Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Neuntes Kapitel. Die Belagerung

Es gibt Momente im Leben, in denen man sehnlichst starke Erschütterungen wünscht, um kleine Schmerzen zu übertäuben; Zeiten, wo die Seele, ähnlich dem Löwen in der Fabel, und der beständigen Plagen des Insektes müde, einen stärkeren Feind wünscht und mit der ganzen Macht seiner Begierde Gefahren herbeiruft.

In einer solchen Gemütsstimmung, die stets aus einer krankhaften Empfindsamkeit der Organe und einer beständigen Unruhe des Herzens entsteht, befand sich Cinq-Mars. Müde, in seinem Inneren unablässig die Ereignisse, die er wünschte und die, welche er zu befürchten hatte, zusammenzustellen; müde, auf solche Wahrscheinlichkeiten seine ganze Berechnungsgabe zu verwenden; alles, was seine Erziehung ihn über das Leben berühmter Männer gelehrt hatte, zu Hilfe zu rufen, um es seiner gegenwärtigen Lage zur Seite zu stellen; von seiner Reue, von seinen Träumen, von Prophezeiungen, Schimären, Befürchtungen und all jener eingebildeten Welt, in welcher er während seiner einsamen Reise gelebt hatte, gepeinigt, atmete er wieder auf, als er sich in eine wirkliche, fast ebenso lärmende Welt geworfen sah, und das Gefühl zweier wirklicher Gefahren ließ sein Blut wieder rascher durch die Adern laufen und brachte seinem ganzen Wesen die Jugend zurück.

Seit jener nächtlichen Szene in dem Wirtshause bei Loudun hatte er noch immer nicht die hinlängliche Herrschaft über seinen Geist wiedergewonnen, um sich mit etwas anderem als mit seinen teuren und schmerzlichen Gedanken zu beschäftigen; und schon bemächtigte sich seiner eine Art Verzehrung, als er glücklicherweise im Lager von Perpignan ankam und wiederum glücklicherweise die Gelegenheit hatte, den Vorschlag des Abbé von Gondi anzunehmen: denn in der Person dieses jungen, so gleichgültigen und so melancholischen Fremden in Trauerkleidung, den der Duellist im Priesterrock zum Zeugen erbeten hatte, werden unsere Leser ohne Zweifel Cinq-Mars erkannt haben.

Als Freiwilliger hatte er sein Zelt in der Feldstraße aufstellen lassen, die den jungen Herren, welche dem König vorgestellt werden und den Generalen als Adjutanten dienen sollten, angewiesen war; er verfügte sich schleunigst dorthin, saß bald bewaffnet und, nach dem damals noch bestehenden Brauche, im Kürasse zu Pferde und ritt allein nach dem spanischen Bollwerk, als dem zur Zusammenkunft bezeichneten Orte. Es war der erste, der daselbst ankam, und konnte sich sogleich überzeugen, daß ein kleiner, durch die Festungswerke des belagerten Platzes verborgener Wiesengrund von dem kleinen Abbé für sein mörderisches Vorhaben sehr gut gewählt worden war; denn wenn schon niemand vermutet hätte, daß Offiziere sich unter den Mauern der Stadt selbst, die sie angriffen, schlagen würden, so trennte sie auch noch der Hauptwall von dem französischen Lager und mußte sie gleich einem ungeheuren Windschirm verdecken. Es war wohlgetan, solche Vorsichtsmaßregeln zu treffen, denn damals kostete es nicht weniger als den Kopf, sich mit Leibes- und Lebensgefahr Genugtuung verschafft zu haben.

Während Cinq-Mars nun seiner Freunde und deren Gegner harrte, hatte er Zeit, die Südseite Perpignans, vor der er sich befand, in Augenschein zu nehmen. Er hatte gehört, daß man diese Festungswerke nicht angreifen würde, und suchte vergeblich, sich diese Pläne klarzumachen.

Zwischen dieser Südseite der Stadt, dem Albèregebirge und dem Col du Perthus hätte man Angriffslinien und Schreckschanzen gegen den zugänglichen Punkt ziehen können; allein nicht ein Soldat der Armee stand hier; alle Kräfte schienen auf die nördliche Seite Perpignans, der am schwierigsten beizukommen war, gerichtet und auf eine aus Ziegelsteinen erbaute Schanze, das Castillet genannt, das sich vor der Tür von Notre Dame erhebt. Er sah, daß ein scheinbar sumpfiges aber sehr festes Erdreich bis zu dem Fuß des spanischen Bollwerks führte, daß dieser Posten mit der ganzen kastilischen Nachlässigkeit bewacht war und doch nur durch seine Verteidiger stark sein konnte, denn seine Zinnen und Schießscharten waren zum größten Teil in Verfall geraten und nur mit Kanonen von ungeheurem Kaliber bepflanzt, die in den Rasen eingesenkt und dadurch unbeweglich und unbrauchbar gegen eine Abteilung, die sich rasch an den Fuß der Mauer stürzen würde, gemacht waren.

Es war leicht einzusehen, daß diese ungeheuren Feldstücke die Belagerer von dem Gedanken abgebracht hatten, diesen Punkt anzugreifen, und die Belagerten von dem, die Verteidigungsmittel darauf zu verstärken. Ebenso befanden sich einerseits die Wachtposten weit vor und die Schilderhäuschen sehr voneinander entfernt, andererseits waren die Schildwachen selten und schwach besetzt. Ein junger Spanier mit einer langen Stutzbüchse, deren Gabel zum Auflegen ihm an der Seite hing, und der rauchenden Lunte in der rechten Hand, spazierte nachlässig auf dem Walle hin und her und stand dann still, um Cinq-Mars zu betrachten, der über das Moor und längs der Laufgraben hinritt.

»Sennor caballero«, rief er ihn dann an, »wollen Sie das Bollwerk allein oder zu Pferde einnehmen, wie Don Quixote-Quixada de la Mancha?«

Und mit diesen Worten löste er die eiserne Gabel an seiner Seite ab, pflanzte sie in den Boden und legte das Ende seiner Stutzbüchse auf, um zu zielen, als ein ernster älterer Spanier, in einen schmutzigen braunen Mantel gehüllt, in seiner Sprache zu ihm sagte:

»Ambrosio de Demonio, weißt du nicht, daß es verboten ist, bis zu Ausfällen oder Angriffen das Pulver unnütz zu vergeuden, um das Vergnügen zu haben, einen Knaben zu töten, der nicht deine Lunte wert ist? Hier auf diesem Punkte hat Karl der Fünfte die eingeschlafene Schildwache in den Graben geworfen und ersäuft. Erfülle deine Pflicht oder ich tue die meine.«

Ambrosio legte seine Büchse wieder auf die Schulter, steckte seinen Gabelstock an die Seite und setzte seinen Spaziergang auf dem Walle fort.

Diese drohende Bewegung hatte Cinq-Mars nicht aus der Fassung zu bringen vermocht, er hatte bloß die Zügel seines Pferdes angezogen und ihm die Sporen angedrückt, wohl wissend, daß ein Sprung dieses leichten Tieres ihn hinter das Gemäuer einer Hütte bringen würde, die in seiner Nähe auf dem Felde stand, und daß er sich dort vor der spanischen Flinte geschützt sähe, noch ehe die Vorrichtungen mit der Auflegegabel und der Lunte beendigt sein würden. Er wußte außerdem, daß eine schweigende Übereinkunft zwischen den beiden Armeen den Plänklern verwehrte, Feuer auf die Schildwachen zu geben, was von beiden Seiten gleich einem Mord betrachtet worden wäre; der Soldat, der sich so zum Angriff angeschickt hatte, mußte jedenfalls mit der Order noch nicht bekannt gewesen sein.

Der junge d'Effiat machte daher anscheinend keine Bewegung, und als der auf der Wache stehende Soldat seinen Spaziergang auf dem Wall fortsetzte, setzte er auch den seinen auf der Wiese fort und erblickte bald fünf Kavaliere, die auf ihn zuritten. Die beiden ersten, die in gestrecktem Galopp ankamen, unterließen die Begrüßung, hielten aber bei ihm an, sprangen von den Pferden, und er sah sich in den Armen des Rates von Thou, welcher ihn zärtlich umhalste, während der kleine Abbé von Gondi unter herzlichem Lachen rief:

»Da haben wir ja einen zweiten Orestes, der seinen Pylades wiederfindet, und zwar in dem Augenblick, wo er einen Schurken abschlachten will, der nicht von der Familie des Königs der Könige ist, ich versichere Sie.«

»Wie! Sie hier, lieber Cinq-Mars!« rief von Thou; »wie, ohne daß ich Ihre Ankunft im Lager erfuhr! Ja, Sie sind noch ganz derselbe, wie ich Sie gekannt habe, nur etwas blasser. Sind Sie krank gewesen, lieber Freund? Ich habe Ihnen oft geschrieben, denn die Freundschaft unserer Kinderjahre ist mir stets in liebem Andenken geblieben.«

»Und ich«, antwortete Henri d'Effiat, »benahm mich recht strafbar gegen Sie; doch Sie sollen erfahren, was mir allen Sinn für anderes raubte; mündlich werde ich Ihnen sagen können, was zu schreiben ich mich schämte. Aber wie gut Sie sind! Ihre Freundschaft ist dieselbe geblieben.«

»Ich kannte Sie zu gut«, entgegnete von Thou, »ich wußte, daß zwischen uns beiden der Stolz keine Schranke auswerfen könne und daß meine Seele in der Ihrigen ein Echo finde.«

Bei diesen Worten umarmten sie sich, die Augen feucht von jenen süßen Tränen, die man so selten im Leben vergießt und wovon das Herz jedoch stets voll scheint, so wohl tun sie, wenn sie fließen.

Es war ein kurzer Augenblick; dennoch hatte sie Gondi während dieser wenigen Worte stets an den Mänteln gezupft und gemahnt.

»Zu Pferde! Zu Pferde, meine Herren!« sagte er jetzt. »Ei, pardieu, ihr werdet schon noch Zeit haben, euch zu umarmen, wenn ihr so zärtlich seid; aber laßt euch nur nicht verhaften und denken wir jetzt daran, mit unseren guten Freunden, die da kommen, so schnell als möglich fertig zu werden. Wir sind in einer verteufelt schlechten Lage, uns gegenüber diese drei lustigen Brüder, nicht weit von hier die Bogenschützen des Königs und da oben die Spanier; wir haben drei Feuern die Spitze zu bieten.«

Während er noch sprach, befand sich Launay mit seinen Sekundanten, die er eher aus seinen Freunden als aus den Anhängern des Kardinals gewählt hatte, auf sechzig Schritt von ihnen, spornte sein Pferd zum kleinen Galopp an, näherte sich seinen jungen Gegnern mit allem Anstande ganz nach den Regeln der Reitkunst und grüßte sie ernst.

»Meine Herren«, begann er dann, »ich glaube, wir werden gut tun, unter uns zu wählen und die Distanz abzumessen, denn man spricht davon, die Linien anzugreifen, und da muß ich auf meinem Posten sein.«

»Wir sind bereit, mein Herr«, antwortete Cinq-Mars, »und was die Wahl unter uns betrifft, so soll es mich freuen, Ihnen gegenüberzustehen, denn ich habe den Marschall von Bassompierre und das Wäldchen von Chaumont noch nicht vergessen: Sie kennen meine Meinung über Ihren unverschämten Besuch bei meiner Mutter.«

»Sie sind jung, mein Herr; bei Ihrer Frau Mutter habe ich die Pflichten des Weltmannes, bei dem Marschall die des Gardekapitäns, hier die des Edelmannes gegen den Herrn Abbé, der mich gefordert hat, erfüllt, und nachher werde ich diese Ehre mit Ihnen haben.«

»Wenn ich es Ihnen erlaube«, sagte der Abbé, schon zu Pferde sitzend.

Sie maßen eine Distanz von sechzig Schritten ab: mehr hätte auch der Umfang der Wiese, auf der sie sich befanden, nicht gestattet: der Abbé von Gondi ward zwischen von Thou und seinen Freund gestellt, welcher zunächst den Wällen stand, auf denen zwei spanische Offiziere und ungefähr zwanzig Soldaten erschienen, um gleichsam von einem Balkon herab dieses Duell von sechs Personen, ein Schauspiel, das ziemlich gewöhnlich für sie war, mit anzusehen. Sie machten die gleichen Freudenbezeugungen wie bei ihren Stierkämpfen und ließen jenes wilde Lachen hören, das ihrer Physiognomie einen bitteren Zug aufdrückt und aus arabischem Blute ererbt ist.

Auf ein Zeichen Gondis galoppierten die sechs Pferde vorwärts und trafen sich, ohne aufeinander zu stoßen, in der Mitte des Kampfplatzes: in demselben Augenblicke hörte man sechs Pistolenschüsse beinahe auf einmal und der Rauch bedeckte die Kämpfenden. Als er sich zerteilte, sah man von den sechs Rittern und den sechs Pferden nur noch drei Männer und drei Tiere in gutem Zustande. Cinq-Mars zu Pferde reichte seinem ebenso ruhigen Gegner die Hand: auf der anderen Seite näherte sich von Thou dem seinigen, dessen Pferd er getötet hatte und half ihm aufstehen: von Gondi und Launay aber sah man weder den einen noch den anderen. Als Cinq-Mars' Augen sie unruhig suchten, erblickte er in einiger Entfernung das davonsprengende und sich bäumende Pferd des Abbés, das den künftigen Kardinal, der den Fuß im Steigbügel verwickelt hatte und fluchte, als ob er nie etwas anderes als die Feldsprache studiert hätte, nach sich schleppte: seine Nase und Hände waren vom Fall und den Anstrengungen, sich am Rasen festzuhalten, ganz blutig, und ziemlich verdrießlich sah er sein Pferd, dessen Fuß ihn wider Willen etwas stark kitzelte, die Richtung gegen den mit Wasser angefüllten Laufgraben der Bastei nehmen, als Cinq-Mars, zwischen den Rand des Sumpfes und ihn sich stellend, das Pferd glücklicherweise beim Zügel fassen und anhalten konnte.

»Wohlan, mein lieber Abbé, ich sehe, daß es mit Ihnen nicht gefährlich steht, denn Sie gebrauchen noch recht kräftige Ausdrücke.«

»Par la corbleu!« rief Gondi, sich den Kot aus den Augen reibend, »ich mußte wohl im Steigbügel aufstehen und mich etwas vorbeugen, um diesem Riesen eine Ladung ins Gesicht zu geben; ich verlor aber dabei das Gleichgewicht ein bißchen, doch glaubte ich, er liege auch am Boden.«

»Sie irren sich nicht, mein Herr«, sagte der herbeikommende von Thou, »dort schwimmt das Pferd mit seinem Gebieter, dem die Kugel durch den Kopf gegangen ist, im Graben; wir müssen daran denken, uns aus dem Staube zu machen.«

»Uns aus dem Staube machen? Das hält ziemlich schwer, meine Herren«, sagte der dazwischenkommende Gegner Cinq-Mars', »dieser Kanonenschuß war das Zeichen zum Angriff, ich glaubte nicht, daß es schon so früh losgehen würde; kehren wir um, so treffen wir auf die Schweizer und die Landsknechte, die in der Schlacht diesen Punkt innehaben.«

»Herr von Fontrailles hat recht«, bemerkte von Thou, »kehren wir aber um, so haben wir hier die Spanier vor uns, die zu den Waffen eilen und deren Kugeln über unseren Köpfen pfeifen werden.«

»Wohlan, so beratschlagen wir denn!« sagte Gondi, »ruft doch Herrn von Montrésor herbei, der sich vergeblich bemüht, den Leichnam des armen Launay zu suchen. Sie haben ihn nicht verwundet, Herr von Thou?«

»Nein, Herr Abbé, nicht jedermann hat eine so glückliche Hand wie Sie«, antwortete ihm bitter Montrésor, der infolge seines Falles ein wenig hinkend herankam, »wir werden nicht Zeit haben, das Duell mit dem Degen fortzusetzen.«

»Für die Fortsetzung desselben bin ich auch nicht, meine Herren«, sagte Fontrailles, »Herr von Cinq-Mars hat sich zu edel gegen mich benommen; meine Pistole war abgefeuert und die seinige lag dicht an meiner Wange; ich fühle meiner Treu ihren kalten Schlund jetzt noch; er hatte jedoch die Güte, in die Luft zu zielen; ich werde es nie vergessen und sein Freund auf Tod und Leben sein . . .«

»Es handelt sich jetzt nicht darum, meine Herren«, unterbrach ihn Cinq-Mars, »soeben ist eine Kugel an meinem Ohr vorbeigesaust; der Angriff hat von allen Seiten begonnen und wir sind von Freund und Feind umzingelt.«

Die Kanonade hatte in der Tat allgemein begonnen; die Stadt und die Armee waren in Rauch gehüllt; das ihnen gegenüber befindliche Bollwerk allein war nicht angegriffen und die Mannschaft desselben schien sich weniger auf seine Verteidigung vorzubereiten als nach dem Los der anderen Festungswerke zu schauen.

»Der Feind hat, glaub' ich, einen Ausfall gemacht«, sagte Montrésor, »denn der Rauch in der Ebene ist verschwunden und ich sehe Kavalleriehaufen, die einen Angriff machen, während die Kanonen des Platzes sie beschützen.«

»Meine Herren«, hob Cinq-Mars wieder an, nachdem er unablässig das Mauerwerk betrachtet hatte, »wir könnten durch einen beherzten Entschluß einen Ausweg finden, indem wir nämlich in dieses schlecht bewachte Bollwerk dringen.«

»Das ist ganz gut gesagt, mein Herr«, entgegnete Fontrailles, »allein wir sind nur unser fünf gegen mindestens dreißig und somit sehr entblößt und leicht zu zählen.«

»Meiner Treu, der Gedanke ist so übel nicht«, ließ sich Gondi vernehmen, »es ist doch besser, da oben erschossen als da unten gehängt zu werden, wenn man uns findet; denn daß Launay bei seiner Kompagnie fehlt, müssen sie schon bemerkt haben und unser Handel ist dem ganzen Hof bekannt.«

»Parbleu, meine Herren!« rief Montrésor, »da bekommen wir ja Hilfe.«

Eine zahlreiche Truppe zu Pferde kam in großem Galopp, jedoch in ziemlicher Unordnung auf sie angesprengt; ihre rote Kleidung ließ sich von weitem erkennen; sie schienen auf dem Felde, wo sich unsere verlegenen Duellanten befanden, anhalten zu wollen, denn kaum hatten die ersten Pferde dasselbe betreten, so hörte man den Ruf: Halt! den die Stimmen der unter ihre Reiter gemischten Anführer wiederholten.

»Gehen wir auf sie zu, es sind die Leute der königlichen Garde«, sagte Fontrailles, »ich erkenne sie an ihren schwarzen Kokarden. Auch sehe ich viele Chevaulegers unter ihnen; wir wollen ihre Unordnung benützen, um uns unter sie zu mischen, denn ich vermute, sie werden zurückgeführt

Dieses Wort ist ein anständiger Ausdruck, der in der militärischen Sprache so viel als auf der Flucht bedeuten sollte und noch bedeutet. Alle fünf nahten sich der lebhaften und lärmenden Truppe und sahen ihre Vermutung bestätigt. Doch statt der Bestürzung, die man in solchem Falle erwarten konnte, fanden sie nur eine lustige, stürmische Heiterkeit und hörten in beiden Kompagnien nur lautes Gelächter.

»Ah, pardieu, Cahuzac«, sagte der eine, »dein Pferd lief besser als das meine; ich glaube, du hast es bei den Jagden des Königs eingeübt.«

»Du bist gewiß zuerst hier angekommen, damit wir desto eher wieder versammelt sind, antwortete der andere.

»Der Marquis von Coislin ist, glaub' ich, verrückt, uns vierhundert gegen acht spanische Regimenter aussprengen zu lassen.«

»Hahahaha! Locmaria, Ihr Federbusch ist gut zugerichtet; er gleicht einer Trauerweide. Folgen wir dem, so geht's zum Begräbnis.«

»Ei, meine Herren, ich hatte es Ihnen vorausgesagt«, antwortete der angeredete Offizier ziemlich verdrießlich, »ich war überzeugt, daß dieser Kapuziner Joseph, der sich in alles mischt, im Irrtum war, als er uns auf Befehl des Kardinals angreifen hieß. Wären Sie aber zufrieden gewesen, wenn die, welche die Ehre haben, das Kommando über Sie zu führen, den Angriff verweigert hätten?«

»Nein, nein, nein!« antworteten die jungen Leute alle, sich schnell wieder in Reih und Glied stellend.

»Ich behauptete«, entgegnete der alte Marquis von Coislin, dem bei seinen weißen Haaren noch Jugendfeuer in den Augen flammte, »daß, wenn man Ihnen befehlen würde, auf den Pferden Sturm zu laufen, Sie es täten.«

»Bravo! Bravo!« schrien die Waffenmänner alle, in die Hände klatschend.

»Wohlan, Herr Marquis!« sagte Cinq-Mars herantretend, »es zeigt sich hier die Gelegenheit, auszuführen, was Sie versprochen haben; ich bin zwar nur Freiwilliger, allein diese Herren und ich haben dieses Bollwerk schon eine geraume Weile in Augenschein genommen und ich glaube, seine Einnahme ließe sich bewerkstelligen.«

»Mein Herr, vorläufig müßte man das Moor untersuchen, um . . .«

In diesem Augenblick nahm eine von dem besprochenen Bollwerk ausgehende Kugel dem Pferd des alten Kapitäns den Kopf weg.

»Locmaria, von Mouy, das Kommando übernommen und Sturm gelaufen, Sturm gelaufen!« schrien die beiden wackeren Kompagnien, ihn tot wähnend.

»Einen Augenblick, einen Augenblick, meine Herren«, sagte der alte Coislin, wieder aufstehend, »ich will Sie anführen, wenn es Ihnen beliebt; weisen Sie uns den Weg, Herr Freiwilliger, denn diese Kugel ist eine Einladung der Spanier, und da muß man höflich antworten.«

Der Alte saß kaum wieder auf einem anderen Pferde, das ihm einer seiner Diener zugeführt, und hatte seinen Degen gezogen, so stürmte, ohne sein Kommando abzuwarten, die ganze feurige Jugend dem voranreitenden Cinq-Mars und seinen Freunden, deren Pferde von der Reiterschwadron vorwärts gedrängt wurden, nach, warf sich in den Sumpf, wo zu ihrem großen Erstaunen und noch mehr zu dem der Spanier, die sich viel zu viel auf dessen Tiefe verlassen hatten, die Pferde bloß bis an den Kniebug einsanken, und ungeachtet einer Kartätschensalve aus den zwei größten Geschossen langten alle in wirrem Durcheinander auf einem kleinen Rasenhügel am Fuße der halb verfallenen Wälle an. In der Hitze des Übergangs sprengten Cinq-Mars, Fontrailles und der junge Locmaria auf den Wall selbst hin, allein ein heftiges Gewehrfeuer tötete die drei Tiere, die mit ihren Herren stürzten.

»Abgesessen, meine Herren!« schrie der alte Coislin, »Pistolen und Degen zur Hand und vorwärts! Die Pferde zurückgelassen!«

Alle gehorchten schleunigst und stürzten in Masse der Bresche zu.

Indessen hatte von Thou, den seine Kaltblütigkeit so wenig als seine Freundschaft verließ, den jungen Henri nicht aus den Augen gelassen, und als dessen Pferd fiel, ihn in seinen Armen aufgefangen. Er stellte ihn wieder auf die Füße, gab ihm den Degen, den er verloren hatte, zurück und sagte trotz der Kugeln, die es von allen Seiten regnete, mit der größten Ruhe:

»Mein Freund, sehe ich in der Mitte dieses Tumultes mit meiner Kleidung eines Parlamentsrates nicht recht lächerlich aus?«

»Parbleu«, entgegnete der herbeikommende Montrésor, »unser Abbé da rechtfertigt Sie schon.«

Wirklich schrie auch der kleine Gondi, sich mit den Ellbogen durch die Chevaulegers Bahn brechend, aus allen Kräften:

»Drei Duelle und beim Sturm einer Bastei! Ich hoffe, hier doch endlich meinen Priesterrock zu verlieren!«

Und mit diesen Worten stieß und hieb er auf einen großen Spanier los.

Die Verteidigung dauerte nicht lange. Die kastilischen Soldaten hielten den französischen Offizieren nicht lange Stand und nicht einer von ihnen hatte weder Zeit noch Kühnheit, sein Gewehr wieder zu laden.

»Meine Herren, da haben wir unseren Mätressen in Paris ein hübsches Geschichtchen zu erzählen!« rief Locmaria, seinen Hut in die Luft werfend.

Und Cinq-Mars, von Thou, Coislin, von Mouy, Londigny, die Offiziere der roten Kompagnien und alle die jungen Edelleute mit dem Degen in der rechten, der Pistole in der linken Hand, schoben, drängten, stießen sich und taten sich durch ihre ungestüme Hitze beinahe so weh als dem Feinde, bis sie endlich auf der Plattform des Bollwerks anlangten und sich darauf ausbreiteten gleich dem Wasser, das einem Gefäße mit enger Öffnung entfließend außerhalb desselben in Strömen fortquillt.

Während sie verschmähten, sich mit den besiegten Soldaten zu befassen, die sich ihnen zu Füßen warfen, ließen sie dieselben in den Festungswerken umherschweifen, ohne sie nur zu entwaffnen, und begannen, wie Schüler in den Ferien, auf ihrem eroberten Boden umherzulaufen und zu scherzen und zu lachen, als wären sie auf einer Lustpartie begriffen.

Ein in seinen braunen Mantel gehüllter spanischer Offizier schaute sie mit düsterer Miene an.

»Was für Teufel sind das, Ambrosio?« sagte er zu einem Soldaten. »Solche habe ich vordem in Frankreich nicht kennen gelernt. Wenn Ludwig XIII. eine Armee hat, die aus lauter dergleichen Leuten besteht, so ist er wahrlich zu nachsichtig, wenn er nicht ganz Europa erobert.«

»O, ich glaube, sie sind nicht so zahlreich; es muß ein Trupp armer Abenteurer sein, die nichts zu verlieren, durch Plünderung aber alles zu gewinnen haben.«

»Du hast recht«, entgegnete der Offizier, »ich will suchen, einen von ihnen zu verführen, um entwischen zu können.«

Und langsam vorwärtsschreitend, ging er auf einen ungefähr achtzehnjährigen Chevauleger zu, der etwas abseits auf der Brustwehr saß; der junge Soldat hatte die weiß und rote Gesichtsfarbe eines Mädchens, seine zarte Hand hielt ein gesticktes Sacktuch, womit er sich die Stirn und die silberblonden Haare abwischte; er schaute auf eine große, runde, mit Rubinen eingefaßte Uhr, die mit einer Bandschleife an seinem Gürtel befestigt war.

Erstaunt stand der Spanier still. Hätte er nicht selbst gesehen, wie der Kleine seine Soldaten über den Haufen warf, so würde er ihn für nichts anderes tauglich gehalten haben, als auf einem Ruhebett eine Romanze zu singen. Doch durch Ambrosios Ideen von einem Vorurteil erfaßt, glaubte er, der junge Mensch möchte diese Luxusgegenstände bei der Plünderung eines Frauengemaches gestohlen haben, und redete ihn daher barsch an:

»Bursche! Ich bin ein Offizier, willst du mir die Freiheit geben und mich die Heimat wiedersehen lassen?«

Der junge Franzose schaute ihn mit dem sanften Blicke seines Alters an und entgegnete, an seine eigene Familie denkend:

»Mein Herr, ich will Sie dem Marquis von Coislin vorstellen, der Ihr Verlangen ohne Zweifel gewähren wird; ist Ihre Familie eine kastilische oder aragonische?«

»Dein Coislin wird noch eine andere Erlaubnis einholen und mich ein Jahr lang warten lassen. Ich gebe dir viertausend Dukaten, wenn du mich entschlüpfen läßt.«

Jetzt überzogen sich das sanfte Gesicht und die kindlichen Züge mit dem Purpur der Wut; die blauen Augen schleuderten Blitze und mit den Worten:

»Geld, mir? Geh', du Tropf!« gab der junge Mann dem Spanier einen schallenden Backenstreich.

Ohne Zaudern zog dieser einen langen Dolch aus seiner Gewandung hervor, faßte den Franzosen beim Arm und glaubte ihm den Stahl leicht ins Herz stoßen zu können; allein behend und kräftig ergriff ihn der Jüngling selbst beim rechten Arm, hob ihm denselben in die Höhe und schwang ihn dann mit dem Dolche gegen die Brust des wutschäumenden Spaniers.

»Ei, ei, ei! sachte, Olivier, Olivier!« schrien von allen Seiten seine herbeieilenden Kameraden, »es liegen genug Spanier am Boden.«

Und sie entwaffneten den feindlichen Offizier.

»Was fangen wir mit diesem Rasenden an?« sagte der eine.

»Ich möchte ihn nicht zum Kammerdiener«, antwortete ein anderer.

»Er verdient gehängt zu werden«, äußerte sich ein dritter, »aber meiner Treu, meine Herren, auf das Hängen verstehen wir uns nicht; schicken wir ihn dem Schweizerbataillon zu, das da unten durch die Ebene zieht.«

Und sich stärker in seinen Mantel hüllend, machte sich der düstere und ruhige Mann, begleitet von Ambrosio, von selbst auf den Weg zu dem Bataillon, während fünf bis sechs dieser jungen Narren ihn vorwärts stießen und zur Eile drängten.

Indes hatte die erste Truppe der Belagerer, über ihren Erfolg erstaunt, ihr Glück weiter versucht. Auf den Rat des alten Coislin hatte Cinq-Mars mit ihm die Runde in der Bastei gemacht, zu ihrem Leidwesen sahen jedoch beide, daß sie völlig von der Stadt abgesondert lag und ihr Vorteil sich nicht weiter verfolgen ließ. Unter Beratschlagungen kehrten sie daher langsam auf die Plattform zurück, wo sie von Thou und den Abbé von Gondi mit den jungen Chevaulegers in heiterem Gespräch begriffen fanden.

»Wir hatten die Religion und die Gerechtigkeit bei uns, meine Herren, der Sieg konnte uns daher nicht fehlen.«

»Wie? Sie selbst haben ja so tüchtig dreingeschlagen als wir!«

Bei der Annäherung Cinq-Mars' schwiegen sie und flüsterten einen Augenblick untereinander, indem sie nach seinem Namen fragten, dann umringten sie ihn alle und ergriffen unter lebhaften Freudenbezeugungen seine Hand.

»Sie haben recht, meine Herren«, sagte der alte Kapitän zu ihnen, »wir haben an ihm eine gute Eroberung gemacht. Er ist ein Freiwilliger, der heute dem König durch den Kardinal vorgestellt werden soll.«

»Durch den Kardinal! Wir wollen ihn selbst vorstellen; ach, er soll nur kein KardinalistFrankreich und die Armee hatten sich in Royalisten und Kardinalisten geteilt. sein, er ist ein zu braver Bursche für das!« riefen lebhaft die jungen Leute alle.

»Mein Herr, das will ich Ihnen gewiß verleiden, ich«, sagte der hinzutretende Olivier d'Entraigues, »denn ich war sein Page und kenne ihn durch und durch. Dienen Sie lieber in den roten Kompagnien; glauben Sie mir, dort werden Sie gute Kameraden finden.«

Der alte Marquis ersparte Cinq-Mars die Verlegenheit einer Antwort, indem er zum Sammeln blasen ließ. Der Kanonendonner schwieg, und eine Wache hatte ihn benachrichtigt, daß der König und der Kardinal durch die Linien ritten, um die Ergebnisse des Tages zu besichtigen. Er ließ nun die Pferde durch die Bresche hereinführen, was ziemlich lange dauerte, und befahl dann den beiden Kompagnien, aufzusitzen und sich in Schlachtordnung aufzustellen, alles das an einem Orte, wohin zu dringen für jede andere Truppe als für Infanterie unmöglich geschienen hätte.



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