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Als der Wagen des Großstallmeisters rasch dem Louvre zu rollte, ergriff Cinq-Mars die Hand seines Freundes und sagte bewegt zu ihm:
»Lieber von Thou, ich habe große Geheimnisse in meinem Herzen bewahrt und glauben Sie mir, sie drücken mich sehr; allein zwei Befürchtungen haben mich zum Schweigen gezwungen, nämlich die, Sie durch Ihre Mitwissenschaft ebenfalls zu gefährden und – soll ich es sagen? die Ihres Rates.«
»Sie wissen indes wohl«, entgegnete von Thou, »daß ich die erstere nicht achte, und ich hätte gedacht, Sie würden den letzteren nicht verachten.«
»Das nicht; aber ich fürchte ihn und fürchte ihn noch; ich will auf meinem Wege nicht aufgehalten werden. Sprechen Sie nicht, mein Freund, sprechen Sie kein Wort, ich beschwöre Sie, bevor Sie gehört und gesehen haben, was vorgeht. Ich führe Sie heim, wenn wir vom Louvre kommen und dort höre ich Sie an, reise aber dann ab, um mein Werk fortzusetzen, denn nichts wird mich erschüttern, ich sag' es Ihnen im voraus und hab' es auch soeben diesen Herren gesagt.«
Cinq-Mars' Ton hatte nichts Hartes in sich, wie seine Worte könnten vermuten lassen; seine Stimme war traulich, sein Blick sanft, freundlich und wohlwollend, sein Wesen ruhig und entschlossen; nichts kündete die geringste Aufregung über sich selbst an. Von Thou bemerkte es und beklagte ihn im stillen.
»Ach!« sagte er, als sie miteinander aus dem Wagen stiegen, und folgte ihm seufzend die große Treppe des Louvre hinauf.
Als sie, durch schwarzgekleidete Türsteher, die einen Ebenholzstab trugen, angekündigt, bei der Königin eintraten, saß sie an ihrer Toilette. Dies war eine Art Tisch von schwarzem Holze, mit Schildkrot, Perlmutter und Kupfer eingelegt und plattiert, was eine unendliche Menge Zeichnungen von ziemlich üblem Geschmacke bildete, den Möbeln allen aber etwas Großartiges verlieh, das man heutzutage noch daran bewundert; ein oben abgerundeter Spiegel, den die Weltfrauen unserer Tage klein und armselig finden würden, war in der Mitte des Tisches aufgestellt; zerstreute Kleinodien und Halsbänder bedeckten diesen.
Anna von Österreich, vor dem Spiegel und in einem großen Lehnstuhl von karmesinrotem Samt mit goldenen Fransen sitzend, blieb unbeweglich und ernst, wie auf einem Throne, während Donna Stephania und Frau von Motteville von jeder Seite einigemal ganz leicht mit dem Kamm über das Haar der Königin fuhren, um gleichsam ihre Toilette, die sich doch in sehr gutem Zustande befand, da ihre blonden Flechten schon mit Perlen durchschlungen waren, zu beendigen. Ihr langes Haar hatte einen seltenen Glanz, der schließen ließ, daß es ungemein fein und weich wie Seide anzurühren sein müßte. Der Tag fiel unverschleiert auf ihre Stirn, die sein Licht nicht zu fürchten hatte, und durch ihre überraschende Weiße, welche die Königin gern zur Schau trug, beinahe ebensosehr blendete; ihre grünlich-blauen Augen waren groß und regelmäßig, und ihr frischer Mund hatte jene etwas vorspringende und kirschenförmig gespaltene Unterlippe der österreichischen Prinzessinnen, wie man es heutzutage noch auf allen Bildnissen der damaligen Zeit bemerken kann.
Es ist, als hätten ihre Maler sich zur Aufgabe gemacht, den Mund der Königin nachzubilden, um vielleicht den Frauen ihres Gefolges, die ihr gern ähnlich waren, zu gefallen.
Die damals bei Hofe übliche schwarze Kleidung, deren Schnitt sogar durch ein Edikt bestimmt wurde, hob noch das Elfenbein ihrer bis zum Ellbogen entblößten und von der reichen Spitzengarnierung der weiten Ärmel umwallten Arme. Große Perlen hingen in ihren Ohren und wiegten sich über ihrem Nacken.
So zeigte sich in diesem Augenblicke die Königin. Zu ihren Füßen spielte auf zwei Samtkissen ein vierjähriges Kind mit einer kleinen Kanone, die es zerbrach; es war der Dauphin, der nachmalige Ludwig XIV. Die Herzogin Marie von Mantua saß zu ihrer Rechten auf einem Taburett, die Prinzessin von Guémenée, die Herzogin von Chevreuse und Fräulein von Montbazon, die Fräulein von Guise, von Rohan und von Vendôme, alle schön und strahlend in jugendlicher Anmut, saßen oder standen hinter ihr. In einer Fenstervertiefung sah man, den Hut unter dem Arm, Monsieur in leisem Gespräche mit einem großen, ziemlich dicken Manne mit einem roten Gesicht und festem, kühnem Auge: es war der Herzog von Bouillon. Ein ungefähr fünfundzwanzigjähriger Offizier von schlankem Wuchse und angenehmer Gesichtsbildung hatte soeben dem Prinzen mehrere Papiere überreicht, die ihm der Herzog von Bouillon zu erklären schien.
Nachdem sich von Thou vor der Königin verneigt und diese ihm einige höfliche Worte gesagt hatte, wandte er sich an die Prinzessin von Guémenée und redete halblaut und mit herzlicher Vertraulichkeit zu ihr, lieh aber während seines Gespräches allem, was seinen Freund betraf, die größte Aufmerksamkeit und zitterte insgeheim, es möchte dieser sein Schicksal einem minder würdigen Wesen anvertraut haben, als er gewünscht hätte, beobachtete auch die Prinzessin Marie mit jener ängstlichen Aufmerksamkeit und dem Forscherblick, den eine Mutter auf die junge Person wirft, welche sie zur Lebensgefährtin ihres Sohnes wählen möchte; denn er glaubte sie den Unternehmungen Cinq-Mars' nicht fremd. Er sah mit Mißvergnügen, daß ihr äußerst glänzender Putz sie für eitler ansehen ließ als es ihr in diesem Augenblicke ziemte. Sie hatte immerfort auf ihrer Stirn und in ihren Locken die Rubinen zu ordnen, die ihren Kopf schmückten und dem Glanz und der lebhaften Farbe ihres Teints nicht gleichkamen; sie schaute Cinq-Mars oft an; es war aber mehr der Blick der Koketterie als der der Liebe, und ihre Augen hefteten sich oft auf den Spiegel des Toilettentisches, in welchem sie über die Symmetrie ihrer Schönheit wachte. Solche Beobachtungen des Rates begannen ihn zu überzeugen, daß er sich getäuscht habe, als sein Argwohn auf sie fiel, besonders da er noch die Bemerkung machte, daß sie einiges Vergnügen zu empfinden schien, an der Seite der Königin zu sitzen, während die Herzoginnen hinter ihr standen, und sie sich oft ziemlich hochmütig nach denselben umblickte.
»In diesem neunzehnjährigen Herzen«, sagte er bei sich, »würde die Liebe allein herrschen und besonders heute; die ist's nicht.«
Nachdem die beiden Freunde einen Augenblick leise mit jedem gesprochen hatten, gab die Königin der Frau von Guémenée einen beinahe unmerklichen Wink mit dem Kopfe, und auf dieses Zeichen verließen alle Frauen, mit Ausnahme Maries von Gonzaga, ohne zu reden und unter tiefen Verneigungen das Zimmer, als wäre das im voraus verabredet gewesen. Dann drehte die Königin selbst ihren Lehnstuhl um und sagte zu Monsieur:
»Mein Bruder, ich bitte Sie, sich gefälligst neben mich setzen zu wollen. Wir wollen Sie um Ihren Rat bezüglich dessen bitten, was ich Ihnen gesagt habe. Die Prinzessin Marie ist hier nicht überflüssig, ich habe sie gebeten zu bleiben. Wir werden überdies keine Unterbrechung zu befürchten haben.«
Die Königin schien freier in Benehmen und Sprache als gewöhnlich, und ihre ernste und zeremonielle Unbeweglichkeit ablegend, lud sie die übrigen Anwesenden durch eine Handbewegung ein, sich ihr zu nähern.
Etwas beunruhigt durch diesen feierlichen Beginn setzte sich Gaston von Orleans nachlässig zu ihrer Rechten und sagte, mit gleichgültiger Miene und halbem Lächeln mit seiner Krause und der an seinem Halse hängenden Kette des Heiligengeistordens spielend:
»Ich denke wohl, Madame, wir werden die Ohren einer so jungen Person nicht durch eine lange Verhandlung ermüden; sie würde wahrscheinlich lieber von Tanz und Heirat, von einem Kurfürsten oder dem König von Polen sprechen hören.«
Marie zeigte eine verächtliche Miene, Cinq-Mars runzelte die Brauen.
»Verzeihen Sie«, antwortete die Königin mit einem Blick auf die Herzogin, »ich versichere Sie, daß sie der Politik des Augenblicks eine lebhafte Teilnahme schenkt. Suchen Sie nicht uns zu entwischen, mein Bruder«, fügte sie lächelnd hinzu, »heute halte ich Sie fest! Wir müssen zum allerwenigsten Herrn von Bouillon anhören.«
Dieser näherte sich mit dem schon erwähnten jungen Offizier an der Hand.
»Ich muß Ew. Majestät vor allen Dingen den Baron von Beauvau vorstellen, der aus Spanien kommt«, sagte er.
»Aus Spanien«, sagte die Königin mit sichtlicher Bewegung, »da gehört Mut dazu. Sie haben meine Familie gesehen?«
»Er wird Ihnen Mitteilung von ihr sowie von dem Graf-Herzog von Olivarez machen. Was aber den Mut betrifft, so ist es nicht das erstemal, daß er solchen bezeigt; Sie wissen, daß er die Kürassiere des Grafen von Soissons befehligte.«
»Wie! und so jung noch, mein Herr! Sie lieben wohl die politischen Kriege sehr?«
»Ich bitte Ew. Majestät um Verzeihung, im Gegenteil«, antwortete er, »denn ich diente bei den Friedensfürsten.«
Anna von Österreich erinnerte sich, daß die Sieger von La Marfée sich diesen Namen angeeignet hatten, und lächelte. Der Herzog von Bouillon ergriff den Augenblick, um die wichtige Frage, die ihm vorschwebte, in Anregung zu bringen, verließ Cinq-Mars, dem er voll herzlicher Freundschaft die Hand gedrückt hatte, näherte sich der Königin und sagte:
»Es ist merkwürdig, Madame, daß diese Epoche noch große Charaktere wie diese hier aus ihrem Schoße erstehen läßt.«
Und er deutete auf den Großstallmeister, den jungen Beauvau und von Thou; dann fuhr er fort:
»Nur auf diese können wir fortan unsere Hoffnung setzen; sie sind sehr selten, denn der große Gleichmacher hat mit einer langen Sense in Frankreich gemäht.«
»Wollen Sie von der Zeit oder von einer wirklichen Person reden?« fragte die Königin.
»Von einer nur zu wirklichen, zu lebendigen, allzulange lebenden Person, Madame«, antwortete der Herzog feuriger, »dieser übermäßige Ehrgeiz, dieser kolossale Egoismus lassen sich nicht länger ertragen. Wer ein großes Herz im Busen trägt, ist entrüstet über dieses Joch, und in diesem Augenblick erkennt man mehr als je, wieviel Unglück uns die Zukunft bringen wird. Man muß es sagen, Madame, ja, die Zeit der Schonung ist vorbei; die Krankheit des Königs hat einen sehr ernstlichen Charakter angenommen; der Augenblick zu denken und zu beschließen ist da, denn die Zeit des Handelns ist nicht fern.«
Der strenge und barsche Ton des Herrn von Bouillon überraschte Anna von Österreich nicht; sie hatte ihn jedoch stets ruhiger gefunden und wurde etwas bewegt durch die Unruhe, die er bewies; indem sie daher von dem scherzhaften Tone, den sie anfangs annehmen wollte, zu dem des Ernstes überging, entgegnete sie:
»Wohlan! Was fürchten Sie, was gedenken Sie zu tun?«
»Für mich fürchte ich nichts, Madame, denn die Armee Italiens oder Sedan werden mich stets schützen, aber für Sie selbst und vielleicht für die Prinzen, Ihre Söhne, fürchte ich alles.«
»Für meine Kinder, Herr Herzog, für Frankreichs Söhne? Hören Sie's, mein Bruder, hören Sie's? Und Sie scheinen nicht erstaunt?«
Die Königin war sehr aufgeregt beim Sprechen.
»Nein, Madame«, sagte Gaston von Orleans sehr ruhig, »Sie wissen, daß ich an alle diese Verfolgungen schon gewöhnt bin; ich versehe mich auf alles von seiten dieses Menschen; er ist der Herr, man muß sich darein ergeben . . .«
»Er ist der Herr«, wiederholte die Königin, »und von wem hat er seine Macht, wenn nicht von dem König? Und welche Hand wird ihn nach dem König noch halten, ich bitte? Wer wird ihn verhindern, in das Nichts zurückzusinken? Sie oder ich etwa? . . .«
»Er selbst«, unterbrach sie Herr von Bouillon, »denn er will sich zum Regenten ausrufen lassen, und ich weiß, daß er zur jetzigen Stunde mit dem Gedanken umgeht, Ihnen die Kinder wegzunehmen, und den König bittet, sie unter seine Obhut zu stellen.«
»Mir die Kinder wegnehmen!« rief die Mutter, den Dauphin unwillkürlich erfassend und in ihre Arme schließend.
Zwischen den Knien der Königin stehend, schaute das Kind die Männer, die es umringten, mit einem für sein Alter merkwürdigen Ernst an und legte, als es seine Mutter in Tränen sah, die Hand an das kleine Schwert, das er trug.
»Ach, Ew. Gnaden«, sagte der Herzog von Bouillon, sich zu ihm hinabbückend, um ihm zu sagen, was er seiner Mutter zu verstehen geben wollte, »nicht gegen uns müssen Sie Ihr Schwert ziehen, sondern gegen den, der Ihren Thron entwurzelt; er bereitet Ihnen ohne Zweifel eine große Macht, Sie werden ein unumschränktes Zepter haben; allein er hat den Waffenbund, der demselben Stütze war, gebrochen. Dieser Bund war Ihr alter Adel, den er auf einen Zehnteil vermindert hat. Sind Sie einst König, so werden Sie ein großer König sein, ich ahne es; allein Sie werden nur Untertanen und keine Freunde haben, denn die Freundschaft gedeiht nur bei Unabhängigkeit und einer Art Gleichheit, die aus der Kraft entsteht. Ihre Ahnen hatten ihre Pairs, Sie aber werden keine haben. Gott sei Ihnen dann Stütze, gnädiger Herr, denn die Menschen werden es ohne die Institutionen nicht hinreichend sein können. Werden Sie groß, doch möchten besonders nach Ihnen, dem Großen, ebenso Starke kommen wie Sie, denn wenn bei diesem Zustand der Dinge einer strauchelt, so wird die ganze Monarchie in Trümmer stürzen.«
Der Herzog von Bouillon besaß eine Wärme im Ausdruck und eine Zuversicht, welche die, die ihn hörten, stets fesselte; seine Tapferkeit, sein richtiger Blick im Kampfe, die Tiefe seiner politischen Ansichten, seine Kenntnis der europäischen Angelegenheiten, sein besonnener und zugleich entschlossener Charakter machten ihn zu einem der fähigsten und achtungswertesten Männer seiner Zeit; ja, er war der einzige, den der Kardinal-Herzog wirklich fürchtete. Die Königin hörte ihn stets mit Vertrauen an und räumte ihm eine Art Herrschaft über sich ein. Diesmal ward sie bewegter als je.
»Ach, wollte Gott!« rief sie, »daß die Seele meines Sohnes Sie schon verstehen könnte und sein Arm stark genug wäre, um diesen Ansichten Nachdruck zu verleihen! Doch bis dahin werde ich Ihnen Gehör leihen, ich für ihn handeln; ich muß und werde Regentin sein und dieses Recht nur mit meinem Leben aufgeben. Ist ein Krieg notwendig, so werden wir ihn führen, denn ich will alles, nur nicht die Schande und das Entsetzen, den künftigen Ludwig XIV. diesem gekrönten Untertan zu überliefern. Ja«, sagte sie errötend und den Arm des jungen Dauphins heftig an sich drückend, »ja, mein Bruder und Sie, meine Herren, raten Sie mir; reden Sie; was haben wir zu tun? Soll ich abreisen? Sagen Sie es offen. Als Frau wie als Gemahlin konnte ich weinen, solange meine Lage schmerzhaft war; doch jetzt, sehen Sie, als Mutter weine ich nicht; ich bin bereit, Ihnen, wenn es nötig ist, Befehle zu erteilen.«
Nie war Anna von Österreich so schön erschienen wie in diesem Augenblick, und die Begeisterung, die sie durchglühte, elektrisierte alle Anwesenden, die nur eines Wortes aus ihrem Munde harrten, um zu reden. Der Herzog von Bouillon warf schnell einen Blick auf Monsieur, der sich entschloß, das Wort zu ergreifen.
»Meiner Treu«, sagte er mit ziemlich entschlossenem Wesen, »wenn Sie Befehle erteilen, meine Schwester, so will ich auf Ehre Ihr Gardekapitän sein; denn auch ich bin der Qualen satt, die mir dieser Elende schon verursacht hat, der mich noch immer zu verfolgen wagt, um meine Heirat zunichte zu machen, der meine Freunde in der Bastille gefangen hält oder von Zeit zu Zeit ein paar von ihnen ermorden läßt; und zudem bin ich entrüstet«, sagte er, sich zusammennehmend und die Augen mit feierlicher Miene niederschlagend, »ja, entrüstet über das Elend, in dem das Volk schmachtet.«
»Mein Bruder«, entgegnete lebhaft die Königin, »ich nehme Sie beim Wort, denn so muß man es bei Ihnen machen, und hoffe, wir beide werden stark genug sein; handeln Sie nur wie der Herr Graf von Soissons und überleben Sie dann Ihren Sieg; verbünden Sie sich mit mir, wie Sie es mit Herrn von Montmorency taten, doch überspringen Sie den Graben.«
Gaston fühlte das Beißende dieser Ermahnung; er erinnerte sich seines nur allzu bekannten Zuges, als der unglückliche Empörer von Castelnaudary beinahe allein einen breiten Graben übersprang und jenseits desselben und angesichts Monsieurs, der unbeweglich blieb wie seine ganze Armee, siebzehn Wunden, Gefängnis und Tod fand. Bei der Schnelligkeit, womit die Königin sprach, hatte er nicht Zeit zu untersuchen, ob sie diesen Ausdruck sprichwörtlich oder absichtlich gebraucht habe, allein für alle Fälle faßte er den Entschluß, ihn nicht aufzunehmen und ward noch durch sie selbst daran verhindert, indem sie mit einem Blick auf Cinq-Mars wieder anhob:
»Doch vor allen Dingen keinen panischen Schrecken; erfahren wir erst recht, woran wir sind. Herr le Grand, Sie kommen vom Könige, haben wir Anlaß zu solchen Befürchtungen?«
D'Effiat hatte unablässig Marie von Mantua beobachtet, deren ausdrucksvolle Physiognomie ihre Gedanken für ihn schneller und sicherer wiedergab als Worte: er las den Wunsch darin, ihn reden zu hören und die Absicht, den Prinzen und die Königin zu einem Entschlusse zu vermögen; eine ungeduldige Bewegung ihres Fußes befahl ihm, der Sache ein Ende zu machen und auf einmal die ganze Verschwörung ins Gleis zu bringen. Seine Stirn wurde blaß und nachdenklicher; er sammelte sich einen Augenblick, denn er fühlte, daß jetzt sein ganzes Geschick in seinen Händen liege. Von Thou betrachtete ihn und bebte, weil er ihn kannte; er hätte nur ein Wort, ein einziges Wort sagen mögen; allein Cinq-Mars hatte den Kopf schon wieder gehoben und antwortete nur:
»Ich glaube nicht, Madame, daß der König so krank ist, wie man Ihnen hinterbracht hat; Gott wird ihn uns hoffentlich noch lange erhalten, ja, ich bin dessen sogar gewiß. Er leidet allerdings, und leidet sehr; allein seine Seele ist hauptsächlich krank, und zwar an einem Übel, das nichts heilen kann, an einem Übel, das man seinem größten Feinde nicht wünschen möchte und weshalb er, wenn es bekannt wäre, von der ganzen Welt bemitleidet würde. Dennoch ist das Ende seines Unglücks, ich will sagen seines Lebens, noch weit hinausgerückt. Seine Entkräftung ist rein seelischer Natur; in seinem Herzen geht eine große Revolution vor; er möchte ihrer Herr werden und vermag es nicht; schon lange Jahre fühlte er, wie die Keime eines gerechten Hasses gegen einen Mann, dem er Erkenntlichkeit zu schulden glaubte, sich in ihm mehrten und heranwuchsen, und dieser innerliche Kampf zwischen seiner Güte und seinem Zorne reibt ihn auf. Jedes dahingeflossene Jahr hat einerseits die Arbeiten dieses Mannes und andererseits dessen Verbrechen zu seinen Füßen gelegt. In der jüngsten Zeit sinkt die Schale der letzteren; der König sieht es ein und ist entrüstet darüber; er will strafen, doch plötzlich hält er an sich und beweint den Elenden im voraus. Wenn Sie ihn in diesem Zustande betrachten könnten, Madame, Sie müßten Mitleid mit ihm haben. Ich sah, wie er schon die Feder ergriff, die seine Verurteilung ins Exil unterzeichnen sollte, wie er sie mit kühner Hand eintauchte, sich ihrer bediente, und wozu? Um ein Beglückwünschungsschreiben an den Minister zu richten. Dann freut er sich seiner Herzensgüte als einer des Christen würdigen; verwünscht das oberste Richteramt, das in seine Hände gelegt ist, und verachtet sich als König; er sucht dann Zuflucht im Gebet und vertieft sich in Betrachtungen über die Zukunft; allein erschrocken steht er auf, weil er die Flammen gesehen hat, die dieser Mann verdient, und niemand die seine Verdammung herbeiführenden Geheimnisse besser kennt als er. In einem solchen Augenblick muß man ihn hören, wie er sich einer strafbaren Schwäche anklagt und ruft, daß er selbst gestraft werde, da er nicht zu strafen gewußt habe. Man möchte zuweilen sagen, die Schatten der vielen unschuldigen Opfer befohlen ihm, sie zu rächen, denn sein Arm erhebt sich oft im Schlafe. Kurz, Madame, der Sturm grollt in seinem Herzen, verzehrt aber nur ihn, denn der Blitzstrahl vermag nicht nach außen zu schlagen.«
»Wohlan, so lasse man das Gewitter losbrechen!« rief der Herzog von Bouillon.
»Der, welcher damit in Berührung kommt, kann den Tod davontragen«, sagte Monsieur.
»Aber welch schöne Hingebung!« äußerte sich die Königin.
»Wie sehr würde ich ihn bewundern!« sagte Marie halblaut.
»Der werde ich sein«, entgegnete Cinq-Mars.
»Die werden wir sein«, flüsterte ihm Herr von Thou ins Ohr.
Der junge Beauvau hatte sich dem Herzog von Bouillon wieder genähert.
»Mein Herr«, sagte er zu ihm, »vergessen Sie das übrige?«
»Nein, pardieu, das vergesse ich nicht«, antwortete dieser leise und wandte sich dann an die Königin.
»Nehmen Sie das Anerbieten des Herrn le Grand an«, sagte er zu dieser, »er ist besser als Sie und wir imstande, den König zu einer Entscheidung zu vermögen, doch halten Sie sich auf alles gefaßt, denn der Kardinal ist zu gewandt, um einzuschlafen. Ich glaube nicht an seine Krankheit, glaube nicht an sein stilles Zusehen und seine Untätigkeit, die er uns seit zwei Jahren weismachen will: ja ich würde nicht einmal an seinen Tod glauben, bevor ich nicht seinen Kopf ins Meer getragen hätte, wie es bei Ariosts Riesen der Fall war. Versehen Sie sich auf alles, beeilen wir uns in allen Stücken. Ich habe Monsieur soeben einen Blick in meine Pläne tun lassen und will Ihnen in Kürze das Wesentlichste davon mitteilen; ich biete Ihnen nämlich Sedan für Sie, Madame, und Ihre erlauchten Söhne an. Italiens Armee ist mein, ich lasse sie wieder einrücken, falls es nötig sein sollte. Der Herr Großstallmeister ist Gebieter des halben Lagers von Perpignan; alle alten Hugenotten des Südens und von La Rochelle sind auf den ersten Wink bereit zu ihm zu stoßen; alles ist für den Fall, daß Ereignisse eintreten sollten, durch meine Bemühungen seit einem Jahre organisiert worden.«
»Ich zögere nicht«, entgegnete die Königin, »mich Ihren Händen zu übergeben, um, wenn dem König ein Unglück zustoßen sollte, meine Kinder zu retten. Allein bei diesem umfassenden Plane vergessen Sie Paris.«
»Es ist in allen Punkten unser, das Volk durch Vermittlung des Erzbischofs, ohne daß es dasselbe ahnt, und durch Herrn von Beaufort, der sein König ist; die Truppen durch Ihre und Monsieurs Garden, welcher gefälligst den Oberbefehl übernehmen wird.«
»Ich! ich! o, das kann durchaus nicht sein; ich habe nicht Leute genug und brauche einen festeren Zufluchtsort als Sedan«, sagte Gaston.
»Er genügt aber doch der Königin«, entgegnete Herr von Bouillon.
»Ach, das kann wohl sein, aber meine Schwester riskiert nicht so viel als ein Mann, der das Schwert zieht. Wissen Sie auch, daß unser Beginnen hier ein sehr verwegenes ist?«
»Wie! Da wir selbst den König für uns haben?« sagte Anna von Österreich.
»Ja, Madame, ja, man weiß nicht, wie lange das dauern kann: man muß seine Sicherheitsmaßregeln ergreifen, und ich tue nichts ohne den Vertrag mit Spanien.«
»So tun Sie meinetwegen nichts«, entgegnete die Königin errötend, »denn so viel ist gewiß, daß ich nie werde davon reden hören.«
»Ach, Madame, klüger wäre es jedenfalls; da hat Monsieur recht«, sagte der Herzog von Bouillon, »denn der Graf-Herzog von San-Lucar bietet uns siebzehntausend Mann alter Truppen und fünfmalhunderttausend Taler bares Geld an.«
»Wie!« rief die Königin erstaunt, »so weit wagte man ohne meine Einwilligung zu gehen? Schon Verträge mit dem Ausland!«
»Dem Ausland, meine Schwester! Durften wir vermuten, daß eine spanische Prinzessin sich dieses Wortes bedienen würde?« antwortete Gaston.
Anna von Österreich stand auf, nahm den Dauphin bei der Hand und entgegnete, auf Marie gelehnt:
»Ja, Monsieur, ich bin Spanierin; allein ich bin die Enkelin Karls V. und weiß, daß das Vaterland einer Königin da ist, wo ihr Thron steht. Ich verlasse Sie, meine Herren, setzen Sie Ihre Beratungen ohne mich fort; ich will künftig nichts mehr wissen.«
Sie tat einige Schritte der Tür zu, kehrte aber um, als sie sah, daß Marie zitterte und ihren Augen Tränen entstürzten, und fügte hinzu:
»Dennoch verspreche ich Ihnen feierlich das unverbrüchlichste Geheimnis; allein weiter nichts.«
Alle standen etwas betroffen da mit Ausnahme des Herzogs von Bouillon, der von seinen Vorteilen nichts einbüßen wollte und daher mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung zu ihr sagte:
»Wir sind Ihnen für Ihr Versprechen dankbar, Madame, und verlangen nicht mehr, überzeugt, daß Sie nach dem Gelingen ganz auf unserer Seite sein werden.«
Da sich die Königin nicht mehr in einen Wortkrieg einlassen mochte, verneigte sie sich etwas weniger trocken als zuvor und entfernte sich mit Marie, die Cinq-Mars noch einen jener Blicke zuwarf, die alle Bewegungen der Seele abspiegeln. Er glaubte in ihren schönen Augen die ewige und unglückliche Hingebung eines für immer gefesselten Weibes zu lesen und fühlte, daß, wenn er je den Gedanken gehabt hätte, von seinen Unternehmungen zurückzutreten, er sich für den niederträchtigsten der Menschen hätte ansehen müssen. Sobald die beiden Damen aus ihren Augen waren, begann Monsieur wieder:
»Da, da, da, hab' ich's Ihnen nicht gesagt, Bouillon, Sie haben die Königin erzürnt; Sie sind auch zu weit gegangen. Man wird mich gewiß nicht beschuldigen, diesen Morgen schwach geworden zu sein; ich habe im Gegenteil mehr Entschlossenheit gezeigt als ich hätte sollen.«
»Ich bin voller Freude und voll Erkenntlichkeit gegen Ihre Hoheit«, antwortete Herr von Bouillon mit triumphierender Miene, »jetzt sind wir der Zukunft gewiß. Was gedenken Sie jetzt zu tun, Herr von Cinq-Mars?«
»Wie ich Ihnen schon gesagt, mein Herr, ich werde nie zurücktreten, welche Folgen mir auch daraus erwachsen könnten; ich werde zu dem König zurückkehren und mich allem aussetzen, um ihm seine Befehle zu entreißen.«
»Und der Vertrag mit Spanien?«
»Ja, den werd' . . .«
Von Thou ergriff Cinq-Mars beim Arm, trat plötzlich vor und sagte mit feierlicher Miene:
»Wir haben beschlossen, diesen nach der Zusammenkunft mit dem Könige zu unterzeichnen, denn wenn die gerechte Strenge des Königs gegen den Kardinal Sie solcher Maßregeln überheben sollte, so haben wir gedacht, es möchte besser sein, sich der Entdeckung eines so gefährlichen Vertrages nicht auszusetzen.«
Herr von Bouillon runzelte die Stirn.
»Wenn ich Herr von Thou nicht kennen würde, so möchte ich dieses für eine Ausrede halten, doch von seiner Seite . . .«
»Mein Herr«, unterbrach ihn der Rat, »ich glaube, mich mit meiner Ehre verbürgen zu können, alles zu tun, was Herr le Grand tun wird: wir sind unzertrennlich.«
Cinq-Mars schaute seinen Freund an und war erstaunt, auf seinem sanften Gesicht den Ausdruck düsterer Verzweiflung zu sehen: er war so betroffen darüber, daß er nicht die Kraft hatte, ihm zu widersprechen.
»Er hat recht, meine Herren«, sagte er nur mit kaltem, aber anmutigem Lächeln, »der König erspart uns vielleicht manchen Schritt: hat man ihn zur Seite, so ist man sehr stark, übrigens«, fügte er mit unerschütterlicher Festigkeit hinzu, »fürchten Ew. Gnaden und auch Sie, Herr Herzog, nie, daß ich wanken werde: ich habe alle Brücken hinter mir abgebrochen und muß vorwärts schreiten, entweder fällt die Macht des Kardinals oder mein Kopf.«
»Sonderbar! höchst sonderbar!« versetzte Monsieur, »ich bemerke, daß jedermann hier tiefer in der Verschwörung steckt als ich glaubte.«
»Keineswegs, Monsieur«, entgegnete ihm der Herzog von Bouillon, »man hat nur zu dem Vorbereitungen getroffen, was Sie hoffentlich anzunehmen geruhen werden. Bemerken Sie, daß nichts Geschriebenes da ist und daß Sie nur zu sprechen brauchen, so ist und war nichts vorhanden; je nach Ihrem Befehl wird dieses alles entweder ein Traum oder ein Vulkan sein.«
»Gut, gut, ich bin zufrieden, wenn dem so ist«, sagte Gaston, »beschäftigen wir uns mit angenehmeren Dingen. Wir haben Gott sei Dank noch einige Zeit vor uns; ich für mich gestehe, ich wollte, alles wäre schon zu, Ende; ich bin nicht für starke Aufregungen geschaffen, das greift meine Gesundheit an«, fügte er hinzu, sich Herrn von Beauvaus Arm bemächtigend, »sagen Sie uns, lieber junger Mann, ob die Spanierinnen noch immer hübsch sind. Sie sind als ein sehr galanter Mann bekannt. Mon Dieu! ich bin überzeugt, man hat da unten von Ihnen gesprochen. – Man sagt, die dortigen Frauen tragen ungeheure Reifröcke und Wulste! Nun, ich bin diesen auch nicht feind. Es läßt dies in der Tat den Fuß kleiner und hübscher erscheinen; ich bin überzeugt, die Frau Don Louis' de Haro ist nicht schöner als Madame von Guémenée, nicht wahr? Marsch, seien Sie aufrichtig, man hat mir gesagt, sie sehe wie eine Nonne aus. Ach! . . . Sie antworten nicht, Sie sind verlegen . . . hat sie Ihnen ins Auge gestochen? . . . oder fürchten Sie etwa unseren Freund, den Herrn von Thou da, zu beleidigen, indem Sie sie der schönen Guémenée vergleichen? Wohlan, sprechen wir von den Gebräuchen! Der König hat einen allerliebsten Zwerg, nicht wahr? man kann ihn in eine Pastete setzen. Wie glücklich ist der König von Spanien! Ich habe noch nie einen so glücklichen König gesehen. Und die Königin, die wird immer auf den Knien bedient, nicht wahr? O, das ist ein prächtiger Brauch; wir haben ihn leider verloren; es ist ein Unglück, ein größeres Unglück, als man glaubt.«
Gaston von Orleans hatte den Mut, in solchem Tone noch eine halbe Stunde lang mit dem jungen Mann zu schwatzen, dessen ernsthafter Charakter sich nicht in diese Unterhaltung schicken konnte und der, noch erfüllt von der Wichtigkeit der Szene, von der er eben Zeuge gewesen, diese Flut unnützer Worte nicht beantwortete, sondern mit erstaunter Miene den Herzog von Bouillon ansah, als hätte er ihn fragen wollen, ob denn das der Mann sei, den man an die Spitze des kühnsten Unternehmens, das seit langer Zeit beschlossen worden, zu stellen beabsichtigte; während der Prinz, ohne bemerken zu wollen, daß sein Geschwätz unbeantwortet blieb, diese oft selbst gab und, im Zimmer auf und ab spazierend und den jungen Mann recht eigentlich mitschleppend, fort und fort mit ungeheurer Geläufigkeit auf ihn einsprach. Er fürchtete, es möchte einem der Anwesenden einfallen, die schreckliche Unterredung hinsichtlich des Vertrages wieder aufzunehmen, allein keiner fühlte sich dazu versucht, wenn nicht der Herzog von Bouillon, der indes voll übler Laune schwieg. Cinq-Mars mußte von Thou folgen und mit ihm der Langeweile dieses Geschwätzes entfliehen, ohne daß Monsieur sich stellte, als habe er ihr Weggehen bemerkt.