Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Achtzehntes Kapitel. Das Geheimnis

Von Thou war mit seinem Freunde nach Hause zurückgekehrt, hatte die Tür seines Zimmers sorgfältig abgeschlossen und Befehl gegeben, niemand zu ihm zu lassen, und ihn bei den Flüchtlingen zu entschuldigen, wenn er sie abreisen ließe, ohne sie noch zu sehen.

Die beiden Freunde befanden sich schon eine geraume Weile in von Thous Kabinett, ohne ein Wort aneinander gerichtet zu haben. Der Rat war in seinen Lehnstuhl gesunken und schien in Nachsinnen vertieft. Cinq-Mars, in der Kaminecke sitzend, erwartete mit ernster und trauriger Miene das Ende dieses Schweigens, als von Thou mit gekreuzten Armen und ihn fest anblickend, mit dumpfer, hohler Stimme zu ihm sagte:

»Dahin sind Sie also gekommen! Das also sind die Folgen Ihres Ehrgeizes! Sie werden einen Mann in die Verbannung bringen, ja vielleicht sein Todesurteil veranlassen und eine fremde Armee auf Frankreichs Boden führen; ich werde Sie also als Mörder und Verräter an Ihrem Vaterlande sehen! Auf welchen Wegen sind Sie dahin gelangt? Auf welchen Stufen sind Sie so weit hinabgestiegen?«

»Ein anderer als Sie würde nicht zweimal so zu mir reden«, entgegnete Cinq-Mars kalt, »allein ich kenne Sie, und diese Erklärung ist mir erwünscht, ich suchte sie und habe sie herausgefordert. Sie sollen heute meine Seele ganz durchschauen, ich will es. Ich hatte anfangs einen anderen, vielleicht besseren, unserer Freundschaft würdigeren Gedanken, der Freundschaft, welche das zweite auf der Erde ist.«

Während er dieses sprach, hob er die Augen zum Himmel, als suchte er diese Gottheit dort.

»Ja, das wäre besser gewesen. Ich wollte nichts sagen, es war eine peinliche Aufgabe, allein bis heute war es mir gelungen. Ich wollte alles ohne Sie vollführen und Ihnen das Werk erst als vollendet zeigen; doch, soll ich Ihnen meine Schwäche gestehen? Ich fürchtete, falsch beurteilt von Ihnen, zu sterben, wenn ich sterben muß! Den Gedanken an den Fluch der Welt ertrage ich jetzt wohl, doch den an den Ihrigen nicht; und das hat mich zu dem Entschlusse gebracht, Ihnen alles zu gestehen.«

»Wie! und ohne diesen Gedanken hätten Sie den Mut gehabt, sich immer vor mir zu verbergen? Ach, lieber Henri, was hab' ich Ihnen getan, daß Sie solche Sorge für meine Tage haben? Durch welche Schuld verdiente ich, Sie zu überleben, wenn Sie sterben sollten? Sie haben die Kraft gehabt, mich während zweier voller Jahre zu täuschen; Sie ließen mir von Ihrem Leben nur seine Blume sehen; Sie betraten meine Einsamkeit nur mit lachendem Antlitz und jedesmal mit einer neuen Gunst geziert! Ach, das muß entweder recht sträflich oder recht tugendhaft sein!«

»Sehen Sie nichts anderes in meiner Seele, als was sie in sich schließt. Ja, ich habe Sie getäuscht, allein es war die einzige ruhige Freude, die ich auf der Welt hatte. Vergeben Sie mir, diese Augenblicke meinem, ach, so glänzendem Lose geraubt zu haben. Ich war glücklich in dem Gedanken, daß Sie mich glücklich wähnten, und machte auch Sie mit diesem Wahn glücklich, und werde erst heute strafbar, wo ich dieses Glück zerstören und mich zeigen will, wie ich bin. Hören Sie mich an, ich will Sie nicht mit einer langen Geschichte ermüden; die eines leidenschaftlich liebenden Herzens ist stets eine ganz einfache. Ich erinnere mich, daß früher einmal – es war, als ich verwundet in meinem Zelte lag – mein Geheimnis mir beinahe entschlüpfte; es wäre vielleicht ein Glück gewesen. Doch was hätte mir guter Rat genützt? Ich hätte ihn nicht befolgt; kurz, ich liebe – Marie von Gonzaga.«

»Wie! Die, welche Königin von Polen werden wird?«

»Wird sie Königin, so kann sie es erst nach meinem Tode werden. Doch hören Sie, ihretwillen bin ich Höfling geworden, ihretwillen habe ich in Frankreich beinahe regiert, und ihretwillen werde ich unterliegen und vielleicht sterben.«

»Sterben! Unterliegen! wenn ich Ihnen Vorwürfe über Ihren Sieg machte! Wenn ich über das Traurige dieses Sieges weinte!«

»Ach, wie schlecht kennen Sie mich, wenn Sie meinen, Fortuna könne mich zum besten halten, wenn sie mir lächelt; wenn Sie glauben, ich hätte mein Schicksal nicht bis auf den Grund durchblickt! Ich kämpfe gegen dasselbe an, allein es ist stärker als ich, das fühle ich; ich habe eine Aufgabe unternommen, die menschliche Kräfte übersteigt, und ich werde unterliegen.«

»Ei, können Sie denn nicht innehalten? Zu was nützt der Verstand in weltlichen Dingen?«

»Zu nichts, als etwa mit Erkennung der Ursachen zugrunde zu gehen, am vorhergesehenen Tage zu fallen. Ich kann nicht mehr zurücktreten. Wenn man einen Feind wie diesen Richelieu sich gegenüber hat, so muß man ihn stürzen oder von ihm zerschmettert werden. Morgen will ich den letzten Schlag wagen; hab' ich mich nicht soeben in Ihrer Anwesenheit dazu verpflichtet?«

»Eben diese Verpflichtung möchte ich bekämpfen. Welch ein Vertrauen setzen Sie in die, denen Sie auf solche Weise Ihr Leben überliefern? Haben Sie ihre geheimen Gedanken nicht gelesen?«

»Ich kenne sie alle; ich las durch ihren verstellten Zorn hindurch ihre Hoffnung; ich weiß, daß sie zittern, wenn sie drohen; ich weiß, daß sie schon bereit sind, Frieden zu schließen, indem sie mich zum Lösegeld geben, doch es ist meine Sache, sie zu halten und den König zu bestimmen; es muß sein, denn Marie ist meine Verlobte und mein Tod steht in Narbonne geschrieben. Mit voller Willenskraft, mit der Kenntnis meines ganzen Loses habe ich mich so zwischen das Schafott und das höchste Glück gestellt. Entweder muß ich dieses Fortunas Händen entreißen oder sterben. Ich genieße in diesem Augenblick das Vergnügen, alle Ungewißheit vernichtet zu haben: und wie, Sie erröten nicht, mich infolge einer niedrigen Selbstsucht ehrgeizig geglaubt zu haben, wie dieser Kardinal ehrgeizig ist infolge des kindischen Verlangens nach einer Macht, die nie befriedigt wird? Ehrgeizig bin ich, aber weil ich liebe. Ja, ich liebe, und in diesen Worten liegt alles. Doch ich erinnere mich, ich klage Sie ungerecht an; Sie haben meine geheimen Absichten schöner gedeutet, haben ihnen edle Zwecke, hohe politische Begriffe unterschoben; sie sind allerdings schön, sind umfassend, aber, soll ich es Ihnen sagen? diese umfassenden Pläne zur Vervollkommnung der verdorbenen Gesellschaft scheinen mir noch weit unter der Hingebung der Liebe zu kriechen. Ist die Seele ganz von diesem einzigen Gedanken durchweht, so hat sie keinen Platz mehr für die schönsten Berechnungen der allgemeinen Interessen; denn selbst die Höhen der Erde stehen unter dem Himmel.«

Von Thou senkte den Kopf.

»Was soll ich Ihnen antworten«, sagte er. »Ich verstehe Sie nicht; Sie sprechen der Unordnung das Urteil, Sie wägen die Flamme, berechnen den Irrtum.«

»Ja«, entgegnete Cinq-Mars, »weit entfernt, meine Kräfte zu zerstören, hat dieses innere Feuer sie entwickelt, und wie Sie gesagt, ich habe alles berechnet; ein langsamer Gang hat mich an das Ziel geführt, dessen Erreichung ich nahe stehe. Marie hielt mich an der Hand, sollte ich da wankend geworden sein? Angesichts der ganzen Welt hätte ich es nicht getan. Bis dahin ging alles gut; allein eine unsichtbare Schranke hält mich auf, diese Schranke muß gebrochen werden; sie heißt Richelieu. Dies habe ich soeben in Ihrer Gegenwart unternommen, doch beeilte ich mich vielleicht zu sehr, wie ich jetzt glaube. So soll er sich denn freuen; er erwartete mich. Er hat ohne Zweifel vorausgesehen, daß dem Jüngsten die Geduld am meisten mangeln würde; wenn dem so ist, so hat er gut gespielt. Dennoch wäre ich ohne die Liebe, die mich zur Übereilung getrieben hat, stärker als er gewesen und immerhin tugendhaft.«

Bei diesen Worten entstand eine plötzliche Veränderung in Cinq-Mars' Zügen; er ward wechselweise rot und wieder blaß, und die Adern seiner Stirn schwollen wie blaue, von einer unsichtbaren Hand gezeichnete Linien.

»Ja«, fügte er aufstehend hinzu, indem er seine Hände mit einer Kraft rang, die eine heftige in seinem Herzen verborgene Verzweiflung ankündete, »alle Martern, womit die Liebe ihre Opfer quälen kann, trage ich in meinem Busen. Dieses junge, schüchterne Kind, für das ich Königreiche in Bewegung setzen würde, für das ich mich allem unterzogen, die Jungfrau, für die ich sogar Günstling eines Königs wurde (und die vielleicht nicht fühlt, was ich alles für sie getan habe), kann noch nicht die meine sein. Sie gehört mir nur vor Gott an, und ich bin ihr vor den Augen der Welt fremd; was sag' ich? Ich muß täglich Zeuge der Unterredungen sein, wobei man ratschlägt, welcher Thron Europas der passendste für sie wäre, während ich nicht einmal meine Stimme erheben darf, um meine Meinung zu sagen, so weit entfernt ist man, mich in dieselbe Reihe zu stellen, und man sogar Prinzen von königlichem Geblüt, die noch vor mir kommen, für sie verschmäht. Ich muß mich gleich einem Schuldigen verbergen, um durch Gitter hindurch die Stimme derjenigen zu hören, die mein Weib ist; ich muß mich vor den Augen der Welt vor ihr verbeugen! Ich bin in der Dunkelheit ihr Gemahl, am hellen Tage ihr Diener! Das ist zu viel; so kann ich nicht leben; ich muß den letzten Schritt tun; er erhebe oder stürze mich!«

»Und um Ihres persönlichen Glückes willen wollen Sie einen Staat über den Haufen werfen?«

»Das Glück des Staates geht mit dem meinen Hand in Hand. Ich bemerke es im Vorbeigehen, wenn ich den Thron des Tyrannen zerstöre. Der Abscheu, den mir dieser Mann einflößt, ist in mein Blut übergegangen. Als ich mich jenes Mal zu ihm verfügen wollte, war ich auf meinem Wege Zeuge seines größten Verbrechens: er ist der böse Geist des unglücklichen Königs, ich will ihn beschwören; ich hätte der gute Geist Ludwigs XIII. werden können, es war einer der Gedanken Maries, ihr teuerster Gedanke. Allein ich fürchte, in der gequälten Seele des Königs den Sieg nicht davonzutragen.«

»Auf was rechnen Sie denn?« fragte von Thou.

»Auf den Fall eines Würfels. Wenn sein Wille diesmal einige Stunden andauert, habe ich gewonnen, es ist dies eine letzte Berechnung, an der mein Schicksal hängt.«

»Und das Ihrer Marie!«

»Sie könnten das glauben?« sagte ungestüm Cinq-Mars. »Nein, nein, wenn er mich aufgibt, so unterzeichne ich den Vertrag mit Spanien und den Krieg.«

»Ach, wie abscheulich!« entgegnete der Rat; »welch einen Krieg! einen Bürgerkrieg und das Bündnis mit dem Fremden!«

»Ja, ein Verbrechen«, sagte Cinq-Mars kalt; »ei, hab' ich Sie denn gebeten, daran teilzunehmen?«

»Grausamer! Undankbarer!« entgegnete sein Freund, »können Sie so zu mir sprechen? Wissen Sie nicht, hab' ich Ihnen nicht bewiesen, daß die Freundschaft in meinem Herzen die Stelle aller Leidenschaften einnimmt? Kann ich denn wohl Ihren Tod, ja auch nur Ihr geringstes Unglück überleben? Doch lassen Sie sich durch meine Bitten erweichen, möchte ich Sie verhindern, Frankreich so schrecklich heimzusuchen! O mein Freund, mein einziger Freund, ich beschwöre Sie auf den Knien, werden wir nicht zu Vatermördern, morden wir unser Vaterland nicht! Ich sage wir, denn nie werde ich Sie allein handeln lassen; erhalten Sie mir die Achtung vor mir selbst, für die ich so sehr gearbeitet habe, beflecken Sie mein Leben und meinen Tod, die Ihnen geweiht sind, nicht.«

Von Thou war zu den Füßen seines Freundes gesunken und dieser hatte nicht mehr die Kraft, seine erheuchelte Kälte zu bewahren; er warf sich, ihn aufhebend, in seine Arme, drückte ihn an seine Brust und sagte mit erstickter Stimme:

»Ach, warum mich auch so lieben! Was haben Sie getan, Freund? Weshalb mich lieben? Sie, der Sie klug und tugendhaft sind, Sie, den keine unsinnige Leidenschaft und das Verlangen nach Rache blendet, Sie, dessen Seele allein von Religion und Wissenschaft genährt ist, weshalb mich lieben? Was hat Ihnen meine Freundschaft anderes gebracht als Unruhe und Leiden? Soll sie jetzt Gefahren auf Sie laden? Trennen Sie sich von mir. wir sind nicht mehr gleicher Natur; Sie sehen es, das Hofleben hat mich verdorben: ich bin nicht mehr offenherzig, besitze keine Seelenreinheit mehr; ich arbeite an dem Unglück eines Mannes, ich weiß einen Freund zu täuschen. Vergessen Sie mich, verachten Sie mich; ich bin nicht mehr eines Ihrer Gedanken wert, wie sollte ich Ihrer Gefahren meinetwegen würdig sein?«

»Indem Sie mir schwören, den König und Frankreich nicht zu verraten«, entgegnete von Thou. »Wissen Sie, daß es sich darum handelt, Ihr Vaterland zu teilen? Wissen Sie, daß, wenn Sie dem Fremden unsere festen Plätze übergeben, er Ihnen dieselben nie mehr zurückgeben wird? Wissen Sie, daß Ihr Name noch von der Nachwelt mit Abscheu genannt werden würde? Wissen Sie, daß die französischen Mütter ihn verfluchen, wenn sie gezwungen werden, ihre Kinder eine fremde Sprache zu lehren? Wissen Sie das? Kommen Sie!«

Und er zog ihn zu der Büste Ludwigs XIII.

»Schwören Sie vor diesem (und es ist ja auch Ihr Freund!) schwören Sie, diesen heillosen Vertrag nie zu unterzeichnen.«

Cinq-Mars schlug die Augen nieder und antwortete, obwohl errötend, mit unerschütterlichem Starrsinn:

»Ich habe Ihnen schon gesagt, wenn man mich dazu zwingt, so werde ich unterzeichnen.«

Von Thou erblaßte, ließ seine Hand los und schritt zweimal mit gekreuzten Armen und unaussprechlicher Angst durch das Zimmer. Endlich trat er mit feierlichem Wesen vor die Büste seines Vaters hin, schlug ein großes, am Fuß derselben befindliches Buch auf, suchte eine schon bezeichnete Seite und las dann laut:

»Meines Dafürhaltens war daher das Todesurteil des Parlaments von Rouen gegen Herrn von Ligneboeuf nur gerecht, weil er, als Mitwisser der Verschwörung Cattevilles gegen den Staat, dieselbe nicht angezeigt hatte

Dann behielt er das offene Buch ehrfurchtsvoll in der Hand, betrachtete das Brustbild des Präsidenten von Thou, aus dessen Memoiren er soeben eine Stelle gelesen hatte, und fuhr fort:

»Ja, mein Vater, das war richtig gedacht; ich werde strafbar sein, werde den Tod verdienen; aber kann ich anders? Ich werde diesen Verräter nicht denunzieren, weil das auch verraten hieße, und er mein Freund und unglücklich ist.«

Dann ging er auf Cinq-Mars zu, faßte von neuem seine Hand und sagte:

»Ich tue hierin schon viel für Sie, doch erwarten Sie nicht mehr von mir, mein Herr, wenn Sie diesen Vertrag unterzeichnen.«

Cinq-Mars war im Innersten der Seele ergriffen von dieser Szene, weil er fühlte, was sein Freund alles leiden mußte, indem er ihn von sich stieß. Dennoch nahm er es über sich, einer Träne, die sich aus seinen Augen stahl, Einhalt zu tun, und antwortete, ihn umarmend:

»Ach, von Thou, ich finde Sie immer gleich vollkommen; ja, Sie erweisen mir einen Dienst, indem Sie sich von mir entfernen, denn wäre Ihr Los mit dem meinen verbunden gewesen, so hätte ich nicht gewagt, mit meinem Leben nach Belieben zu schalten, und würde gezögert haben, es nötigenfalls zu opfern; aber jetzt tue ich es gewiß und ich wiederhole es Ihnen, ich werde, wenn man mich dazu zwingt, den Vertrag mit Spanien unterzeichnen.«



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