Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Achtes Kapitel. Die Zusammenkunft

Das prunkvolle Gefolge des Kardinals war beim Eingang in das Lager angekommen, alle unter Waffen stehenden Truppen hatten sich in schönster Ordnung aufgestellt, und unter abwechselnden Kanonensalven und der Musik jedes Regiments zog die Sänfte an langen Spalieren von Kavallerie und Infanterie vorüber, die sich vom ersten Zelte an bis zu dem des Ministers, das unweit des königlichen Quartiers aufgeschlagen war und sich schon von weitem durch den daran aufgewendeten Purpur erkennen ließ, erstreckten.

Jeder Anführer eines Korps erhielt ein freundliches Zeichen oder ein Wort von dem Kardinal, der, endlich in seinem Zelte angekommen, sein Gefolge verabschiedete und sich, der Stunde harrend, wo er sich dem Könige vorstellen durfte, darin einschloß.

Indes hatte sich vor ihm schon jede Person seines Gefolges dorthin begeben, und alle warteten, ohne das königliche Zelt zu betreten, unter langen, mit gestreiftem Zwilch bedeckten Galerien, welche die Zugänge zu dem Könige bildeten. Die Höflinge alle trafen sich hier und spazierten gruppenweise auf und nieder, grüßten sich und reichten sich die Hand oder schauten sich je nach ihren Interessen oder den Herren, denen sie angehörten, hochmütig an. Andere flüsterten geraume Zeit unter sich und gaben durch Zeichen des Erstaunens, des Vergnügens oder der übeln Laune zu erkennen, daß etwas Außerordentliches vorgefallen sei. Unter tausend anderen erhob sich auch in einer Ecke der Hauptgalerie ein sonderbares Zwiegespräch.

»Darf ich wissen, Herr Abbé, weshalb Sie mich mit so dreisten Blicken verfolgen?«

»Parbleu! Herr von Launan, weil ich auf Ihr Tun begierig bin. Alle Welt verläßt Ihren Kardinal-Herzog seit Ihrer Reise nach der Touraine; Sie denken nicht daran; so reden Sie doch einen Augenblick mit den Leuten Monsieurs oder der Königin; Sie sind nach der Uhr des Kardinals von La Vallette, der soeben Rochepot und allen Edlen des seligen Grafen von Soissons, den ich mein Leben lang beweinen werde, die Hand gereicht hat, um zehn Minuten zu spät.«

»Ganz gut, Herr von Gondi, ich verstehe Sie hinlänglich, Sie erweisen mir hiermit die Ehre, eine Herausforderung an mich zu richten.«

»Ja, Herr Graf«, entgegnete der junge Abbé, sich mit der Gravität jener Zeit verneigend; »ich suchte die Gelegenheit, Sie im Namen des Herrn von Attichi, meines Freundes, mit dem Sie in Paris einen kleinen Handel hatten, herauszufordern.«

»Herr Abbé, ich stehe zu Ihren Befehlen, ich will meine Sekundanten suchen, suchen Sie die Ihren.«

»Also zu Pferde, auf Degen und Pistolen, nicht wahr?« fügte Gondi mit derselben Miene, als wolle er eine Landpartie anordnen, hinzu, indem er den Ärmel seines Leibrockes mit den Fingern vom Staube reinigte.

»Wie's Ihnen Vergnügen macht«, entgegnete der andere. Und sie trennten sich für einen Augenblick mit großer Höflichkeit und unter tiefen Bücklingen.

Eine glänzende Menge junger Edelleute schritt in der Galerie neben ihnen auf und ab. An diese machten sie sich, um ihre Freunde zu suchen. Die ganze Eleganz der Kostüme jener Zeit ward diesen Vormittag vom Hofe zur Schau getragen; allein die kleinen Mäntel von allen Farben in Samt und Atlas, mit Gold oder Silber gestickt, St. Michaels- und Heiligengeist-Kreuze, die Krausen, die zahlreichen Federn auf den Hüten, die goldenen Nestel, die Ketten, an denen die langen Degen herabhingen, alles dies glänzte und funkelte noch weniger als die feurigen Blicke dieser kriegerischen Jugend, als ihre lebhaften Gespräche, ihre geistreichen Scherze und ihr helles Gelächter. In Mitte dieser Versammlung wandelten langsam ernste Personen und vornehme, von ihren zahlreichen Edeln begleitete Herren hin und her.

Der kleine Abbé von Gondi, der sehr kurzsichtig war, durchschritt die Menge mit gerunzelter Stirn und halbgeschlossenen Augen, um besser zu sehen, während er seinen Schnurrbart, denn die Geistlichen trugen damals solche, kühn in die Höhe schob. Er schaute jedem unter die Nase, um seine Freunde zu erkennen, und hielt endlich einen jungen, hochgewachsenen und von Kopf bis zu Füßen schwarzgekleideten Mann, dessen Degen sogar von ganz schwarz bronziertem Stahl war, an. Dieser schwatzte eben mit einem Gardekapitän, als der Abbé von Gondi ihn beiseite zog.

»Herr von Thou«, redete er ihn an, »ich bedarf Ihrer in Zeit einer Stunde als Sekundanten bei einem Duell zu Pferde, auf Degen und Pistolen; wenn Sie mir diese Ehre erweisen wollten . . .«

»Mein Herr, Sie wissen, daß Sie in allen Fällen auf meine Dienste rechnen dürfen. Wo finden wir uns?«

»Vor dem spanischen Bollwerk, wenn es Ihnen gefällig ist.«

»Sie entschuldigen, wenn ich zu einer Unterhaltung zurückkehre, die mich sehr interessiert; ich werde mich pünktlich einfinden.«

Und von Thou verließ ihn, um sich wieder zu seinem Kapitän zu gesellen. Er hatte alles dieses mit ungemein sanfter Stimme, unveränderlichem Gleichmut und selbst mit einiger Zerstreuung gesprochen.

Der kleine Abbé drückte ihm mit lebhafter Befriedigung die Hand und setzte sein Suchen fort.

Es ward ihm nicht so leicht, mit den anderen jungen Herren, an die er sich wandte, den Handel zu schließen, denn sie kannten ihn besser als der junge von Thou, und wenn sie ihn von weitem kommen sahen, so suchten sie ihm auszuweichen oder lachten ihn seines Vorhabens halber aus und machten sich nicht anheischig, ihm dabei zu dienen.

»Ei, Abbé, schon wieder im Suchen begriffen; ich wette, Sie brauchen einen Sekundanten?« sagte der Herzog von Beaufort.

»Und ich, ich wette«, fügte Herr von La Rochefoucauld hinzu, »daß es einem Anhänger des Kardinal-Herzogs an den Leib geht.«

»Sie haben beide recht, meine Herren, doch seit wann lachen Sie über Ehrensachen?«

»Da sei Gott vor«, entgegnete Herr von Beaufort; »Männer des Degens, wie wir, zollen Terzen, Quarten und Oktaven unsere volle Hochachtung; wie sich aber der Priesterrock dabei gebärdet, weiß ich nicht.«

»Pardieu, mein Herr, Sie wissen wohl, daß er mir die Faust nicht hemmt, und das will ich einem jeden beweisen, der dazu Lust hat. Übrigens geht mein ganzes Streben dahin, diese Kutte an den Nagel zu hängen.«

»Sie schlagen sich also so oft, um bald mit ihr fertig zu werden?« entgegnete La Rochefoucauld. »Doch erinnern Sie sich, mein lieber Abbé, daß Sie eine Verbindlichkeit haben.«

Gondi wandte sich um und schaute nach einer Wanduhr, denn er wollte keine Zeit mehr mit üblen Scherzen verlieren; er hatte jedoch auch anderswo nicht besseren Erfolg, denn als er zwei Edelleute der jungen Königin, die er verstimmt über den Kardinal und demzufolge glücklich glaubte, sich mit einer von dessen Kreaturen messen zu können, für die Dienstleistung angesprochen hatte, antwortete ihm der eine von ihnen sehr ernsthaft:

»Herr von Gondi, Sie wissen, was soeben vorgegangen ist; der König hat sich laut geäußert: Unser herrschsüchtiger Kardinal möge nun wollen oder nicht, so soll die Witwe Heinrichs des Großen nicht länger in der Verbannung leben. – Herrschsüchtig, Herr Abbé, merken Sie das? Eine so starke Äußerung hat sich der König noch nie über ihn erlaubt. Herrschsüchtig! das zeugt ja von völliger Ungnade. Wahrlich, niemand wird mehr wagen mit ihm zu sprechen; er wird gewiß noch heute den Hof verlassen.«

»Das hab' ich gehört, mein Herr; doch ich habe eine Ehrensache . .  ..«

»Das ist ein Glück für Sie, den er so gewaltsam in der Laufbahn aufhielt.«

»Eine Ehrensache . . .«

»Wo hingegen Mazarin für Sie ist . . . .«

»Aber wollen Sie mir denn Gehör schenken oder nicht?«

»Ach, ob er für Sie gestimmt sei! Ihre Abenteuer wollen ihm nicht aus dem Kopf, besonders Ihr hübsches Duell mit Herrn von Coutenan, und die schöne kleine Nadlerin; er hat sogar mit dem Könige darüber gesprochen. Doch jetzt adieu, lieber Abbé, wir sind sehr beeilt: adieu, adieu . . .«

Und den Arm seines Freundes wieder ergreifend, eilte der junge Hohnnecker, ohne ein Wort weiter hören zu wollen, durch die Galerie und verlor sich in der Menge der Umherwandelnden.

Der arme Abbé blieb daher höchst gekränkt, keinen Sekundanten finden zu können, stehen und schaute traurig, wie sich die Menge verlief und an der Uhr die Stunde verstrich, als er einen ihm unbekannten jungen Edelmann mit düsterer Miene und den Ellbogen auf einen Tisch gestützt in einer Ecke sitzen sah; er trug Trauerkleider, die nicht schließen ließen, daß er der Angehörige eines großen Hauses oder eines Korps sei; und da er ohne Ungeduld den Augenblick zu erharren schien, wo er bei dem Könige würde eintreten können, schaute er die Umstehenden mit gleichgültiger Miene an und schien ihnen weder eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen noch einen unter ihnen zu kennen.

Ihn erschauend, redete Gondi den jungen Mann ohne Zögern mit den Worten an:

»Mein Herr, ich habe eigentlich nicht die Ehre, Sie zu kennen, allein ein Gang mit den Waffen kann einem jungen Manne von guter Lebensart nie mißfallen; und wollen Sie mein Sekundant sein, so sind wir in einer Viertelstunde auf der Wiese. Ich bin Paul von Gondi und habe Herrn von Launay gefordert, der ein Anhänger des Kardinals, im übrigen aber ein ganz artiger Mann ist.«

Ohne über diese Anrede zu erstaunen, antwortete ihm der Unbekannte mit unveränderter Haltung:

»Und wer sind seine Sekundanten?«

»Das weiß ich meiner Treu nicht; doch was kann Ihnen daran liegen, wer ihm diesen Dienst erweisen will? Man steht mit seinen Freunden nicht schlechter, wenn man ihnen auch ein wenig mit der Degenspitze auf den Leib gerückt ist.«

Der Fremde lächelte nachlässig, fuhr einen Augenblick mit der Hand durch seine langen kastanienbraunen Haare und erwiderte endlich gleichgültig, indem er auf eine große, runde, an seinem Gürtel hängende Uhr schaute:

»In der Tat, mein Herr, da ich nichts Besseres zu tun und keine Freunde hier habe, so folge ich Ihnen; ob ich dies oder jenes tue ist mir einerlei.«

Und seinen breiten, mit schwarzen Federn geschmückten Hut vom Tische nehmend, folgte er langsam dem kriegerischen Abbé, der schnell vor ihm herging, dann wie ein Kind, das seinem Vater vorausläuft, oder wie ein junger Hund, der seinem Gebieter voranspringt und zwanzigmal zurückkehrt und immer wieder fortspringt, stets zurückkam und ging und wieder kam, um ihn zur Eile zu treiben.

Indessen öffneten zwei in die königliche Livree gekleidete Türsteher die großen Vorhänge, welche die Galerie von dem Zelte des Königs trennten, und Stille erfolgte überall. Man begann der Reihe nach langsam in die zeitweilige Wohnung des Königs einzutreten. Er empfing seinen ganzen Hof gnädig und war die erste Person, die sich den Blicken der Eintretenden zeigte.

Vor einem sehr kleinen, mit vergoldeten Lehnstühlen umgebenen Tische stand König Ludwig XIII. im Kreise der ersten Offiziere der Krone; seine Kleidung war äußerst elegant, eine Art isabellfarbenes Wams, dessen offene Ärmel mit blauen Nesteln und Schleifen verziert waren, reichte ihm bis an die Hüfte. Die weiten und faltigen Beinkleider gingen nur bis an die Knie und ihr gelb und rot gestreifter Stoff war unten ebenfalls mit blauen Bändern ausgeschmückt. Seine Stiefel, die kaum mehr als drei Finger breit über die Fußknöchel reichten, waren mit einer solchen Menge von Spitzen ausgefüttert und waren so weit, daß sie, wie ein Gefäß Blumen trägt, seine Füße zu tragen schienen. Ein kleiner blauer Samtmantel, auf dem man das Heiligengeistkreuz gestickt sah, bedeckte des Königs linken Arm, der auf seinen Degenknopf gestützt war.

Sein Haupt war entblößt, so daß man sein blasses, edles, von der durch die Öffnung des Zeltes eindringenden Sonne beleuchtetes Antlitz vollkommen sehen konnte. Der kleine spitze Bart, den man dazumal trug, machte die Magerkeit seines Gesichts noch auffallender, verstärkte aber auch den melancholischen Ausdruck desselben an seiner hohen Stirn; an seinem antiken Profil, an seiner Adlernase erkannte man den Prinzen aus dem hohen Stamme der Bourbons; er hatte von seinen Ahnen, mit Ausnahme des kräftigen Blickes, alles geerbt; seine Augen jedoch schienen von Tränen gerötet und von einem ewigen Schlummer umschleiert oder das Unsichere seines Blickes lieh ihm ein etwas verstörtes Aussehen.

Er tat in diesem Augenblick, als versammle er die größten Feinde des Kardinals um sich, den er jede Minute erwartete, und hörte sie mit Aufmerksamkeit an, indem er sich immer abwechselnd auf einem Fuße wiegte, was eine ererbte Gewohnheit in seiner Familie war; er sprach ziemlich schnell, unterbrach sich jedoch oft, um die tiefe Verbeugung der an ihm Vorübergehenden mit einem gnädigen Kopfnicken oder einer Handbewegung zu beantworten.

Zwei Stunden lang währte diese Aufwartung, ohne daß der Kardinal erschien; der ganze Hof stand in dichten Haufen hinter dem Könige und in den Zeltgalerien, die sich hinter dem königlichen Zelte ausdehnten, und schon begannen die Namen der Höflinge in längeren Zwischenräumen angekündigt zu werden.

»Werden wir unseren Vetter, den Kardinal, nicht sehen?« fragte der König, sich gegen Herrn von Montrésor, den Edelmann Monsieurs, mit einem Blicke umwendend, der diesen gleichsam zu einer Antwort ermutigen sollte.

»Sire, man hält ihn in diesem Augenblick für sehr krank«, erwiderte dieser.

»Und dennoch sehe ich seine Herstellung nur durch Eure Majestät möglich gemacht«, sagte der Herzog von Beaufort.

»Wir heilen nur Kröpfe«, entgegnete der König, »und die Übel des Kardinals sind immer so mysteriöser Art, daß wir gestehen müssen, uns nicht darauf zu verstehen.«

Auf solche Weise versuchte der König seinem Minister in dessen Abwesenheit zu trotzen, indem er in Scherzreden die Kräfte sammelte, sein unerträgliches, aber so schwer zu lösendes Joch leichter zu brechen. Er hielt sein Vorhaben für beinahe gelungen und wünschte sich, bestärkt durch die freudigen Mienen seiner ganzen Umgebung, innerlich schon Glück, die oberste Gewalt wieder an sich gebracht zu haben, indem er sich zugleich der Kraft freute, die er in so hohem Grade zu besitzen wähnte. Zwar sagte ihm eine unwillkürliche Angst im Grunde seines Herzens, daß nach Verlauf dieser Stunde die ganze Bürde des Staates auf ihn allein zurückfallen werde; er suchte indes durch vieles Reden diesen lästigen Gedanken zu übertäuben, und sich selbst die geheime Ahnung seiner Untüchtigkeit zur Regierung nicht eingestehend, ließ er seine Einbildungskraft nicht länger bei dem Erfolge der Unternehmungen verweilen, indem er sich auf solche Weise zwang, die beschwerlichen Wege zu vergessen, die dahin führen können. So folgten sich daher die Reden rasch auf seinen Lippen.

»Wir werden Perpignan bald nehmen«, rief er von weitem Fabert zu.

»Wohlan, Kardinal, Lothringen ist unser«, fügte er, an La Vallette gewandt, hinzu. Und Mazarins Arm ergreifend:

»Nicht wahr, es ist doch so schwierig nicht, wie man glaubt, ein ganzes Königreich zu leiten?«

Der Italiener, welcher der Ungnade, in die der Kardinal gefallen war, noch nicht so ganz traute, wie die Mehrzahl der Höflinge, antwortete, ohne sich zu kompromittieren:

»Ach, Sire, die letzten glücklichen Erfolge, die sowohl von innen als von außen Ew. Majestät zuteil wurden, beweisen hinlänglich, wie geschickt Sie alles zu leiten und Ihre Werkzeuge zu wählen wissen, auch . . .«

Der Herzog von Beaufort aber unterbrach ihn mit jener Zuversichtlichkeit, jener lauten Stimme und jener Miene, die ihm in der Folge den Beinamen des Wichtigen erwarben, und rief über seinen Kopf weg:

»Pardieu, Sire, man muß nur wollen; eine Nation läßt sich mit Sporen und Zügel leiten wie ein Pferd, und da wir alle tüchtige Kavaliere sind, so darf man nur unter uns wählen.«

Dieser hübsche Ausfall des Laffen hatte nicht Zeit seine Wirkung zu tun, denn zwei Türsteher riefen zugleich:

»Seine Eminenz!«

Der König errötete unwillkürlich, als wäre er auf frischer Tat eines Verbrechens betroffen worden. Indem er jedoch schnell wieder einige Festigkeit gewann, nahm er ein stolzes und entschlossenes Wesen an, das dem Minister nicht entging.

Mit dem ganzen Pomp des Kardinalkostüms bekleidet, schritt dieser, auf zwei junge Pagen gestützt und von seinem Gardekapitän und mehr als fünfhundert seinem Hause angehöriger Edeln begleitet, langsam gegen den König vor, indem er bei jedem Schritt anhielt, als ob seine Schmerzen ihn dazu nötigten, doch in der Tat nur, um die vor ihm befindlichen Physiognomien zu beobachten. Ein Blick auf sie genügte ihm.

Sein Gefolge blieb am Eingange des königlichen Zeltes, und von allen den darin Befindlichen besaß nicht einer die Zuversicht, sich gegen ihn zu verbeugen oder einen Blick auf ihn zu werfen; La Vallette sogar stellte sich, als sei er von der Unterhaltung mit Montrésor ganz in Anspruch genommen, und der König, der sich vorgenommen hatte, den Minister schlecht zu empfangen, grüßte ihn nur leichthin und setzte sein leises Zwiegespräch mit dem Herzog von Beaufort fort.

Der Kardinal sah sich daher nach der ersten Begrüßung gezwungen, stille zu stehen und in die Reihe der Höflinge zu treten, als hätte er sich unter sie mischen wollen; seine Absicht war jedoch, sie einer näheren Prüfung zu unterwerfen. Sie wichen alle zurück, als hätten sie einen Aussätzigen gesehen; Fabert allein trat mit dem ihm eigenen freimütigen und barschen Wesen zu ihm heran und redete ihn mit den Ausdrücken seines Handwerkes an:

»Ei, gnädiger Herr! Sie machen ja gleich einer Kanonenkugel eine Bresche in diese Reihen; ich bitte um Verzeihung für Sie.«

»Und Sie stehen fest vor mir wie vor dem Feinde«, entgegnete ihm der Kardinal-Herzog; »das soll Sie in der Folge nicht verdrießen, mein lieber Fabert.«

Auch Mazarin näherte sich, doch vorsichtig, dem Kardinal und machte, seinen beweglichen Zügen den Ausdruck tiefer Traurigkeit gebend, fünf bis sechs Bücklinge vor ihm, indem er der den König umgebenden Gruppe den Rücken zukehrte, so daß man sie dort für jene kalten und eiligen Ehrenbezeugungen nehmen konnte, die man jemand macht, dessen man sich gern entledigen möchte, und von seiten des Herzogs für Beweise einer mit besonnenem und stillem Schmerz vermischten Achtung.

Seine Ruhe behauptend, zeigte der Minister nur ein verächtliches Lächeln; dann nahm er jenen festen Blick und jenes hohe Wesen an, die bei bevorstehenden Gefahren an ihm bemerklich waren, stützte sich wieder auf seine Pagen, faßte plötzlich seinen Entschluß, ohne ein Wort oder einen Blick seines Monarchen zu erwarten, und ging, das Zelt seiner ganzen Länge nach durchschreitend, gerade auf ihn zu. Niemand hatte ihn, während man das Gegenteil zu tun schien, aus den Augen gelassen, alles schwieg, selbst die, welche mit dem König redeten, und alle Höflinge neigten sich vorwärts, um zu sehen und zu hören.

Erstaunt wandte sich Ludwig XIII. um, blieb, da ihm alle Gegenwart des Geistes mangelte, unbeweglich und erwartete den Kardinal mit einem eisigen Blicke, der seine ganze Kraft war, eine von großer Trägheit zeugende Kraft bei einem König.

Bei dem Monarchen angelangt, verbeugte sich der Kardinal nicht, sondern begann, ohne die Haltung zu ändern, mit gesenkten Augen und die beiden Hände auf die Schulter der halb unter der Last zusammengekrümmten Kinder legend:

»Sire, ich komme, Ew. Majestät zu bitten, mir endlich die Zurückziehung von den Geschäften zu gewähren, nach der ich schon so lange seufze. Meine Gesundheit ist schwankend; ich fühle, daß mein Leben zu Ende geht; ich nähere mich der Ewigkeit und bevor ich dem ewigen König Rechenschaft von meinem Tun ablege, will ich es auch dem irdischen König gegenüber tun. Vor acht Jahren, Sire, haben Sie ein schwaches und zerstückeltes Königreich in meine Hände gelegt; ich gebe es Ihnen vereinigt und mächtig zurück. Ihre Feinde sind geschlagen und gedemütigt. Mein Werk ist vollendet. Ich bitte Ew. Majestät um die Erlaubnis, mich nach Citeaux, wo ich Abt bin, zurückziehen zu dürfen, um daselbst meine Tage unter Gebet und frommen Betrachtungen zu beschließen.«

Verletzt über einige hochmütige Ausdrücke dieser Rede, gab der König keines jener Zeichen der Schwäche, die der Kardinal erwartete und die er jedesmal an ihm gesehen, so oft er ihm gedroht hatte, die Geschäfte niederzulegen. Da er sich von seinem ganzen Hof beobachtet fühlte, zeigte er ihm im Gegenteil den König und sagte kalt:

»So danken wir Ihnen denn für Ihre Dienste, Herr Kardinal, und wünschen Ihnen die Ruhe, um welche Sie nachsuchen.«

Richelieu ward tief ergriffen, jedoch von einem Gefühl des Zorns, das sich auch nicht unbedeutend auf seinen Zügen abspiegelte.

»Das ist ganz die Kälte«, sagte er bei sich selbst, »mit der du Montmorency sterben ließest, doch du sollst mir so leicht nicht entwischen.«

Mit einer Verbeugung begann er dann wieder:

»Die einzige Belohnung, die ich für meine Dienste verlange, ist, Ew. Majestät möchte geruhen, den aus meinen Sparpfennigen erbauten Kardinalspalast in Paris zum Geschenk anzunehmen.«

Der erstaunte König nickte einwilligend mit dem Kopfe. Ein Gemurmel der Überraschung durchlief einen Augenblick den aufmerksamen Hof.

»Ich werfe mich auch Ew. Majestät zu Füßen, daß Sie mir die Widerrufung einer (ich gestehe es öffentlich) von mir veranlaßten Strenge gewähren, die ich vielleicht als zu notwendig für die Ruhe des Staates betrachtete. Ja, da ich von dieser Welt war, vergaß ich um des allgemeinen Wohles willen meine alten Gefühle von Ehrerbietung und Anhänglichkeit zu sehr; jetzt da ich schon der Einsichten der Einsamkeit genieße, sehe ich, daß ich unrecht gehabt habe, und bereue es.«

Die Aufmerksamkeit verdoppelte sich und der König geriet in sichtliche Unruhe.

»Ja, es lebt eine Person, Sire, die ich immer geliebt habe, trotz des Unrechtes, dessen sie sich gegen Sie schuldig machte, und der Abneigung, welche ihr zu zeigen die Angelegenheiten des Königreichs mich zwangen; eine Person, welcher ich viel verdankte und die Ihnen, ungeachtet ihrer Unternehmungen mit bewaffneter Hand gegen Sie selbst, teuer sein muß; eine Person endlich, welche ich Sie bitte, aus der Verbannung zurückzurufen; ich meine die Königin Maria von Medicis, Ihre Mutter.«

Unwillkürlich entfuhr dem König ein Schrei, soweit entfernt war er, diesen Namen zu erwarten. Eine rasch unterdrückte Aufregung zeigte sich auf allen Physiognomien. Man erwartete schweigend die Antwort des Königs.

Sprachlos schaute Ludwig XIII. lange seinen alten Minister an, und dieser Blick auf ihn entschied über das Schicksal Frankreichs. In einem Augenblick erinnerte er sich aller der unermüdlichen Dienste Richelieus, seiner grenzenlosen Ergebenheit, seiner staunenswürdigen Fähigkeiten, und konnte nicht begreifen, daß er sich von ihm loszusagen beabsichtigt hatte; er fühlte sich durch diese Bitte, die seinen Zorn aus der geheimsten Falte seines Herzens verscheuchte und seinen Händen die einzige Waffe entwand, die er gegen seinen alten Diener hatte, tief gerührt; die kindliche Liebe brachte Verzeihung auf seine Lippen und Tränen in seine Augen; glücklich, das gewähren zu können, was sein heißester Wunsch war, reichte er dem Herzog die Hand mit dem ganzen edlen Anstand und der Güte eines Bourbon. Der Kardinal verbeugte sich, küßte sie mit Ehrerbietung, und sein Herz, das vor Reue hätte brechen sollen, füllte sich nur mit der Freude eines stolzen Triumphes.

Gerührt überließ ihm der König seine Hand, wandte sich anmutig nach seinem Hofe um und sagte mit stark bewegter Stimme:

»Wir irren uns oft, meine Herren, besonders in einem so großen Politiker, wie dieser ist; ich hoffe, er wird uns nie verlassen, weil er ein ebenso gutes Herz als einen guten Kopf hat.«

Alsobald ergriff der Kardinal La Vallette den Saum des königlichen Mantels, um ihn mit dem Feuer eines Liebhabers zu küssen, und der junge Mazarin benahm sich beinahe auf die nämliche Weise gegen den Herzog von Richelieu, indem er mit der bewunderungswürdigen italienischen Geschmeidigkeit sein Gesicht in Freude und Rührung erstrahlen ließ.

Jetzt stürmten zwei Wogen Schmeichler, die eine auf den König, die andere auf den Minister ein, die erstere Gruppe richtete Danksagungen an den König, die der Minister hören konnte, und benahm sich somit nicht weniger geschickt als die zweite, wenn sie diesem auch weniger direkt huldigte und den Weihrauch, den sie dem einen bestimmte, zu den Füßen des anderen opferte.

Richelieu, mit einem Kopfnicken zur Rechten und einem Lächeln zur Linken, trat ein paar Schritte vor und stellte sich zur Rechten des Königs, als an den ihm gebührenden Platz. Ein Fremder hätte beim Eintreten den zur Rechten Befindlichen für den König gehalten.

Der Marschall von Estrées nebst allen Gesandten, der Herzog von Angoulême, der Herzog von Halluin (Schomberg), der Marschall von Chatillon und alle hohen Offiziere der Armee und der Krone umringten ihn und jeder von ihnen wartete ungeduldig, bis der andere sein Kompliment beendigt hätte, um das seinige anzubringen, und in Besorgnis, es möchte sich ein anderer des schmeichelhaften, soeben improvisierten Madrigals oder der von ihm erfundenen neuen Art von Lobhudelei bemächtigen.

Fabert hatte sich in einen Winkel des Zeltes zurückgezogen und schien dieser ganzen Szene keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Er sprach mit Montrésor und den Edelleuten Monsieurs, lauter geschworenen Feinden des Kardinals, weil er außerhalb der Menge, die er floh, nur diese gefunden hatte, mit denen er reden konnte. Ein solches Benehmen wäre bei jedem anderen, den man weniger gekannt hätte, von äußerster Unklugheit gewesen; allein man wußte, daß inmitten des Hoflebens dessen Intrigen ihm stets fremd blieben, und es hieß von ihm, daß er von einer gewonnenen Schlacht zurückkehre wie das Pferd des Königs von der Jagd, das den Hunden überlasse, ihrem Herrn zu schmeicheln und sich in das Jägerrecht zu teilen, ohne den Anteil, den es an dem Sieg gehabt hatte, ins Gedächtnis rufen zu wollen.

Der Sturm schien nun ganz beschwichtigt, und den heftigen Aufregungen des Morgens folgte eine angenehme Ruhe; ein zuweilen durch freundliches Lachen unterbrochenes ehrerbietiges Gemurmel und laute Beteuerungen der Anhänglichkeit waren alles, was man in dem Zelte hören konnte. Hie und da ließ sich auch die Stimme des Kardinals vernehmen und einmal rief er sogar:

»Diese arme Königin! Wir werden sie also wiedersehen! Ich hatte nie gewagt zu hoffen, daß dieses Glück mir noch vor meinem Tode zuteil würde!«

Der König hörte ihn voller Vertrauen an und suchte seine Befriedigung keineswegs zu verbergen.

»Das ist wahrlich ein Gedanke, der ihm von oben herab eingegeben wurde«, äußerte er sich; »dieser gute Kardinal, gegen den man mich so sehr aufgebracht hatte, dachte nur an die Vereinigung meiner Familie; seit der Geburt des Dauphins ward mir keine lebhaftere Freude als die dieses Augenblicks zuteil. Die heilige Jungfrau waltet sichtlich mit ihrem Schutze über unserem Königreich.«

In diesem Augenblick trat ein Gardekapitän ein und flüsterte dem König etwas ins Ohr.

»Ein Kurier von Köln?« sagte der König, »er möge mich in meinem Kabinett erwarten.«

Und seiner Ungeduld nicht länger gebietend, fügte er gegen die Anwesenden hinzu: »Ich muß hin, ich muß hin.«

Er betrat dann ein kleines, viereckiges, an das große stoßendes Zelt. Man erblickte einen jungen Kurier darin, der eine schwarze Mappe hielt; die Vorhänge schlossen sich hinter dem König.

Der Kardinal, der nun alleiniger Beherrscher des Hofes geblieben war, wurde der Mittelpunkt aller Vergötterungen desselben, man bemerkte jedoch, daß er sie nicht mehr mit der nämlichen Geistesgegenwart empfing; er fragte mehrmals wie viel Uhr es sei, und zeigte eine Verwirrung, die keine erheuchelte war; seine harten und unruhigen Blicke wandten sich nach dem Kabinett, bis sich dieses plötzlich öffnete und der König wieder erschien. Er war allein, stand am Eingange des großen Zeltes still, sein Gesicht war blässer als sonst und er zitterte am ganzen Leibe; in der Hand hielt er einen großen Brief mit fünf schwarzen Siegeln.

»Meine Herren«, sagte er mit lauter, aber stockender Stimme; »die Königin-Mutter ist in Köln gestorben, – und ich war vielleicht nicht der erste, der es erfuhr«, fügte er mit einem strengen Blick auf den kalt dastehenden Kardinal hinzu; »doch Gott ist allwissend. – In einer Stunde zu Pferde und die Linien angegriffen! Ihr Herren Marschälle folgt mir.«

Und er kehrte sich barsch um und ging mit ihnen in sein Kabinett zurück.

Nachdem sich der Minister, ohne ein Zeichen von Traurigkeit oder Zorn blicken zu lassen, mit dem gemessenen Ernste, mit dem er eingetreten war, jedoch als Sieger, entfernt hatte, zerstreute sich der Hof.



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