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Der Kardinal war kaum in seinem Zelte angekommen, so fiel er, noch in Küraß und Waffenrüstung, in einen großen Lehnstuhl; dort hielt er sich sein Sacktuch vor den Mund und verharrte stieren Blickes in dieser Stellung, seinen beiden schwarzen Vertrauten überlassend, zu erforschen, ob Nachdenken oder Vernichtung ihn banne. Totenblässe lag auf seinem Antlitz und ein kalter Schweiß rieselte ihm von der Stirn. Als er ihn mit einer raschen Bewegung abwischte, warf er sein rotes Priesterläppchen, das einzige geistliche Abzeichen, das ihm blieb, hinter den Stuhl und hielt dann wieder die Hände vor den Mund. Schweigend betrachtete ihn der Kapuziner von der einen, der düstere Magistrat von der anderen Seite, sie schienen in ihrer schwarzen und braunen Kleidung Priester und Notar eines Sterbenden zu sein.
Der Mönch begann indes zuerst das Schweigen zu brechen, und zwar mit einer Stimme, deren dumpfer Brustton geeigneter schien, Totengebete herzusagen als Trost zu erteilen.
»Wenn Ew. Gnaden«, hob er an, »sich meiner Ratschläge, die ich Ihnen in Narbonne gab, erinnern will, so werden Sie zugeben, daß meine Ahnung, dieser junge Mann werde Ihnen eines Tages Verdruß verursachen, richtig war.«
»Ich erfuhr auch«, fiel ihm der Maître des Requêtes ins Wort, »durch den alten tauben Abbé, der oft von der Marschallin d'Effiat zur Tafel gezogen wurde und alles gehört hat, daß dieser junge Cinq-Mars mehr Energie zeige als man glauben könne, und daß er den Versuch machte, den Marschall von Bassompierre zu befreien. Der Taube, der seine Rolle trefflich spielte, hat mir umständliche Berichte gegeben, die den erlauchten Kardinal befriedigen werden.«
»Ich sagte Ew. Gnaden schon«, begann Joseph wieder, denn diese zwei wilden Seïden wechselten wie die Hirten Virgils mit ihren Reden ab, »ich sagte, es wäre wohlgetan, sich dieses kleinen d'Effiat zu entledigen, und bot mich dazu an, wenn Ew. Gnaden belieben sollte; es wäre leicht, ihn in der Gunst des Königs zu stürzen.«
»Es wäre sicherer, ihn an seiner Wunde sterben zu lassen«, entgegnete Laubardemont, »wenn Se. Eminenz die Güte haben wollte, mir diesen Auftrag zu erteilen, so stehe ich mit dem zweiten Arzte, der mich von einer Stirnwunde geheilt hat und auch ihn besorgt, auf vertrautem Fuße. Er ist ein kluger, dem Herrn Kardinal-Herzog ganz ergebener Mann, der nur durch das Trischäkspiel ein bißchen in seinem Vermögen zurückgekommen ist.«
»Ich glaube«, hob Joseph mit einer bescheidenen, wiewohl mit einiger Bitterkeit gemischten Miene wieder an, »daß, wenn Se. Exzellenz jemand zu diesem nützlichen Projekte gebrauchen sollte, Ihre Wahl eher auf Ihren gewöhnlichen Unterhändler fallen würde, der früher schon Ihren Zwecken mit gutem Erfolg gedient hat.«
»Ich glaube ebenfalls einige nennenswerte Fälle aufzählen zu können«, entgegnete Laubardemont, »und zwar ganz neue, wobei die Schwierigkeit sehr groß war.«
»Ach, gewiß!« sagte der Pater mit einer halben Verbeugung und der Miene rücksichtsvoller Höflichkeit, »Ihre gewagteste Aufgabe, und die Sie am geschicktesten lösten, war das Todesurteil Urbain Grandiers, des Zauberers; doch mit Gottes Hilfe kann man ebenso gute und ebenso wesentliche Dinge vollführen. Es ist zum Beispiel«, fügte er, gleich einem jungen Mädchen die Augen niederschlagend, hinzu, »es ist kein kleines Verdienst, kühn eine Linie des Bourbonschen Königshauses auszurotten.«
»Es war nicht besonders schwer«, erwiderte mit einiger Bitterkeit der Maître des Requêtes, »einen Soldaten der Garde zu wählen, der den Grafen von Soissons ums Leben bringen mußte; aber präsidieren, ein Urteil sprechen . . .«
»Und es selbst vollziehen«, unterbrach ihn der hitzig gewordene Kapuziner, »ist unstreitig minder schwierig, als von Kindheit auf einen Mann in dem Gedanken zu erziehen, große Dinge mit Verschwiegenheit auszuführen, und, wenn es sein müßte, um der Liebe des Himmels willen eher alle Qualen zu erdulden als den Namen derer zu entdecken, die ihn mit ihrer Gerechtigkeit bewaffnet haben oder mutig auf dem Körper des Erschlagenen zu sterben, wie mein Sendling tat, der beim Degenstich Rinuemonts, des Stallmeisters des Prinzen, nicht einen Schrei ausstieß und gleich einem Heiligen endigte: das war mein Zögling.«
»Ein anderes ist befehlen oder sich selbst der Gefahr aussetzen.«
»Und setzte ich mich keiner aus bei der Belagerung von La Rochelle?«
»Unstreitig der, in einer Kloake zu ersaufen«, antwortete Laubardemont.
»Und Ihr«, sagte Joseph, »habt Ihr Euch etwa in die Gefahr begeben, durch die Folterwerkzeuge Eure Finger zu verlieren? Und alles das, weil die Äbtissin der Ursulinerinnen Eure Nichte ist.«
»Das war für Eure Franziskanermönche gut, welche die Hämmer hielten; ich aber wurde von diesem nämlichen Cinq-Mars, der eine zügellose Volksmenge anführte, an der Stirn verwundet.«
»Wissen Sie das ganz gewiß?« rief Joseph entzückt, »wagte er so den Befehlen des Königs entgegenzutreten?«
Die Freude über diese Entdeckung ließ ihn seinen Zorn ganz vergessen.
»Unverschämte!« rief der Kardinal, das Schweigen plötzlich blechend und das blutbefleckte Sacktuch von den Lippen nehmend, »ich würde euren blutigen Zank bestrafen, hätte ich nicht mehrere geheime Ruchlosigkeiten von eurer Seite dadurch erfahren. Man hat meine Befehle überschritten; ich wollte keine Folter, Laubardemont; das ist Ihr zweiter Fehler; Sie lenken um nichts und wieder nichts den Haß des Volkes auf mich; ein solches Verfahren war unnütz. Ihr aber, Joseph, versäumt nicht, die Einzelheiten dieses Aufruhrs, bei dem Cinq-Mars beteiligt war, in Erfahrung zu bringen; das kann in der Folge von Nutzen sein.«
»Ich bin im Besitz aller Namen und Signalements der dabei Beteiligten«, sagte voller Diensteifer der Geheimrichter, indem er sich mit seiner großen Gestalt und seinem mageren olivenfarbenen Gesicht, das ein knechtisches Lächeln in Falten zog, bis zum Lehnstuhl hinab verbeugte.
»Gut, gut«, antwortete der Minister, ihn von sich stoßend, »es handelt sich jetzt noch nicht darum. Ihr, Joseph, macht, daß Ihr vor diesem jungen Eingebildeten, der, ich bin es überzeugt, der Günstling werden wird, in Paris seid; sucht Euch mit ihm zu befreunden, bringt ihn auf meine Seite oder richtet ihn zugrunde; er soll mir dienen oder fallen. Doch vor allen Dingen schickt sichere Leute an mich ab, und zwar täglich, um mir mündlichen Bericht zu erstatten, gebt fortan keinen schriftlichen mehr. Ich bin sehr unzufrieden mit Euch, Joseph; was für einen erbärmlichen Kurier habt Ihr für die Berichte von Köln gewählt! Er hat mich nicht verstanden und sich zu früh bei dem König gemeldet, so daß wir nochmals mit einer Ungnade zu kämpfen haben. Wenig hätte gefehlt, so würdet Ihr mich völlig zugrunde gerichtet haben. Ihr gebt jetzt acht, was man in Paris tun wird; man wird nicht zögern, eine Verschwörung gegen mich anzuzetteln; das soll aber die letzte sein. Entfernt euch beide und schickt mir erst in zwei Stunden meinen Kammerdiener; ich will allein sein.«
So lange die Schritte der beiden Männer hörbar waren, schien Richelieu, die Augen auf den Eingang seines Zeltes geheftet, sie mit zornigen Blicken zu verfolgen.
»Elende!« rief er, als er allein war, »geht und erfüllt noch einige geheime Aufträge, dann aber will ich euch selbst vernichten, ihr unlauteren Werkzeuge meiner Macht. Der König wird bald der langsamen Krankheit, die ihn verzehrt, unterliegen; ich werde dann Regent sein, werde selbst König von Frankreich sein und die Launen seiner Schwäche nicht mehr zu fürchten haben; ohne Gnade sollen dann die stolzen Familien dieses Landes fallen; ich will mittels der Rute des Tarquinius hier ein fürchterliches Gleichgewicht herstellen, ich allein werde über ihnen allen stehen; Europa wird zittern, ich . . .«
Hier zwang ihn das Blut, das von neuem den Mund füllte, das Sacktuch hinzuhalten.
»Ach, was sage ich? Ich Unglücklicher! Mir selbst droht ein naher Tod; meine Auflösung ist nicht fern, mein Blut entströmt und mein Geist will noch arbeiten! Weshalb? Für wen? Etwa um des Ruhmes willen? – Das ist ein leeres Wort; um der Menschen willen? – Ich verachte sie. Für wen denn, da ich doch wahrscheinlich innerhalb zwei bis drei Jahren sterben muß? Etwa für Gott? Welch ein Name! . . . Ich bin nicht seine Pfade gewandelt, er hat alles gesehen . . .«
Bei diesen Worten ließ er sein Haupt auf die Brust sinken und seine Augen fielen auf das große goldene Kreuz, das er um den Hals trug; er konnte sich nicht enthalten, sich in seinen Lehnstuhl zurückzuwerfen; allein es folgte ihm, er ergriff es, betrachtete es mit stieren, verzehrenden Blicken und sagte ganz leise:
»Fürchterliches Zeichen, du verfolgst mich! Soll ich dich auch anderswo noch finden . . . Gottheit und Todesqual! Was bin ich? Was hab' ich getan?« . . .
Zum erstenmal durchdrang ihn ein eigentümliches und unbekanntes Entsetzen; von einem unbesieglichen Schauer erfaßt, zitterte er, fühlte sich bald eiskalt, bald siedendheiß übergossen und wagte nicht, die Augen aufzuschlagen, aus Furcht, eine grauenhafte Vision zu erblicken; er wagte nicht, jemand herbeizurufen, denn er fürchtete sich vor dem Ton seiner eigenen Stimme und blieb nun in die für ihn so schreckliche Betrachtung der Ewigkeit versunken, während er folgendes Gebet murmelte:
»Großer Gott, wenn du mich hörst, so richte mich denn, aber richte mich nicht vereinzelt. Betrachte mich, umgeben von den Menschen meines Jahrhunderts; schau' an das ungeheure Werk, das ich unternommen habe; bedurfte es weniger als eines gewaltigen Hebels, um diese Massen in Bewegung zu setzen? Und zerschmettert dieser Hebel beim Fallen einige unnütze Nichtswürdige, bin ich strafbar dafür? Ich werde den Menschen als böse erscheinen; du aber, höchster Richter, wirst du mich mit dem nämlichen Maßstabe messen? Nein, du weißt, daß unbegrenzte Macht das Geschöpf am Geschöpfe sich vergehen läßt; nicht Armand von Richelieu taucht seine Hände in Blut, sondern der Premierminister. Es geschieht nicht um der persönlichen Beleidigungen willen, sondern um ein System zu befolgen. Aber ein System, . . . was bedeutet dieses Wort? War es mir erlaubt, auf solche Weise mit den Menschen zu spielen und sie als Zahlen zu betrachten, die zur Ergänzung und Ausführung einer vielleicht falschen Idee beitragen sollten? Ich stürze die Umgebung des Thrones. Wenn ich, ohne zu wissen, sein Fundament untergraben und seinen Fall beschleunigen würde! Ja, meine erborgte Macht hat mich verführt. O Labyrinth! O Schwachheit des menschlichen Gedankens! Einfacher Glaube! Warum mußte ich deine Bahn verlassen? . . . Warum bin ich nicht bloß ein einfacher Priester! Wagte ich nur, mit den Menschen zu brechen und mich ganz Gott zu weihen! Jakobs Himmelsleiter müßte auch wieder in meine Träume herabsteigen.«
In diesem Augenblick tönte ein starker Lärm von außen an sein Ohr; man vernahm das Gelächter der Soldaten und wildes Geschrei und Flüche, die sich unter die ziemlich lange sich behauptenden Worte einer schwachen und hellen Stimme mischten; man hätte geglaubt, den Gesang eines Engels, von dämonischem Gelächter unterbrochen, zu hören.
Der Kardinal stand auf und öffnete eine Art Fenster aus Leinwand, das auf einer der beiden Seiten seines viereckigen Zeltes angebracht war. Ein seltsames Schauspiel bot sich seinen Blicken dar und aufmerksam, was dabei geredet würde, betrachtete er es eine Weile lang.
»Höre nur, höre nur, La Valeur«, sagte einer der Soldaten, »da fängt sie wieder an zu reden und zu singen; sieh' zu, daß sie sich in die Mitte des Platzes, zwischen uns und das Feuer, stelle.«
»Du weißt es nicht, du weißt es nicht?« ließ sich ein anderer vernehmen, »Grand-Ferré da sagt, er kenne sie!«
»Ja, ich sage dir, ich kenne sie, und beim heiligen Peter von Loudun möchte ich schwören, sie in meinem Dorfe gesehen zu haben, als ich auf Urlaub war, und zwar bei einer Gelegenheit, wo's warm herging, von der man aber schweigt, besonders gegen einen Kardinalisten, wie du bist.«
»Ei, weshalb sollte man davon schweigen, großer Strohkopf?« entgegnete ein alter Soldat, seinen Schnurrbart drehend.
»Man schweigt und spricht nicht davon, weil es einem die Zunge verbrennt, verstehst du das?«
»Nein, das versteh' ich nicht.«
»Wohlan, ich auch nicht; aber so haben mir's die Bürger gesagt.«
Hier unterbrach ihn ein allgemeines Gelächter.
»Hahaha! Ist der ein Esel!« sagte einer, »er hört auf das Gewäsch der Spießbürger.«
»Nun ja, wenn du zuhören kannst, was die für Zeug faseln, so hast du mehr Zeit zu verlieren als ich«, versetzte ein anderer.
»Du weißt also nicht, was meine Mutter sagte, Gelbschnabel?« entgegnete ernst der älteste unter ihnen, die Augen senkend und eine feierliche und eisenfresserische Miene annehmend, um sich Gehör zu verschaffen.
»Ei, wie soll ich das wissen, La Pipe? Deine Mutter muß vor Alter gestorben sein, bevor mein Großvater auf die Welt kam.«
»Wohlan, Gelbschnabel, so will ich's dir sagen. Du mußt allererstens wissen, daß meine Mutter eine ehrenwerte Zigeunerin und dem Regiment der Karabiniere La Roques so anhänglich war wie mein Hund Canon da mir; sie trug den Branntwein in einem Fäßchen an ihrem Halse und verstand ihn besser zu trinken als der erste Säufer unter uns; sie hatte vierzehn Männer, lauter Soldaten, und alle starben auf dem Schlachtfelde.«
»Das heißt mal ein Weib!« unterbrachen ihn die Soldaten, ihre Achtung bezeugend.
»Und in ihrem Leben redete sie mit einem Bürger nie mehr als die paar Worte bei ihrer Ankunft im Logis: Zünde mir mein Licht an und wärme mir die Suppe.«
»Nun und was sagte dir denn deine Mutter?« fragte Grand-Ferré.
»Wenn's dir so pressiert, so mußt du's auch nicht wissen, Gelbschnabel; sie sagte gewöhnlich in ihrer Unterhaltung: ›Ein Soldat ist besser als ein Hund, ein Hund aber ist besser als ein Bürger.‹«
»Bravo! Bravo! Gut gesagt!« schrien die Soldaten voll Begeisterung über diese schönen Worte.
»Das verhindert aber nicht«, sagte Grand-Ferré, »daß die Bürger, die mir gesagt haben, es verbrenne einem die Zunge, dennoch recht hatten; überdies waren es nicht so ganz Bürger, denn sie trugen Degen und waren aufgebracht, daß man einen Pfarrer verbrannte, und das war ich auch.«
»Und was schadete dir das, wenn man auch deinen Pfarrer verbrannte, du großer Einfaltspinsel?« entgegnete ihm ein an die Gabel seines Stutzens gelehnter Sergeant, »nach dem kommt wieder ein anderer, du hättest an seine Stelle einen unserer Generäle setzen können, die ja dermalen aus lauter Pfaffen bestehen; ich, der ich Royalist bin, sage es offenherzig.«
»So schweigt doch«, rief La Pipe, »laßt das Mädchen da reden. Die Hunde von Royalisten stören uns immer in unseren Vergnügungen.«
»Was sagst du?« entgegnete Grand-Ferré, »weißt du auch nur, was es heißt, Royalist sein, du?«
»Ja«, erwiderte La Pipe, »ich kenne euch alle wohl, ihr seid mit den CroquantsCroquant, gleichbedeutend mit verächtlicher Kerl, Schlucker, wurden die rebellischen Bauern unter Heinrich dem Vierten und Ludwig dem Dreizehnten genannt. Der Übersetzer für die alten sogenannten Friedensfürsten und gegen den Kardinal und die Salzsteuer; da, hab' ich recht oder nicht?«
»Nein doch, nein, alter Rotstrumpf! Ein Royalist ist der, der für einen König ist, das ist's. Und da mein Vater Falkner des Königs war, so bin ich für den König; da hast du's! Und die Rotstrümpfe mag ich nicht, das ist ganz einfach.«
»So, du nennst mich einen Rotstrumpf!« entgegnete der alte Soldat, »du wirst mir morgen früh dafür Genugtuung geben. Hättest du den Krieg im Veltlin mitgemacht, so würdest du nicht so sprechen, und hättest du die Eminenz auf ihrem Damm von La Rochelle mit dem alten Marquis von Spinola spazieren sehen, während man ihr Kanonenkugeln nachschickte, so würdest du nichts von Rotstrümpfen sagen, hörst du?«
»Was da, wir wollen uns lieber lustig machen statt zanken«, sagten die anderen Soldaten.
Die Tapferen, die in solchem Gespräche begriffen waren, standen um ein großes Feuer herum, das ihre Gestalten mehr beleuchtete als der Mond, so schön er auch schien, und in ihrer Mitte befand sich der Gegenstand ihrer Zusammenrottung und ihres Geschreis. Der Kardinal konnte deutlich ein junges, schwarzgekleidetes, mit einem langen weißen Schleier verhülltes Weib bemerken; sie ging barfuß, ein grober Strick war um die zierliche Gestalt geschlungen, ein langer Rosenkranz fiel von ihrem Halse bis fast an ihre Füße nieder, ihre zarten und elfenbeinweißen Hände ließen die Kugeln desselben schnell durch die Finger laufen. Mit einer barbarischen Freude ergötzten sich die Soldaten, ihr kleine Kohlen auf den Weg zu legen, damit sie sich die Füße daran verbrenne; der älteste von ihnen ergriff die rauchende Lunte seiner Stutzbüchse und hielt ihr dieselbe an den Saum ihres Kleides, indem er mit rauher Stimme sagte:
»Marsch, Närrin, fang' uns deine Geschichte wieder an, oder ich fülle dich mit Pulver und lasse dich wie eins Mine in die Luft springen; nimm dich wohl in acht, denn diesen Streich hab' ich noch ganz anderen als dir in den alten Hugenottenkriegen gespielt. Marsch, singe!«
Das junge Weib blickte die Soldaten mit gemessenem Ernst an, antwortete nichts und zog ihren Schleier vor.
»Du benimmst dich falsch«, sagte Grand-Ferré mit bacchantischem Lachen, »du wirst sie zum Weinen bringen; die schöne Hofsprache verstehst du nicht; ich will mit ihr reden, ich.«
Und sie beim Kinn fassend, redete er sie in zimperlichem Tone an:
»Mein Herzchen, mein allerliebstes Schätzchen, willst du nicht so gut sein und uns das hübsche kleine Geschichtchen, das du soeben diesem Herrn erzähltest, noch einmal zum besten geben; ich würde dich dann bitten, mit mir auf dem Strome der Zärtlichkeit zu fahren, wie die großen Damen in Paris sagen, und ein Gläschen Schnaps mit deinem getreuen Ritter zu trinken, der dich jüngst in Loudun antraf, wo du eben Komödie spieltest, um einen armen Teufel auf den Scheiterhaufen zu liefern . . .«
Das junge Weib kreuzte die Arme, schaute sich um, und rief mit gebieterischer Gebärde:
»Entfernt euch, im Namen des Gottes der Heerscharen, entfernt euch, ihr unreinen Männer; wir haben nichts miteinander gemein. Eure Sprache verstehe ich nicht und ihr würdet die meine nicht verstehen. Geht, verkaufet euer Blut den Fürsten der Erde für soundsoviel Pfennige des Tags und laßt mich meine Aufgabe erfüllen. Führet mich zu dem Kardinal . . .«
Ein rohes Gelächter unterbrach sie.
»Glaubst du«, sagte ein Karabinier Maureverts, »Se. Eminenz, der Generalissimus, werde dich mit deinen nackten Füßen bei sich empfangen? Geh', wasche sie zuvor.«
»Der Herr hat gesagt: Jerusalem, hebe dein Kleid auf und durchwandere die Flüsse«, antwortete sie mit fortwährend gekreuzten Armen. »Man führe mich zu dem Kardinal.«
Richelieu rief nun mit lauter Stimme:
»Man führe mir diese Frau zu und lasse sie in Ruhe!«
Alles schwieg: man brachte sie zu dem Minister.
»Weshalb«, fragte sie, als sie ihn erblickte, »weshalb bringt ihr mich zu einem gewaffneten Manne?«
Ohne ihre Frage zu beantworten, ließ man sie mit ihm allein.
Der Kardinal schaute sie mit argwöhnischer Miene an.
»Madame«, redete er sie an, »was tun Sie zu solcher Stunde im Lager, und wozu diese bloßen Füße, wenn Sie nicht etwa eine Geisteskranke sind?«
»Ich habe ein Gelübde getan, ein Gelübde«, antwortete die junge Nonne mit ungeduldiger Miene, indem sie sich rasch neben ihn hinsetzte, »ich habe auch das getan, nicht zu essen, bevor ich den Mann angetroffen habe, den ich suche.«
»Meine Schwester«, sagte der Kardinal erstaunt und mit milderer Stimme, indem er, um sie zu beobachten, näher zu ihr hinrückte, »Gott fordert von einem schwachen Körper und besonders von Ihrem Alter, denn Sie scheinen mir noch sehr jung, solche Strenge nicht.«
»Jung? O ja. ich war vor wenig Tagen noch sehr jung: aber seitdem habe ich wenigstens zwei Menschenalter durchgelebt, so viel hab' ich gedacht und gelitten, schauen Sie nur mein Gesicht an.«
Und sie zeigte ihm, den Schleier zurückschlagend, ein vollkommen schönes Gesicht, dem schwarze, sehr hübsche Augen Leben verliehen; ohne diese hätte man jedoch ihre Züge für die eines Gespenstes halten können, so blaß war sie; ihre veilchenfarbenen Lippen bebten und ihre Zähne klapperten hörbar vor Schauern.
»Sie sind krank, Schwester«, sagte der Minister bewegt, indem er ihre glühende Hand ergriff. Eine Art Gewohnheit, sich von dem Zustande seiner und anderer Gesundheit zu überzeugen, ließ ihn auch hier den Puls des abgemagerten Arms befühlen; er fand die Schläge der Pulsader von einem fürchterlichen Fieber aufgeregt.
»Aber«, fuhr er mit vermehrter Teilnahme fort, »Sie haben sich ja durch eine Strenge aufgerieben, welche die menschlichen Kräfte übersteigt; ich habe dergleichen immer getadelt, besonders in einem so zarten Alter. Was konnte Sie nur dazu veranlassen? Sind Sie gekommen, es mir anzuvertrauen? Sprechen Sie ruhig und sein Sie überzeugt, daß Ihnen geholfen werden soll.«
»Mich Männern anvertrauen!« entgegnete das junge Weib, »o nein, nie! Sie haben mich alle betrogen, ich werde mich keinem anvertrauen, nicht einmal Herrn von Cinq-Mars, der doch bald sterben muß.«
»Wie?« sagte Richelieu, die Stirn runzelnd, aber mit einem bitteren Lächeln, »wie, Sie kennen diesen jungen Mann? Sollte er wohl schuld an Ihrem Unglück sein?«
»O nein, er ist sehr gut und verabscheut die Bösen, und das wird ihn zugrunde richten. Überdies«, sagte sie, plötzlich eine harte und wilde Miene annehmend, »überdies sind die Männer schwach, und es gibt Dinge, welche die Frauen ausführen müssen. Als in Israel kein Tapferer mehr gefunden ward, ist Debora aufgestanden.«
»Ei, woher wissen Sie alle diese schönen Dinge?« fuhr der Kardinal fort, ihr immer die Hand haltend.
»O, das, das kann ich Ihnen nicht erklären«, antwortete die junge Nonne mit einer sehr sanften Stimme und der Miene rührender Offenherzigkeit, »Sie würden mich nicht verstehen; der Teufel hat mich alles gelehrt und mich auch ins Verderben gestürzt.«
»Ei, mein Kind, er ist stets unser Verderber und lehrt uns auch nur Schlimmes«, entgegnete Richelieu mit wachsendem Mitleid und der Miene eines väterlichen Beschützers. »Was haben Sie verbrochen, sagen Sie's mir; ich vermag viel.«
»Ach!« sagte sie mit der Miene des Zweifels, »Sie vermögen viel über Krieger, über tapfere und edelmütige Männer; unter Ihrem Küraß muß ein edles Herz schlagen; Sie sind ein alter General, der nichts von den listigen Schlichen des Verbrechens weiß.«
Richelieu lächelte, dieser Irrtum schmeichelte ihn.
»Ich hörte Sie nach dem Kardinal verlangen; was wollen Sie denn nun von ihm? Was suchen Sie hier?«
Die Nonne suchte sich zu sammeln und legte sinnend einen Finger an die Stirn.
»Ich erinnere mich nicht mehr«, sagte sie, »Sie haben zu viel mit mir gesprochen . . . Jene Idee ist mir entfallen und doch war es eine große Idee . . . Um ihretwillen hab' ich mich zu dem Hunger verurteilt, der mich aufreibt; ich muß sie ausführen oder ich sterbe. Ach!« sagte sie, mit der Hand in ihr Kleid fahrend und auf ihrem Busen etwas suchend, »das ist sie, die Idee . . .«
Sie errötete plötzlich und riß die Augen ungewöhnlich weit auf; dann neigte sie sich zu dem Ohr des Kardinals und fuhr fort:
»Ich will es Ihnen sagen, hören Sie: Urbain Grandier, mein Geliebter, Urbain hat mir heute nacht gesagt, Richelieu habe ihn ums Leben bringen lassen; nun nahm ich ein Messer in einem Wirtshause und kam hierher, um den Kardinal zu töten; sagen Sie mir, wo er ist.«
Erstaunt und erschrocken wich der Kardinal schaudernd zurück. Er wagte nicht, seine Wache herbeizurufen, weil er das Geschrei und die Anschuldigungen dieser Frau befürchtete und dennoch konnte ein Ausbruch dieser Tollheit ihm gefährlich werden.
»So soll mich denn diese abscheuliche Geschichte überall verfolgen!« rief er, sie fest anblickend und bei sich selbst ratschlagend, welchen Entschluß er fassen solle.
In der Stellung zweier Kämpfer, die sich betrachten, bevor sie sich angreifen, oder wie der stilliegende Spürhund und sein von der Macht des Blickes versteinertes Opfer verharrten sie einander schweigend gegenüber.
Laubardemont und Joseph hatten sich inzwischen entfernt und, bevor sie sich trennten, noch einen Augenblick vor dem Zelte des Kardinals miteinander gesprochen, weil sie das Bedürfnis fühlten, sich gegenseitig zu hintergehen; ihr Haß hatte durch ihren Streit von vorhin an Kraft gewonnen und jeder sich entschlossen, den Nebenbuhler in der Gunst des Gebieters zu stürzen. Der Richter begann das Gespräch, auf das sich jeder von ihnen vorbereitet hatte, indem sie sich gleichsam mit einer und derselben Bewegung unter den Arm griffen, mit folgenden Worten:
»Ach, ehrwürdiger Vater! Wie sehr haben Sie mich betrübt, indem Sie sich den Anschein gaben, einige leichte Scherzreden, die ich mir soeben erlaubte, übelzunehmen!«
»Ei mein Gott! nein, lieber Herr, da bin ich weit entfernt. Die christliche Liebe, wo bliebe die christliche Liebe? Ich lasse mich oft im Reden von einem heiligen Eifer für alles das hinreißen, was das Wohl des Staates ist und unseres gnädigen Herrn, dem ich ganz ergeben bin.«
»Aber wer weiß das besser als ich, ehrwürdiger Vater? Doch Sie lassen mir Gerechtigkeit widerfahren, Sie wissen auch, wie ergeben ich dem erlauchten Kardinal-Herzog bin, dem ich alles verdanke. Ach! ich habe in seinem Dienste einen nur zu großen Eifer bewiesen, der mir jetzt zum Vorwurf gemacht wird.«
»Beruhigen Sie sich«, sagte Joseph, »er zürnt Ihnen deswegen nicht; ich kenne ihn genau, er begreift, daß man etwas für seine Familie wagt, denn auch er ist sehr anhänglich an seine Verwandten.«
»Eben das ist's«, entgegnete Laubardemont, »und das war hauptsächlich meine Aufgabe, denn hätte Urbain gesiegt, so wäre meine Nichte mit ihrem ganzen Kloster verloren gewesen; Sie fühlen das gewiß ebenso wie ich, um so mehr, als sie uns nicht recht verstanden hatte und als sie öffentlich erscheinen mußte sich wie ein Kind benahm.«
»Ist's möglich? Beim öffentlichen Gerichtsverfahren! Was Sie mir da sagen, tut mir wahrhaftig leid für Sie! Wie peinlich mußte Ihnen das sein!«
»Mehr als Sie sich denken können! Sie vergaß alles, was man ihr hinsichtlich des Besessenseins sagte, machte tausend Fehler im Latein, die wir verbesserten, so gut wir konnten, und war sogar schuld an einer höchst unangenehmen Szene, die während des öffentlichen Gerichtsverfahrens vorfiel; ja, einer sowohl für mich als für die Richter höchst unangenehmen Szene, indem sie Lärm schlug und dann in Ohnmacht fiel. Ja! wäre ich nicht genötigt gewesen, das kleine Städtchen Loudun schleunigst zu verlassen, so schwöre ich Ihnen, ich hätte ihr noch tüchtig den Text gelesen. Aber sehen Sie, es ist ganz einfach, daß mir an der Sache gelegen ist, denn sie ist meine nächste Verwandte, da mein Sohn, von dem man seit vier Jahren nicht weiß, was aus ihm geworden ist, so schlecht geraten mußte. Die arme kleine Johanna von Belfiel! Ich hatte sie nur Nonne und dann Äbtissin werden lassen, um alles diesem Taugenichts aufzubehalten. Hätte ich seine Aufführung voraussehen können, so würde ich das Mädchen der Welt nicht entzogen haben.«
»Sie soll sehr schön gewesen sein«, entgegnete Joseph, »das ist ein köstliches Gut für eine Familie; man hätte sie bei Hof vorstellen können und der König . . . hahaha! . . . Fräulein von La Fayette . . . haha! . . . Fräulein von Hautefort! . . . Sie verstehen mich . . . es wäre sogar jetzt noch möglich, daran zu denken . . .«
»Ach, wie sehr erkenne ich Ihre Güte wieder an diesem Zuge . . . gnädiger Herr, denn wir wissen, daß man Sie zur Kardinalswürde designiert hat; wie gütig sind Sie, sich des ergebensten Ihrer Freunde zu erinnern!«
Laubardemont sprach noch zu Joseph, als sie sich am Ende der kleinen Lagerstraße sahen, die zum Quartier der Freiwilligen führte.
»Gott und seine heilige Mutter beschützen Sie während meiner Abwesenheit«, sagte Joseph stillstehend, »morgen früh reise ich nach Paris ab, und da ich noch mehr als einmal mit diesem kleinen Cinq-Mars zu tun haben werde, so will ich ihn zum voraus schon besuchen und mich nach seiner Wunde erkundigen.«
»Hätte man meinem Vorschlag Gehör gegeben, so wären Sie jetzt dieser Mühe überhoben.«
»Ach, Sie haben wohl recht!« antwortete Joseph mit einem tiefen Seufzer und gen Himmel gerichteten Augen, »allein der Kardinal ist nicht mehr der gleiche Mann, er hört nicht mehr auf gute Ratschläge und wird uns noch zugrunde richten, wenn er fortfährt, sich so zu benehmen.«
Und mit einer tiefen Verbeugung gegen den Richter schlug der Kapuziner den angedeuteten Weg ein.
Laubardemont folgte ihm eine Zeitlang mit den Augen und kehrte oder eilte vielmehr, als er sich versichert hatte, daß der Pater sobald nicht umkehren werde, zu dem Zelte des Ministers zurück.
»Der Kardinal entfernte ihn«, sagte er bei sich, »er ist also seiner überdrüssig; ich bin im Besitz von Geheimnissen, die ihn zugrunde richten können. Ich werde noch beifügen, daß er dem künftigen Günstling jetzt schon den Hof macht; ich will diesen Mönch in der Gunst des Ministers ersetzen. Der Augenblick ist günstig, es ist Mitternacht; er muß noch anderthalb Stunden allein sein. Eilen wir.«
Er kommt beim Zelte der Wachen an, das sich vor dem Pavillon befindet.
»Der gnädige Herr hat jemand bei sich«, sagte der Kapitän zögernd, »man kann nicht eintreten.«
»Gleichviel, Sie haben mich vor einer Stunde weggehen sehen und es sind Dinge vorgefallen, über die ich Bericht erstatten muß.«
»Herein, Laubardemont«, rief der Minister, »schnell herein, aber allein!«
Dieser trat ein. Immer noch sitzend, hielt der Kardinal die beiden Hände einer Nonne in einer der seinigen und gab mit der anderen seinem betroffenen Agenten einen Wink, zu schweigen, worauf dieser regungslos stehen blieb, denn er sah das Gesicht der Jungfrau noch nicht; sie sprach mit ungeheurer Geläufigkeit, und die seltsamen Dinge, die sie redete, bildeten einen schrecklichen Kontrast mit ihrer sanften Stimme. Richelieu schien bewegt.
»Ja, mit diesem Messer will ich ihn erstechen; es ist ein Messer, das der Dämon Beharith mir im Wirtshause gegeben hat; es ist aber Sisaras Nagel. Es hat ein elfenbeinernes Heft, sehen Sie, und ich habe es mit vielen Tränen begossen. Ist das nicht sonderbar, mein guter General? . . . Ich will es dem, der meinen Freund getötet hat, in der Kehle umwenden, wie er selbst mich tun geheißen hat; und dann verbrenne ich seinen Körper, das ist das Wiedervergeltungsrecht, das Recht, welches Gott dem Adam gestattet hat . . . Sie scheinen erstaunt, mein braver General . . . o, Sie wären es noch viel mehr, wenn ich Ihnen sein Lied hersagen würde . . . das Lied, das er mir noch gestern abend gesungen hat, als er mich zur Stunde des Scheiterhaufens besuchte, Sie wissen wohl? . . . zu jener Stunde, wo's regnet, zu jener Stunde, wo meine Hände, wie jetzt, zu brennen beginnen; da hat er mir gesagt: Sie haben sich sehr getäuscht, die Magistraten, die roten Magistraten . . . ich habe elf Dämonen zu dienstbaren Geistern und besuche dich wieder, wenn die Glocke läutet . . . unter einem Traghimmel von purpurfarbenem Samt, mit Fackeln, Pechfackeln, die uns leuchten; ach, das ist wunderschön! Hör' nur, hör', was er singt!«
Und nun begann sie nach der Weise des de profundis zu singen:
Ich werde Fürst der Hölle sein,
Ein eiserner Hammer das Zepter mein,
Die brennende Fichte ist mein Thron,
Das Gewand von Schwefel trag' ich schon;
Doch morgen umschlingt uns der Ehe Band:
Komm', Johanna, und reich' mir deine Hand.
Nicht wahr, das klingt seltsam, mein guter General? Und ich antwort' ihm dann allabendlich, geben Sie wohl acht, was, o! geben Sie wohl acht . . .
Der Richter hat gesprochen bei Nacht
Und man hat mich ins Grab gebracht.
Komm' . . . kalt ist der Regen und schaurig der Wind,
Komm' zu deiner Verlobten . . . geschwind, geschwind,
Du sollst nicht schlafen allein,
Ich will dir mein Sargtuch leihn.
Dann fängt er an zu sprechen und spricht wie die Geister und die Propheten. Er ruft dann: Wehe! wehe dem, der Blut vergossen hat! Sind die Richter der Erde Götter? Nein, sie sind Menschen, die mit Alter und Leiden zu kämpfen haben, und dennoch wagen sie, mit lauter Stimme zu sagen: Dieser Mann sterbe! Todesstrafe! Todesstrafe! Wer hat dem Menschen das Recht gegeben, sie über den Menschen zu verhängen? Etwa die Zahl Zwei? . . . Sage, könnte ein einziger Mörder sein? Doch zähle wohl, eins, zwei, drei . . . Ha! sind die weise und gerecht, diese ernsten und besoldeten Bösewichter! O Verbrechen! Dem Himmel ein Grausen! Sähest du sie von oben herab, wie ich, Johanna, so würdest du noch blasser werden! Das Fleisch zerstört das Fleisch! Es, das von Blut lebt, läßt Blut fließen! . . . kalt und sonder Grimm! . . . wie Gott, der es geschaffen hat!«
Das Geschrei, welches das unglückliche Mädchen zwischen dieser mit ungemeiner Zungengeläufigkeit hergesagten Rede ausstieß, erfüllte Richelieu und Laubardemont so mit Entsetzen, daß sie lange unbeweglich blieben. Indessen stieg Johannas Fieber und Wahnsinn fortwährend.
»Haben die Richter gezittert? sagte Urbain Grandier zu mir, zittern sie, sich zu irren? Es handelt sich um den Tod des Gerechten. – Die Folter! – Man schnürt seine Glieder mit Stricken, um ihn zum Reden zu bringen; sie schneiden ihm ins Fleisch ein, bis die Haut sich abschält und zusammenrollt wie Pergament; seine Nerven liegen bloß da, rot und glänzend; seine Knochen krachen; das Mark quillt daraus hervor . . . Die Richter aber schlafen. Sie träumen von Blumen und dem Frühling. Wie heiß es in dem großen Saale ist! sagte der eine erwachend, der Mann hat nicht sprechen wollen! Ist die Folter beendigt? Und sich endlich barmherzig zeigend, gewährt er ihm den Tod. Den Tod! . . . die einzige Furcht der Lebenden! Den Tod! . . . die unbekannte Welt! Er sendet ihr eine wütende Seele zu, die ihn dort erwarten wird. O! hat er es vor seinem Schlafe nie gesehen, der pflichtvergessene Schinder?«
Von Fieber, Ermattung und Verdruß ohnedies geschwächt, rief der Kardinal, jetzt von Grausen und Mitleid ergriffen:
»Ach, um Gottes willen! Machen wir dieser abscheulichen Szene ein Ende; bringen Sie dieses Weib weg, es ist wahnsinnig!«
Die Rasende wandte sich und stieß plötzlich ein fürchterliches Geschrei aus.
»Ha! der Richter, der Richter, der Richter!« . . . rief sie, Laubardemont erkennend.
Dieser fiel mit gefalteten Händen vor Richelieu nieder und sagte voll Entsetzen:
»Ach, gnädiger Herr, verzeihen Sie mir, es ist meine Nichte, die den Verstand verloren hat; dieses Unglück war mir nicht bekannt, sonst wäre sie schon längst eingesperrt worden. Johanna, Johanna . . . vorwärts, Madame, auf Ihre Knie; bitten Sie den Herrn Kardinal-Herzog um Verzeihung . . .«
»Das ist Richelieu!« rief sie, während Staunen diese junge und unglückliche Schönheit völlig zu lähmen schien; das Rot, welches ihre Züge zuerst belebt hatte, machte einer Totenblässe, ihr Geschrei einem unbeweglichen Schweigen, ihre verstörten Blicke einem entsetzlichen Starren ihrer großen Augen Platz, die beständig auf den betrübten Minister geheftet waren.
»Bringt dieses unglückliche Kind schleunigst weg«, sagte dieser außer sich; »sie ist sterbenskrank und ich auch; seit dieser Verurteilung verfolgen mich der Schrecken so viele, daß ich glaube, die ganze Hölle sei gegen mich entfesselt.«
Mit diesen Worten stand er auf.
Immer schweigend und bestürzt, mit stieren Blicken, offenem Munde und vorwärts gebeugtem Kopf hatte sich Johanna von Belfiel von ihrer doppelten Überraschung, die den Rest ihrer Vernunft und ihrer Kräfte völlig vertilgt zu haben schien, noch nicht erholt. Bei der Bewegung des Kardinals schauderte sie, sich zwischen ihm und Laubardemont zu sehen, schaute abwechselnd den einen und den anderen an, ließ das Messer, das sie hielt, ihrer Hand entgleiten und schritt langsam dem Ausgange des Zeltes zu, indem sie ihr Antlitz ganz mit ihrem Schleier bedeckte und ihre verwirrten Augen mit Entsetzen nach dem ihr folgenden Oheim umwandte, gleich dem erschrockenen Schafe, das auf seinem Rücken schon den brennenden Atem des Wolfes fühlt, der im Begriff steht, es zu packen.
So verließen beide das Zelt; doch kaum befanden sie sich im Freien, so bemächtigte sich der wütende Richter der Hände seines Opfers, knebelte sie mit einem Sacktuch und schleppte die Nonne mit sich, was ihm leicht ward, denn sie stieß nicht einen Schrei, nicht einen Seufzer aus, sondern folgte ihm mit auf die Brust gesenktem Haupte und wie in Somnambulismus versunken.