Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel. Die Belohnungen

»Um die erste Aufwallung des königlichen Unwillens zu beschwichtigen«, hatte Richelieu bei sich gesagt »um ihm eine Quelle von Aufregungen zu öffnen, die den Schmerz aus dieser schwankenden Seele verscheuchen, möge diese Stadt meinethalben belagert werden; Ludwig soll aufbrechen; ich erlaube ihm, die Streiche, die er mir versetzen möchte und es doch nicht wagt, auf ein paar arme Soldaten fallen zu lassen; er soll sein Mütchen in diesem dunklen Blute kühlen, das ist mir einerlei; allein diese ruhmsüchtige Grille soll meine unwankbaren Absichten nicht stören, diese Stadt soll noch nicht fallen, sie soll erst in zwei Jahren Frankreich auf immer einverleibt werden; sie soll erst an dem bei mir selbst festgesetzten Tage in meine Schlinge fallen. Donnert, ihr Bomben und Kanonen; entwerft die Pläne zu euren Operationen, ihr geschickten Feldherrn; stürmt ins Gefecht, ihr jungen Krieger, euren Lärm will ich zum Schweigen bringen, eure Plane scheitern machen, eure Anstrengungen vereiteln; alles soll in leerem Rauch endigen; ich will euch schon in die Irre führen.«

Diese und ähnliche Gedanken bewegten sich ungefähr in dem kahlen Haupte des alten Kardinals, bevor der Angriff begann, von dem wir soeben einen Teil gesehen haben. Er hatte sich zu Pferde auf eine der nördlich von der Stadt gelegenen Anhöhen des Salcesgebirges begeben, von welchem Punkte aus er die bis ans Mittelländische Meer sich erstreckende Ebene von Roussillon übersehen konnte; mit seinen aus Ziegelsteinen erbauten Wällen, seinen Bollwerken, seiner Zitadelle und seinem Kirchturm bildete Perpignan inmitten seiner großen grünen Wiesen eine ovale dunkle Masse, um welche, wie um das Tal, worin es lag, die weit sich verzweigenden Berge einen ungeheuren, von Nord zu Süd ausgerundeten Bogen zogen, während im Osten der weiße Streifen des Meeres die silberne Sehne desselben zu bilden schien. Zu seiner Rechten erhob sich jener mächtige Bergstock, Canigou genannt, aus dessen Schoße sich zwei Flüsse in die Ebene ergießen.

Die französischen Linien breiteten sich bis zum Fuße dieser westlichen Schranke aus. Hinter dem Minister, jedoch in einer Entfernung von zwanzig Schritten, bemerkte man eine Menge Generäle und vornehme Herren zu Pferde, alle im tiefsten Schweigen. Er hatte mit der schrittweisen Verfolgung der Operationslinie begonnen und sich dann auf die Höhe begeben, wo er unbeweglich halten blieb, während seine Augen und seine Gedanken über das Schicksal der Belagerer und der Belagerten entschieden. Die Armee hatte die Augen auf ihn gerichtet, denn man konnte ihn von jedem Punkte aus sehen. Jeder Waffentragende betrachtete ihn als seinen Befehlshaber und erwartete seinen Wink, um zu handeln. Frankreich stand schon lange unter seinem Joch, und die Bewunderung allein war schuld, daß nicht auch seine Handlungen, wie es bei jedem anderen geschehen wäre, zuweilen ins Lächerliche gezogen wurden. Hier zum Beispiel fiel es keinem ein, zu lächeln oder auch nur zu staunen, daß ein Priester in einem Küraß stecke, denn schon der Ernst seines Charakters und sein Aussehen verdrängten jeden Gedanken spaßhafter Begleichungen oder spöttelnder Bemerkungen. Der Kardinal war an diesem Tage in ganz kriegerischem Kostüm erschienen; er trug ein braungelbes, mit Gold gesticktes Kleid, einen wasserfarbenen Küraß, an der Seite den Degen, am Sattelbogen Pistolen und auf dem Kopfe einen Hut mit Federn, was man selten an ihm sah, da er sonst sein rotes Scheitelkäppchen nie ablegte. Dicht hinter ihm befanden sich zwei Pagen; der eine hielt seine Panzerschuhe, der andere seine Sturmhaube; und ihm zur Seite hielt sein Gardekapitän.

Da der König ihn kurz vorher zum obersten Befehlshaber seiner Truppen ernannt hatte, mußten die Generale die Befehle bei ihm einholen; er aber, der die geheimen Beweggründe des jetzigen Zorns seines Gebieters nur zu gut kannte, schickte alle, die aus seinem Munde einen Ausspruch verlangten, an den König. Was er vorausgesehen hatte, geschah auch, denn er regulierte und berechnete die Bewegungen dieses Herzens gleich denen einer Uhr und hätte genau sagen können, welche Empfindungen dasselbe durchzogen. Ludwig XIII. suchte ihn auf und gesellte sich zu ihm; er kam jedoch, wie der junge Zögling kommt, der gezwungen ist, anzuerkennen, daß sein Lehrer recht hat. In seinem Wesen lag etwas Stolzes und Unzufriedenes, seine Worte waren barsch und trocken. Den Kardinal focht das nicht an. Es war merkwürdig, daß der König, indem er seinen Rat einholte, im Tone des Befehlens sprach und so seine Schwäche und seine Macht, seine Unschlüssigkeit und seinen Stolz, seine Unerfahrenheit und seine Anmaßung vereinigte, während sein Minister ihm im Tone des tiefsten Gehorsams Gesetze vorschrieb.

»Ich wünsche den Angriff begonnen zu sehen, Kardinal«, sagte der König bei seiner Ankunft, »das heißt«, fügte er mit gleichgültiger Miene hinzu, »wenn alle Ihre Vorbereitungen getroffen sind, und zu der Stunde, die Sie mit unseren Marschällen verabredet haben.«

»Sire, wenn ich Ihnen meine Ansichten mitteilen dürfte, so wünschte ich, es möchte Ew. Majestät genehm sein, den Angriff in einer Viertelstunde beginnen zu lassen, denn, die Uhr in der Hand, reicht diese Zeit hin, um die dritte Linie vorrücken zu lassen.«

»Ja, ja, das ist gut, Herr Kardinal; eben das dachte ich auch; ich will meine Befehle selbst erteilen; ich will alles selbst tun. Schomberg, Schomberg! In einer Viertelstunde will ich die Alarmkanone hören, ich will es!«

Schomberg entfernte sich, um den rechten Flügel der Armee zu befehligen, und das Angriffssignal ertönte.

Die durch den Marschall von La Meilleraie schon längst aufgestellten Batterien begannen Bresche zu schießen, doch nur nachlässig, weil die Artilleristen einsahen, daß man sie zwei unüberwindlichen Punkten gegenübergestellt habe, und bei ihrer Erfahrung und besonders bei jenem richtigen Sinn und jenem schnellen Überblick des französischen Soldaten jeder von ihnen den Platz hätte bezeichnen können, der hätte gewählt werden sollen.

Dem König fiel die Langsamkeit des Geschützes auf.

»La Meilleraie«, sagte er mit Ungeduld, »die Batterien arbeiten ja nicht. Ihre Kanoniere schlafen wohl?«

Der Marschall und die Obersten der Kavallerieregimenter waren zugegen, doch keiner antwortete eine Silbe. Sie hatten die Augen auf den Kardinal gerichtet, der gleich einer Reiterstatue unbeweglich blieb, und ahmten ihm nach. Man hätte antworten müssen, daß die Schuld nicht an den Soldaten, sondern an dem liege, der diese unzweckmäßige Aufstellung der Batterien befohlen hatte, und dieser war Richelieu selbst, der sich stellte, als glaubte er sie da, wo sie sich befanden, am nützlichsten, und dadurch die Bemerkungen der Anführer zum Schweigen gebracht hatte.

Verwundert über dieses Schweigen, befürchtete der König, er möchte durch diese Frage einen groben Verstoß in der Kriegskunst gemacht haben und errötete ein wenig; dann näherte er sich der Gruppe der ihn begleitenden Prinzen und sagte, um seine Haltung wieder zu gewinnen:

»d'Angoulême, Beaufort, nicht wahr, das ist recht langweilig? Wir stehen hier wie Mumien.«

Charles von Valois näherte sich dann und entgegnete:

»Es scheint mir, Sire, man habe hier die Maschinen des Ingenieurs Pompée-Targon nicht angewandt.«

»Parbleu«, sagte der Herzog von Beaufort, Richelieu fest anblickend; »wir nahmen auch zu jener Zeit, als dieser Italiener kam, La Rochelle weit eher als Perpignan. Hier ist keine Maschine in Bereitschaft, keine Mine angelegt, keine Petarde unter den Mauern vorhanden, und der Marschall von La Meilleraie sagte mir diesen Morgen, er habe den Vorschlag gemacht, deren herbeischaffen zu lassen, um den Laufgraben zu öffnen. Aber weder das Castillet, noch jene sechs großen Basteien der Außenwerke, noch auch der halbe Mond sollten angegriffen werden. Wenn wir so fortmachen, so wird uns der große steinerne Arm der Zitadelle die Faust noch lange zeigen.«

Immer unbeweglich, entgegnete der Kardinal auch nicht ein Wort, sondern winkte bloß Fabert herbei, der aus der ihn begleitenden Truppe hervortrat und sein Pferd hinter das Pferd Richelieus, neben dessen Gardekapitän stellte.

Der Herzog von Rochefoucauld aber näherte sich dem König mit der Bemerkung:

»Ich glaube, Sire, unsere Lauheit im Öffnen der Bresche macht die Leute dort unverschämt kühn, denn soeben nimmt ein zahlreicher Ausfall die Richtung gerade auf Ew. Majestät zu, und Birons und Ponts Regimenter schließen sich, ihr Feuer fortsetzend, wieder einander an.«

»Wohlan«, sagte der König, den Degen ziehend, »laßt uns die Schurken angreifen und wie sich's gebührt heimschicken; gebt mir die Kavallerie mit, d'Angoulême, wo ist sie, Kardinal?«

»Hinter diesem Hügel, Sire, stehen sechs Regimenter Dragoner und die Karabiniere de la Roques in Kolonnen; da unten sehen Sie meine Gardereiter und meine Chevaulegers, deren sich zu bedienen ich Ew. Majestät bitte, denn die Ihrigen haben sich durch die Schuld des stets zu eilfertigen Marquis von Coislin zu weit vorwärts verirrt. Joseph, geh', sage ihm, er möchte umkehren.«

Er sprach noch einige leise Worte mit dem Kapuziner, der ihn, in eine Uniform vermummt, in der er sich aber ziemlich linkisch benahm, begleitet hatte, und dann sogleich der Ebene zuging.

Indessen rückten die dichten Kolonnen der alten spanischen Infanterie gleich einem sich bewegenden dunklen Walde von dem Tor von Notre-Dame her, während durch ein anderes Tor ebenfalls schwere Kavallerie ausrückte und sich in der Ebene aufstellte. Die französische Armee, am Fuße des Hügels, wo der König auf Wällen von Rasen hinter Schreckschanzen und Faschinen stand, in Schlachtordnung aufgestellt, sah mit Schrecken ihre Gardereiter und Chevaulegers zwischen diese beiden an Zahl ihnen zehnfach überlegenen Heerhaufen gedrängt.

»Blast doch zum Angriff!« schrie Ludwig XIII., »oder mein alter Coislin ist verloren.«

Und er eilte mit seinem ganzen ebenso feurigen Gefolge die Anhöhe hinab; doch bevor er noch unten und an der Spitze seiner Musketiere war, hatten die beiden Kompagnien schon ihren Entschluß gefaßt; mit Blitzesschnelle und dem Geschrei: Es lebe der König! stürzten sie sich auf die lange Kolonne der feindlichen Reiterei wie zwei Geier auf die Seite einer Schlange, brachen sich eine blutige Bahn, um sich, wie wir gesehen haben, hinter dem spanischen Bollwerk wieder zu sammeln, während die feindliche Reiterei in ihrer Überraschung sich nur wieder in Reih und Glied zu stellen und nicht an ihre Verfolgung zu denken vermochte.

Erstaunt hielt der König sein Pferd an, schaute sich um und erblickte in aller Augen das brennende Verlangen, den Angriff zu wagen; in den seinigen blitzte die ganze Tapferkeit seines Stammes; eine Sekunde lang blieb er gleichsam noch zweifelhaft, indem er in trunkenem Entzücken dem Kanonendonner horchte und mit Wollust den Pulverdampf einatmete und in sich sog; er schien ein neues Leben zu leben und wieder ein Bourbon zu werden; alle, die ihn damals sahen, glaubten von einem anderen befehligt zu werden, als er, den Degen schwenkend und die Augen zur blendenden Sonne erhebend, rief:

»Folgt mir, tapfere Freunde! Hier bin ich König von Frankreich!«

Sich entfaltend, sprengte seine Kavallerie stürmisch davon, durchflog, von dem unter ihr zitternden Boden Staubwolken auswerfend, den Raum, der sie von der spanischen Kavallerie trennte, und sah sich einen Augenblick später mit derselben vermischt und gleich ihr in einer ungeheueren und beweglichen Wolke vergraben.

»Jetzt, jetzt gilt's!« rief mit donnernder Stimme der Kardinal von der Höhe herab; »die Batterien aus ihrer unnützen Stellung weggebracht! Fabert, erteilen Sie Ihre Befehle und zwar alle in bezug auf die Infanterie, die den König langsam umzingeln will. Eilen Sie, fliegen Sie, retten Sie den König!«

Alsobald zerteilt sich dieses zuvor nicht wankende Gefolge nach allen Richtungen; die Generäle geben Befehle, die Adjutanten verschwinden und verlieren sich in der Ebene, wo sie, Gräben, Vormauern und Palisaden überspringend, fast ebenso schnell an ihr Ziel gelangen, als der sie leitende Gedanke und der ihnen folgende Blick. Plötzlich werden die langsamen und unterbrochenen Blitze, die über den entmutigten Batterien leuchteten, zu einer ungeheuren und anhaltenden Flamme, die dem Rauch, der, eine Unzahl leichter, wallender Kronen bildend, zum Himmel emporsteigt, keinen Raum läßt; die Kanonensalven, die bisher nur ein fernes und schwaches Echo schienen, verwandeln sich in einen furchtbaren Donner, dessen Schläge sich so schnell folgen, als die des zum Angriff trommelnden Tambours, während von drei entgegengesetzten Punkten aus die breiten und roten Strahlen der Feuerschlünde auf die dunklen Kolonnen schießen, die aus der belagerten Stadt herausrücken.

Ohne den Platz zu verändern, jedoch mit glühendem Blick und gebieterischer Gebärde ließ Richelieu indes nicht ab, vermehrte Befehle zu erteilen, indem er auf die, welche sie empfingen, einen Blick warf, der ihnen ein Todesurteil ankündete, wenn sie nicht schnell gehorchen würden.

»Der König hat jene Kavallerie über den Haufen geworfen, doch die Infanterie leistet noch Widerstand; unsere Batterien haben nur getötet, nicht aber einen Sieg errungen. Drei Infanterieregimenter vor, unverzüglich, Gassion, La Meilleraie und Lesdiguières! Man greife die Kolonnen auf der Seite an. Bringt dem Rest der Armee den Befehl, nicht weiter anzugreifen und ohne alle Bewegung auf der ganzen Linie zu bleiben. Ein Papier! Ich muß selbst an Schomberg schreiben.«

Ein Page stieg ab und trat mit einem Bleistift und Papier zu ihm heran. Von vier Personen seines Gefolges unterstützt, stieg der Minister mühsam und mit einigen unwillkürlichen Wehelauten, die seine Schmerzen ihm entlockten, vom Pferde; er bezwang sich jedoch und setzte sich auf die Lafette einer Kanone: der Page hielt, sich beugend, seine Schulter als Schreibpult hin, und der Kardinal schrieb eiligst folgenden Befehl, der uns unter den Manuskripten der damaligen Zeit überliefert worden ist.

»Herr Marschall, wagen Sie nichts und überlegen Sie die Sache wohl, bevor Sie angreifen. Meldet man Ihnen, der König wünsche, daß Sie nichts wagen, so will das nicht gerade sagen, daß Se. Majestät Ihnen durchaus verbiete, zu schlagen; es liegt nur in seiner Absicht, Sie möchten kein allgemeines Gefecht liefern, wenn Sie nicht statt des Vorteils, den eine günstige Stellung Ihnen gewähren könnte, eine wesentliche Hoffnung auf Gewinn haben, in welchem Fall die Verantwortlichkeit des Kampfes natürlich auf Sie fallen müßte.«

Als alle Befehle gegeben waren, setzte der alte Minister, noch immer auf der Lafette sitzend und seine beiden Arme auf das Zündloch der Kanone und sein Kinn auf die Arme stützend, in der Stellung des Mannes, der ein Geschütz richtet und zielt, schweigend und in Ruhe die Beobachtung des königlichen Kampfes fort, gleich einem alten Wolfe, der von Opfern satt und steif vor Alter die Verheerung betrachtet, die ein Löwe in einer Rinderherde, welche er selbst nicht anzugreifen wagen würde, anrichtet; von Zeit zu Zeit belebt sich sein Auge, der Blutgeruch macht ihm Freude und um den Geschmack davon nicht zu verlieren, streckt er seine lechzende Zunge aus der aufgerissenen Kinnlade.

Seine Diener (und das hieß ungefähr, jedermann in seiner Umgebung) bemerkten an diesem Tage, daß er vom Aufstehen an bis in die Nacht hinein keinerlei Nahrung zu sich nahm und alle Kräfte seiner Seele so auf die notwendig zu leitenden Ereignisse heftete, daß er die Schmerzen seines Körpers besiegte und sie durch lauter Vergessen zerstört zu haben schien. Diese Macht seiner Aufmerksamkeit und diese beständige Geistesgegenwart waren es, was ihn beinahe zum Genie erhob. Er würde es auch erreicht haben, wenn ihm nicht die angeborene Seelenhoheit und edle Herzensgüte gemangelt hätten.

Alles ging auf dem Schlachtfelde, wie er gewollt hatte, und das Glück, das er im Kabinett hatte, folgte ihm auch an die Kanone, Ludwig XIII. ergriff mit gieriger Hand den Sieg, den ihm sein Minister verschafft hatte, und fügte ihm nur jenen Teil von Größe hinzu, welche die Tapferkeit eines Mannes mit in den Triumph flicht.

Die Kanonen hatten aufgehört zu donnern, als die Kolonnen der Infanterie geschlagen nach Perpignan zurückgeworfen wurden; der übrige Teil hatte das nämliche Schicksal gehabt, und in der Ebene sah man nur noch die glänzenden Schwadronen des Königs, welche, sich allmählich vermindernd, ihn begleiteten.

Er ritt langsam einher und betrachtete mit Befriedigung das gänzlich von Feinden gesäuberte Schlachtfeld; stolz zog er sogar unter dem Feuer des spanischen Geschützes hin, welches, sei es nun aus Ungeschicklichkeit oder infolge einer Übereinkunft mit dem ersten Minister oder gar aus Scheu, einen König von Frankreich zu töten, ihm nur einige Kugeln zuschickte, die auf zehn Fuß über seinem Kopfe wegfliegend, angesichts der französischen Linie in den Boden fuhren und, wie billig, den Ruf der königlichen Tapferkeit vergrößerten.

Bei jedem Schritt indes, der ihn der Schanze näher brachte, wo Richelieu ihn erwartete, veränderte seine Physiognomie den Ausdruck und entstellte sich sichtlich; er verlor jene Röte, welche die Kampflust über ihn ausgegossen und der edle, im Triumph errungene Schweiß trocknete auf seiner Stirn. Je näher er kam, desto mehr bemächtigte sich die gewöhnliche Blässe seiner Züge, als hätte sie allein das Recht, auf einem königlichen Haupt zu thronen; der Blick verlor seine momentanen Flammen, und als der König endlich bei dem Minister angelangt war, lag der eiskalte Hauch einer tiefen Melancholie über seinem Antlitz. Er fand den Kardinal wie er ihn verlassen hatte; dieser saß wieder zu Pferde, verneigte sich mit seiner immer gleich kalten Ehrerbietung und stellte sich nach einigen bekomplimentierenden Worten neben Ludwig hin, um aufmerksamen Blickes den Bewegungen der Linien zu folgen und die Resultate des Tages zu beobachten, während die Prinzen und die vornehmen Herren, in einiger Entfernung vor und hinter ihnen sich bewegend, gleichsam eine Wolke um sie her bildeten.

Der gewandte Minister hütete sich sorgfältig, etwas zu sagen oder irgend eine Bewegung zu machen, was den Verdacht, daß er auch nur den geringsten Anteil an den Ereignissen des Tages nehme, hätte erregen können; und es war bemerkenswert, daß von allen denen, die ihm Bericht zu erstatten kamen, nicht einer war, der seinen Gedanken nicht zu erraten schien und als Beweis eines bündigen Gehorsams nicht zu vermeiden wußte, die geheime Macht des Kardinals zu kompromittieren. Die Rapporte wurden alle dem König gemacht. Der Kardinal durchritt nun an dessen Seite den rechten Flügel des Schlachtfeldes, den er von der Anhöhe herab, auf der er gestanden, nicht überblicken konnte, und sah mit Befriedigung, daß Schomberg, der ihn wohl kannte, genau nach der Vorschrift seines Gebieters gehandelt hatte, indem er nur einige leichte Truppen der Gefahr aussetzte, den Kampf aber hinlänglich im Gang zu erhalten wußte, um jeden Vorwurf der Untätigkeit von sich fernzuhalten, und doch nicht hinreichend, um irgend ein Resultat zu erzielen; der Minister war höchlich erfreut über dieses Benehmen, das auch dem König, dessen Eigenliebe sich mit dem Gedanken schmeichelte, der einzige Sieger des Tages zu sein, keineswegs mißfiel. Ja, er suchte sich sogar die Überzeugung aufzudringen, daß alle Anstrengungen Schombergs fruchtlos gewesen seien, und sagte ihm, er mache ihm keinen Vorwurf darüber, da er an sich selbst erfahren habe, daß man minder verächtlichen Feinden, als man anfangs geglaubt, gegenüberstehe.

»Um Ihnen zu beweisen, daß Sie in unseren Augen nur gewonnen haben«, fügte er hinzu, »ernennen wir Sie zum Ritter unseres Ordens und gestatten Ihnen die großen und kleinen Entrees bei unserer Person.«

Der Kardinal drückte ihm im Vorbeigehen freundlich die Hand und, erstaunt über die Gunstbezeugungen, womit man ihn überschüttete, folgte der Marschall dem König gleich einem Schuldigen mit gesenktem Haupte, indem er sich zu seinem Troste alle die glänzenden Waffentaten, die er während seiner Laufbahn verrichtet und die in Vergessenheit geblieben waren, ins Gedächtnis rufen mußte und, um sein Gewissen zu beschwichtigen, in seinem Innern die jetzt unverdiente Belohnung als Vergeltung für jene annahm.

Der König war eben im Begriff umzukehren, als der Herzog von Beaufort mit hochgetragener Nase und erstaunter Miene rief:

»Aber Sire, habe ich denn noch Feuer in den Augen oder hat mich ein Sonnenstich verrückt gemacht? Mir ist, als sähe ich auf jenem Bollwerk Kavalleristen in roter Uniform, die Ihren Chevaulegers, die wir tot glaubten, ganz rasend ähnlich sind.«

Der Kardinal runzelte die Brauen.

»Das ist unmöglich, mein Herr«, entgegnete er; »die Unbesonnenheit des Herrn von Coislin hat die Gardereiter Seiner Majestät und jene Kavaliere zugrunde gerichtet; deshalb wagte ich noch soeben, dem König die Bemerkung zu machen, daß durch Abschaffung dieser unnützen Korps, militärisch gesprochen, nur große Vorteile erwachsen könnten.«

»Pardieu, Ew. Eminenz wird mir verzeihen«, erwiderte der Herzog von Beaufort, »allein ich irre mich nicht, und hier sind ja deren sechs bis sieben, die Gefangene vor sich hertreiben.«

»Nun, so verfügen wir uns denn auf jenen Punkt«, sagte der König nachlässig. »Es sollte mir sehr lieb sein, meinen alten Coislin dort wieder zu finden.«

Man mußte ihm folgen.

Mit großer Behutsamkeit überschritten die Pferde des Königs und seines Gefolges den Sumpf und die Mauertrümmer. und zur ungemeinen Verwunderung aller erblickte man auf der Höhe des Bollwerks die beiden roten Kompagnien wie an einem Paradetage aufgestellt.

»Vive Dieu!« schrie Ludwig XIII., »ich glaube, es fehlt nicht einer. Wohlan, Marquis, Sie halten Wort, Sie nehmen die Mauern zu Pferde ein.«

»Meines Dafürhaltens ist dieser Punkt schlecht gewählt worden«, sagte Richelieu mit geringschätzender Miene; »es fördert die Einnahme von Perpignan um nichts und hat viel Leute kosten müssen.«

»Meiner Treu, da haben Sie recht«, entgegnete der König, seit der Zusammenkunft, die der Nachricht von dem Tode der Königin-Mutter voranging, den Kardinal zum erstenmal in minder trockenem Tone anredend, »es tut mir leid um das Blut, das hier vergossen werden mußte.«

»Sire, bei diesem Angriff wurden nur zwei von unseren jungen Leuten verwundet«, bemerkte der alte Coislin, »und in den Freiwilligen, die uns geführt, haben wir neue Waffengefährten gewonnen.«

»Wer sind sie?« fragte der König.

»Drei von ihnen haben sich bescheiden zurückgezogen, Sire; doch der Jüngste, den Sie da sehen, war der erste beim Sturm und hat mich auf den Gedanken gebracht, die Einnahme dieser Bastei zu wagen. Die beiden Kompagnien bitten um die Ehre, ihn Ew. Majestät vorstellen zu dürfen.«

Cinq-Mars, der sich hinter dem alten Kapitän zu Pferde befand, zog seinen Hut ab, so daß sein junges blasses Gesicht, seine großen schwarzen Augen und seine langen kastanienbraunen Haare völlig zum Vorschein kamen.

»Das sind Züge, die mich an jemand erinnern«, sagte der König; »was halten Sie davon, Kardinal?«

Dieser hatte auf den neuen Ankömmling einen durchdringenden Blick geworfen und antwortete:

»Ich müßte mich sehr irren oder dieser junge Mann ist . . .«

»Henri d'Effiat«, ergänzte mit lauter Stimme und einer Verbeugung der Freiwillige.

»Wie, Sire? Es ist der nämliche, den ich Ew. Majestät angekündigt hatte und der Ihnen durch mich vorgestellt werden sollte: der zweite Sohn des Marschalls.«

»Ach!« sagte Ludwig XIII. lebhaft, »es freut mich, ihn durch diese Bastei vorgestellt zu sehen. Es bedeutet Glück, mein Kind, es auf solche Weise zu werden, wenn man zudem noch den Namen unseres alten Freundes trägt. Sie werden uns ins Lager folgen, wo wir Ihnen viel zu sagen haben. Aber was seh' ich? Sie hier, Herr von Thou? Über wen hatten Sie hier ein Urteil zu sprechen?«

»Ich glaube, Sire«, antwortete an seiner Statt Coislin, »er hat einige Spanier zum Tode verurteilt, denn er war der zweite auf dem Platze.«

»Ich habe niemand geschlagen, mein Herr«, unterbrach ihn von Thou errötend; »das ist nicht mein Handwerk; ich habe hier keine Verdienste, denn ich begleitete nur meinen Freund, Herrn von Cinq-Mars.«

»Wir sehen Ihre Bescheidenheit ebenso gern als solche Tapferkeit, und werden diesen Zug nicht vergessen. Kardinal, ist keine Präsidentenstelle vakant?«

Richelieu war dem jungen von Thou nicht gewogen, und da sein Haß stets eine geheime Quelle hatte, suchte man die Ursache desselben vergebens. Sie enthüllte sich nur durch ein schreckliches Wort, das ihm entfuhr. Der Beweggrund dieser Feindschaft war eine Stelle in der »Geschichte Frankreichs« des Präsidenten von Thou, des Vaters unseres jungen Parlamentsrates, in der er einen Großoheim des Kardinals, der zuerst Mönch, dann Apostat war und alle menschlichen Laster in sich vereinigte, vor den Augen der Nachwelt brandmarkte.

Richelieu hatte sich schon vorher zu Josephs Ohr herabgebeugt und ihm zugeflüstert:

»Siehst du den jungen Mann da? Der Vater desselben hat meinen Namen in seiner Geschichte aufgezeichnet; wohlan! Der Name seines Sohnes soll auch in der meinigen aufgezeichnet werden.«

Er schrieb ihn auch wirklich später mit Blut hinein.

Um nun in diesem Augenblick der Antwort auf die Frage des Königs auszuweichen, stellte er sich als ob er dieselbe überhört hätte und hob um so mehr das Verdienst Cinq-Mars' und seinen Wunsch hervor, ihn bei Hofe angestellt zu sehen.

»Ich habe Ihnen im voraus versprochen, ihn zu meinem Gardekapitän zu machen«, sagte der König, »lassen Sie ihn gleich morgen dazu ernennen. Ich will ihn näher kennen lernen und behalte ihm, wenn er mir gefällt, für die Zukunft Besseres vor. Kehren wir zurück; die Sonne ist untergegangen und wir sind weit von unserer Armee entfernt. Befehlen Sie meinen beiden guten Kompagnien, uns nachzufolgen.«

Nachdem der Minister mit Weglassung dieses Lobes den gewünschten Befehl hatte erteilen lassen, ritt er an die rechte Seite des Königs, und das ganze Gefolge verließ die den Schweizern zur Bewachung überlassene Bastei, um ins Lager zurückzukehren.

Cinq-Mars gesellte sich zu seinem Freunde.

»Unsere Helden hier sind schlecht belohnt worden«, sagte er zu diesem; »trugen sie doch nicht eine Gunstbezeugung, nicht eine schmeichelhafte Anrede davon!«

»Dagegen«, antwortete der einfache von Thou, »erhalte ich, der ich ziemlich gegen meinen Willen hierher kam, Komplimente. So geht's im Leben; doch der rechte Richter, dessen Augen nicht geblendet wird, ist dort oben.«

»Das soll uns auch nicht hindern, morgen schon, wenn es sein muß, unser Leben zu lassen«, sagte der junge Olivier lachend.



 << zurück weiter >>