sogar geistlichen Throne Frankreichs.«

Ein beifälliges Gemurmel unterbrach Cinq-Mars. Man schwieg einen Augenblick und hörte den Ton der Blasinstrumente und das taktmäßige Getrippel der Füße der Tanzenden.

Dieser Schall verursachte eine augenblickliche Zerstreuung und einiges Lächeln unter den jungen Leuten der Versammlung.

Cinq-Mars benutzte dieselbe, hob die Augen gen Himmel und rief:

»O Jugendfreuden, Liebe, Musik, ihr fröhlichen Tänze, warum füllt nicht ihr allein unsere Muße aus! Warum seid ihr nicht unser einziger Ehrgeiz! Welch großen Rachegefühls bedarf es, um unseren Schrei der Entrüstung inmitten des schallenden Jubels hören zu lassen! Wehe dem, der die Jugend eines Volkes in Trauer stürzt! Wenn die Runzeln die Stirn des Jünglings furchen, so darf man keck sagen, der Finger eines Tyrannen habe sie gegraben. Die Verzweiflung und nicht Bestürzung sind schuld an den übrigen Leiden seines Jugendalters. Seht jeden Morgen jene traurigen, düsteren Studenten mit der gelben Stirn, dem langsamen Gange und der leisen Stimme vorbeiziehen; ist es nicht, als fürchten sie zu leben und einen Schritt der Zukunft näher zu tun? Wer ist denn in Frankreich? Ein Mann zu viel.«

»Ja«, fuhr er fort, »zwei Jahre lang bin ich dem hinterlistigen und tiefen Gang seines Ehrgeizes gefolgt. Seine fremdartigen Prozeduren, seine geheimen Kommissionen, seine rechtsförmigen Morde sind Ihnen bekannt; Prinzen, Pairs, Marschälle, alles ward von ihm in den Staub gestürzt; es gibt nicht eine Familie in Frankreich, die nicht eine schmerzliche Spur seiner Heimsuchung aufzuweisen hätte. Er betrachtet uns alle als Feinde seiner Macht und will in Frankreich nur sein Haus, das vor zwanzig Jahren nur eines der kleinsten Lehen in Poitou besaß, aufrechterhalten.

Die erniedrigten Parlamente haben keine Stimme mehr; haben die Präsidenten von Mesme, von Novion, von Bellièvre euch gesagt, welch mutigen, aber vergeblichen Widerstand sie leisteten, den Herzog von La Vallette zum Tode zu verurteilen?

Die Präsidenten und Räte der obersten Gerichtshöfe sind gefangen genommen, verjagt, ihrer Stellen entsetzt worden, unerhörte Tat! weil sie zugunsten des Königs oder des Publikums gesprochen hatten.

Die ersten Stellen an den Gerichtshöfen, wer verwaltet sie? Niederträchtige und verdorbene Menschen, die das Blut und das Gold des Landes aufsaugen. Paris und die Seestädte sind mit Schätzungen belegt, die Landschaft durch Soldaten, Gerichtsdiener und Siegelbewahrer verwüstet und zugrunde gerichtet, die Bauern dahin gebracht worden, daß sie sich mit den durch Pest oder Hunger aufgeriebenen Tieren nähren, deren Streu als Lager benützen: das ist das Werk dieser neuen Justiz. Und ebenso wahr ist, daß diese würdigen Agenten Münzen mit dem Bildnisse des Kardinal-Herzogs schlagen ließen. Hier sind einige von seinen königlichen Stücken.«

Mit diesen Worten warf der Großstallmeister ungefähr zwanzig Goldstücke mit dem Bilde Richelieus auf den Teppich. Ein neues Gemurmel des Hasses gegen den Kardinal entstand im Saale.

»Und glauben Sie, die Geistlichkeit sei weniger erniedrigt worden und weniger unzufrieden? Nein! Die Bischöfe sind, entgegen allen Staatsgesetzen und der ihren geheiligten Personen schuldigen Achtung, gerichtet worden. Man sah algerische Korsaren von einem Erzbischof befehligt. Unbedeutende Leute sind zur Kardinalswürde erhoben. Der Minister selbst, der das Heiligste nicht achtet, hat sich zum Ordensgeneral von Citeaux, Cluny, Prémontré erwählen lassen, indem er die Mönche, die ihm ihre Stimme versagten, ins Gefängnis werfen ließ. Die Jesuiten, Karmeliter, Franziskaner, Augustiner, Jakobiner sind gezwungen, in Frankreich Generalvikare zu wählen, um mit ihren Oberen in Rom in keiner Verbindung mehr zu stehen, weil er Patriarch von Frankreich und das Haupt der französischen Kirche sein will.«

»Er ist ein Abtrünniger, ein Ungeheuer!« riefen mehrere Stimmen.

»Man sieht also leicht, auf welchem Wege er ist, meine Herren; er ist im Begriff, die weltliche und geistliche Macht an sich zu reißen; er hat sich dem König gegenüber allmählich in seinem Landeswinkel und auf den festesten Plätzen Frankreichs zusammengezogen, sich der Mündungen der Hauptflüsse, der besten Häfen des Ozeans, der Salinen und aller Verfassungsrechte des Königreichs bemächtigt; aus dieser Bedrängnis müssen wir daher den König befreien. König und Friede soll unser Feldgeschrei sein. Das übrige sei der Vorsehung anheimgestellt.«

Cinq-Mars erregte durch diese Rede das Staunen der ganzen Versammlung und sogar von Thous. Niemand hatte ihn bisher, selbst in vertraulichen Unterredungen nicht, lange zusammenhängend sprechen hören, und niemals hatte er auch nur durch ein Wort die geringste Kenntnis der öffentlichen Angelegenheiten und die Fähigkeit, dieselben zu leiten, merken lassen, sondern im Gegenteil selbst vor den Augen derer, die er geneigt machte, seinen Plänen zu dienen, eine große Gleichgültigkeit geheuchelt und ihnen nur eine tugendhafte Entrüstung über die Gewalttätigkeiten des Ministers gezeigt, indem er jedoch seine eigenen Ideen alle in den Hintergrund stellte, um als Ziel seiner Arbeiten seinen persönlichen Ehrgeiz nicht sehen zu lassen; das Vertrauen, das man ihm bewies, beruhte auf seiner Gunst und seiner Tapferkeit. Die Überraschung war daher groß genug, um für einen Augenblick Schweigen zu verursachen, welches aber bald durch jenes Entzücken der Franzosen, der jungen und alten, gebrochen wurde, das diese Nation stets beseelt, wenn man ihr bevorstehende Kämpfe, welcher Art sie auch sein mögen, zeigt.

Unter den vielen, die dem jungen Anführer die Hand zu drücken kamen, ließ sich auch der Abbé von Gondi sehen.

»Ich habe mein Regiment schon angeworben«, rief er. »Ich habe prächtige Leute.«

Dann sich an Marion de Lorme wendend:

»Parbleu, Fräulein, ich will Ihre Farben tragen, Ihr flachsblütenfarbenes Band und Ihren Orden vom Schwefelhölzchen. Der Wahlspruch davon ist allerliebst:

Wir brennen nur, um andere zu brennen.

Ich wollte nur, Sie könnten sehen, was für schöne Taten wir vollbringen werden, wenn das Glück uns zum Handgemenge kommen läßt.«

Die schöne Marion, die ihm nicht besonders gewogen war, fing an, über seinen Kopf hinweg mit Herrn von Thou zu sprechen, welche Kränkung den kleinen Abbé stets erbitterte; er verließ sie daher barsch, indem er seine kleine Gestalt aufrichtete und verächtlich seinen Schnurrbart in die Höhe schob.

Plötzlich entstand eine Bewegung in der Versammlung, worauf augenblickliche Stille eintrat. Ein zusammengerollter Papierstreifen war auf den Boden und vor Cinq-Mars' Füße gefallen. Er hob ihn auf und entfaltete ihn, nachdem er vorher aufmerksam im Kreise umhergeschaut hatte; man suchte vergeblich, woher das Papier gekommen sein möchte; auf den Gesichtern aller Herzutretenden lag nur der Ausdruck des Staunens und großer Neugier.

»Da ist mein Name falsch geschrieben«, sagte er kalt.

An Cinq-Marcs!

Prophezeiung des Nostradamus.Diese Prophezeiung war drei Monate vor der Verschwörung schon im Publikum bekannt.

Da Rotkäppchen durchs Fenster eingeht,
Im einundfünfzig Dein Kopf nicht mehr steht
Und alles ist zu Ende.

»Es ist ein Verräter unter uns, meine Herren«, fügte er, das Papier wegwerfend, hinzu, »doch gleichviel! Wir sind nicht die Leute, die sich durch seine blutigen Wortspiele schrecken lassen.«

Dennoch machte es auf die Versammlung einen leidigen Eindruck. Man flüsterte sich nur noch in die Ohren, und jeder schaute seinen Nachbar mißtrauisch an. Einige Personen entfernten sich, die Reihen lichteten sich. Marion de Lorme versicherte einem jeden unablässig, daß sie ihr Gesinde, das man allein verdächtigen konnte, fortjagen wolle. Ungeachtet ihrer Bemühungen herrschte doch von diesem Augenblick an eine gewisse Kälte im Saale. Die ersten Worte von Cinq-Mars' Rede ließen auch über die Absichten des Königs einige Ungewißheit, und diese unzeitige Offenheit hatte die minder festen Charaktere etwas erschüttert.

Gondi machte Cinq-Mars darauf aufmerksam.

»Hören Sie«, sagte er leise zu ihm, »glauben Sie mir, ich habe die Verschwörungen und Versammlungen sorgfältig studiert, und es gibt dabei rein mechanische Sachen, die man wissen muß; folgen Sie hier meinem Rate; ich bin wahrlich in diesem Teil ziemlich stark geworden, Sie müssen ihnen noch ein Wörtchen sagen und den Geist des Widerspruchs dabei anwenden, das gelingt in Frankreich stets; Sie machen Ihre Leute auf solche Weise wieder warm. Geben Sie sich das Ansehen, sie nicht wider Ihren Willen halten zu wollen, dann bleiben sie.«

Der Großstallmeister fand das Rezept gut, trat zu denen hin, welche er als solche kannte, die der Sache am meisten zugetan waren, und sagte zu ihnen:

»Übrigens, meine Herren, will ich niemand zwingen, mir zu folgen; es erwarten uns der Tapferen genug in Perpignan, und ganz Frankreich ist unserer Ansicht. Will sich jemand von Ihnen einen Rückzug sichern, so möge er reden; wir werden ihm die Mittel geben, sich schon jetzt in Sicherheit zu bringen.«

Keiner wollte von diesem Vorschlage etwas hören, und die Bewegung, die er verursachte, erneuerte nur den Haß, den man dem Minister schwor.

Cinq-Mars fuhr indessen fort, einige Personen zu befragen, die er gut wählte, denn er endigte bei Montrésor, welcher rief, er würde sich eher den Degen durch den Leib stoßen als solch einen Gedanken zu haben, und bei Gondi, der, sich stolz auf seinen Fersen drehend, sagte:

»Herr Großstallmeister, mein Zufluchtsort ist der erzbischöfliche Palast in Paris und die Insel Notre-Dame; ich werde sie zu einem so festen Platze machen, daß man mich nicht kriegen soll.«

»Und der Ihrige«, sagte Cinq-Mars zu von Thou.

»An Ihrer Seite«, antwortete dieser sanft und mit niedergeschlagenen Augen, indem er nicht einmal durch die Festigkeit seines Blickes seinem Entschlusse Wichtigkeit verleihen wollte.

»Sie wollen es, nun denn! so nehme ich es an«, sagte Cinq-Mars, »mein Opfer ist hierin größer als das Ihrige.«

Und zu der übrigen Versammlung gewandt, fuhr er fort:

»Meine Herren, in Ihnen sehe ich die letzten Männer Frankreichs; denn nach den Montmorency und Soissons wagen Sie allein noch ein freies und Ihrer alten Freiheiten würdiges Haupt zu erheben. Wenn Richelieu triumphiert, so stürzen die alten Fundamente der Monarchie mit uns zusammen, so wird der Hof allein an der Stelle der Parlamente, der alten Schranken und zugleich mächtigen Stützen der königlichen Macht herrschen; siegen wir aber, so verdankt uns Frankreich die Erhaltung seiner alten Sitten und seiner Verfassung. Übrigens, meine Herren, wäre es ärgerlich, deshalb einen Ball zu verderben; Sie hören die Musik, die Damen erwarten Sie; gehen wir zum Tanze.«

»Der Kardinal soll die Violine bezahlen«, fügte Gondi hinzu.

Die jungen Leute klatschten lachend Beifall und alle gingen wieder in den Tanzsaal hinauf, als hätten sie sich nur geschwind irgendwo geschlagen.



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