Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Drittes Kapitel. Der gute Priester

Jetzt, da die teuflische Prozession in ihren Schauspielsaal eingetreten ist, wollen wir, während sie die Anordnungen zu ihrer blutigen Vorstellung trifft, schauen, was Cinq-Mars inmitten der aufgeregten Zuschauer getan hatte. Die Natur hatte ihn mit einem großen Takt begabt, und er fühlte, daß er seinen Zweck, den Abbé Quillet aufzusuchen, in einem Augenblick, wo die Gärung der Gemüter aufs höchste gestiegen war, nicht so leicht erreichen werde. Er blieb daher mit seinen vier Dienern, ohne abzusteigen, in einem kleinen, sehr dunklen Gäßchen, das in die Hauptstraße ausmündete, von wo er den ganzen Vorgang leicht mit ansehen konnte.

Anfangs achtete niemand auf ihn; als aber die Neugier des Publikums kein anderes Nahrungsmittel mehr fand, wurde er der Gegenstand, auf den sich alle Blicke hefteten. Von so vielerlei Szenen ermüdet, betrachteten ihn die Einwohner ziemlich mißliebig und fragten sich halblaut, ob sie in diesem Fremden wohl wieder einen Teufelsbanner zu schauen bekämen; einige Bauern begannen sogar zu bemerken, daß er mit seinen fünf Pferden die Straße versperre; er sah daher ein, daß es Zeit sei, einen Entschluß zu fassen, und indem er sich ohne Zögern die am besten gekleideten Leute ausersah, wie ein jeder an seiner Stelle tun würde, ritt er mit seinem Gefolge vorwärts und, den Hut in der Hand, der mehr erwähnten schwarzen Gruppe zu, woselbst er sich an die Person, die ihm die vornehmste schien, mit den Worten wendete:

»Mein Herr, wo kann ich wohl den Herrn Abbé Quillet finden?«

Bei diesem Namen schaute ihn jedermann mit einer Miene des Entsetzens an, als hätte er den Lucifers ausgesprochen. Indes zeigte sich niemand verletzt dadurch, es schien im Gegenteil, als ließe diese Frage eine günstige Meinung in den Gemütern für ihn entstehen. Überdies hatte ihm der Zufall in seiner Wahl gut gedient. Der Graf du Lude trat mit einer Verbeugung an sein Pferd heran und sagte:

»Steigen Sie nur ab, mein Herr, ich kann Ihnen in bezug auf diesen nützliche Mitteilungen machen.«

Nach einer ganz leisen Unterredung trennten sich beide mit der zeremoniellen Höflichkeit jener Zeit. Cinq-Mars bestieg seinen Grauschimmel wieder und befand sich, mehrere Seitengäßchen einschlagend, mit seinem Gefolge bald außerhalb der Menge.

»Welch ein Glück!« sagte er unterwegs bei sich; »so werde, ich wenigstens einen Augenblick den guten, sanften Abbé sehen, der mich erzogen hat; ich erinnere mich noch immer seiner Züge, seines ruhigen Wesens und seiner wohlwollenden Stimme.«

Während er mit Rührung alles dessen gedachte, war er in ein kleines, ganz dunkles Gäßchen gelangt, das man ihm bezeichnet hatte; es war so schmal, daß die Stulpen seiner Stiefel zu jeder Seite die Mauern berührten. Am Ende desselben fand er ein einstöckiges, hölzernes Häuschen, an das er in seiner ungeduldigen Eile mit verdoppelten Schlägen pochte.

»Wer da?«' schrie eine wütende Stimme, und fast zur gleichen Zeit ließ die geöffnete Tür ein dickes, kurzes und ganz rotes Männchen erblicken, das ein schwarzes Priesterkäppchen, eine mächtige weiße Krause und Reitstiefel trug, deren ungeheure Rohre seine kleinen Beine ganz verschlangen; in seiner Hand hielt er zwei Sattelpistolen.

»Ich werde mein Leben teuer verkaufen!« schrie er, »und . . .«

»Sachte, Abbé, sachte«, sagte sein Zögling, seinen Arm ergreifend; »wir sind ja Freunde.«

»Ach, mein armes Kind«, sagte der gute Mann, indem er seine Pistolen fallen ließ, die von einem ebenfalls bis an die Zähne bewaffneten Bedienten sorgfältig aufgehoben wurden. »Ei, was führt Sie denn hierher? Der Greuel hat seinen Sitz hier aufgeschlagen, und ich erwarte nur die Nacht, um abzureisen. Schnell herein, mein Freund, Sie und Ihre Leute; ich hielt Sie für Laubardemonts Häscher und wollte, meiner Treu, ein bißchen aus meinem Charakter fallen. Sehen Sie diese Pferde; ich gehe nach Italien zu unserem Freunde, dem Herzog von Bouillon. Jean, Jean, schließt schnell die Haustür hinter diesen wackeren Dienern und ersucht sie, nicht zu viel Geräusch zu machen, wiewohl keine Wohnung hier in der Nähe ist.«

Grandchamp gehorchte dem unerschrockenen Abbé, der, auf den Zehenspitzen stehend, um Cinq-Mars an die Brust zu reichen, diesen zu wiederholten Malen umarmte. Er führte ihn schnell in eine enge Kammer, die ehemals ein Speicher gewesen zu sein schien, und begann, sich mit dem jungen Mann auf einen schwarzledernen Koffer setzend, mit Wärme:

»Ei, mein Kind, wohin gehen Sie? Was denkt die Frau Marschallin, Sie hierher kommen zu lassen? Sehen Sie nicht, was man alles gegen einen Unglücklichen vornimmt, der zugrunde gerichtet sein muß? Ach, guter Gott, und das sollte das erste Schauspiel sein, das meinem teuren Zögling unter die Augen kommen mußte? Ach, Himmel, und gerade in diesem schönen Alter, wo Freundschaft, zarte Liebe, sanftes Vertrauen Sie umgeben, wo bei Ihrem Eintritt in die Welt alles Sie mit einer guten Meinung von unserem Geschlechte erfüllen sollte! Welch Unglück! Ach, mein Gott, warum mußten Sie nur kommen?«

Als der gute Abbé, der die Hände des jungen Reisenden voll Herzlichkeit in seinen roten, gerunzelten Händen preßte, mit seinem Jammer zu Ende war, gewann sein Zögling endlich Zeit, ihm zu sagen:

»Aber erraten Sie denn nicht, mein lieber Abbé, daß ich nach Loudun gekommen bin, weil ich Sie hier wußte. Was die Auftritte betrifft, von denen Sie sprechen, so erschienen mir dieselben bloß lächerlich, und ich schwöre Ihnen, daß ich deshalb das Menschengeschlecht, von dem Ihre Tugenden und Ihre guten Lehren mir eine treffliche Idee beigebracht haben, nicht weniger liebe, und weil fünf bis sechs Törinnen . . .«

»Verlieren wir keine Zeit; Sie sollen diese Torheit erfahren, ich will sie Ihnen auseinandersetzen. Doch antworten Sie, wohin gehen Sie, was beginnen Sie?«

»Ich gehe nach Perpignan, wo der Kardinal-Herzog mich dem Könige vorstellen soll.«

Bei diesen Worten sprang der gute und lebhafte Abbé von seinem Koffer auf und, die Kammer auf und ab laufend oder vielmehr rennend und dabei mit dem Fuße stampfend, wiederholte er keuchend, über und über rot und mit Tränen in den Augen:

»Der Kardinal! Der Kardinal! Armes Kind, sie werden ihn zugrunde richten! Ach, mein Gott, welche Rolle wollen sie ihn denn dort spielen lassen? Was beabsichtigen sie mit ihm? – Ach, wer wird in diesem gefährlichen Lande über Sie wachen, mein Freund?« sagte er, sich wiederum setzend und von neuem mit väterlicher Besorgnis die Hände seines Zöglings in die seinigen schließend, indem er zugleich in seinen Blicken zu lesen suchte.

»Hm, das weiß ich gerade nicht«, sagte Cinq-Mars, zur Decke aufblickend; »aber ich denke wohl der Kardinal von Richelieu, der ein Freund meines Vaters war.«

»Ach, mein teurer Henri, Sie machen mich zittern; er wird Sie zugrunde richten, wenn Sie nicht sein williges Werkzeug abgeben. Ach, daß ich nicht mit Ihnen gehen kann! Warum mußte ich in dieser unglückseligen Geschichte einen zwanzigjährigen Kopf zeigen! . . . Ach nein, ich wäre Ihnen gefährlich; ich muß mich im Gegenteil verbergen. Sie werden aber Herrn von Thou an Ihrer Seite haben, mein Sohn, nicht wahr?« sagte er, indem er sich zu beruhigen suchte; »er ist Ihr Freund aus den Kinderjahren, ein bißchen älter als Sie; auf den hören Sie, mein Kind; es ist ein kluger junger Mann; er denkt, er hat seine eigenen Ansichten.«

»O gewiß, mein lieber Abbé, Sie dürfen auf meine Anhänglichkeit an ihn rechnen; ich habe nie aufgehört, ihn zu lieben . . .«

»Aber wahrscheinlich aufgehört, ihm zu schreiben, nicht wahr?« entgegnete lächelnd der gute Abbé.

»Um Verzeihung, mein guter Abbé, ich schrieb ihm einmal und gestern wieder, um ihm anzuzeigen, daß der Kardinal mich an den Hof berief.«

»Wie! Er selbst wollte Sie haben!«

Cinq-Mars zeigte ihm nun den Brief des Kardinal-Herzogs an seine Mutter, und sein alter Lehrer beruhigte und besänftigte sich allmählich.

»So, so«, sagte er ganz leise, »so, das ist nicht übel, das verspricht etwas: mit zwanzig Jahren Kapitän der Garde, das ist nicht übel.«

Und er lächelte.

Entzückt, dieses Lächeln zu sehen, das endlich zu seinen Hoffnungen stimmte, sprang der junge Mann dem Abbé an den Hals und umarmte ihn, als hätte er sich einer ganzen Zukunft von Vergnügen, Ruhe und Liebe bemächtigt.

Mühsam entwand sich indes der gute Abbé dieser feurigen Umhalsung und setzte seinen Spaziergang und seine Betrachtungen fort. Er hustete und schüttelte den Kopf oft, und Cinq-Mars, der die Unterhaltung nicht wieder aufzunehmen wagte, folgte ihm mit den Augen und wurde traurig, als er ihn in seinen Ernst zurückfallen sah.

Endlich setzte sich der Greis von neuem und begann in ernstem Tone folgende Rede:

»Mein Freund, mein Kind, ich habe mit den Gefühlen eines Vaters für Sie Ihre Hoffnungen geteilt; dennoch muß ich Ihnen sagen, ohne Sie betrüben zu wollen, daß dieselben mir übertrieben und unnatürlich scheinen. Bezweckte der Kardinal nur, Ihrer Familie einen Beweis von Anhänglichkeit und Erkenntlichkeit zu geben, so würde er in seinen Gunstbezeugungen nicht so weit gehen; es ist jedoch wahrscheinlich, daß er die Augen auf Sie geworfen hat. Nach dem, was man ihm von Ihnen gesagt haben wird, scheinen Sie ihm geeignet, diese oder jene unmöglich zu erratende Rolle zu spielen, deren Nutzanwendung er im innersten Schlupfwinkel seiner Gedanken ausgeheckt haben wird. Er will Sie zu ihr heranbilden, dazu dressieren, nehmen Sie mir diesen Ausdruck seiner Richtigkeit wegen nicht übel und denken Sie, wenn einst die Zeit kommen wird, ernstlich darüber nach; doch gleichviel: wie die Sachen jetzt stehen, glaube ich, Sie werden gut tun, die betretene Laufbahn zu verfolgen; so hat schon manches große Glück begonnen; es handelt sich nur darum, sich nicht blenden und beherrschen zu lassen. Lassen Sie sich durch die Gunst nicht betäuben und durch Erhebung nicht schwindlig machen; diese Mahnung verletze Sie nicht, mein armes Kind, das ist schon Älteren, als Sie sind, begegnet. Schreiben Sie mir sowie Ihrer Mutter oft; schließen Sie sich an Herrn von Thou an und wir werden trachten, Ihnen guten Rat zu erteilen. Inzwischen, mein Sohn, haben Sie die Güte, jenes Fenster zu schließen, da sonst mein Kopf zu sehr dem Luftzug ausgesetzt ist, und ich will Ihnen erzählen, was hier vorgefallen ist.«

Hoffend, den moralischen Teil der Unterhaltung zu Ende gehört zu haben, und im zweiten nur noch eine Erzählung erblickend, schloß Henri schnell das alte, mit Spinngeweben tapezierte Fenster und kehrte, ohne zu reden, an seinen Platz zurück.

»Bei reiflicher Überlegung fällt mir eben jetzt ein, daß es vielleicht nicht ohne Nutzen für Sie ist, hier durchgereist zu sein, obwohl Sie auf diesem Wege eine traurige Erfahrung finden mußten; sie wird jedoch ergänzen, was ich Ihnen vormals von der Verkehrtheit und Verdorbenheit der Menschen zu sagen unterlassen habe; übrigens hoffe ich, es werde kein blutiges Ende nehmen, und der Brief, den wir an den König geschrieben, noch zu rechter Zeit anlangen.«

»Ich hörte, er sei aufgefangen worden«, sagte Cinq-Mars.

»Dann ist's um ihn geschehen«, fuhr der Abbé Quillet fort, »dann ist der Pfarrer verloren. Doch hören Sie genau.

Gott verhüte, mein Kind, daß ich, Ihr alter Lehrer, mein eigenes Werk zerstören und Ihrem Glauben Abbruch tun wollte. Wahren Sie ihn immer und überall, jenen einfachen Glauben, worin Ihre edle Familie Ihnen voranleuchtet, den unsere Väter noch stärker als wir besaßen und dessen sich die höchsten Häupter unserer Zeit nicht schämen. Indem Sie Ihren Degen tragen, erinnern Sie sich, daß er Gott angehört. Aber auch inmitten des Menschengewühls suchen Sie sich durch den Heuchler nicht täuschen zu lassen; er wird Sie umschleichen, mein Sohn, Sie an der verwundbaren Seite Ihres redlichen Herzens fassen, indem er zu Ihrer Religion redet; und, Zeuge der Übertreibungen seines erheuchelten Eifers, werden Sie sich neben ihm für lau halten, werden Sie glauben, Ihr Gewissen klage Sie bei Ihnen selbst an; doch es ist nicht die Stimme des Gewissens, die Sie hören werden. Wieviel lauter würde sie sich vernehmen lassen, wieviel schrecklicher würde sie zürnen, wenn Sie beigetragen hätten, die Unschuld zu verderben, indem sie selbst den Himmel zu einem falschen Zeugnis gegen sie anriefen.«

»O, mein Vater, wäre so etwas möglich?« sagte Henri d'Effiat, die Hände faltend.

»Es steht nur zu sehr in Wirklichkeit vor uns«, fuhr der Abbé fort; »Sie haben die teilweise Bestrafung desselben diesen Morgen mit angesehen. Gebe Gott, daß Sie nicht noch Zeuge größerer Greuel werden müssen! Doch hören Sie wohl: was Sie auch vorgehen sehen mögen, welches Verbrechen man auch zu begehen wage, ich beschwöre Sie im Namen Ihrer Mutter und alles dessen, was Ihnen teuer ist, reden Sie nicht ein Wort, erlauben Sie sich nicht eine Gebärde, die irgend eine Meinung über die Begebenheit bekundet. Ich kenne Ihren feurigen Charakter, Sie haben ihn von dem Marschall, Ihrem Vater, geerbt, mäßigen Sie ihn oder Sie sind verloren; diese kleinen Aufwallungen des Blutes verschaffen wenig Befriedigung und ziehen große Unannehmlichkeiten nach sich; ich sah Sie allzusehr dazu geneigt, wüßten Sie nur, wieviel Überlegenheit über die Menschen uns die Ruhe verleiht! Die Alten hatten sie der Stirn der Gottheit als deren schönstes Attribut aufgedrückt, weil sie beweist, daß sie über unsere Befürchtung und Hoffnungen, über unsere Vergnügen und Leiden erhaben ist. Bleiben Sie daher teilnahmlos bei den Szenen, die sie sehen werden, mein liebes Kind; aber sehen Sie dieselben mit an, das ist nötig; wohnen Sie dem unglückseligen Gerichte bei; ich für mich will die Folgen meiner schülerhaften Dummheit leiden, die Sie jetzt vernehmen sollen; sie wird Ihnen zeigen, daß man mit einem Kahlkopf noch ein Kind sein kann, wie unter Ihren schönen kastanienbraunen Haaren.«

Hier faßte der Abbé Quillet seines Zöglings Kopf mit beiden Händen. Dann fuhr er fort:

»Die Neugier trieb mich, wie jeden anderen, mein lieber Sohn, die Teufel der Ursulinerinnen zu sehen; und da ich wußte, daß sie sich durch das Reden in allen Sprachen ankündigten, hatte ich die Unvorsichtigkeit, das Latein aufzugeben und einige Fragen in griechischer Sprache an sie zu richten; die Priorin ist sehr hübsch, allein in dieser Sprache konnte sie nicht antworten. Der Arzt Ducan machte dann ganz laut die Bemerkung, wie überraschend es sei, daß der Dämon, dem doch nichts unbekannt bliebe, sich so viele Barbarismen und Sprachfehler zuschulden kommen lasse und nicht auf Griechisch antworten könne. Die junge Priorin, die eben auf ihrem Paradebett lag, wandte sich um gegen die Mauer, um zu weinen und sagte leise zum Pater Barré: Mein Herr, ich halte es nicht mehr aus! Das wiederholte ich laut und brachte die Teufelsbanner alle damit in die äußerste Wut; sie schrien, ich möchte nur wissen, daß es Teufel gebe, die weit unwissender seien als die Bauern, und sagten, daß wir an ihrer physischen Macht und Kraft nicht würden zweifeln können, da die Geister namens Gresil vom Orden der Thronen, Aman vom Orden der Macht und Asmodeus versprochen hätten, Herrn von Laubardemonts Scheitelkäppchen wegzutragen. Sie bereiteten sich eben darauf vor, als der Chirurg Duncan, der ein gelehrter und rechtlicher Mann, dabei aber ein bißchen Spötter ist, sich einfallen ließ, an einem Faden zu ziehen, den er, gleich einer Klingelschnur an einer Säule befestigt und ganz nahe an dem Maître des Requêtes vorbeilaufend, entdeckte. Jetzt ward er als ein Hugenotte verschrien, und ich glaube, er würde sich schlecht aus dem Handel ziehen, wenn der Marschall von Brézé nicht sein Gönner wäre. Mit seinem gewohnten Gleichmut trat dann der Herr Graf du Lude vor und bat die Teufelsbanner, ihre Kunst in seiner Anwesenheit anzuwenden. Pater Lactance, jener Kapuziner mit dem so arg schwarzen Gesicht und dem harten Blicke, hat sich dann der Schwester Agnes und der Schwester Klara angenommen, seine beiden Hände erhoben und, Blicke auf sie werfend wie die Schlange auf zwei Tauben, mit einer fürchterlichen Stimme gerufen: Quis te misit, Diabole? Und wie aus einem Munde sprachen die beiden Mädchen: Urbanus. Er wollte eben fortfahren, als Herr du Lude, mit zerknirschter Miene eine kleine goldene Büchse herausnehmend, sagte, er hätte da eine von seinen Ahnen ererbte Reliquie und möchte, da er nicht zweifle, daß die Nonnen besessen seien, doch einen Versuch damit anstellen. Entzückt bemächtigte sich Pater Lactance des Büchschens und hatte kaum damit die Stirn der beiden Mädchen berührt, als diese Füße und Hände krümmten und ungeheure Sprünge machten; Lactance heulte seine Beschwörungsformeln, Barré warf sich mit allen den alten Weibern auf die Knie, Mignon und die Richter klatschten in die Hände. Teilnahmlos machte Laubardemont (weshalb traf ihn der Blitz des Himmels nicht?) das Zeichen des Kreuzes. Als Herr du Lude sein Büchschen wieder zur Hand nahm, wurden die Nonnen ruhig.

»Ich glaube nicht« sagte Lactance stolz, »daß Sie an der Echtheit Ihrer Reliquie zweifeln werden.«

»Nicht mehr als an der des Besitzes«, antwortete Herr du Lude, sein Büchslein öffnend; es war leer.

»Meine Herren, Sie spotten unser«, sagte nun Lactance.

Ich war entrüstet über diese Mummereien und entgegnete ihm:

»Ja, mein Herr, wie Sie Gottes und der Menschen spotten. – Deshalb, mein lieber Freund, sehen Sie mich in so schweren und so dicken Siebenmeilenstiefeln, die mich an den Füßen schmerzen, und mit langen Pistolen, denn unser Freund Laubardemont hat einen Haftbefehl gegen mich ergehen lassen, und ich will ihm meinen Körper nicht lassen, so alt er ist.«

»Aber ist er denn so mächtig?« rief Cinq-Mars.

»Mächtiger als man glaubt und glauben kann; ich weiß, daß die besessene Äbtissin seine Nichte ist und er mit einem Ratsbeschluß versehen wurde, der ihm befiehlt, zu richten, ohne sich an alle die Appellationen zu kehren, die beim Parlamente, dem der Kardinal alle Einmischung in den Prozeß des Urbain Grandier untersagte, eingereicht sind.«

»Und welches sind denn seine Vergehen?« fragte der junge Mann, der sich schon lebhaft für die Geschichte zu interessieren begann.

»Die einer starken Seele, eines überlegenen Geistes, eines unbeugsamen Willens, der die Macht gegen sich aufgereizt, und einer tiefen Leidenschaft, die sein Herz hingerissen hat und ihn die einzige Todsünde, die ihm meines Dafürhaltens zum Vorwurf gemacht werden kann, begehen ließ; allein nur durch eine gewaltsame Verletzung des Geheimnisses seiner Papiere, nur indem man diese seiner achtzigjährigen Mutter, Jeanne d'Estièvre entriß, erfuhr und veröffentlichte man seine Liebe zu der schönen Madelaine de Brou; das junge Mädchen hatte sich geweigert, zu heiraten und wollte den Schleier nehmen. Möchte dieser Schleier ihr den heutigen Auftritt verborgen haben! Grandiers Beredsamkeit und seine engelgleiche Schönheit haben oft Frauen begeistert, die von weither kamen, um ihn reden zu hören; ich sah deren, die während seiner Predigten ohnmächtig wurden, andere, die riefen, er sei ein Engel, und seine Kleider berührten und seine Hände küßten, wenn er von der Kanzel stieg. So viel ist gewiß, daß sowohl seiner Schönheit als der Erhabenheit seiner stets begeisterten Vorträge nichts gleichkam; der reine Honig der Evangelisten einte sich auf seinen Lippen mit der sprühenden Flamme der Prophezeiungen, und aus dem Ton seiner Stimme ließ sich ein Herz voll heiligen Erbarmens mit den Gebrechen und dem Elend der Menschen und voller Tränen, die für uns zu fließen bereit sind, ahnen.«

Der gute Priester unterbrach sich, weil er selbst Tränen in den Augen hatte und seine Stimme stockte; sein rundes und von Natur heiteres Gesicht war in diesem Zustand rührender als ein anderes, denn die Traurigkeit schien dasselbe sonst nicht erreichen zu können. Immer bewegter drückte ihm Cinq-Mars die Hand, ohne etwas zu sagen, aus Furcht, er möchte ihn unterbrechen. Der Abbé zog ein rotes Sacktuch hervor, wischte sich die Augen ab, schneuzte sich und fuhr fort:

»Dieser fürchterliche Angriff auf Urbain von seiten aller seiner Feinde ist der zweite; er war schon angeklagt worden, die Nonnen behext zu haben, und wurde dann von heiligen Prälaten, weisen Magistraten und gelehrten Ärzten verhört, die, alle entrüstet, diese Teufel menschlicher Fabrikation zum Schweigen gebracht, ihn selbst aber von aller Schuld freigesprochen hatten. Der gute und fromme Erzbischof von Bordeaux begnügte sich, die Examinatoren dieser angeblichen Teufelsbanner selbst zu wählen, und infolge seiner Verordnung flohen diese Propheten und ihre Hölle schwieg. Gekränkt jedoch durch die Öffentlichkeit der Debatten und beschämt, Grandier von unserem guten König, als er sich ihm in Paris zu Füßen warf, wohl aufgenommen zu sehen, wurde ihnen klar, daß, wenn er triumphierte, sie verloren wären und als Betrüger angesehen würden; schon schien das Kloster der Ursulinerinnen nur noch der Schauplatz der unwürdigsten Komödien und die Nonnen schamlose Schauspielerinnen zu sein; mehr als hundert gegen den Pfarrer erbitterte Personen hatten sich kompromittiert, in der Hoffnung, ihn zugrunde zu richten; weit entfernt, sich aufzulösen, sammelte ihre Verschwörung nach ihrem ersten Unterliegen nur neue Kräfte. Lassen Sie sich nun mit den Mitteln, die seine unversöhnlichen Feinde jetzt anwandten, bekanntmachen.

Kennen Sie einen Mann, den man die graue Eminenz nennt, jenen gefürchteten Kapuziner, den der Kardinal zu allem gebraucht, den er oft zu Rate zieht, immer aber verachtet? An diesen haben sich die Kapuziner von Loudun gewandt. Eine Frau der unteren Volksklasse dieses Landes, namens Hamon, hatte das Glück, der Königin auf ihrer Reise durch diese Gegend besonders zu gefallen, so daß sie sie in ihre Dienste nahm. Sie wissen, welcher Haß zwischen ihrem und des Kardinals Hofe besteht, Sie wissen, daß Anna von Österreich und der Herzog von Richelieu sich einige Zeit die Gunst des Königs streitig gemacht haben und daß Frankreich am Abend nie wußte, welche dieser beiden Sonnen am Morgen aufgehen würde. In einem Zeitpunkt, wo der Kardinal ein bißchen in Schatten getreten war, erschien eine Satire, die aus dem Planetensystem der Königin hervorgegangen war und den Titel führte: Die Schuhmacherin der Königin-Mutter; es war ein gemeines Machwerk, enthielt aber so schimpfliche Angaben über die Geburt und die Person des Kardinals, daß die Feinde dieses Ministers sich ihrer bemächtigten und ihr zu einer Verbreitung verhalfen, die fürchterlich ärgerte. Man brachte darin, heißt es, viele Intrigen und Geheimnisse an den Tag, die er undurchdringlich glaubte; er las das anonyme Machwerk und wollte den Verfasser davon wissen. Jetzt schrieben die Kapuziner dieser Stadt dem Pater Joseph, daß eine fortwährende Korrespondenz zwischen Grandier und der Hamon sie außer Zweifel lasse, daß er der Verfasser dieser Schmähschrift sei. Vergeblich hatte er kurz vorher Gebet- und Erbauungsbücher veröffentlicht, deren Stil allein ihn von aller Beteiligung an einer in der Pöbelsprache abgefaßten Lästerschrift freisprechen mußte; allein längst schon gegen Urbain eingenommen, wollte der Kardinal den Schuldigen nur in ihm finden; man erinnerte ihn, daß, als er noch Prior von Coussay war, Grandier ihm den Rang streitig machte, ja sogar den Vorrang vor ihm gewann, und ich müßte mich sehr täuschen, wenn dies seinen Fuß nicht ins Grab brächte . . .«

Ein düsteres Lächeln auf den Lippen des guten Abbé begleitete dieses Wort.

»Wie! Sie glauben, es könnte zu einem Todesurteil kommen?«

»Ja, mein Kind, ja, zu einem Todesurteil; schon hat man ihm alle Beweisstücke und freisprechenden Urteile, die zu seiner Verteidigung dienen konnten, trotz des Widerstandes seiner Mutter, welche dieselben als eine ihrem Sohne erteilte Lebensschenkung aufbewahrt hatte, weggenommen; schon stellte man sich, ein in seinen Papieren vorgefundenes Werk gegen das Zölibat der Priester so anzusehen, als sei es bestimmt, die Spaltung der Kirche fortzupflanzen. Es ist unstreitig sehr strafbar, und wie rein auch die Liebe sein möge, welche Veranlassung zu dem Werke war, so ist es bei einem Manne, der Gott allein geweiht ist, ein ungeheurer Fehler; der arme Priester war jedoch weit entfernt, die Ketzerei ermutigen zu wollen, und es heißt, er habe es einzig und allein geschrieben, um die Gewissensbisse des Fräuleins von Brou zu beschwichtigen. Man sah indes wohl ein, daß seine wirklichen Fehler nicht hinreichten, um sein Todesurteil sprechen zu können, und so hat man die längst eingeschlafene Beschuldigung des Behexens wieder aufgewärmt, und der Kardinal, indem er sich stellt, als glaube er daran, einen neuen Gerichtshof errichtet, an dessen Spitze er Laubardemont setzte; das ist das Signal zu Grandiers Tode. Ach, gebe der Himmel, daß Sie nie kennen lernen, was die Verdorbenheit der Regierungen Staatsstreiche nennt.«

In diesem Augenblick ertönte ein fürchterlicher Schrei jenseits einer kleinen Mauer des Hofes; erschrocken sprang der Abbé auf, Cinq-Mars tat ein Gleiches.

»Es ist der Schrei eines Weibes«, sagte der Greis.

»Wie herzzerreißend er tönt!« bemerkte der junge Mann. »Was ist's denn?« rief er seinen Leuten zu, die alle zum Hof hinausgesprungen waren.

Sie antworteten, man höre nichts mehr.

»Gut, gut!« rief der Abbé, »macht weiter keinen Lärm.«

Er schloß das Fenster wieder und hielt sich beide Hände vor die Augen.

»Ach, welch ein Schrei, mein Kind!« hob er wieder an (er war sehr blaß), »welch ein Schrei! Er hat mir durch die Seele geschnitten; es muß ein Unglück vorgefallen sein. Ach, mein Gott, es hat mich ganz verstört, ich kann nicht weiterreden. Muß ich es denn gerade gehört haben, als ich von Ihrem Schicksal sprach! Mein teures Kind, Gott segne Sie! Knien Sie nieder.«

Cinq-Mars tat es und merkte an einem Kuß auf seine Haare, daß der Greis ihn gesegnet hatte; dieser hob ihn nun auf und sprach:

»Jetzt gehen Sie schnell, mein Freund, die Zeit eilt; man könnte Sie bei mir finden, drum fort; lassen Sie Ihre Leute und Ihre Pferde hier, hüllen Sie sich in einen Mantel und fort. Ich habe noch viel zu schreiben, bevor mir die Dunkelheit erlaubt, mich auf den Weg nach Italien zu machen.«

Sie umarmten sich nochmals, versprachen, sich zu schreiben, und Henri entfernte sich. Der Abbé, dessen Blicke ihm durch das Fenster folgten, rief ihm noch zu:

»Seien Sie ja recht klug, was auch vorfallen mag!«

Und mit den Worten: »Armes Kind!« sandte er ihm nochmals seinen väterlichen Segen nach.



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